FRONTPAGE

«Schweizer Trio zündet Lunte»

Von Rolf Breiner

Drei Schweizer kompakt – der deutsche Margarete Berg Verlag aus Wesseling bei Köln hat in seiner neuen Edition «Die Lunte» die jüngsten Romane von Clemens Klopfenstein, Marcus P. Nester und Martin Hennig herausgebracht. Das Trio mit einigen Berührungspunkten liest am 18. Mai an den 34. Solothurner Literaturtagen.

Schauplatz Solothurn im Winter.  Am Rande der 47. Solothurner Filmtage im Januar gab es ein «literarisches Rendezvous» in der galerie 9. Der Basler Marcus P. Nester (64) trug Passagen aus dem «Schlüsselroman aus der Welt der Medien» vor. Der Titel deutet die Szenerie bereits an: «Vergiss Venedig». Das weckt Assoziationen an den Film «Tod in Venedig» oder an das berühmte Filmfestival. Beide sind dem ehemaligen Fernseh- und Filmmann Nester nicht unbekannt.

 

«Ach was, Schlüsselroman. Vor allem ist mein Buch ein Roman über einen kleinmütigen Filmjournalisten und eine deutsche Filmdiva.» Und das beginnt und endet mit zwei Toten, mit dem Royal-Popstern Lady Di und ihrem Unfalltod am 31. August 1998, und der Wasserleiche – ein Jahr später – eines gewissen André Kiefers. Der war Filmjournalist vom Schweizer Fernsehen aus Zürich und hatte sich unsterblich in die Klassefrau Barbara verguckt, dem neuen Starlet des deutschen Films. Eine Liebesgeschichte mit vielen Anspielungen auf Szeneleute, journalisches Know-how, den Festivalbetrieb, auf die Welt der Starlets und des Filmbusiness. Spannend, entspannend, locker und professionell. Ein Insider amüsiert sich und der Leser, die Leserin gleich mit.

 

Marcus P. Nester hat es früh zum Medium Film gezogen. Er wurde zum «Jungfilmer» beim Schweizer Fernsehen für das Projekt «Ballonbremse» mit Hans Liechti als Kameramann. Zusammen mit Clemens Klopfenstein schuf er 1978 den Insider-Krimi «Die Migros Erpressung», der dann unter dem Titel «Das leise Gift» 1982 von Erwin Keusch verfilmt wurde. Es folgten Drehbücher zu «Eurocops» und «Tatort» sowie der Reihe «ch-film», Kurzgeschichten und nun die Szenen-Satire und Liebes-Moritat «Vergiss Venedig». Der Basler, der nach Zürich zog, lieferte mit seinem jüngsten Werk seinen Teil zur Männerphantasie bei – ein guter Tipp fürs Feriengepäck.

 

 

Von Clemens Klopfenstein, dem urigen Film-Underdog vom Bielersee war schon eingangs die Rede. Ihm verdanken wir so schräge Roadmovies wie «Das Schweigen der Männer» oder «Die Gemmi – ein Übergang» mit Polo Hofer und Max Rüdlinger. Doch in die Schweizer Filmgeschichte eingeschrieben hat er sich 1982 mit «E nachtlang Füürland». Der Regisseur, Kameramann, Produzent, Cutter, Zeichner und Autor, lebt seit über drei Jahrzehnten in Umbrien. Und dort spielt auch sein Immobilienkrimi «Schwein gehabt».


Das vorangestellte Motto stammt von San Gerardo: «Es gibt keine grössere Leichtigkeit als die Leichtigkeit des Schweins». Wer sich Böses oder gleich Fleischliches dabei denkt, ist auf der richtigen Route. Klopfenstein, der umbrische Schelm mit Bieler-Blut, taucht in seine zweite Heimat ein, gibt nicht nur Kulinarisches zum Besten, sondern auch Kriminelles, Emotionelles (etwa über die Sehnsucht der Deutschen nach Italien), Immobilielles und Klösterliches.
Mitwirkende sind unter anderen ein Ich-Erzähler (Maler und Hauswart), ein Makler, Schlaumeier Berlusca, der Schweizer Botschafter in Rom, eine Sexy-Stimme, ein Bauunternehmer, ein Dorfpolizist, ein Bauer, ein kommunistischer Bürgermeister, Nonnen und Klosterbrüder von San Gerado und Hannoveraner. Das sei natürlich alles wahr, versicherte uns Lebenskünstler und -geniesser Klopfenstein. Der Schelm aus Umbrien möchte wohl eine neue «Vogelpredigt» unters Volk sprich Leserschaft bringen. Dazu hat er Margarete Berg gewonnen und ihren Kölner Verlag zur schrägen Edition «Die Lunte» animiert.
«Der eine Kriminalroman von Marcus P. Nester», so die Verlegerin, «bewegt sich vom Zürcher Fernsehen ans Festival von Venedig und endet  tödlich. Der andere von Clemens Klopfenstein spielt im dunklen Umbrien und endet in Ekstase

 

 

Und nun kommt noch die Liebesreise von Martin Hennig «Logans Party» hinzu (siehe Interview). Alle drei Buchtitelseiten sind übrigens mit Zeichnungen von Clemens Klopfenstein verziert, nach Entwürfen vom Filius Lukas Tiberio Klopfenstein. Wenn das nicht ein gelungenes literarisch-künstlerisches Netzwerk ist!

 

Lesungen der drei Autoren an den Solothurner Literaturtagen (18. bis 20. Mai) am 18. Mai im Kreuz ab 22 Uhr.

«Martin Hennig: Mein Buch ist für mich eine literarische Konstruktion»

Von 1984 bis 1994 war der Basler Martin Hennig (*1951) Dramaturg beim Schweizer Fernsehen, seither ist er als freier Autor und Dramaturg tätig. Vor kurzem ist vom in Zürich lebenden Autor ein neues Buch erschienen: «Logans Party».

 

Anlässlich des Salon du livre im Palexpo Genf Ende April haben Sie eine Lesung am Stand BuchBasel gehalten. Wie war’s?
Martin Hennig: Es kamen nur eine Handvoll Leute, deutschsprachige Autoren sind in Genf naturgemäß nicht so sehr gefragt. Aber es war eine Erfahrung und ein Ausflug mit meiner Tochter.
Wie bereitet man sich als Autor vor? Welche Passagen liest man?
Man sieht zu, dass man in einer halben Stunde vielleicht einen Eindruck vom Buch, ein Stück der Geschichte vermitteln kann. Ich versuche auch die Erzählhaltung zu vermitteln. Das WIE ist ja wichtiger als das WAS.
Stellen Sie sich auf ein bestimmtes Publikum, auf einen Ort ein?
Die Lesung gilt immer dem Buch, unabhängig vom Ort.
Und wie erlebt man es, wenn ein Lesepublikum zur Hörerschaft wird?
Spannend. Ich selber erlebe den Text immer anders. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich beim Lesen den Text geändert habe.
Welche Erfahrungen haben Sie mit dem neuen Buch gemacht?
Das ist mein erstes Buch nach 31 Jahren, gleichsam ein neuer Erstling. Darum kann ich darüber noch nicht viel sagen.
Was können Sie zur Entstehungsgeschichte des Romans «Logans Party» sagen?
Es ist nicht so, dass ich an diesem Roman 31 Jahre geschrieben habe. Ich habe Eindrücke gesammelt, eigene Lebenserfahrungen einfließen lassen. Der Rohbau war sozusagen vorhanden, als ich dann 2011 den Stoff in Form gebracht habe.
Ein Roman in Ich-Form. Da kommt die Frage zwangsläufig nach Authentizität, nach Selbstbiografischem auf. Wie viel Hennig steckt in dem Roman?
Ich bin der Beobachter. Die Figuren in der Geschichte sind erfunden, aber natürlich fliessen Biografisches und gewisse Wahrnehmungsmuster ein. Ich als Autor sehe mich allerdings als Konstrukteur, und mir ist wichtig, dass dieses Buch als Konstruktion wahrgenommen wird, als literarische Erinnerung an die Neunzigerjahre ist, nicht als Versuch zum Allgemeingültig-Dokumentaristischen.
Wie würden Sie Ihr neustes Buch charakterisieren: Eine Liebesgeschichte, ein lustvolles Gesellschaftsbild, eine Reminiszenz?
Das alles und dazu ist es eine Zeitreise in die Neunzigerjahre.
An den Solothurner Literaturen lesen Sie zu dritt – Clemens Klopfenstein, Marcus P. Nester und Sie. Liest es sich zu dritt besser?
Jedenfalls haben wir drei Gemeinsamkeiten und bieten gleichwohl einen bunten Strauss mit unserer Verschiedenheit.
Drei Schweizer Autoren in einem deutschen Nischenverlag, Margarete Berg Verlag, in Wessling südlich von Köln. Wie ist es dazu gekommen?
Clemens hat es angeregt und der Verlag hat die neue Edition «Die Lunte» mit uns dreien quasi eröffnet. Das soll mit anderen Autoren nun weitergehen.
Man hört, dass Sie an einem neuen Roman über die Filmbranche arbeiten. Wie verhält es sich damit?
Der Roman spielt in der Gegenwart, es werden aber Rückblenden eingeflochten – in zwei totalitäre Systeme, die alte DDR und das Apartheid-Südafrika. Er trägt den Arbeitstitel «Wenn es wäre, wie es ist» und ist im Moment viel zu lang. Im Lauf dieses Jahres werde ich umschreiben, kürzen.
Und was haben Sie noch im Köcher?
Ein Dokumentarfilm über Christoph Geiser wird noch in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit 3sat fertig werden. Und mit zwei Kollegen eine Comedy Serie über Banker.
Warum Geiser?
Dieser Basler Schriftsteller ist auf seine Art ein Rebell, der zeitweise zum Kommunist wurde und sich früh als Schwuler geoutet hat. Und vor allem: Er entwickelt seine Literatur unerbittlich konsequent weiter und lebt fast nur für sie.

 

 

Textauszüge

Martin Hennig: «Logans Party»

«’Das ist nichts Neues’, sagt Celia und verdreht die Augen. – Hast Du wirklich nicht gemerkt, dass er sich als mich verkleidet hat? Und Du hast ihm einen Revolver geschenkt? Wo er und Mama doch immer so viele Drogen nehmen! Ich wähle die Nummer des Hauses auf dem ginsterbewachsenen Hügel in Wales. Aber es meldet sich niemand. Celia und ich sehen uns stumm an und trinken vom Tequila, jetzt aber pur, bis wir schliesslich, zu Boden geschlagen, liegen bleiben. Als ich am nächsten Morgen auf dem Sofa aufwache und benommen in den Tag hinein stolpere, stelle ich bald fest: Celia ist weg. So vieles ist nicht, wie es scheint, denke ich. Vielleicht war es auch Tony, der als Celia an Logans Party aufgetreten ist und bei mir übernachtet hat…»

 

 

Marcus P. Nester: «Vergiss Venedig»

«Ausblick. Weite. Das Meer… Ein solcher Fluchtweg fehlt den Schweizern, deshalb verharren sie steif und starr in der Mitte Europas, wie ihre Alpen, dachte André. Die Riesenberge sind ich einziger Besitz. Sie stehen da, unverrückbar, blockieren den Durchgang von Nord nach Süd, vom Limes nach Arkadien. Was die Schweizer nicht durchlassen, kommt auf der anderen Seite nicht an. So sind sie zu einem Volk der Bremser, Erbsenzähler und Verhinderer geworden. Dieses Schicksal ist weit weniger glamourös als jenes der Seefahrer und Abenteurer, der Portugiesen, Briten, Niederländer – oder eben der Venezianer. Die konnten sich auf den Weltmeeren entfalten, haben dabei Schrecken, Seuchen und Elend verbreitet, ganze Populationen niedergemetzelt, aber ihren Horizont erweitert und den eigenen Selbstwert gefestigt.»
 

Clemens Klopfenstein: «Schwein gehabt»

«Ich werde sehr aufgeregt, freue mich wahnsinnig, doch der Redner redet ununterbrochen weiter. Der Typ weist auf ein spezielles Problem hin. Umbrien, das sei das Land der Linsen und anderer altmodischer Hülsenfrüchte. Das sei okay, das würde die Leute auch interessieren. Er hielt ein Propekt hoch. Sie hätten in der Sommerjahreshälfte pro Tag Busse à 40 Leute laufen. Aber jetzt käme das Problem: Das Durchschnittsalter ihrer Kunden sei 65, die Leute hätten also nicht mehr die besten Zeiten, und auch die Verdauung würde komplizierter. Früher seien Linsen weich und verkocht gewesen, heute seien die Hotels von Köchen besetzt, die diese Nouvelle cuisine übernommen hätten: knackig, frisch. Das sei an sich okay, aber bei Linsen völlig falsch. Die Leute würden ja nicht mehr kauen wie im Mittelalter, die würden nur noch schlucken, und dann seien knapp gekochte Linsen vom Magensaft nicht auflösbar, dann würden Linsen wie Bleischrot in die alten Därme entlassen. Die Folgen seien verheerend.»

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