Andy Fierens, Foto: Charlie De Keersmaecker
«Andy Fierens: Ein flämischer Dichter ohne Wenn und Aber»
Von Ingrid Isermann
Verkehrsmeldungen der zwischenmenschlichen Art zwischen Punk und Underground: Andy Fierens lässt nichts anbrennen und nimmt kein Blatt vor den Mund. Für sein Poesie-Debüt wurde er bereits ausgezeichnet. Ungeschönt, ironisch und vor allem selbstreflektiv machen seine Texte sicher manchem Leser, vielleicht auch Leserin, Freude.
Im Schlusstext steht: In «Gambaviecher in fetter Tunke» hallen nach: Seka, Chuck Norris, John Terra, John Cooper Clarke, Winnie the Pooh, John Keats, Luigi Pirandello, Einstürzende Neubauten, Speedy Gonzales, Hunter S. Thompson, Jean Genet, Nick Cave, Billy Joel, Allen Ginsberg, David Letterman und viele andere. Nicht alle Namen sind mir bekannt, aber so weiss man, was einen in etwa erwartet. Hier nun eine kleine Auswahl aus dem neuen Gedichtband:
eile mit
tarzan schwebt durchs blätterdach,
columbus sucht die wellen ab.
(flipper purzelt vor dem bug)
ben hur hält stets die zügel straff
merckx spannt die waden an
dumbo fettet seine ohren ein, nemo
wählt den tiefseepfad, so nutzen
sie das leben
ich? Ich kann nicht fliegen, besitze weder rennboot
noch boliden, bin bekannt als mister
total loss und meine verfassung – sogar der
abgebrühteste katastrophentourist ist schreiend weggerannt
mit meinen talenten zählt man nicht
ich mach hinkepott, wassertreten,
hab eine stimme wie scooby-doo
aber auch wenn meine welt in einen fingerhut passt
und ich schlaffer bin als der rest, ich bin noch lange
nicht ausgezählt: ich will leidenschaft, ich will courage und ich
werde mich weiter schinden. tag für tag, bei jedem schritt
pumpe ich meine lungen voll mit mut
zwei belgier
wir trinken bier in der rue sale flamand
und mehr bier in der strasse zum faulen wallonen
félicien rops pommes mit muscheln christus und krätze
so eine nacht in der einem mehr geschichten begegnen als das ohr abkann
vive le roi! vive la république! tournée générale!
in der tiefe der trunkenheit ahnen wir ein grosses unrecht
wir wollen etwas rufen aber die worte werden weggebuffert
rette unser land liebe lassie
alles brot und suff und suff und spiele
und lassie die nicht kommt denn lassie hat den blues
rien ne va plus mon ami
du zischst rotzend wieder nach brüssel ab
ich winke dir nach aus einer trocknen gosse voller scherben
shoot to kill
hier spricht ihr übermacho
als echter mann bin ich sensibler
als man denkt und spezialisiert
auf schlitzwände mikropfähle und grundanker
ich habe das festverzinsliche
minenfeld des mittelmasses überlebt
des nachts schwitze ich sonor meine
sorgen aus – meine matratze braucht
täglich eine tiefenreinigung
hier spricht ihr übermacho
bis zum horizont surf ich auf
einem klangkörper aus sirenen
und zischendem neonlicht
ich gebe eine party und der dresscode lautet
zieh dir was an
ich gebe eine party und die vögel pfeifen
shoot to kill
ich gebe eine party und sie enthält spuren
von dreck
lerne mich besser kennen und entdecke
meine aussergewöhnlichen konditionen
vielleicht werden sie sogar noch mein partner
in dieser schnell wachsenden vernichtungsbranche
plan b
der föhn ein revolver
an meiner schläfe
ist der böse wolf mit asthma
nichts kann mich treffen ich trage eine kugelsichere haut
doch überall wo ich hingehe
hocken stare auf den stromleitungen
die partitur eines trauermarschs
mit der disziplin eines spitzensportlers übe ich
alle vier sekunden meinen letzten atemzug
in welche schublade hatte ich meinen plan b gesteckt?
warum verschlampe ich bloss immer meine sachen?
alles ging verloren
aus meiner fratze köchelt man bouillon
hinsetzen!
die vorstellung beginnt
urknall
in deinen armen liegt eine frau die dir kaum vertraut ist
sie summt das lied das du singst wenn du einsam bist
wie ein präparator der sein leben lang nie etwas ausgestopft hat
starrst du eine nacht lang auf die zimmerdecke
dein haar ist braun aber deinem IQ-test zufolge bist du blond
doch meinst du es gut
die krise nagt an deinem gewissen
(aber es hilft keinem armen griechen wenn du täglich verbissen
ein kilo feta isst)
du magst eros und jazz freunde nennen dich sexofonist
heute verführte dich ein klassisches stück
– und zwar mit Liszt!
nun liegst du im bett mit einer frau die dir kaum vertraut ist
und sie summt das lied als wüsste sie wie einsam du bist
deine zunge leckt an der halsschlagader des weltalls
dein herz schreit es heraus urknall für urknall
Junge
du läufst nackt herum nimmst ein luftbad
straff sitzt deine haut wo ein wille ist gibt es kein fett
wer kann dir was?
du bist aus gold wie das letzte schaf in einem islamischen land
erstaunst deine freunde lässt sie punkten du der hurrachampion
professionelle buhkrakeler verkündigen dein hals wäre so dick
dass er würgeschlangen abschrecken würde
nagelbeisser meinen deine zukunft sähe düster aus
(sie haben die migräne schon kaltgestellt)
sie lügen junge
du bist einzigartig therapiefrei ehrlich wie ein wildes tier
und schön ist das chaos deiner impulse
für dich gibt es noch kein joch aus sackballast
dein urschrei bringt die federung des mädchenbetts zum singen
dumm und dämlich gewichst ohrfeigen dich
motzköpfe und edelweissplatttreter
deren grösstes verdienst
doch ihre currywurst vitae ist
sie lassen die welt brennen
aber die hitze kriegt deine atome nicht zu packen
die krise ist überall aber noch nicht in deinem herzen
drum sag ich frank und frei junge
ignoriere die hausierer von scham und schuld
lache trinke tanze schreie
ich sage: ein einziges fest!
Andy Fierens, geboren 1976, ist ein flämischer Dichter und Performer. Er veröffentlichte die Gedichtbände «Grosser schmieriger Schmetterling» (2009), der mit dem Herman de Coninckpreis für das beste Poesie-Debüt ausgezeichnet wurde, sowie «Wonderbras & Pfefferspray» (2014). Ausserdem erschien in Zusammenarbeit mit Michael Brijs das satirische Science-Fiction-Epos «Astronat von Oranje».
Der Übersetzer:
Stefan Wieczorek, geboren 1971, ist Übersetzer und Literaturwissenschaftler. Im Verlag Das Wunderhorn hat er «Im Fremdwort zuhaus» (zus. Mit H. Thill und I. Wilhelm 2001) herausgegeben und als Übersetzer am Poesie-der-Nachbarn-Band «Meine schlichten Reisen. Gedichte aus Belgien» (2011) mitgewirkt.
Andy Fierens
Gambaviecher in fetter Tunke
Gedichte
Wunderhorn Verlag, 2016
übersetzt aus dem Flämischen von Stefan Wieczorek
Broschiert, 103 S.
€ 18.90.
ISBN 978-3-88423-522-5