Das Museum für Gegenwartskunst, Basel zeigt Cy Twombly, © Kunstmuseum Basel, Foto Julian Salinas
© Daros Collection
© Kunstmuseum Basel, Foto Martin P. Bühler
Skulptur 1990/99, © Kunstmuseum Basel, Foto Martin P. Bühler
Kasimir Malewitsch, © Fondation Beyeler, Fotos PD
«Cy Twombly: Von der Wirkung der Zeichen»
Von Simon Baur
Der amerikanische Künstler Cy Twombly zählt neben Frank Stella, Robert Rauschenberg und Jasper Johns zu den wichtigsten Vertretern einer Künstlergeneration, die ab den 1950er-Jahren aus dem abstrakten Expressionismus heraus eine eigene Bildsprache entwickelten, die bis heute singulär im Kunstkontext steht. Cy Twombly wurde 1928 in Lexington, Virginia, geboren und starb 2011 in Rom. In der italienischen Metropole fand er das mediterrane Licht, aber auch die Geschichte, die Mythen und die Dichtung der Antike, die intellektuell in sein Werk einflossen.
Die Ausstellung in Basel vereinigt acht Gemälde aus den 1950er- bis 1970er Jahren und zwei späte Skulpturen aus der Sammlung des Kunstmuseums Basel, ergänzt um Leihgaben der Emanuel Hoffmann-Stiftung und der Daros Collection.
Chronologie der Bildidee
An ihnen lassen sich exemplarisch die Entwicklungslinien im frühen Schaffen des Künstlers verfolgen. Den Auftakt der im Uhrzeigersinn chronologischen Hängung macht ein kleines Format von 1954, dessen dunkle Farbtöne und die gestische Malerei auf Twomblys Verbindungen zum abstrakten Expressionismus verweisen. In diesem frühen Bild zeigen sich Andeutungen zeichenhafter Formen im oberen Bildteil. Twombly wird auch in späteren Bildern immer wieder den untern Bildbereich frei von Zeichen lassen, ohne dass das Gleichgewicht des Bildes darunter leiden wird. Womit das zu tun hat? Mit der Art, wie er seine Zeichen einsetzt. Was wir sehen, ist nicht bloss ein Gekritzel, sondern sind Zeichen in Form von Notationen, die sich unterschiedlichen Gattungen zuordnen lassen: Schriftzeichen aus dem Alphabet, Zeichen der Numerik, der Interpunktion, die allesamt Verweischarakter besitzen, nichts Konkretes ausdrücken, sondern auf etwas Anderes verweisen und damit den Charakter einer Geste haben.
Schlüsselbild Arcadia
Eine Art Schlüsselbild ist Arcadia, 1958 in Rom entstanden. Über zahlreichen, lasierend aufgetragenen Schichten finden sich die unterschiedlichen Zeichen, ARCADIA kann anfänglich gelesen, später nur noch erraten werden. Und ähnlich verhält es sich mit allen übrigen Zeichen, die man teils zuordnen kann, während andere bedeutungslos bleiben. Arcadia zeigt, welche Bedeutung den Zeichen zukommt. Sicher verbinden wir mit dem Begriff ein berühmtes Bild von Nicolas Poussin und eine spezifische Vorstellung von Landschaft, ein Moment, das sich nur über die assoziierende Erinnerung, nicht aber über das Bild selbst einlöst. Trüge die Skulptur Untitled von 1985 den Untertitel Arcadia, wir würden die gleichen Assoziationen haben und doch hätte auch diese Arbeit nicht viel mit der paradiesischen Landschaft zu tun. Und doch muss, damit wir den Begriff Arcadia zuweisen können, seine Zeichenhaftigkeit im Bild oder im Objekt liegen. Genauer in der Topographie des Bildes. Irgendwie muss der Künstler auf die Idee gekommen sein, das Wort in das Bild einzufügen, irgendwie muss er sich zu diesem Kompositionsschema entschieden haben und vermutlich hat er sein Vorgehen dem Bild selbst entnommen. Die Bildfläche muss ihn für die Bildentwicklung inspiriert haben. In diesen Kontext passt auch das Element der Verwischung oder Verwirrung von Zeichen, wie es im Bild Study für Presence of a Myth beobachtet werden kann. Im Bild lassen sich unzählige Durchstreichungen, Übermalungen und Korrekturen beobachten. Cy Twombly geht es nicht darum, die verwischten und verwirrten Elemente und Figuren zu verbergen, vielmehr sollen sie als ausgelöschte Formen sichtbar bleiben. Ob sichtbar oder in ihrer eigentlichen Bedeutung unkenntlich gemacht, die dabei ausgedachten Konzepte finden vollständig im Medium des Bildes statt, und sie erklären dadurch wie ein Bild entsteht und welcher Energie und Zeitlichkeit es ausgesetzt ist.
Weitere Schichten
Zu Beginn der 1960er-Jahre entstehen in Cy Twomblys Schaffen zunehmend farbigere Werke. Beispielsweise Untitled, 1961, das im Zentrum der Basler Ausstellung steht. Zu den Symbolen, Zahlen und Schriftzeichen sind intensive Farben hinzugekommen, das Bild erinnert an die Oberfläche von Nougat oder Türkenhonig. Die Farben bringen nicht nur einen fleischlichen und damit sinnlichen Aspekt ins Bild, sondern auch einen stark malerischen. Sexuelle, beziehungsweise vaginale Andeutungen kann man im Bild sehen, sie erschliessen sich aber zu keinem Handlungsstrang, durch den eine fruchtbare Inhaltlichkeit entstehen würde. Farbe kommt einer weiteren Ebene gleich, die mitsamt den Zeichen die Bildtopographie bestimmt. Es wäre kontraproduktiv zu glauben Cy Twombly habe sich völlig autonom innerhalb des Kunstdiskurses bewegt. Gerade die 1969 in Bolsena entstandenen Gemälde, wovon in Basel eines zu sehen ist, das kürzlich aus Basler Privatbesitz dem Museum geschenkt wurde, zeigen wie Twombly auf die Kunst seiner Zeit reagiert hat. Untitled mit seiner reduzierten Formsprache erinnert weniger an den Suprematismus von Malewitsch, als an den amerikanischen Minimalismus. Das Rechteck im oberen Bildbereich erinnert zudem an den Topos der Fensterbilder, wie wir es auch von Caspar David Friedrich kennen. Hier handelt es sich aber um ein versperrtes Fenster. Nun wäre zwar auch die gesperrte Landschaft ein Kompositionselement, das in der Romantik, vor allem bei Salomon Gessner zur Anwendung kam, um einen gesteigerten Natureindruck zu erzeugen. Bei Twombly wird die Sperrung, ähnlich der Verwischung zu einem Aspekt der Verwirrung, der auf Sein und Nicht-Sein im Bild verweist. In der Basler Ausstellung sind auch zwei Skulpturen zu sehen. Twombly hat bereits Mitte der 1950er-Jahre mit Skulpturen begonnen, nach einem Unterbruch in diesem Medium setzt seine Produktion Ende der 1970er-Jahre wieder ein. 2000 zeigte Katharina Schmidt im Basler Kunstmuseum eine grosse Überblicksausstellung der Skulpturen Cy Twomblys. Man darf sie als einen besonderen Aspekt seiner Malerei verstehen, die Zeichenhaftigkeit findet sich genauso wie die Bildtopographie, die malerische Präsenz wird jedoch durch die Plastizität der Oberflächen verstärkt.
Nachtrag
Ob diese Ausstellung auch ein Willkommensgruss des scheidenden Direktors Bernhard Mendes Bürgi an den neuen Direktor des Kunstmuseums Josef Helfenstein ist? Immerhin ist Josef Helfenstein noch Direktor der Menil Collection in Houston, für die der italienische Architekt Renzo Piano einen Museumsbau entwarf, der cirka 30 Werke von Cy Twombly beherbergt und in Zusammenarbeit mit dem Künstler speziell auf die Bilder abgestimmt wurde.
Besucher, die nach Basel reisen, um die Ausstellung zu sehen, seien darauf vorbereitet, dass es sich um keine grosse Ausstellung handelt. Es sind nur insgesamt zehn Werke zu sehen. Doch ist eine konzentrierte Raumsituation entstanden, in der man sich stundenlang aufhalten kann und die nachhaltige Erlebnisse und Erfahrungen verspricht.
Cy Twombly – Malerei & Skulptur. Museum für Gegenwartskunst Basel. Bis 13. März 2016. www.kunstmuseumbasel.ch. Eintritt bis 31.12.2015 frei.
«Malerisch: Der Traum vom Absoluten»
Die Fondation Beyeler in Riehen zeigt mit «Auf der Suche nach 0,10» eine Ausstellung über die russische Avantgarde, über das «Schwarze Quadrat» von Kasimir Malewitsch und die Ausstellung, in der es zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Aufbruch zu neuen Ufern
Für die Einen war es die logische Konsequenz aus der Malerei von Paul Cézanne und «Les Demoiselles d’Avignon» von Pablo Picasso, für die Anderen das Ende der Malerei. Ob Experten, Kritiker, Geniesser und Banausen, für alle bedeutet das Jahr 1915 und die Präsentation des «Schwarzen Quadrats» von Kasimir Malewitsch eine Zäsur. Das «Schwarze Quadrat», diese Ikone der Malerei, ist bis heute ein Zauber geblieben, bei dem sich eine klassische Konditionierung, ähnlich dem pawlowschen Effekt einstellt. Bloss die Nennung löst einen Tsunami an Erinnerungen aus und nicht zu Unrecht fühlt man sich an das in Lindenblütentee getauchte Madeleine in Marcel Prousts «Suche nach der verlorenen Zeit» erinnert.
Geburt der Moderne
Die Nachhaltigkeit dieser literarischen Schlüsselstelle mag der Grund sein, weshalb die Fondation Beyeler ihre aktuelle Ausstellung «Auf der Suche nach 0,10. Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei» nennt. Und in der Tat wird in Riehen nur die Suche und keine Rekonstruktion dieser legendären Ausstellung präsentiert, die in der Petrograder Galerie von Nadeschda J. Dobytschina am 19. Dezember 1915 eröffnet wurde. Von den damals 154 gezeigten Werken, hat sich nach neustem Stand der Forschung rund ein Drittel erhalten, die im Wesentlichen in der Ausstellung gezeigt werden. Russische Revolution und Säuberungen unter Stalin, haben zu zahlreichen Verlusten beigetragen. Doch was soll der Titel «Letzte futuristische Ausstellung 0,10»? Anna Szech, Assistenzkuratorin, der von Matthew Drutt hervorragend und umsichtig kuratierten Ausstellung verweist auf den Nullpunkt, den diese Ausstellung als eigentliches Fanal in der Kunst setzen sollte und die zehn Künstler, die sich ursprünglich zur Teilnahme bereit erklärten. Schliesslich sind es mehr geworden, doch da waren Plakat und Katalog – ein dünnes Heft mit teils ungenauen Titeln – bereits gedruckt. Doch weshalb der Verweis auf den Futurismus? Der Begründer und Propagandist des italienischen Futurismus Filippo Tommaso Marinetti hält sich Anfang 1914 in Russland auf und sorgt mit seinen Vorträgen und Rezitationen für Furore und Skandale.
Westliche Einflüsse
Schon 1913 wurde in Russland der Begriff «Kubo-Futurismus» geprägt. Dies aus dem Umstand, dass Künstlerinnen wie Liubov Popova und Nadeschda Udalzowa zuvor bei Jean Metzinger und Albert Gleizes in Paris studierten und sich dort vom französischen Kubismus inspirieren liessen und diesen, auf dem Weg zu einer neuen Kunst, mit futuristischen Elementen verknüpften. Der Begriff «Futurismus» versprach also einiges Aufsehen und dies wollten die Künstler mit ihrer «Letzten futuristischen Ausstellung», die erste fand übrigens im Frühjahr desselben Jahres statt, bestimmt erreichen. Denn nicht alle, aber doch einige dieser Künstler wollten mit dem Bisherigen aufräumen und gleichzeitig war die Ausstellung durch die beteiligten Künstler noch mehr: Malewitsch postulierte mit seinen Bildern, was er unter dem von ihm entwickelten Suprematismus – der Vorrangstellung der reinen Empfindung gegenüber der gegenständlichen Natur – verstand, während Wladimir Tatlin mit seinen Wandreliefs aus Alltagsgegenständen, die Idee einer auf einen Rahmen beschränkte Kunst radikal in Frage stellte. Beide Künstler sind in der Ausstellung mit ihren bedeutendsten Arbeiten vertreten. So nahe wird man hierzulande dem «Schwarzen Quadrat» und Tatlins Arbeiten kaum mehr kommen.
Im Bann des Sublimen
Überhaupt haben die Räume der beiden Künstler Kultcharakter. Dabei zeigt Kurator Matthew Drutt ausschlisslich Originalarbeiten, auf die verfügbaren Rekonstruktionen von Tatlins Werken verzichtet er bewusst, und zeigt stattdessen historische Fotografien, auf denen weitere seiner Objekte zu sehen sind. Es berührt, das Ikonen in der Fondation Beyeler jeweils nach derselben Himmelsrichtung ausgerichtet werden: Das «Schwarze Quadrat» hängt am gleichen Ort wie einst Gustave Courbets «L’origine du monde». Man muss diese Ausstellung sehen, denn hier versammeln sich zentrale Werke des 20. Jahrhunderts, die darüber hinaus die Kunst bis heute bestimmen.
Als sichtbarer Beweis zeigt die Fondation Beyeler parallel die von Sam Keller und Michiko Kono kuratierte Ausstellung «Black Sun», in der zentrale Arbeiten versammelt sind, die auf Malwitschs Ikone Bezug nehmen. Nicht nur Richard Serra, Damien Hirst und Jean Tinguely haben sich von Malewitschs Ikone beeinflussen lassen, auch Künstler wie Wade Guyton, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Jenny Holzer. Sie und 29 weitere Künstler sind in der Ausstellung versammelt. Kuratorisch klug wurden die Werke sowohl in die Neuhängung der Sammlung Beyeler integriert, als auch in zwei separaten Räumen gezeigt. Für einmal steht bei der Fondation Beyeler das ganze Haus im Bann der russischen Moderne, und dies durchaus berechtigt. Auch wenn die Bedeutung des «Schwarze Quadrats» nach wie vor die Geister scheidet, was bei unterschiedlichen Geschmäckern auch nicht erstaunt, so gehören der russische Konstruktivismus, Kubo-Futurismus und Suprematismus doch zu den zentralen Kunstismen des 20. Jahrhunderts, von der sich übrigens auch weit mehr als die in der Ausstellung «Black Sun» vertretenen Künstlern beeinflussen liessen.
«Auf der Suche nach 0,10. Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei» und «Black Sun», bis 10. Januar. Fondation Beyeler, Riehen. www.fondationbeyeler.ch