FRONTPAGE

«Churchill: Let Europe Arise!»

Von Ingrid Isermann

 

Ein bewegtes Leben und eine bewegende Ansprache: Winston Churchills Rede am 19. September 1946 in der Aula der Universität Zürich ist bis heute unvergessen. Vor 50 Jahren ist der legendäre britische Weltkriegs-Premierminister gestorben, der die Fackel der Freiheit hochhielt, als Europa seine finstersten Stunden erlebte. Der Historiker Werner Vogt hat mit einer fundierten Studie Churchills Spuren und sein spezielles Verhältnis zur Schweiz dokumentiert.

Als junger Mann entdeckte und beschrieb Winston Churchill die Naturschönheiten der Schweiz und bestieg dabei auch den Monte Rosa. Im Lac Léman wäre er bei einem Sturm um ein Haar ertrunken. Über 30 Jahre später kehrte er zurück zu seinen touristischen Wurzeln. Nach dem Krieg besuchte er Genf, Lausanne, Bern und Zürich.

 

Zürich war schon vor knapp 70 Jahren die grösste und wirtschaftlich mächtigste Stadt in der Schweiz und so war es naheliegend, dass Churchills Aufenthalt hier enden sollte. Die Rede an der Universität Zürich war ein voller Erfolg, indem sie international und in Grossbritannien grösste Beachtung fand.

Churchills Besuch in Zürich war ein Triumphzug, nie zuvor war ein Politiker derart gefeiert worden. Vor dem Zunfthaus zur Meisen auf dem Münsterhof hatten sich am 19. September 1946 Tausende von Zürcherinnen und Zürcher versammelt, um den Kriegspremier zu feiern. Hier sprach ein Europäer, der ein anderes, neues, ein wiedergeborenes Europa wollte. Der Text der Zürcher Rede ist in englischer und deutscher Sprache im Anhang der Publikation enthalten.

 

«Von allen Neutralen hat die Schweiz das grösste Anrecht auf Sonderbehandlung. Sie ist der einzige internationale Faktor, der uns und die grauenhaft entzweiten Nationen verbindet. Was bedeutet es schon, ob sie in der Lage gewesen ist, uns die gewünschten Handelsvorteile zu gewähren, oder ob sie, um sich am Leben zu erhalten, den Deutschen zu viele gewährt hat? Sie ist ein demokratischer Staat gewesen, der in seinen Bergen für seine Freiheit und Selbstverteidigung eingetreten ist, und trotz ihrer völkischen Zugehörigkeit hat sie gesinnungsmässig grösstenteils unsere Partei ergriffen». Winston Churchill, Premierminister 1944.

 

Winston Churchill (1874-1965) war eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Nicht nur als englischer Premier und Parlamentsabgeordneter über 60 Jahre, als Minister in verschiedenen Ressorts, sondern auch als Autor zahlreicher Zeitungsartikel und Bücher schrieb er Geschichte. Soldat, Kriegsreporter, Politiker, Staatsmann, Familienvater, Autor und Literatur-Nobelpreisträger kennzeichnen die Markzeichen seines bewegten Lebens.

 

 

«Battle of Britain»
Als der Zweite Weltkrieg 1939 begann, hätten wohl nur wenige Schweizer gewusst, wer Churchill ist, so Werner Vogt. Seine grösste Stunde kam im Frühling und Sommer 1940, als England mit dem Rücken zur Wand allein gegen Hitlerdeutschland weiterkämpfte. Churchill hatte die Vision, nachdem Polen, Frankreich und Norwegen von Nazideutschland besetzt waren, dass dieser Krieg mithilfe der USA zu gewinnen war. In der «Battle of Britain», der Luftschlacht um England, erlitt der deutsche Diktator seine erste Niederlage. Winston Churchill wurde 1940 zum Held der freien Welt und zum Hoffnungsträger auch für die eingekesselte Schweiz.

 

 

«My dear Montag, At the moment of leaving Switzerland I must thank you for all you have done in setting on foot the plans which have given me such a truly delightful holiday in your beautiful country. I was greatly touched at my receptions by the Swiss people everywhere, and the welcome given me in your native city of Zurich will long remain in my mind.»

Mit diesen spontanen Zeilen verabschiedete sich am 20. September 1946 Winston Churchill von seinem Schweizer Freund Charles Montag. Gleichzeitig nahm Churchill Abschied von der Schweiz. Denn knapp einen Monat zuvor war der Kriegspremier in Genf gelandet, um auf Einladung Montags ausgedehnte Ferien am Ufer des Lac Léman zu verbringen – im Schatten eines Sonnenschirms an der Staffelei sitzend, mit Pinsel und Palette in der Hand.

 
Künstlerfreundschaften, Rösti und Meringues

Der Besuch Churchills in der Schweiz 1946 war der Höhepunkt im Verhältnis des Kriegspremiers zum Alpenland. Doch war dieser Aufenthalt nicht der einzige Berührungspunkt mit der Eidgenossenschaft. Schon als 19-jähriger Jugendlicher war Winston Churchill durch die Schweiz gereist. 1893 hatte er soeben knapp die Eintrittsprüfung in die Offiziersschule von Sandhurst geschafft und durfte vor dem Eintritt in die militärische Kaderschule in die Schweiz reisen. Ein Jahr später kam er erneut – und wäre beinah im Genfersee ertrunken; Werner Vogt zitiert ausführlich die dramatischen Passagen aus Churchills Lebenserinnerungen.
Auch später reiste Churchill verschiedentlich in die Schweiz. Etwa als Gast in Sir Ernest Cassels prunkvoller Villa auf der Walliser Riederalp im Jahr 1904. Obwohl ihn «die Neutralität, zumal die Neutralität in einer asymmetrischen Ausprägung, eigentlich seinen Ärger hätte provozieren müssen», war er als Minister und zweimaliger Premierminister der Schweiz gegenüber wohlgesinnt. Es waren vor allem persönliche Beziehungen, die ihn mit dem Land verbanden, etwa zu seinem Mallehrer Charles Montag oder zum Urdorfer Farbenfabrikanten Willy Sax. Und in diesem Kontext nicht zu unterschätzen sind auch die Schweizer Köchinnen: In seinem englischen Domizil Chartwell stellte das Ehepaar Churchill Küchen- und Servicepersonal mit Vorzug aus der Schweiz an, wobei die «Swiss Girls» neben Meringues und Rösti auch Churchills Lieblingsmahlzeit «Chicken Pie Chartwell» servierten. Das Originalrezept ist im reich bebilderten Buch enthalten.

 

 

Werner Vogts Ausführungen fussen nicht zuletzt auf vielen persönlichen Erinnerungen von Zeitzeugen; unbedeutend scheinende Begegnungen und allerhand weniger bekannte Episoden aus dem Leben Churchills zeichnen ein lebensechtes Porträt. Auf diese Weise zeigt Vogt den Menschen Winston Churchill. Die Ikone mit dem Victory-Zeichen und der dicken Zigarre rückt dagegen etwas in den Hintergrund. Zahlreiche, teilweise rare Fotografien illustrieren das Geschilderte.

 

 

Werner Vogt wurde 1996 für seine Dissertation über das Churchill-Bild in der NZZ von 1938-1956 an der Universität Zürich promoviert. Seither hat er sich als Journalist, Auslandkorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, Publizist und Dozent kontinuierlich mit Winston Churchill befasst.

 

 

Werner Vogt

Winston Churchill und die Schweiz

Vom Monte Rosa zum Triumphzug durch Zürich

NZZ Libro Verlag Zürich, 2015

232 S., 108 Fotos, Format 21 x 28 cm
CHF 48.00

 

 

 

 

 

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