«Das neue Erdzeitalter – das Anthropozän»
Von Hedi Wyss
«Anthropozän» soll die gegenwärtige geochronologische Epoche heissen, schlug der Nobelpreisträger Paul Crutzen, Chemiker und Atmosphärenforscher im Jahr 2000 gemeinsam mit Eugen F. Stroemer vor. Stroemer, Biologieprofessor an der Universität von Michigan, verwendete den Begriff schon in den achtziger Jahren, weil er damit charakterisieren wollte, wie entscheidend der Einfluss menschlicher Aktivitäten auf den Zustand der Erde sei.
«Der Mensch auf seiner Erde» heisst das Buch von Georg Gerster, das seit Jahren in meinem Buchgestell steht. Ich nehme es wieder hervor, denn da sind einige der schönsten Fotos schon zu sehen, die jetzt in der Fotostiftung in Winterthur in einer grossen Retrospektive ausgestellt sind.
Ein Muster von Reihen in zarten Abstufungen von Gelb, die sich in ein regelmässiges Rechteck fügen und mitten drin eine Einknickung um einen Klecks markantes Grün. Das Bild eines konkreten Malers? Die geometrischen Muster auf anderen Bildern, die Farbzusammenstellungen sind menschengemacht, aber nicht aus ästhetischen Gründen, sondern es sind
Anbau-Flächen. Felder, die mit Maschinen bearbeitet und bewässert wurden.
Georg Gerster hat seit den sechziger Jahren spektakuläre Luftbilder gemacht. Von all dem, was der Mensch gestaltet hat, von Städten, Dörfern Siedlungen in aller Welt. Da winden sich Strassen, da sind die Wege, die auf die Berge hinaufführen und durch einsame Täler, durch dichte Wälder und weite Wüsten.
Georg Gersters Bilder sind schön. Er gestaltet die Fotos so, dass sie zu Kunstwerken werden. Vom afrikanischen Dorf bis zum Muster der Dächer einer mittelalterlichen Stadt, von den terrassierten Reisfeldern im chinesischen Gebirge bis zu den kleinen Feldern im der traditionellen Agrarwirtschaft in Europa und Asien .
Und auch da, wo die Wunden zu sehen sind, die die menschliche Zivilisation seit dem Beginn des Industriezeitalters schlägt, findet er noch abstrakte Schönheit.
Dass es auch schlimme Wunden sind allerdings, wo der Mensch die Erde verändert, zeigt sich heute immer mehr. In Büchern mit Bildern und Dokumentationen etwa, die mir ein amerikanischer Freund schickt. Douglas
Thomkins ist Mitherausgeber von spektakulären Fotobänden, die das dokumentieren. Der Blickwinkel ist anders, zeigt aus der Nähe, wie die Landschaft zerstört wird, in riesigem Ausmass seit den letzten Jahrzehnten. Nicht nur durch die Förderung konventioneller Energien wie Erdöl und Erdgas, sondern auch von sogenannt nachhaltigen Energien, sobald sie im grossen Stil erzeugt werden. Die riesigen Flächen für Fotovoltaik, die Wüsten und die Lebensräume darin total verändern, die riesigen Windparks an Küsten und auf Hügelzügen, die zu tödlichen Fallen für Vögel und Fledermäuse werden können, wenn nicht mit Rücksicht auf sie geplant wird. Die Urwälder, die den Plantagen für Biosprit und Palmöl weichen müssen.
Heute muss alles im grossen Stil gemacht werden, denn die Menschheit vermehrt sich im grossen Stil. Und sie muss ernährt werden im grossen Stil.
Wie das nun etwa in USA geschieht, zeigt ein anderes von Thomkins mit herausgegebes Buch über die Fleisch, Milch und Eier-Produktion. Es sind riesige Fabriken, in denen Tiere nur als Produktionseinheiten behandelt werden. Auf Flugbildern sieht man die ausladenden Dächer der Bauten, in denen sie auf kleinstem Raum eingepfercht sind. Daneben grosse Seen mit stinkendem, die Luft verpestendem Mist. Da gilt nur: so viel und so billig wie möglich produzieren. Dass es lebende, fühlende Wesen sind, die man in Qualzuchten und intensiver Haltung zu Hochleistungen treibt, geht vollständig vergessen.
Dass unser Erdzeitalter wirklich mit dem Begriff «Anthropozän» definiert werden kann, belegt sich mit Zahlen, die das eigene Weltbild verändern können, als ich sie hörte:
– 90 Prozent aller Tiere, die auf der Welt leben, sind Menschen und ihre Nutz- und Haustiere. Die anderen, die wilden, von denen es so viele in unzähligen Varianten gab und gibt, machen nur noch 10 Prozent der ganzen tierischen Biomasse aus.
– Genau so ist es bei den Pflanzen: 90 Prozent der Pflanzen auf der Erde sind heute vom Menschen gezüchtete Pflanzen.
– Drei Viertel des ganzen trockenen Festlands auf der Erde ist schon vom Menschen umgestaltet.
– Und weil so viel verändert ist, was Wasserläufe, Wassernutzung angeht, und weil der Abfall der menschlichen Tätigkeiten eines der unbewältigten Probleme darstellt, bestehen die Sedimente, die sich heute ansammeln, zu 40 Prozent aus Plastikmaterial.
– In Jahrtausenden werden die Archäologen die zu Sandstein verfestigten Ablagerungen aus unserer Zeit mit Löchern vorfinden, wenn nach einigen Jahrhunderten der Plastik abgebaut ist. Und sie werden dann vielleicht darüber diskutieren, wann das Erdzeitalter des Anthropozän genau begonnen hat.
Das «Holozän», das jüngste Zeitalter, das in der Erdgeschichte bis heute dauern soll, darin waren sich die Wissenschaftler einig, begann nach dem Pleistozän, damals, als vor etlichen tausend Jahren die Aktivitäten der Menschen die ersten grundlegenden Änderungen im Klima der Erde verursachten .
Um 1873 bezeichnete der italienische Geologe aber unser Zeitalter schon als « Anthropozooische Ära». Und seit nach 1945 so viel mehr durch die moderne Forschungstechnik über den Zustand der Natur, der Biodiversität bekannt wurde, werden ähnliche Begriffe in alarmierender Weise mehr und mehr gebraucht.
Denn in den letzten dreissig Jahren beschleunigten sich die Veränderung von Landschaften durch Ausbeutung und Monokulturen markant, und sind, wie auch das immer schnellere Artensterben nun, so sagen die Wissenschaftler, unumkehrbar.
Sie vergleichen unsere Zeit des Anthropozäns mit den fünf früheren grossen Massenaussterben in der Erdgeschichte. Markante Unterschiede allerdings sind, dass diese früheren Epochen oft Millionen Jahre dauerten und meistens geologische oder atmosphärisch- kosmische Ursachen hatten.
Heute ist aber – und das ist nie vorher vorgekommen – eine einzige biologische Art, nämlich der Mensch, mit seinen Aktivitäten der Grund dafür.
Aber der Mensch zerstört nicht nur, so die These von engagierten Naturschützern. Er könnte und müsste jetzt auch die Verantwortung dafür übernehmen, dass Arten weiter bestehen, Lebensräume geschützt, sogar neue geschaffen werden. Die einzige Möglichkeit, Natur und Ressourcen zu erhalten, Arten vor dem Aussterben zu bewahren, wäre es heute, die Natur zu managen, statt sie sich selbst zu überlassen.
Wer verändert, muss und kann auch Verantwortung übernehmen. Und da gibt es schon Beispiele: Auch in menschlichen Siedlungen und in landwirtschaftlichen Anbauflächen können bestehende Lebensräume erhalten oder zerstörte wieder hergestellt werden. Und sogar in Privatgärten, die entsprechend naturnah gestaltet werden, könnte auch in Städten ein Netz für seltene Arten entstehen. Feuchtgebiete für bedrohte Amphibien-Arten können neu geschaffen , Rastplätze für Zugvögel auf ihren Zugrouten gepflegt und erweitert werden. Naturparks, in grossem Stil ausgeschieden und fehlende Arten, wie etwa Grossraubtiere, die wichtig sind für funktionierende Ökosysteme, können wieder eingeführt werden, so lange es noch irgendwo eine Population und eine Genressource gibt.
Der Beispiele, was getan werden könnte und getan werden müsste, gibt es heute schon viele.
Douglas Thomkins etwa klagt nicht nur an. Er hat, zusammen mit seiner Frau und Partnern, schon grosse Gebiete in Südamerika für die Natur erhalten Er hat Nationalpärke geschaffen und da auch grosse Agrarflächen der Natur zurückgegeben. Er hat Farmen in einer Weise konzipiert, dass das Nebeneinander von Nahrungsproduktion für den Menschen und Räumen für wilde Pflanzen und Tiere möglich wurde. Und in Argentinien, wo er einen grossen Teil eines der grössten Feuchtgebiete der Erde unter Schutz stellen konnte, wird nun die entscheidende Schlüsselart, der Jaguar, der durch Jagd ausgerottet wurde, wieder ausgewildert.
In diesem Zeitalter der Dominanz des Menschen, im Anthropozän sollte diese Weise des Wirkens Pflicht und ethische Norm werden. Eine neue Moral?
Es ist es höchste Zeit, dass der Mensch nicht nur Nahrung, Energie und technische Produkte für sich selbst produziert, sondern im grossen Stil auch Natur erhält und neu erschafft. Auch um der Schönheit willen und zu seinem eigenen Wohl.
Quellen: Kontext 8. Mai Radio SRF2 „Der Mensch tritt in eine neues Erdzeitalter ein- sein eigenes.“
– „Energy“ „Overdevelopment and the delusion of endless groth“ published by the post carbon institute 2012.
– „C.A.F.O Concentrated Animal Feeding Organisation“ „The Tragedy of Industrial Animal Factories“ published by „Earth Aware“ California 2010.
– Auch erhältlich im Taschenbuch: deutsch und englisch: Jonathan Safran Foer: „Eating Animals“ „Tiere Essen“.