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«Retrospektive Kiki Kogelnik – Vom Expressionismus zum Pop»

Von Ingrid Isermann

Die erste grosse Retrospektive Kiki Kogelniks im Kunsthaus Zürich begeistert mit expressionistischem Farbenrausch und Pop Art-Grandezza. Die Künstlerin war ihrer Zeit voraus, nahm Themen wie Genderfragen und Robotik auf und ging kämpferisch mit Materialien, Farben und gesellschaftlichen Konventionen um. 

In Zürich ist die österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik (1935-1997) zwar keine Unbekannte mehr, war sie doch 2019 in der Ausstellung «Fly Me to the Moon» anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Mondlandung mit zehn Werken im Kunsthaus vertreten. Die aktuelle Retrospektive bietet nun die Möglichkeit, sie neu zu entdecken. Kogelniks Werk reicht von Malerei, Zeichnung, Skulptur und Keramik bis hin zu Installationen und performativen Praktiken. 
 
Kiki (Sigrid) Kogelnik wird am 22. Januar 1935 in Graz geboren und wächst mit zwei Brüdern in Bleiberg (Kärnten) auf. Nach Abschluss der Bundeslehrerinnenbildungsanstalt 1954 studiert Kogelnik an der Akademie für angewandte Kunst in Wien (heute: Universität für angewandte Kunst) Bildhauerei und Gebrauchsgrafik und wechselt im Herbst 1955 an die Akademie der bildenden Künste in Wien zum Studium der Malerei. Während ihrer Studienzeit macht Kogelnik Bekanntschaft mit der Avantgarde-Gruppe rund um die Galerie St. Stephan. Im Dezember 1956 nimmt sie an  ihrer ersten Gruppenausstellung in der Galerie teil; sie reist in dieser Zeit viel innerhalb Europas und lernt in Paris César, Joan Mitchell, Sam Francis und Kimber Smith kennen, ihre Reisen finanziert sie durch Stipendien und Preisgelder.
 
1962 zieht Kogelnik nach New York, wo sie ihre künstlerische Karriere im Kontext der sich gerade formierenden US-amerikanischen Pop-Art-Bewegung beginnt. Schon Anfang der 1960er-Jahre findet Kogelnik zu ihrem Signature Style: Umrisse von menschlichen, später auch tierischen Körpern und Dingen, das Phänomen des Fliegens sowie Muster, vor allem Kreise, sind typische Charakteristika ihrer Formensprache. In der Farbpalette dominieren kräftige, kontrastreiche Farben wie Orange und Pink, auch Silber mischt sich, besonders 1962 bis 1964, darunter.

Kogelnik ist materiell und immateriell eine stets nach Neuem Suchende  und dabei innovativ wie kaum eine andere Künstlerin ihrer Zeit, sie arbeitet mit Vinyl, Hartplastik, Schaumstoff und Metall, teils auch in Kombination mit Malerei.
 

«Now Is the Time»

Früh galt Kogelnik als Visionärin und nahm Themen in ihrem Werk auf, die heute aktueller denn je sind: Von Genderfragen und sexuellen Identitäten, ethischen Fragen rund um Spitzenforschung, insbesondere in der medizinischen Diagnostik zu Rationalisierung und Miniaturisierung durch Robotik.  «Frauen sollten wie Samurais auftreten», erklärte die Künstlerin. 

 

«Now is The Time»: Die Zeit ist reif für die Betrachtung eines Gesamtwerks, das sich mit der Konsumgesellschaft, dem Nutzen und den Problemen von technischem Fortschritt, Medizin und moderner Diagnostik sowie immer wieder auch mit dem (weiblichen) Körper und seinen Implikationen auseinandersetzt, und dies Jahrzehnte vor den heutigen Diskursen zu Geschlechtergerechtigkeit und sexueller Identität, medizinischer Ethik, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. 
 

Kogelniks Arbeiten aus den 1960er-Jahen erzählen von einer Zeit, in der die digitalen Technologien noch in den Kinderschuhen steckten. Die technische Entwicklung boomte vor allem in den USA, wo sie aus den Rüstungsprogrammen des Kalten Krieges und dem Space Race ihren Weg in die Hippiebewegung und in Kreise fand, die an einer psychedelische Kybernetik interessiert waren. So entstand 1966 auch der Whole Earth Catalog, das von Stewart Brand, einem Redakteur aus San Francisco gegründete US-Magazin, das häufig als analoger Vorläufer von Google bezeichnet wird.
 
Die Arbeiten Female Robot, 1964, sowie Ohne Titel (Raumschiff), 1963, thematisieren in ihrer Entstehungsgeschichte den Wettlauf ins All der 1960er-Jahre. Wenn man das Gesamtwerk dieser Künstlerin heute Revue passieren lässt, so Cathérine Hug, fällt auch ihre kritische, gleichwohl nicht minder ästhetisch einprägsame Auseinandersetzung mit verführerischen Frauenerscheinungen ins Auge. Kogelnik führt das exemplarisch anhand der Kulturströmungen Pop und Punk vor, die wesentlich durch die urbane Jugend- und Protestkulturen geprägt wurden.

 
Female Robot

Rund 20 Jahre nach Kogelniks Female Robot verfasste die amerikanische Philosophin Donna Haraway 1985 ihr «Manifest» über Cyborgs als kulturelle Figuren. Cyborgs sind Hybride aus Technik und biologischem Organismus, Maschine und Körper. Dabei sind sie nicht nur fiktive Gestalten der Science-Fiction, sondern zugleich Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Haraway bewegt sich damit im Spannungsfeld zwischen Technik, Körper und Geschlecht: «Mein Körper und Geist sind gleichermassen ein Produkt des Wettrüstens nach den Zweiten Weltkrieg, des Kalten Kriegs und der Frauenbewegung». Als Philosophin befasste sich Haraway mit einer technologischen Entwicklung, die im Rahmen des weltpolitischen Wettrüstens stattfand, und mit der Rolle der Wissenschaften, etwa der Biotechnologie und der Kommunikationswissenschaft, in einer Informationsgesellschaft, in der Menschen und Tiere endgültig mit der Technik verbunden sind und alles von der Elektronik abhängt. Diese kulturellen Einflüsse wirkten sich auch auf Kogelniks prägende Jahre aus.
 

«Love Goddess of Pop Art»

Kogelnik arbeitete zuerst als expressionistische Malerin und entwickelte sich anschliessend zu einer virtuosen Vertreterin der Pop Art, experimentierte mit Techniken der Collage und mit Airbrush, mit neuen Materialien wie Vinyl genauso wie mit dem traditionellen Werkstoff Keramik. Ihre ikonischen «Hangings», aus Vinyl geschnittene Körperumrisse, die lässig über Kleiderbügel hängen, sind ebenso in der Ausstellung im Kunsthaus zu sehen, wie spätere Werke aus Glas und Keramik. Die Künstlerin nutzte ihre Identität als Künstlerin, Mutter und Frau wie eine Schablone, um auch Denkanstösse über die Gesellschaft zu geben, wobei bei allen Werken die Neugier und die Freude am Experiment spürbar sind.

 

Kiki Kogelnik war in den Worten von Pop Art-Ikone Claes Oldenburg «a walking work of art» und laut Avantgarde-Komponist Morton Feldman eine «Love Goddess of Pop Art». Die grosse Retrospektive zeigt nun mit rund 150 Werken aus vier Jahrzehnten künstlerischer Produktion eine Gesamtschau von Kogelniks vielfältigem Werk. Sie vermittelt die kunsthistorische Bedeutung dieser Pionierin, die vorwiegend in New York, aber auch in Wien und Bleiburg, arbeitete und sich zwischen ihren Weggefährten wie Sam Francis, Robert Rauschenberg und Claes Oldenburg und Künstler:innen wie Niki de Saint Phalle, Carolee Schneemann, Andy Warhol und Roy Lichtenstein souverän bewegte. 

 
Die Ausstellung, kuratiert von Cathérine Hug in Kooperation mit Lisa Ortner-Kreil (Kunstforum Wien), ist ein Projekt des Kunstforums Wien und wird in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich und dem Kunstmuseum Brandts (Dänemark) organisiert sowie von der Kiki Kogelnik Foundation in New York begleitet.

 

Der ausführliche Katalog «Kiki Kogelnik: Now Is the Time», englisch und deutsch (Kehrer Verlag, 280 S., 150 Farbabbildungen), ist für CHF 52 im Museumsshop und im Buchhandel erhältlich. Mit Beiträgen von Sylvie Fleury, Flavia Frigen, Cathérine Hug, Marie Laurberg, Lisa Ortner-Kreil, Mai-Thu Perret und Brigitte Thorsen Vilslev.
Ausstellung 22.3.-14.7.2024
www.kunsthaus.ch
 
Bildlegenden:

1) Kiki Kogelnik bei der Eröffnung ihrer Einzelausstellung in der Henri Gallery, Washington, D.C., 1973.  2) Fly Me to the Moon, 1963.  3) Womans Lib, 1971.  4) Beach Ball, 1973.  5) Four Groups of People, 1986.
 

 

 

 

«Zentrum Paul Klee: Sarah Morris. All Systems Fail»

 
Das Zentrum Paul Klee zeigt die bisher umfassendste Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Sarah Morris in der Schweiz. Die Ausstellung beinhaltet mehr als hundert Werke, darunter 56 Gemälde, Zeichnungen, Filmposter und immersive Filminstallationen, und würdigt Morris’ einflussreiches Schaffen der letzten dreissig Jahre.
 
Sarah Morris (*1967) ist bekannt für ihre geometrischen Gemälde in lebendigen Farben, die sich mit Netzwerken und Systemen, Wirtschaft und Architektur auseinandersetzen. Sie nutzt sowohl die Realität als auch bildhafte Abstraktionen, um eine neue Sprache für Orte und Politik zu entwickeln. Morris betrachtet ihre Bilder, die den Betrachtenden das intensive Gefühl vermitteln, Teil eines grösseren Systems zu sein, als sich selbst erzeugend, offen für Interpretationen, Bewegung und Veränderung.
 
In ihren abstrakten Gemälden und experimentellen Filmen schöpft Morris aus der Tradition der Moderne und untersucht die Makro- und Mikrostrukturen der heutigen Welt. Indem sie eine virtuelle Architektur und Formensprache erschafft, verarbeitet sie in ihren Arbeiten eine breite Palette von Themen wie multinationale Unternehmen, Architektur, generische Stammzellentechnologie, Academy Awards, die Olympischen Spiele, Verkehrsnetze, Landkarten, Mondzyklen, Museen, Druckpressen, Fabriken, Mode und Postsysteme.

 

Geometrische Werke in der Bildsprache der Pop Art

In ihren farbintensiven geometrischen Gemälden greift Morris die Bildsprache der Pop-Art der Nachkriegszeit, des amerikanischen Minimalismus und der «Op Art» auf. Sie interessiert sich für die Systeme, die das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben durchdringen: von der Architektur der Grosskonzerne über den Verkehr bis hin zur digitalen Infrastruktur und zur Macht der Medien. Politik und Wirtschaft sind in ihren Arbeiten genauso dargestellt wie Werbung und Unterhaltung. Obwohl ihre Gemälde abstrakt, geometrisch und durchkomponiert wirken, lassen sich in ihnen die Oberflächen spezifischer Orte oder Firmen wiedererkennen.

 

Auch in ihren Filmen erforscht Morris mithilfe von fragmentierten Narrativen die «Psychogeografie» und den dynamischen Charakter von Orten und Städten im Wandel, darunter Metropolen wie Los Angeles, Rio oder Beijing. Die Positionen und Situationen, in die die Künstlerin sich selbst und die Betrachtenden versetzt, spiegeln die Hierarchien wider, in denen wir leben. Morris spielt in einzigartiger Weise mit dem Widerspruch unserer Kompliz:innenschaft mit den gesellschaftlichen Strukturen auf der Makro- und Mikroebene und gilt daher als eine der faszinierendsten Künstlerinnen ihrer Generation.

 

Der Titel der Ausstellung greift den momentan weit verbreiteten Kultur- und Fortschrittspessimismus, das Versagen politischer und gesellschaftlicher Strukturen sowie Zukunftsängste auf. In einer von raschem Wandel geprägten Gegenwart kritisiert Morris die in ihren Gemälden und Filmen dargestellten Systeme und setzt sich gleichzeitig mit ihnen auseinander.
 
Ausstellung 29.3.-4.8.2024 http://www.zpk.org/
 
Sarah Morris. All Systems Fail
Zentrum Paul Klee
Monument im Fruchtland 3
CH 3000 Bern

 

 

Buchtipps:
 
«Aargauer Kunsthaus: Mit Gegenwartskunst umgehen»
 

Kunstproduktion und Museumsarbeit im Wandel: zehn Autorinnen blicken auf den Umgang des Aargauer Kunsthauses mit Gegenwartskunst.
 
Die Publikation beleuchtet den Umgang mit zeitgenössischer Kunst in einer öffentlichen Sammlung am Beispiel des Aargauer Kunsthauses und gibt so Einblicke hinter die Kulissen des Museumsbetriebs. Seit der Gründung des Aargauischen Kunstvereins 1860 sammelt das Aargauer Kunsthaus zeitgenössische Kunst. Der Wandel in der Kunstproduktion der letzten Jahrzehnte hat auch die Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit stark verändert.
 

Die Beiträge in dem Band verorten diese Tätigkeit über die 20 Jahre seit Eröffnung des Erweiterungsbaus des Museums 2003 und skizzieren die vielfältige Arbeit mit der Sammlung. Zehn Autorinnen aus unterschiedlichen Wissensgebieten nähern sich dem Museum und der Sammlung je mit einem spezifischen Fokus und beziehen die Stimmen einzelner Kunstschaffender mit ein. Im Hinblick auf die langfristige Sichtbarmachung der reichen Bestände vermittelt das Buch werkspezifisches Wissen zu Kontext, Entstehung, Technik und Konservierung und leistet damit einen aktuellen Beitrag zur Verschränkung von Theorie und Praxis. Eine digitale Erweiterung erfährt das Buch durch via QR-Code online verfügbare audiovisuelle Beiträge.

 

 

Aargauer Kunsthaus
Mit Gegenwartskunst umgehen
Herausgegeben von Simona Ciuccio,
Katrin Weilenmann, Katharina Ammann
Scheidegger & Spiess, 2024
Geb., 256 S., 254 farbige und 84 s/w-Abb.
CHF 49. 21 x 27.5 cm
ISBN 978-3-03942-183-1

 

 

«Kreis! Quadrat! Progress!»
 

Die Geschichte der Zürcher Konkreten und ihres Strebens nach einer Transformation der Gesellschaft durch Ästhetik, Design und Architektur.
 
Konkrete Kunst, Grafik und Design wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zum Emblem einer modernen Schweiz. Geprägt von de Stijl, russischem Konstruktivismus und dem Bauhaus zielten die Konkreten auf eine Transformation der Gesellschaft durch Ästhetik, Design und Architektur – etwa durch die Hochschule für Gestaltung Ulm.

 

Kreis! Quadrat! Progress! porträtiert die Zürcher Konkreten Max Bill, Camille Graeser, Verena Loewensberg und Richard Paul Lohse und ihr Umfeld sowie ihre Impulsgeber wie Sophie Taeuber-Arp, Georges Vantongerloo, Theo van Doesburg oder Anton Stankowski. Es erzählen Zeitzeugen wie der Künstler Peter Fischli und die Kuratorin Bice Curiger. Lebendig werden Verbindungen zur europäischen Avantgarde ebenso wie die Anfeindungen, die Skandale und die Durchsetzungskämpfe inmitten der Umwälzungen des 20. Jahrhunderts.
 

 

Kreis! Quadrat! Progress!
Herausgegeben von Thomas Haemmerli,
Brigitte Ulmer
Scheidegger & Spiess, 2024
Broschiert, 336 S., 246 farbige und 15 s/w-Abb.
CHF 49.21.5 x 26.5 cm
ISBN 978-3-03942-164-0

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