FRONTPAGE

«Holland wie im Bilderbuch»

Von Ingrid Schindler

Wer mit dem Flussschiff den Rhein hinab bis zur Mündung reist, erfährt ein Höchstmass an Abwechslung. Weltstädte und Weindörfer, Hochöfen und Hochkultur, Burgen und Naturidyllen ziehen wie Theaterkulissen an der Kabine vorbei. Im Frühling sind für viele die Tulpen in Keukenhof der Höhepunkt.

Frau Meier fährt wegen der Tulpen nach Amsterdam, Herr und Frau Müller und die Brüder Betschart auch. Neun Tage dauert die Reise auf der frisch renovierten MS Edelweiss von Basel nach Amsterdam und zurück, um die Tulpenblüte im Keukenhof zu erleben. Aber nicht allein die Tulpen sind sehenswert: Strasbourg, Köln, das nachts so eindrücklich leuchtende Ruhrgebiet, Düsseldorf, Rotterdam, Koblenz und der Romantische Rhein stehen auch auf dem Programm.
Etwa acht Wochen im Jahr bietet Thurgau Travel die Tulpenfahrten nach Holland von etwa Mitte März bis Mitte Mai an. Der Grund ist einfach: Der Keukenhof im Süden von Amsterdam ist nur im Frühjahr geöffnet. 2024 hat die Nationalblume der Niederlande, die auch Exportschlager Nr. 1 des Landes ist, offiziell von 21. März bis 12. Mai Saison. Danach schliesst die grösste Tulpenschau der Welt bis zum nächsten Frühjahr ihre Tore. Auch andere Schaugärten im Bollenstreek halten sich an diesen Zeitplan.

 

Glücksfall «Geisterböden»
Der Bollenstreek ist das älteste Blumenzwiebel-Anbaugebiet im historischen Holland. Im Dünengürtel zwischen Haarlem und Leiden wurden schon vor 500 Jahren die ersten Zwiebeln der aus Persien stammende Blume kultiviert und das lukrative Geschäft mit den Zwiebeln begründet. Als man begann, die Dünen im 16. Jahrhundert abzugraben, weil man Sand für den Städte- und später Eisenbahnbau benötigte, erwiesen sich die durchlässigen «Geisterböden» im milden Meeresklima als idealer Standort für Tulpen, Narzissen, Hyazinthen, Kaiserkronen oder Krokus.
Heute ist die Gegend nicht der einzige Hotspot der erfolgreichen niederländischen Blumenzwiebelproduktion. Auch in Noord-Holland und der dem Meer abgerungenen Provinz Flevoland kann man kilometerweit Tulpenfelder in allen Farbschattierungen und Formen per Rad, Boot, Helikopter, Ballon oder geführter Wanderung erkunden. «Ganz genau weiss man im Voraus nie, wann die Saison beginnt und endet. Sicher ist jedoch: Tulpenfahrten nach Keukenhof sind der Dauerbrenner unter den Flussreisen und schnell ausgebucht», weiss Thurgau Travel Reiseleiterin Rita Rigneau.
Wer die Frühlingstour von Basel nach Holland für eine Rentnerreise hält, liegt nicht ganz falsch und nicht ganz richtig. Jüngere Paare und KollegInnen schätzen den entspannten Flusstrip auf Europas meistbefahrener Wasserstrasse ebenso wie junge Eltern, die sich um die speziellen Familienreisen reissen, wenn Nannys an Bord den Nachwuchs hüten. Seit auch Blogger realisieren, dass der Frühlings-Farbenrausch fotogen auf Instagram wirkt, kann kein Best Ager sicher sein, dass er unter seinesgleichen bleibt.

 

Millionen von Blumenzwiebeln für die Welt
Dass der Keukenhof im 15. Jahrhundert der Küchengarten der Gräfin Jakoba von Bayern war, interessiert die Blogger nicht. Ebenso wenig, dass er Mitte des 19. Jahrhunderts in einen englischen Landschaftsgarten umgewandelt und hundert Jahre später erst zu einem Züchterevent und dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
2024 feiert der Keukenhof sein 75-jähriges Bestehen. Auf 32 Hektar Fläche sorgen 100 Hoflieferanten und 40 Gärtner von September bis zum ersten Frost dafür, dass sieben Millionen Blumenwiebeln im lockeren Sandboden landen. Mit vier Millionen Zwiebeln führen 800 verschiedene Tulpensorten das Feld an, der Rest entfällt auf Hyazinthen, Krokusse und Narzissen. Im Lasagne-Prinzip werden sie übereinander in die Erde gesetzt, Frühblüher zuoberst.
Keukenhof ist kein Geheimtipp. Wer einen stillen, einsamen Park erwartet, wird enttäuscht: Zwischen 15 Kilometern Spazierwegen herrscht viel Remmidemmi auf dem Platz. Hier ein Bläserkonzert vor der Windmühle, dort Kinderkreischen beim Fangis im Labyrinth oder Leierkastenlärm bei der Imbissbude. Den Rekord hält das Jahr 2018 mit 1,4 Millionen Besuchern. Zu 80 Prozent kommen sie aus dem Ausland. Je jünger und weitgereister, desto mehr stauen sie sich an instagramablen Fotospots.
Auch die Influencer von der MS Edelweiss haben alle Hände voll zu tun: Mal das spröde Haupthaar in der bissigen Bise schütteln, mal als britische Gardenlovers mit Strohhut vor blassen Blüten posieren oder in einem Hauch von Plissee farblich passend zwischen Tulpen frieren, während Normalos Daune tragen. Blümchen pflücken, Blütenduft schnuppern, verträumt vom Boden in die Bäume blicken, ehrlich, das hätte sich in Morges und Mainau genauso inszenieren lassen.

 

Der Name ist das Schweizerischste am Schiff
Wem es nicht ums optimale Bild vom eigenen Ich, sondern um Inspiration und Freude an der Blumenpracht geht, fährt am besten früh am Morgen in Eigenregie nach Keukenhof. Oder spät, je nach Schiffsfahrplan. Dann kann man die Themenpavillons, Gewächshäuser und Schaugärten ohne Bus- und Schiffstouristen geniessen. Der Anleger der MS Edelweiss beim Hauptbahnhof macht eigenständige Exkursionen möglich. Zu Fuss ist man schnell mitten in der Stadt und in 35 Minuten mit dem Keukenhof Express (Bus 852, zehnmal pro Stunde) bei den Tulpen.
«So kann man schon Ferien machen», hört man Reiseteilnehmer sagen. «Die MS Edelweiss hat wie der Rhein treue Fans», bestätigt Reiseleiterin Rigneau. Das frisch renovierte Schiff gilt als bequem, die Zufriedenheit an Bord ist gross, auch wenn die Zeit an Land für Einzelne zu kurz ausfällt. «Die meisten Passagiere lieben das Schiff. Ihr Schiff», ergänzt die Thüringer Reiseleiterin, die in Frankreich lebt. «Ich fühle mich hier daheim», würden ältere Gäste immer wieder sagen.
Man kennt sich. Die Mitarbeiter wissen, wie die Gäste heissen, was sie trinken, kennen Sonderwünsche. «Das machen uns Schweizer Gäste leichter als andere», findet Hotelmanagerin Aksela Asenowa. Sie stellt ihnen ein gutes Zeugnis aus: «Schweizer bringen ihre Anliegen, Fragen und Wünsche höflich, kultiviert und respektvoll vor, und ganz wichtig, sie sind nicht aggressiv, wenn sie etwas beanstanden.»
Die nautische Crew ist so beständig wie das Hotelteam. Die Kapitäne aus Budapest, die Hotelmanagerin aus Varna, der Mann am Klavier aus Russland, die Patissière aus Odessa oder zum Beispiel der Küchenchef aus Sumatra, der als Spüler in der Kombüse begann, sie arbeiten seit Jahren auf der MS Edelweiss. Insgesamt sind 14 verschiedene Nationalitäten an Bord. Der Name ist scheinbar das Schweizerischste am Schiff.

 

Gute Gründe zum Wiederkommen
Im raschen Wechsel schiebt sich eine pittoreske Kulisse nach der anderen am Panoramafenster vorbei. So anziehend und abwechslungsreich Stadt und Land vom Fluss aus erscheinen, so schnell ziehen sie vorüber. Die Auswahl der Landgänge fällt schwer. Entscheidet man sich für das UNESCO-Weltkulturerbe der 19 Windmühlen von Kinderdijk, die das Leben im unter dem Meerspiegel liegenden Polderland durch das Abpumpen von Wasser möglich machen, fällt die Stippvisite in Rotterdam ins Wasser. Die Grachtenfahrt durch Amsterdam cancelt die Kulinariktour, das Flanieren im kunstsinnigen Düsseldorf kippt den Gasometer Oberhausen. Im höchsten Gaskessel Europas ist bis Ende Jahr die publikumswirksame Ausstellung «Planet Ozean. Das zerbrechliche Paradies» zu sehen. Allein schon die Anekdoten über Kindheit und Kumpel im Revier, die Stadtführer Frank Switala auf der Busfahrt durch Duisburg zum Besten gibt, sind den Ausflug wert.
Der erfahrene Rheinkreuzfahrer nimmts gelassen, wenn er einen Landgang versäumt. Er kommt ja wahrscheinlich wieder. Wenn dann eines Tages alle Ausflüge abgearbeitet, die Kölner Brauhäuser, der grösste europäische Binnenhafen in Duisburg und das schöne Koblenz bestaunt worden sind, stehen erst noch eine Vielzahl lohnender Museen zur Wahl. Oder man macht es wie die alten Hasen und gönnt sich den Luxus des voll entspannten Kulissenschiebens, frei von Sightseeing und Kultur.

Die Reise wurde von Thurgau Travel unterstützt.

 

Mit der MS Edelweiss nach Holland
Das komfortable ****+Schiff der Reederei Scylla mit Sitz in Basel ist als Vollcharter des Flussreiseunternehmers Thurgau Travel hauptsächlich auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen unterwegs. Es wurde 2013 für maximal 180 Passagiere und rund 40 Besatzungsmitglieder in Serbien und Holland gebaut und Anfang Jahr renoviert. Es ist 110 m lang, 11,45 m breit und liegt bis 1,60 m tief im Wasser. Auf der 927 km langen Strecke vom Heimathafen Basel nach Amsterdam passiert es 14 Schleusen, davon 12 am Oberrhein. Dasselbe auf dem Rückweg.
Zu den Highlights dieser klassischen Rhein-Reise (9 Tage, 8 Nächte) zählen der Keukenhof bei Amsterdam, die Windmühlen von Kinderdijk, die Grachten in Amsterdam, die Metropole Ruhr und das Industriedenkmal Gasometer Oberhausen. Ausserdem stehen wahlweise die Städte Rotterdam, Köln, Duisburg, Düsseldorf, Strasbourg, Koblenz u.a. auf dem Programm.
www.thurgautravel.ch

 

Bildlegenden: 

1) Holland wie aus dem Bilderbuch  2) Flussschiffahrt auf dem Rhein  3) Amsterdam, Leidsegracht  4) Amsterdam, Binnenamstel  5) Farbenpracht in Keukenhof  6) Kinderdijk 7) Typisch Holland  8) MS Edelweiss  9) Nächtliches Mannheim  10. Gasometer Oberhausen. Im höchsten Gaskessel Europas ist bis Ende Jahr die publikumswirksame Ausstellung «Planet Ozean. Das zerbrechliche Paradies» zu sehen.

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