65th Filmfestival Cannes 2012
«Meine Woche mit Marilyn»
Michelle Williams als Marilyn Monroe
Eddie Redmayne
«The Prince and the Showgirl», Filmstill von 1957
Colin Clark «Meine Woche mit Marilyn», Schirmer Mosel 2012
«Colin Clark: My Week with Marilyn»
Von Ingrid Isermann
Sir Laurence Olivier, Regisseur und Hauptdarsteller von «The Prince and the Showgirl», sitzt allein und gedankenverloren im dunklen Kinosaal der Londoner Pinewood Studios, hingerissen von den Preview-Szenen mit Marilyn Monroe… obwohl er sie ständig wegen Unpünktlichkeit tadelt und ihr Können als Schauspielerin in Frage stellt. Auf der Leinwand aber erscheint nur Marilyns ungekünstelte, vollkommen natürliche Präsenz, als wäre alles ganz leicht… himmlisch! Was für ein Auftritt! Was für eine Präsenz!
Hier ist die andere Marilyn, mit ihrer Magie und geheimnisvollen Wirkung, die bis heute ein Mythos ist, und Olivier fragt sich kopfschüttelnd, wie macht sie es nur… lasziv tanzend und singend ihren Körper zu bewegen, kokett in die Kamera zu schauen, als ob sie ganz intim mit dem Betrachter wäre, so wie sie als Marilyn zur Ikone und berühmtesten Schauspielerin Amerikas wurde.
«Der Prinz und die Tänzerin» hatte Laurence Olivier mit seiner Frau, der Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Vivien Leigh («Vom Winde verweht») schon einmal auf der Bühne als Theaterstück dargestellt, jetzt wollte er das Stück mit einer jüngeren Schauspielerin mit Charisma verfilmen. Alles hatte so gut begonnen. Sir Laurence war nach New York gekommen, um seine Partnerin und Coproduzentin der Marilyn Monroe Productions kennenzulernen. Olivier liegt ihr schon nach Sekunden zu Füssen und meint, sich wahnsinnig in Marilyn verliebt zu haben.
1956 ist die dreissigjährige Marilyn Monroe auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes, nach Filmen wie «Niagara» (1953), «River of No Return» (1954) oder «Bus Stop» (1956), seit kurzem verheiratet mit dem renommierten Schriftsteller Arthur Miller und einen Film vor «Some like it hot» (1959), der sie endgültig in den Olymp katapultierten sollte. 1961 entstand ihr letzter Film nach dem Drehbuch des Noch-Ehemanns Arthur Miller «The Misfits» mit Clark Gable, der ihren Wechsel ins Charakterfach manifestierte.
Als Marilyn am 14. Juli 1956 mit Arthur Miller in London vor die Presse tritt, können es vierhundert Journalisten nicht fassen, dass die Monroe sie besucht, eine Göttin, die alle verzaubert. Doch Laurence Olivier stellt Marilyn seinen englischen Schauspielkollegen mit den Worten vor, „dass sich alle freuen, so ein köstliches kleines Ding“ bei sich zu haben, später bissig kommentiert von Marilyn: „Er wollte freundlich sein, kam mir aber vor wie einer, der herablassend gerade ein Elendsviertel besucht“.
Als Olivier bei den Dreharbeiten anmerkte: „Alles, was Sie tun müssen, liebe Marilyn, ist, sexy sein“, war der Konflikt nicht mehr abzuwenden. Mit Milton Greene hatte Marilyn 1954 die MMP Filmgesellschaft gegründet, um endlich auch intellektuell ernst genommen werden.
Wer erinnert sich heute noch an Laurence Olivier (1907-1989), den britischen Theater-Star und hochdotierten Shakespeare-Schauspieler, der mit diesem Film mit Marilyn endlich in die erste Garde der Filmschauspieler aufsteigen wollte? Beide wollten sich von ihren Rollenklischees befreien, doch der Film hatte nicht den gewünschten Erfolg. Erinnern wird man sich später nur an Marilyns faszinierende Performance.
Die romantische Geschichte erzählt aus erster Hand mit irrisierender Leichtigkeit der spätere Dokumentarfilmer Colin Clark (1932-2002), Sohn aus erstklassiger Familie, der als 23-jähriger frisch von Oxford als dritter Film-Assistent bei Sir Laurence Olivier für die Filmaufnahmen zu «Der Prinz und die Tänzerin» anheuerte.
Marilyn Monroe, auf dem Filmset stets umgeben von einem Stab geltungssüchtiger Betreuer, wird auf den zurückhaltenden jungen Mann aufmerksam, der sie nicht als Star behandelt und beginnt, seine Nähe und seinen Ratschlag zu suchen. Arthur Miller ist entnervt schon nach wenigen Tagen auf dem Filmset nach Paris und New York abgereist, nicht ohne vorher in seinen offen herumliegenden Notizen festzuhalten, dass er Marilyn nach drei Wochen Ehe nicht mehr liebt und sie ihm leid tue. Das wirft die zwischen Euphorie und Depression schwankende und mit Selbstzweifeln kämpfende Marilyn aus der Bahn und bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Dreharbeiten.
Colin Clark weiss nicht, wie ihm geschieht, als Marilyn mehrfach nach ihm verlangt und er verbringt mit dem berühmten Filmstar unvergessliche Stunden, in denen sie ihr wahres Ich zeigen kann, und für einmal nicht ‚Marilyn’ sein muss. Clark unternimmt mit ihr unter den gestrengen Augen des Scotland Yard-Bodyguards und Melsey-Fahrers Roger einen Ausflug nach Windsor Castle zu seinem Taufpaten Sir Owen Morshead in die Saalflucht der Königlichen Bibliothek, deren Wände hinter lauter Büchern und Gemälden verschwinden, wo Marilyn eine Mappe mit Zeichnungen von Holbein bewundert… «Ooh, was für eine schöne Dame», sagte Marilyn, «wer ist das»? «Die Tochter eines Edelmanns bei Hof, doch das ist schon vierhundert Jahre her». «Schon vierhundert Jahre, und sie ist immer noch so schön… Unglaublich».
Colin fährt mit Marilyn zum ehrwürdigen Eton College der Upper Class, wo er zur Schule ging, und Prügel erhielt, wenn er nicht fleissig genug lernte, zum Sandwichessen in ein kleines Pub, teilweise mit begeistertem spontan auftretendem Publikum, ausser einem romantischen tête-à-tête-Intermezzo beim Schwimmen in der Themse mit Marilyn, wo sie allein sind, während der Fahrer unter einem Baum ein Nickerchen macht.
Colin Clark führte am Filmset vom ersten Arbeitstag an Tagebuch, seine damaligen Notizen grub er jedoch erst mehrere Jahrzehnte später und lange nach Marilyns tragischem Tod wieder aus. In seinen Aufzeichnungen berichtet der spätere Dokumentarfilmer und Produzent erstmals von dem Wunder, das er als noch unerfahrener Grünschnabel am Anfang seiner Karriere mit dem Weltstar erlebte: „Ein Märchen, ein Zwischenspiel, eine Episode ausserhalb von Zeit und Raum“ . Eine erstaunliche Geschichte, die nicht zuletzt auch einen ehrlichen Blick hinter die Kulissen auf das von Mythen und Legenden umrankte Leben von Marilyn Monroe als Selbst- und Fremdbild ermöglicht.
Eine wahre Geschichte, die unglaublich klingt und nun als Grundlage zum bezaubernden Film mit «Meine Woche mit Marilyn» mit der betörenden Michelle Williams («Brokeback Mountain ») als Marilyn dient. Der Film, mit einem Golden Globe und einer Oscar-Nomination für Michelle Williams als bester Hauptdarstellerin ausgezeichnet, hält sich in den Vorgaben und spritzigen Dialogen detailgetreu an die Aufzeichnungen von Colin Clark, der kurz vor seinem Tod im Jahre 2000 das Copyright zum Buch erteilte, das soeben im SchirmerMosel-Literaturverlag 2012 als deutsche Erstveröffentlichung erschienen ist.
Im Anhang findet sich auch ein Brief von Colin Clark an Peter Pitt-Millwand in Portugal, vom 26. November 1956, wo er die Geschehnisse der hektischen Dreharbeiten und seine Begegnung mit Marilyn schildert, sozusagen als beglaubigtes Vermächtnis der anrührenden Story.
Colin Clark: «Wäre Marilyn noch am Leben, hätte ich diesen Bericht nie so schreiben können. Möge er nun meine bescheidene Reverenz an einen Menschen sein, der mein Leben verändert hat – und dessen Leben ich gern gerettet hätte, wäre ich dazu in der Lage gewesen».
Buch und Film läuten das grosse Marilyn-Jahr ein, denn am 5. August 2012 jährt sich Marilyns 50. Todestag (1926-1962). Bei SchirmerMosel sind über die Stil-Ikone Marilyn Monroe bereits zahlreiche Bücher erschienen. Zuletzt die Neuauflage des Marilyn-Klassikers und weltweiten Bestsellers „Silver Marilyn – Marilyn und die Kamera“ (248 Seiten, 152 Tafeln, Euro 39.80) und der opulente Bildband „Marilyn – Metamorphosen“ (320 Seiten, 233 Abbildungen, Euro 49.80) mit teils unveröffentlichten Photographien des berühmtesten weiblichen Filmstars der Welt.
MY WEEK WITH MARILYN
Melodrama, GB/USA 2011. Kenneth Branagh (Sir Laurence Olivier), Michelle Williams (Marilyn Monroe), Eddi Redmayne (Colin Clark), Dougray Scott (Arthur Miller )u.a.
Dauer: 103 Minuten, Version E/d/f, Regie: Simon Curtis.
Colin Clark
Meine Woche mit Marilyn. Eine wahre Geschichte.
Aus dem Englischen von Bernadette Ott.
Gebunden mit Schutzumschlag. 224 Seiten.
Schirmer Mosel Literatur 2012
CHF 27.50 / Euro 17.80 (D) /
Euro 18.30 (A) ISBN 978-3-8296-0599-1
Marilyn Monroe
Tapfer lieben (fragments)
Ihre persönlichen Aufzeichnungen,
Gedichte und Briefe; deutsch/englisch, übersetzt
von Uda Strätling; S. Fischer, Frankfurt a.M. 2010;
272 S., 24.95 Euro.