FRONTPAGE

«Die Hochschule für Gestaltung in Ulm – das architektonische Hauptwerk von Max Bill»

Von Fabrizio Brentini

 

Zusammen mit Inge Scholl und Otl Aicher strebte Max Bill in Ulm eine Art Wiedergeburt des Bauhauses in Dessau an. Hierfür entwarf er zwischen 1950 und 1955 mit bescheidensten Mitteln einen Gebäudekomplex – die Hochschule für Gestaltung Ulm HfG –, der als Wohn- und Arbeitsstätte für angehende Gestalter und Gestalterinnen dienen sollte.

Mit viel Elan begonnen, musste die Schule bereits 1968 aufgrund verschiedenster Querelen geschlossen werden. Die Gebäude blieben bestehen, wurden aber zweimal ohne Rücksicht auf die originale Substanz umfassend saniert. Die nun vorliegende monumentale Monografie über Bills Hauptwerk inventarisiert sämtliche Bauteile und Einrichtungsgegenstände mit der Absicht, bei der nächsten Renovation den Ursprungsbau so weit wie möglich wieder auferstehen zu lassen.

 

Als Autoren fungieren zwei ehemalige Absolventen der HfG, Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber, die als eine Art Liebeserklärung sich der geradezu titanischen Arbeit verschrieben haben, alle noch verfügbaren Quellen in Bezug auf den Urzustand des Komplexes zu sammeln, auszuwerten und zu analysieren. Der Prachtband «einfach komplex – max bill und die architektur der hfg ulm» – die Kleinschreibung war das Markenzeichen sowohl von Otl Aicher wie von Max Bill –, gewährt geradezu einen mikroskopischen Blick auf dieses architektonische Werk, das zunächst als Hauptwerk von Bill gilt, dann aber auch zu den bekanntesten Beispielen der Nachkriegsarchitektur weltweit zu zählen ist.

 

 

Für die meisten – auch für den Rezensenten – ist das Buch eine Überforderung; eine Verarbeitung der Unmengen von Daten, Plänen, Massangaben, Inventarlisten ist kaum zu bewältigen. Gleichwohl ist es nicht nur eine Publikation von Spezialisten für Spezialisten. Blättert man die über 640 Seiten mit einem Filter um, dann bleibt man immer wieder bei höchst interessanten und überraschenden Geschichten hängen. An und für sich besteht bereits eine fundierte Studie über die HfG; sie stammt aus der Feder von Hans Frei, der 1991 eine Monografie über den Architekten Max Bill veröffentlicht hatte. Doch erst mit der nun vorliegenden Baumonografie, insbesondere im Kapitel Vor- und Planungsgeschichte, versteht man, warum die Gebäudeteile einem rechten Winkel folgen. Es hängt mit dem Bauplatz zusammen, der von einem rechteckigen Fort begrenzt wird. Bill gelang es auf eine kongeniale Weise, Werkstattgebäude, Mensa, Bibliothek, Ateliers und Wohntürme als eine Art Gürtel um die Fortruine zu legen.
Schritt für Schritt und sehr anschaulich wird man von Vorprojekt zu Vorprojekt – es sind zwischen 1950 und 1952 insgesamt fünf Entwurfsstufen – bis zum definitiven Bauplan geführt. Die Autoren beziehen auch die noch unter Bill realisierten Dozentenhäuser als gleichwertige Elemente der Gesamtüberbauung ein.

 

Auf den ersten Blick scheint die HfG wenig mit der modularen Architektur eines Mies van der Rohe zu tun, doch dieser erste Blick täuscht. Im Kapitel Entwurfsanalyse, in meinen Augen das faszinierendste, enthüllen uns die Autoren das mathematische Schema der ganzen Anlage mit hierfür neu gezeichneten Plänen. Den Gebäuden wurde ein Raster von 3 mal 3 Metern unterlegt, und dieses Raster bestimmt nicht nur das ganze Stützensystem und die Raumaufteilung, sondern auch die Dimensionen der Fenster, die mit Fensterglas ausgefacht wurden, um grösstmögliche Transparenz zu garantieren. Was die Proportionen betrifft, schieden die Autoren nach und nach die in der Architekturgeschichte gängigsten Systeme aus wie den Goldenen Schnitt, das Tatami-Mass und den Modulor. Schliesslich konnten die Autoren nachweisen, dass Bill sich auf das pythagoreische Masssystem stützte und auf die davon abgeleitete harmonikale Ordnung, die für etliche Architekten insbesondere durch die Schriften von Hans Kayser massgebend wurde. Akribisch werden unzählige Details in den Grund- und Aufrissen der HfG-Plänen dahingehend überprüft.

 

Im Hauptteil der Monografie, der etwas 240 Seiten umfasst, wird eine exakte Bestandesaufnahme gewagt, die explizit dazu dienen soll, bei späteren Sanierungen, welche die Autoren als zwingend erachten, eklatante Fehler bei den Eingriffen nach 1957 – das ist das Jahr des Wegzuges von Bill, der beim Abschied seine Unterschrift in den Beton ritzte – zu beheben. Man findet in dieser zugegebenermassen ermüdenden Aufzählung auch Juwelen, so etwa die Entwicklung des Ulmer Hockers, der seither ein Designklassiker ist. Das Hauptanliegen dieser Detailbesessenheit war aber – wie schon erwähnt –, späteren Architekten den Weg zu einer werkgerechten Renovierung der Gesamtanlage zu weisen.

 

 

Insbesondere Daniel P. Meister, der 1977 an der Teilsanierung der Dozentenhäuser beteiligt war und sich nach 1983 für eine behutsame Bebauung der Restgrundstücke einsetzte, drängt schon fast missionarisch die Verantwortlichen dazu, die zahlreichen Eingriffe, die das Werk von Bill verunklären, rückgängig zu machen. Und damit sei das grundsätzliche Problem angesprochen, wie man mit Inkunabeln der modernen Architektur umgehen soll. Wer sich an Sanierungen von solchen Artefakten wagt, kann nur verlieren. Die HfG wurde 1968 geschlossen. Danach mieteten sich unterschiedliche Institutionen ein, die andere Raumbedürfnisse hatten. Wie kann man diesen Bedürfnissen entsprechen, ohne das originale Konzept zu zerstören? Dann: In den 1950er Jahren spielte die Frage nach dem Energiehaushalt keine Rolle. Seither sind die diesbezüglichen Auflagen immer strenger geworden. Und dies hat Auswirkungen auf die Isolierungen der Wände und die Dämmung der Fenster. Welche Lösungen bieten sich an, ohne die proportionale Ordnung durcheinander zu bringen? Es ist den Autoren zuzustimmen, dass die an den erfolgten Sanierungen beteiligten Architekten höchst unsensibel Verschlimmbesserungen vorgenommen haben, aber es ist nicht garantiert, dass das Resultat optimal (was dies auch immer heisst) ausfällt, wenn Architekten ausgewählt werden, die sich durch behutsame Restaurationen bewährt haben. Frei nach Luigi Snozzi kann wohl nur bemerkt werden: «Restaurieren heisst Zerstören. Zerstöre mit Verstand.»
Die Baumonografie endet mit der Wiedergabe zahlreicher Interviews, welche die Autoren mit noch lebenden Zeitzeugen geführt haben. Das sind interessante Erinnerungen an die Phase des Aufbaus, die geprägt war von Euphorie, von Engagement, aber auch von Improvisation und Unabwägbarkeiten.

 

 

Daniel P. Meister/Dagmar Meister-Klaiber

einfach komplex –

max bill und die architektur der hfg ulm

Scheidegger&Spiess Zürich 2018

650 S., CHF 150.

ISBN 972-3-85881-613-9

 

 

L&K-Architekturtipp:

 

«Wohnhäuser – 103 Ikonen der Architektur»

 

Der Band Wohnhäuser aus der Edition DETAIL präsentiert 103 ikonisch Häuser des 20. und 21. Jahrhunderts. Das vielschichtige Spektrum an Bauten aus aller Welt reicht von berühmten Entwürfen von Le Corbusier, Eileen Gray und Oscar Niemeyer bis hin zu Meisterwerken zeitgenössischer Architekte wie Tadao Ando, Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron.

 

I.I. Die vorgestellten Beispiele aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten haben Geschichte geschrieben. Ihr Vorbildcharakter bezieht sich auf architektonische Konzepte, in denen die Wünsche der privaten Bauherren, der Kontext und die Baumaterialien berücksichtigt sind. Jede Villa und jedes Einfamilienhaus bekennt sich zu einem ebenso individuellen wie oftmals radikalen Architekturkonzept, der seiner Zeit oft voraus war und die Idee des Wohnens nachhaltig beeinflusste.

 

Der Architekturjournalist und Autor Dominic Bradbury geht architektonischen Zusammenhängen und Verbindungen nach und ordnet sie in die Architekturgeschichte ein. Es zeigt sich, dass scheinbar grundverschiedene Gebäude und Architekten sich über gemeinsame Themen verbinden. So wird etwa Nachhaltigkeit mit der Zeit wichtiger, was sich an den Bauten so unterschiedlicher Architekten wie Richard Neutra oder Werner Sobek ablesen lässt. Die Geschichten der Häuser sind oft Ausdruck eines engen Verhältnisses zwischen Architekt und Bauherr, das harmonisch und unproblematisch, aber auch beschwerlich und anstrengend sein kann, wie etwa die schwierige Beziehung zwischen Mies van der Rohe und Edith Farnsworth, oder das abenteuerliche Auf und Ab der Verbindung zwischen Frank Lloyd Wright und Edgar J. Kaufmann. Ob 1900 oder 2012 erbaut, sind diese Wohnhäuser längst ein fester Bestandteil der internationalen Architektursprache und Schlüsselwerke für unser Verständnis der Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts.

 

Die meisten der brillanten und grossformatigen Fotos stammen aus der Hand des Architekturfotografen Richard Powers und zeigen die Häuser im aktuellen Zustand, ergänzt von Grundrissen und Schnitten. So präsentiert dieses kompakte Buch auf fast 400 Seiten eine inspirierende Fülle an gewagten Ideen und visionären Wohnkonzepten, die zum Schmökern einladen und als Kompendium zum Nachschlagen informieren. Kurze Biografien der Architekten, eine Adressenliste aller für die Öffentlichkeit zugänglicher Häuser und eine Auflistung der Häuser nach Stil liefern zusätzliche nützliche Informationen.

 

Häuser als Ausdrucksformen der Persönlichkeit 
Wenn es um Architektur geht, sind es doch die Wohnhäuser, zu denen wir am leichtesten Zugang finden. Häuser haben emotionale Tiefe und gehören zu den intimsten Ausdrucksformen unserer Persönlichkeit. Sie sind Rückzugsort und alltäglicher Aufenthaltsort zugleich. Darüber hinaus können sie Arbeitsstätte, Kunstgalerie, Spielplatz und privates Freizeitzentrum sein.

Viele der im Buch vorgestellten Häuser sind Ausdruck eines engen Verhältnisses zwischen Architekt und Auftraggeber, das harmonisch und unproblematisch, aber auch beschwerlich und anstrengend sein kann. Man denke dabei nur an die schwierige Beziehung zwischen Ludwig Mies van der Rohe und Edith Farmsworth, das abenteuerliche Auf und Ab der Verbindung zwischen Frank Lloyd Wright und Edgar J. Kaufmann oder die verführerische Rolle, die Robert Mallet-Stevens’ Villa Noailles im Leben ihrer geistigen Schöpfer spielte. Der Bau eines Hauses ist definitiv ein Abenteuer und zugleich ein Lernprozess von grosser emotionaler und intellektueller Eigendynamik.

 

Vorgestellt werden unter vielen anderen die Bauwerke von Ludwig Wittgenstein, Wien/A, Eileen Gray, Roquebrune/F, Eliel Saarinen, Michigan/USA,Le Corbusier, Villa Savoy, Poissy/F, Arne Jacobsen, Klampenborg, Denmark, Walter Gropius Haus, Lincoln,
Massachusetts/USA, Frank Lloyd Wright Fallingwater, Pennsylvania/USA, Marcel Breuer, New Canaan, Connecticut/USA, Charles & Ray Eames, Pacific Palisades, Los Angeles/USA, Ludwig Mies van der Rohe, Farnsworth House, Illinois/USA, Herzog & de Meuron Rudin Haus, Haut Rhin/F, Rem Kohlhaas Haus, Bordeaux/F.

 

 

Dominic Bradbury / Richard Powers
Wohnhäuser
103 Ikonen der Architekturgeschichte

Edition DETAIL, München 2018

376 S., 680 Abb.
22,4 x 20,8 cm, Hardcover
ISBN 978-3-95553-418-9. Deutsch
€ (D) 34,90 / CHF 53,30

 

 

 

 

«Neue Schulräume in der Stadt Basel»

Von Fabrizio Brentini 

 

Im Christoph Merian Verlag ist ein stattliches Buch mit dem Titel «Neue Schulräume» erschienen, das unter Umständen zu hohe Erwartungen wecken könnte. Ein Leser, eine Leserin hofft vielleicht, nicht nur vertiefte Analysen zu einem stets aktuellen Bautypus vorgesetzt zu bekommen, sondern mit konkreten Beispielen konfrontiert zu werden. Dem ist aber nicht so. Das Buch fokussiert den Blick auf die Stadt Basel, die auf ihrem Gebiet – eine Karte gibt die Standorte an – nicht weniger als 51 Schulhäuser beherbergt.

 

Nur kurz geht Tilo Richter auf die Geschichte des Schulhausbaus ein, um programmatisch mögliche Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu skizzieren. Was hier als Innovation beschrieben wird, ist so neu auch wieder nicht. Schon vor Jahren ist die These vertreten worden, dass die klassischen Schulzimmer nicht mehr genügen, sondern dass für die Schüler und Schülerinnen zusätzliche Kleinräume zur Verfügung zu stellen sind, so genannte Lerninseln. Es entstand so etwas wie ein Modewort, man sprach nämlich von Clustern. Und dieser Begriff taucht im Text von Richter wieder auf mit Hinweis auf Beispiele von solchen Raumorganisationen in neueren Schulgebäuden. Eine Herausforderung für Architekten und Architektinnen ist die Umsetzung solcher Anliegen allemal eine Herausforderung. Ob aber damit die Schulleistungen wesentlich verbessert werden können, wage ich zu bezweifeln. Ich erlebe, selber als Unterrichtender tätig, bei zu häufigem Wechsel von Arbeitsplätzen eine grosse Unruhe untern der Lernenden.

 

Hingegen betont Richter zu Recht die Änderungen im Familienleben, das mit berufstätigen Eltern Auswirkungen auf den Schulalltag hat. Die Schulen müssen Tagesstrukturen schaffen, wie Ruhe- und Spielecken und vor allem Mensen. Die Herausgeber luden den Fotografen Roman Weyeneth ein, renovierte wie neu erstellte Schulhäuser in der Stadt Basel zu dokumentieren. Die Aufnahmen wurden im Buch in zwölf Bereiche gegliedert wie Lernateliers, Klassenzimmer, Spezialzimmer, Sporthallen usw. Eingeschlossen ist die Präsentation von drei Neubauten, mit einer Kurzbeschreibung und mit Plänen.

 

Das Buch ist somit als eine Sammlung von Eindrücken zu verstehen, die eher anregen denn belehren wollen. Oder wie es in der Presseinformation heisst: «Das Buch mit seiner modernen Architekturfotografie lädt ein, über neue Formen des Bauens, Unterrichtes und Lernens nachzudenken.»

 

 

Roman Weyeneth/Tilo Richter (Hrsg.)

Neue Schulräume

Architektur für zeitgemässes Lernen

Christoph Merian Verlag 2018

288 S., CHF 49

ISBN 978-3-85616-871-1.

 

 

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