FRONTPAGE

«Der Brutalismus – zu einem irreführenden Architekturbegriff»

Von Fabrizio Brentini

 

Es war der englische Architekturkritiker Reyner Banham, der 1966 mit seiner Studie «The New Brutalism» diesen Begriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, obwohl das Manifest dieser Haltung von Alison und Peter Smithson schon 1955 verfasst wurde.

 

Die Autoren stifteten mit der im Mies’schen Stil 1954 eingeweihten Secondary School in Hunstanton (GB) auch gleich die Inkunabel der neuen Bewegung. Banhams Buch wurde im selben Jahr ins Deutsche übersetzt, wodurch sich die Etikette «Brutalismus» auch im deutschen Sprachraum etablierte. Hergeleitet wird der Begriff von Le Corbusier, der die Schönheit des «béton brut», der nicht verputzten Betonfassaden, preiste. Banham verstand dies aber in erster Linie nicht in einem ästhetischen, sondern vielmehr in einem ethischen Sinne. Es ging um Ehrlichkeit im Umgang mit Werkstoffen, die nicht kaschiert werden sollen, und um klar lesbare architektonische Strukturen. Die in der erwähnten Publikation abgebildeten Beispiele umfassen denn auch Bauten von so unterschiedlich arbeitenden Architekten wie Le Corbusier, Louis I. Kahn, Atelier 5, Aldo van Eyck sowie selbstverständlich Alison und Peter Smithson.
In der Folge jedoch grenzte man den Brutalismus auf die Gebäude ein, die den schalungsroh belassenen Beton mit kühnen Aufbrechungen, Überlagerungen und Verschachtelungen zelebrieren, wie dies etwa in den Werken von Walter M. Förderer zu erkennen ist, deren übertriebene «Zurschaustellung von de Stijl-Manierismus» Banham jedoch nicht goutierte. Nicht-Fachleute assoziierten den Begriff mit «brutal», womit genau das Gegenteil von dem insinuiert wurde, was Banham darlegen wollte, dass diese Architektur nämlich menschenverachtend und lebensfeindlich ist. Es ging einher mit der zunehmenden Kritik an Beton, als ob ein bestimmtes Material dafür verantwortlich war, dass in den 1960er und 1970er Jahren charakterlose Siedlungen entstanden. Spätestens in den 1990ern liess man die Abrissbirne schwingen, die nichts verschonte, auch nicht die erhaltenswerten Monumente. Der englische brutalistische Architekt Owen Luder formulierte es folgendermassen: «In den Sechzigern haben meine Bauten Preise bekommen, in den Siebzigern Zustimmung, in den Achtzigerjahren hat man sie infrage gestellt, in den Neunzigern fand man sie lächerlich. Und als es auf 2000 zuging, waren die, die ich am meisten mochte, schon abgerissen.»

 

Neubewertung bestehender Bauten

Die zeitliche Distanz zu jener Epoche ist nun doch so beträchtlich, dass man auf die noch bestehenden Bauten genauer hinschaut und eine Neubewertung wagt. Um genau dies geht es in einer sehenswerten Ausstellung im Museum Bellpark Kriens, wo bis 5. November rund 200 Schwarzweissfotografien des 1964 geborenen Londoner Fotografen Simon Phipps zu sehen war. Es ist zu einem Markenzeichen des von Hilar Stadler geleiteten kleinen Museums geworden, dass Ausstellungen mit lokalen und regionalen Inhalten mit solchen ergänzt werden, die einen Blick über den Zaun wagen. Die intimen Räume eignen sich denn auch vorzüglich für die Präsentation der eher bescheidenen und diskret gerahmten Fotografien, die den Anschein erwecken, es handle sich um eine Inventarisation von Zeugnissen einer nicht mehr bekannten Architekturepoche. In der Tat wirken die abgebildeten Artefakte, die ausnahmslos ohne Menschen dokumentiert wurden, für uns fremd, wenn nicht abweisend. Es fehlt der Glamour, der heutigen fotografischen Inszenierungen von Megabauten innewohnt, es fehlt die Farbe, es fehlt der dramatische Licht-Schatten-Kontrast. Man schaut auf Betonflächen, die deutliche Spuren der Alterung aufweisen, Flechten, Moose, Algen, Risse, Ausscheidungen und Ablagerungen. Man denkt an Ruinenlandschaften oder an leergewohnte Siedlungen; etliche dieser Bilder erinnern an die Kulisse von «Stalker», diesem trübseligen Film von Andrei Tarkowski. Trotz den bestechenden Fotografien fällt es einem doch schwer sich vorzustellen, in solchen Häusern zu wohnen, ja eine solche Wohnsituation als angenehm zu empfinden, obwohl genau dies das Programm vieler Architekten des New Brutalism war.
Wer die Ausstellung in Kriens nicht besuchen konnte, wird mit der Begleitpublikation einen fast gleichwertigen Ersatz erhalten. Die Fotos sind auf Hochglanzpapier im Duotonverfahren gedruckt und von den Originalabzügen kaum zu unterscheiden. Zwei Essays führen in das Werk von Phipps ein, während der dritte Textbeitrag ein Interview mit der brutalistischen Architektin Kate Macintosh ist, die ihr Werk, aber auch die ganze Bewegung kritisch reflektiert. Das Buch weist einen Leineneinband auf, der allerdings nur hinten mit dem Buchblock verklebt ist. Der vordere Deckel wird somit ganz aufgeklappt, sodass die Fadenheftung des Buchblockes sichtbar wird. Das ist unschön, aber auch in Bezug auf die Buchgestaltung sind manchmal manieristische Tendenzen zu erkennen.

www.bellpark.ch

 

Hilar Stadler/Andreas Hertach (Hrsg.)

Simon Phipps

Finding Brutalism
Eine fotografische Bestandsaufnahme

britischer Nachkriegsarchitektur
Parks Books Zürich 2017,
224 S., CHF 39/€ 38
ISBN 978-3-03860-064-0

 

 

 

«SPACE PACKED The Architecture of Alfred Neumann»

 

Work and vision of this master of modernism, who has influenced generations of architects in Israel yet himself has largely been forgotten. Alfred Neumann (1900–1968) was a Czech architect whose work was wrought in the context of postwar modernism and the establishment of the State of Israel in 1948. Today, his influence and impact have been largely forgotten, but, in their time, Neumann’s original designs received praise and elicited controversy in almost equal measure, offering exciting new possibilities to the modernist mainstream.

 

Space Packed: The Architecture of Alfred Neumann renews attention to this pioneering architect who made a vast contribution to modern architecture and had a lasting impact on Israel’s broader architectural culture. Drawing on Neumann’s writings and close study of both built and unbuilt projects, Rafi Segal discusses the development of Neumann’s architectural theory and methodology and documents his built works from the 1950s and ’60s against the backdrop of contemporary architectural discourse and the demands of the newly created State of Israel.

 

The book also features a complete chronological catalog of Neumann’s buildings and designs, fully illustrated, including many previously unpublished photographs, drawings, and sketches.
The first book to provide a detailed account of Neumann’s work, Space Packed: The Architecture of Alfred Neumann celebrates the career of this highly skilled and innovative architect, and it will be welcomed by architects and architectural historians.

 

 

«Alfred Neumann of Jerusalem is well acquainted with the whole question. He has created a beautiful term: ‚Humanization of Space’».
Le Corbusier, 1955

 

«The EM-PHI system by Alfred Neumann represents, in my opinion, an important contribution tot he whole field of design, planning, architecture and the industrial design. It ist he first attempt I know to create a modular system which comprehends the whole range of possibilities of proportion».
Walter Gropius, 1953

 

 

RAFI SEGAL born 1967 in Tel Aviv, is a designer and Associate Professor of Architecture and Urbanism at MIT in Cambridge, MA.

 

 

Rafi Segal

Space Packed

The Architecture of Alfred Neumann
Park Books, 2017
Text in English
Hardback
376 pages, 49 color and 373 b/w illustrations
18.5 x 24.5 cm
CHF 49.00 | EUR 48.00

ISBN 978-3-03860-055-8

 

 

«Architketurführer Deutschland 2018»

 

Von garagenklein bis stadtbildprägend: Der Architekturführer 2018 stellt 95 aktuelle Bauwerke aus ganz Deutschland vor. Recherchiert wurden die Bauten vom Deutschen Architekturmuseum (DAM).

 

Ausserdem waren die Architektenkammern der meisten Bundesländer mit Vorschlägen an der Auswahl beteiligt. Ein besonderes Augenmerk galt den Planungen von jungen Architekturbüros. Zusammengetragen wurden hervorstechende Beispiele ganz unterschiedlicher Nutzungen und Größenordnungen, seien es Firmensitze oder Kleinstarchitekturen; Gemeindehäuser, Bildungseinrichtungen, Verkehrsbauten gehören ebenso zu der Auswahl wie Sanierungen und Umbauten ganzer Ensembles.

 

Auffallend im diesjährigen Spektrum sind gleich drei Konzerthäuser mit ganz unterschiedlicher Entstehungsgeschichte. Die aktuelle Dynamik im Wohnungsbau mit verschiedenen Ansätzen sowohl in der Wohnungs- und Haustypologie wie auch in der Bautechnik ist anhand der vorgestellten Beispiele deutlich ablesbar. So reicht das Spektrum vom individuellen Privathaus bis zu Modellen des gemeinschaftlichen Wohnens, vom Modulhaus bis zum Wohnhochhaus, vom studentischen Wohnen bis zum Luxussegment.

 

 

Deutschland 2018

Architekturführer
Hg. Yorck Förster, Christina Gräwe,
Peter Cachols Schmal
Dom publishers, Berlin 2017
135 x 245 mm
224 Seiten
660 Abbildungen
Softcover
€ 28
ISBN 978-3-86922-649-1

 

 

 

«Anne Hoffmann: Mostly Books»

 

Ein Rückblick auf 30 Jahre Buchgestaltung und Reflexionen zum Thema Buch – Plakate, Flyer, Karten, CDs und unzählige Bücher: Diese Medien verbinden Kunstschaffende, Architekten, Museen und insbesondere Buchliebhaber mit dem Namen Anne Hoffmann.

 

Die gebürtige Dänin studierte Grafik und Buchgestaltung bei Armin Hofmann an der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel, wo sie 1986 auch ihr eigenes Gestaltungsbüro gründete. Seit 2007 in Zürich beheimatet, arbeitet sie eng mit Schweizer und internationalen Künstlern zusammen wie beispielsweise Silvia Bächli, Richard Hamilton, Heiner Kielholz oder Karim Noureldin.

 

In diesem Buch blickt Anne Hoffmann auf 30 Jahre eigenes Gestalten zurück. Rund 120 Werke umfasst diese Auslegeordnung, begleitet von Kommentaren und Einblicken in Form eines book diary. Doch sind darin nicht nur Bücher versammelt – es ist eine Annäherung an das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Gedanken zu Bedeutung, zum Rang und Namen des Buchs machen sich die Architektin Kana Ueda Thoma, der Künstler und Ausstellungsmacher Peter Suter, die Kunsthistoriker Etienne Lullin und Beat Wismer, die Künstlerinnen und Künstler Chris Bünter, Miriam Cahn und Claudio Moser sowie der Schriftsteller und Musiker Jürg Halter und der Schmuckdesigner Torben Hardenberg aus Kopenhagen.

 

 

AUTOREN & HERAUSGEBER
CHRIS BÜNTER (*1961, Breganzona), Künstler. Ausbildung an der Schule für Gestaltung Basel. Studium der Kunstgeschichte an der Universität Basel und der polnischen Philologie an der Universität Warschau. Mitarbeiter der Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung. Textbeiträge in Publikationen zur zeitgenössischen Kunst und freie künstlerische Tätigkeit.

 

MIRIAM CAHN (*1949, Basel), Künstlerin. 1968–1973 Grafikfachklasse an der Schule für Gestaltung Basel, seit 1976 freischaffende Künstlerin. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland. Auszeichnungen (Auswahl): 1985 DAAD-Stipendium Berlin, 1998 Käthe-Kollwitz-Preis, Berlin, 2005 Prix Meret Oppenheim, 2013 Basler Kunstpreis.

 

JÜRG HALTER (*1980, Bern), Schriftsteller, Musiker und Performancekünstler. Studium der Bildenden Künste an der Hochschule der Künste Bern. Auftritte in ganz Europa, in den USA, in Afrika, Russland und Japan. Zahlreiche Buch- und CD-Veröffentlichungen.

 

TORBEN HARDENBERG (*1949, Dänemark), seit 1976 Schmuckdesigner mit eigener Werkstatt in Kopenhagen. Ausbildung zum Goldschmied 1968–1972. Seine Arbeiten wurden vielfach prämiert und sind in zahlreichen nationalen und internationalen Museen und Sammlungen repräsentiert.

 

ANNE HOFFMANN, seit 1986 Gestalterin. 2007 Gründung des Studio Anne Hoffmann Graphic Design in Zürich. Studien an den Universitäten Kopenhagen und Basel. 1979–1984 Grafikfachklasse an der Schule für Gestaltung Basel bei Armin Hofmann. Arbeiten in den Bereichen Kunst und Kultur. Katalog- und Buchgestaltung sowie Plakate für Museen, Galerien, Künstlerinnen und Künstler, Architekten, Verlage, für Bund und Kantone.

 

ETIENNE LULLIN, Kunsthistoriker und seit 2008 Mitinhaber der Galerie Lullin + Ferrari in Zürich. Studium der Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Praktika am Musée d’art et d’histoire in Genf, im Benteli Verlag in Bern und in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München. Tätigkeit bei The Paragon Press, London, und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstmuseum Winterthur. Zahlreiche Publikationen zur Nachkriegs- und Gegenwartskunst.

 

CLAUDIO MOSER (*1959, Aarau), Künstler. Filmstudium an der École Supérieure d’Art Visuel, Genf. Fotografien, Filme und Künstlerbücher. 1988–2004 lebte er als Künstler in Basel, ab 2004 in Noisy-le-Grand bei Paris. Heutiger Wohn- und Arbeitsort ist Genf. Sein Werk ist in Museen und Sammlungen vertreten.

 

PETER SUTER (*1948, Basel), Kurator, Essayist und Künstler. Studium der klassischen Archäologie in Basel und München. Verschiedene Publikationen zur Schweizer Kunst.

 

KANA UEDA THOMA, Architektin. 1997 Abschluss des Studiums am Kyoto Institute of Technology University; seit 2000 lizenzierte Architektin. Ab 2001 Mitarbeiterin bei Bosshard & Luchsinger Architekten, Müller Sigrist Architekten, Burckhardt+partner, EM2N in Zürich. Seit 2009 bei Stücheli Architekten Chefin des Design Teams.

 

BEAT WISMER (*1953), Generaldirektor des museums kunst palast in Düsseldorf. 1985–2007 Direktor des Aargauer Kunsthauses, Aarau. Organisator und Kurator vieler Ausstellungen, Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen.
Hg. Anne Hoffmann

Mostly Books
Scheidegger & Spiess, 2017
Texte Deutsch und Englisch
Broschiert
256 Seiten, 240 farbige Abbildungen
19 x 27 cm
CHF 49. € 48.

ISBN 978-3-85881-565-1

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