Die Abschlussklasse der Bauschule 1871 (Studienzyklus 1868 bis 1871) mit ihren Lehrern. Nebeneinander am gedeckten Tisch sitzen Gottfried Semper, Julius Stadler, Ernst Gladbach, Georg Lasius (v.l.n.r.). Ganz so harmonisch, wie das Bild suggeriert, war ihr Verhältnis nicht. (gta Archiv, ETH Zürich)
Hans Auer, Skizze zu einem Ziehbrunnen, Concurs v. 1. Dezemb. 1865. Bereits im ersten Semester ihres Studiums konnten die Bauschüler ihre Kenntnisse in kleinen Entwurfsaufgaben unter Beweis stellen. Nach dem Vorbild der Pariser École des Beaux-Arts wurde von Gottfried Semper das System der Konkurrenzen eingeführt. (gta Archiv, ETH Zürich)
Gottfried Semper, Schaubild des Zürcher Hochschulgebäudes, 1858. Das von Gottfried Semper und Johann Caspar Wolff geplante Hochschulgebäude versammelte das Eidgenössische Polytechnikum und die Universität unter einem Dach. Die Räume der Bauschule befanden sich in der nordwestlichen Ecke des Erdgeschosses. (gta Archiv, ETH Zürich)
Johann Gottfried Meyer, Darstellung des Dachstuhls der Kirche St. Martin, Baar, 1858. Die Zeichnung entstand im Rahmen der ersten längeren Exkursion der Bauschule, die von Ernst Gladbach geleitet wurde. Gladbach, der später als Erforscher der schweizerischen Holzbautradition bekannt wurde, war als zweiter Professor der Bauschule für die «technische Richtung» der Ausbildung verantwortlich. (gta Archiv, ETH Zürich)
Friedrich Hüber, Project zu einer Töpfer-Schule (Preisaufgabe 1864-1866, 2. Preis), Detail. Für Schüler und junge Studienabgänger schrieb das Polytechnikum Preisaufgaben aus. In den Entwurfsaufgaben bemühte sich Gottfried Semper um Praxisnähe. In diesem Fall übernahm er das Programm von der Töpferschule im englischen Stoke upon Trent, für die er 1853/54 selbst ein Projekt erarbeitet hatte. (gta Archiv, ETH Zürich)
Albert Müller, Project zu einem Landhause, August 1865 (2. Studienjahr). Im Verlauf ihres Studiums wurden die Schüler mit zunehmend schwierigen Bauaufgaben konfrontiert. In ihren Entwürfen bezogen sie sich oft auf Projekte von Gottfried Semper, doch konnten auch andere Bauten als Referenz dienen. (gta Archiv, ETH Zürich)
Alfred Friedrich Bluntschli, Project einer Strafanstalt (Konkurrenzarbeit)
Alfred Friedrich Bluntschli, Vögelhaus des Varro, Concurs 2. März 63. Die Konkurrenzen waren auch in den oberen Studienjahren eine Möglichkeit, die Beherrschung des Vorlesungsstoffes an praktischen Übungen zu überprüfen. Diese Rekonstruktionsaufgabe ist insofern eine Ausnahme, als sich auch solche Aufgaben meist um eine gewisse Nähe zur Praxis bemühten.
Julius Stadler, Piccolomini- Bibliothek in Siena. Stadler war ein hervorragender Zeichner und spornte seine Schüler zum Aquarellieren an. Das Thema polychromer Innenräume bildete zeitlebens einen Schwerpunkt seiner Interessen.
«Bauschule am Polytechnikum in Zürich»
Von Fabrizio Brentini
Martin Tschanz erforschte im Rahmen seiner Dissertation die Anfänge der Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum, somit der Vorläuferin der Architekturausbildung an der heutigen ETH Zürich. Der gta-Verlag legt nun diese Dissertation in Buchform vor, eine flüssig zu lesende Schilderung der Kinderjahre einer Institution, die sich zu einer der renommiertesten internationalen Adressen für auszubildende Architekten und Architektinnen entwickeln sollte.
Nach längeren Vorarbeiten wurden die Gründung des Polytechnikums nach den Vorbildern in Paris und Karlsruhe erstaunlich zügig 1854 beschlossen und der Betrieb schon ein Jahr später aufgenommen. Für die Abteilung Bauschule engagierte man Gottfried Semper (1803–1879), der zwar in London gleichsam im Exil lebte, aber als europäische Kapazität in Sachen Baukunst galt und von den Zürchern Behörden mit weitreichenden Versprechungen an die Limmatstadt gelockt wurde. Er sollte Professor und gleichzeitig Vorsteher der Bauschule werden mit Aussicht auf Bauaufträge. Semper wollte sogleich die von ihm propagierte Atelierarbeit einrichten, was ihm in dem von ihm beabsichtigten Umfang verwehrt wurde. Er musste sich anderen Wünschen beugen, wonach theoretische Kurse als gleichwertig mit der Entwurfsarbeit in Gruppen einzustufen seien. Dieses Konzept blieb bestehen und charakterisierte die Eigenart der Bauschule bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. In einem eigenen Kapitel entschlüsselt Tschanz das Bildprogramm an der Nordfassade, das auf einen Vorschlag von Semper selber zurückgeht. Die Figur mit einer Schreibtafel links symbolisiert das Wissen und das Können, diejenige mit einem Zirkel in der Hand und einem Zeichenbrett auf den Knien rechts die Weisheit und die Kunst. Tschanz erachtet dies nicht nur als Manifest von Semper, sondern auch als Ausdruck der Forscher- und Künstlerpersönlichkeit des ersten Vorstehers.
Im Hauptteil der Publikation breitet Tschanz alle wesentlichen Aspekte der Bauschule bis zum Wegzug von Semper im Jahre 1871 aus. Es werden die anderen Professoren vorgestellt: Ernst Gladbach (1812–1896), der kein Praktiker war und sich später als Forscher der schweizerischen Holzarchitektur hervortat, Julius Stadler (1828–1904), der die Nachfolge von Semper antreten sollte, und Georg Lasius 1835–1928), der im Gegensatz zu Stadler auch ausserhalb der Bauschule als ausführender Architekt tätig blieb. Sie alle standen im Schatten von Semper, auf der anderen Seite sorgten sie für Kontinuität und beaufsichtigten die Atelierarbeiten, wenn Semper wegen Jurytätigkeit und Bauaufträgen unterwegs war, und dies war gegen Schluss immer häufiger der Fall. Was den Inhalt der Vorlesungen und des Entwurfsarbeit betrifft, konnte Tschanz nur auf wenige Quellen zurückgreifen. Es bleibt bei Stichproben, die aber die Wichtigkeit der technischen Zeichnung aufdecken. Drei Jahre Ausbildung gestand man den Studenten zu, obwohl Semper bald einmal eine Verlängerung um ein Jahr forderte. Es sollte bis 1881 dauern, bis ein Semester, gar bis 1960 bis ein weiteres Semester bewilligt wurde. Drei Jahre scheinen aus heutiger Sicht extrem kurz zu sein, wenn man bedenkt, dass nebst der Atelierarbeit, die Ausdauer verlangte, auch Kenntnisse in Mathematik, Mechanik und Physik, aber auch in Kunstgeschichte verlangt wurden. Das Fuder wurde derart überladen, dass die Studenten 1867 protestierten. Sie erreichten immerhin, dass im Fach Mathematik eine Reduktion von neun auf sieben Stunden beschlossen wurde.
Die Professoren bemühten sich, für die praktische Arbeit aktuelle Programme zu entwickeln. Die Bauaufgaben betrafen öffentliche und private Gebäude auf existierenden Parzellen. Im Buch sind einige Beispiele in hervorragender Abbildungsqualität zu bewundern. Zusätzlich fanden Konkurrenzausschreibungen statt, die aber für Studenten nicht verpflichtend waren. Wohl wegen des enormen Aufwandes mit wenig Aussicht auf einen reicheren Ertrag verzichteten die meisten auf eine Beteiligung. Am Schluss des Ausbildungsganges wurden Prüfungen abgenommen und ein Diplom ausgestellt, doch wurde dieses in der Praxis kaum zur Kenntnis genommen. Etliche erfolgreiche Architekten – die Bezeichnung war nie geschützt – konnten kein Studium vorweisen.
Wer mit dem Schulbetrieb vertraut ist, kann ob des Ringens um Wochenstundendotationen, Fächerverteilung, Anforderungsprofile ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es ist der nicht zu beendende Kampf von unterschiedlichen Interessengruppen. An der Bauschule stritten die Professoren untereinander, die einzelnen Fakultäten kämpften gegeneinander, die Behörden massregelten die Schulleitungen und die eidgenössischen Ämter die kantonalen.
Keine Vorstellungen kann man sich heute über die damaligen Exkursionen machen. Solche gab es, und sie waren für Professoren wie für Studenten Höhepunkte im Studienjahr. Doch der Ausgangsradius war beschränkt. Hie und da reichte es für kurze Besuche in der Lombardei, meistens jedoch war das Tessin Endstation. Auch so musste man alleine für die Hinreise vor der Eröffnung des Eisenbahntunnels mehrere Tage rechnen. Mit der Zeit wurden immer weniger Exkursionen angeboten. Die Professoren legten stattdessen Vorlagetafeln auf, die Einblicke in die Architekturgeschichte gewährten. Und dies schien zu genügen. Weitere Sammlungen wurden angelegt, Baumaterialien, Abgüsse, Modelle und auf besonderen Wunsch von Semper griechische Vasen – all dies beanspruchte Platz, den die Bauschule bis zum Neubau nicht hatte. Semper erhielt den Auftrag für das neue Zentrum, das Universität und Polytechnikum unter einem Dach vereinen sollte. Tschanz begnügte sich, da die Baugeschichte schon mehrmals aufgearbeitet wurde, auf die die Bauschule betreffenden Aspekte.
Wie gross der Einfluss von Semper auf die Entwicklung der Schule wie der Architektur in der Schweiz war, ist nicht klar zu erfassen, aber er prägte das Geschehen am Polytechnikum über seinen Wegzug hinaus. Erst 1882 wagte man eine Neuorganisation. Das schön gestaltete, handliche Buch bietet nebst dem Lesevergnügen die Chance, einen wichtigen Baustein der schweizerischen Architekturgeschichte kennenzulernen, und diese Chance sollte man sich nicht entgehen lassen.
Martin Tschanz
Die Bauschule am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich
Architekturlehre zur Zeit von Gottfried Semper (1855–1871)
322 S., gta Verlag Zürich, CHF 98.
978-3-7212-0905-1
Nidwaldener Architektur – Nidwaldner Architekten
Unter diesem Titel veröffentlichte die kleine Zeitschrift «KARTON. Architektur im Alltag der Zentralschweiz» im März 2015 eine Sondernummer als Begleitschrift zu einer Ausstellung im Nidwaldner Museum Stans. Vorgestellt werden acht Bauten, die zwischen 2005 und 2014 im Kanton Nidwalden realisiert wurden. Es sind keine spektakulären Werke, aber es ist grundsätzlich zu begrüssen, wenn eine Region, die in der Manege der Stars nicht berücksichtigt wird, ihre Bemühungen um gute Architektur offenlegt. Nidwalden wächst mehr und mehr mit Luzern zusammen. Dank tiefen Steuern liessen sich in den letzten Jahrzehnten gut verdienende Personen nieder, die es bei Neubauprojekten zu sensibilisieren gilt. Für das Titelbild wählte die Redaktion eine Wohnüberbauung in Stans, projektiert vom einheimischen Team CM, Christen + Mahnig. Der Nidwaldner Künstler Jörg Niederberger konzipierte die Farbgebung und fügte seiner schon beachtlichen Liste von Gebäudebemalungen ein weiteres bemerkenswertes Beispiel hinzu.
KARTON, Sonderausgabe März 15, CHF 9,
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