Portrait Mai-Thu Perret © Ingrid Isermann
Haus Konstruktiv, Foto © A. Burger
Haus Konstruktiv, Fotos: © A. Burger
«Die konkrete Zürcher Kunst-Bewegung»
Von Ingrid Isermann
Das Haus Konstruktiv vergibt seit 2007 zusammen mit der Zurich Group den hochdotierten «Zurich Art Prize». Preisträgerin 2011 ist die in Genf geborene und lebende Künstlerin Mai-Thu Perret (*1976). Vorgänger waren 2010 Ryan Gander (*1976), 2009 Tino Sehgal (*1976) und 2007 Carsten Nicolai (*1965). Der Preis von CHF 80’000 ist verbunden mit einer Einzelausstellung im Haus Konstruktiv.
Parallel feiert eine Hommage die vier Zürcher Konkreten der ersten Stunde: Max Bill, Camille Graeser, Verena Loewensberg, Richard Paul Lohse im Dialog mit Special Friends.
Zum 25 jährigen Jubiläum der Stiftung für konstruktive, konkrete und konzeptionelle Kunst ist erstmals ein umfangreicher Sammlungskatalog erschienen.
Mai-Thu Perret ist der Schweizer Shooting-Star der Kunstszene, die auch im internationalen Kunstgeschehen gegenwärtig mit hoher Aufmerksamkeit bedacht wird, unter anderen mit ihrer Teilnahme an der 64. Biennale di Venezia 2011 wie auch ihre weitherum beachtete, kürzliche Ausstellung im Aargauer Kunsthaus.
«Krazy Kat» & Sesam öffne Dich!
Als Auftakt verwandelte Mai-Thu Perret die Halle des Haus Konstruktiv im Erdgeschoss in eine Art Felslandschaft: eine Installation von fünf massiven, felsbrockenartigen, mannshohen Objekten bewegt sich auf Schienen in elliptischen Kurven langsam durch den himmelblau und roséfarbenen Raum. Felsplaneten auf Umlaufbahnen? Auch felsenfeste Interpretationen können hier, mit einem Augenzwinkern, in Bewegung geraten…
In ihren neuen Arbeiten liess sich Perret von der Comicfigur «Krazy Kat» zu den Felsbrocken inspirieren und knüpft inhaltlich an die frühere amerikanische Comic-Serie an. Der Comic-Strip «Krazy Kat» des Autors George Herriman wurde von 1913 bis 1944 regelmässig in amerikanischen Zeitungen publiziert. Die Handlung kreist um die naive und geschlechtslos wirkende Katze Krazy und dem zynischen Mäuserich Ignatz und einen in Krazyverliebten Polizeihund. In «Krazy Kat» geht es in um Repetitionen, um Variationen innerhalb einer sich wiederholenden Geschichte, die im imaginären Ort Coconino County spielt.
In diesem surrealen Universum geraten Dinge, Geschlechter-rollen, Tier und Mensch, Handlungen und Gefühle immer wieder durcheinander und entfalten ein subversives Spiel zwischen Sinn, Unsinn und Poesie: im Comic-Strip «Krazy Kat» werden leblose Requisiten wie Gesteinsbrocken zu lebendigen Kreaturen, während lebendige Figuren zur Kulisse erstarren.
«I dream of the code of the west»
Den Titel der Ausstellung entnahm Mai-Thu Perret Perret einer Gedichtzeile des expressionistischen, amerikanischen Poeten Ted Berrigan (1934-1983). Codessind das Stichwort als unterschiedliche Perspektiven in Perrets Arbeiten, gleichsam eine Decodierung oder Umkehr der Dinge.
In der 1. Etage der Ausstellung im Haus Konstruktiv lehnen neben geometrischen s/w-Grossformaten, mit Schrägstreifen, Karos oder Kreisen, Mai-Thu Perrets katzenhafte Figuren an der Wand, in grünem Stretchanzug mit Stacheln wie ein Kaktus, oder weiss oder schwarz mit Katzenschwanz, die von ferne an die Cremaster-Figuren von Matthew Barney erinnern, die die Assoziationen rotieren lassen und die eigene Phantasie in Bewegung setzen (können).
«Die phantastischen Vier»
Zürich gilt als Wiege zweier massgeblicher Kunstrichtungen:Dada oder Dadaismus als künstlerische und literarische Bewegung, die von Hugo Ball, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp 1916 im Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse in Zürich gegründet wurde und sich durch Ablehnung konventioneller Kunst und deren Kunstformen, die oft parodiert wurden, auszeichnete. Vom Dada gehen bis heute wesentliche Impulse bis zur zeitgenössischen Kunst aus.
Ab den 1930-er Jahren etablierte sich die Kerngruppe der«Zürcher Konkreten», deren Ausstrahlung in alle Welt noch immer junge Kunstschaffende, Architekten und Designer zu inspirieren vermag. Das Museum Haus Konstruktiv verdankt seine Gründung den engagierten Persönlichkeiten der international renommierten Zürcher Bewegung der konstruktiven und konkreten Kunst. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums seiner Trägerstiftung realisiert das Museum Haus Konstruktiv in Vol. 16 der Reihe ‚Visionäre Sammlung’ eine Hommage an die Kerngruppe der ‚Zürcher Konkreten’:
Verena Loewensberg (1912-1986), Max Bill (1908-1994), Camille Graeser (1892-1980) und Richard Paul Lohse (1902-1988).
Sie vermittelten mit ihrem Schaffen ein Kunstverständnis, dass Kunst eine Möglichkeit bieten kann, Wahrnehmung und Bewusstsein zu schärfen.
Ihre Werke werden in Beziehung gesetzt zu Arbeiten von Fritz Glarner und Hans Hinterreiter, zwei Vertretern der ersten Generation der konkreten Künstler.
Gemeinsamkeiten werden auch mit der Präsentation zeitgenössischer Positionen als Echoraum angesprochen – vonSaâdane Afif (*1970), Daniele Buetti (*1955), Bruno Jakob (*1954), Jonathan Monk (*1969), Kilian Rüthemann (*1979) und Shirana Shahbazi (*1974).
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Gezeigt werden wichtige, spektakuläre Werke der vier Konkreten, der phantastischen Vier, auch ein nicht realisiertes Kunst-am-Bau-Projekt von Camille Graeser sowie Möbel von Max Bill.
Der «Rockefeller Dining Room»:
Parallel zur Ausstellung «Die phantastischen Vier – Zürich konkret & Special Friends» zeigt das Museum Haus Konstruktiv auch die Zeichnungen, Entwürfe und Gemälde, die der 1936 in die USA emigrierte Künstler Fritz Glarner (1899-1972) in Vorbereitung auf den Rockefeller Dining Room angefertigt hat.
Das von Glarner für Nelson A. Rockefeller gestaltete, 1964 fertiggestellte Esszimmer ist heute das Herzstück der Museumssammlung. Der Künstler und Architekt Beat Maeschi hat über zwei Jahre hinweg intensiv recherchiert und die Werke aus der Entwurfsphase ausfindig gemacht. Hier wird ein spannender Einblick in die Konzeption und in den künstlerischen Prozess ermöglicht.
Zum 25-jährigen Stiftungsjubiläum ist der erste grosseSammlungskatalog des aktuellen, mehrheitlich durch grosszügige Schenkungen zusammengetragenen Bestandes von mehr als 700 Werken erschienen, mit einem Vorwort von Hans Ulrich Schweizer und Dorothea Strauss sowie Texten vonEvelyne Bucher, Britta Schröder und Margit Weinberg Staber.
Die museumseigene Sammlung der konkreten Kunst ist damit eine der grössten ihrer Art in Europa. Die Publikation ist im Museumsshop erhältlich.
Haus Konstruktiv
GANZ KONKRET
360 S., 800 farbige Abb., Hatje Cantz Verlag 2011.
CHF 78.
ISBN 978-3-7757-2840-9 (deutsch)
ISBN 978-3-7757-2841-6 (englisch)
Haus Konstruktiv, Selnaustrasse 25, 8001 Zürich
(26. August bis 23. Oktober 2011)