Max Frisch in seiner Wohnung im Lochergut, Zürich 1967 © Barnabas Bosshart/Fotostiftung Schweiz
Max Frisch mit seinem Mitarbeiter Hannes Trösch im Architekturbüro, Zürich, 1952. © W.E.Baur / Stadtarchiv Zürich
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Von Ingrid Isermann
Noch Fragen? Fragebogen! Biografie? Biografien! Bücher? Tagebücher! Homo Faber! Biedermann und die Brandstifter! Stiller! Mein Name sei Gantenbein! Max Frischs Werk geht uns auch heute noch etwas an. Das zeigt die Ausstellung im Strauhof Zürich. Frisch spricht Menschen aller Gesellschaftsschichten und Generationen an. Sein Werk hat ein Gegenüber und wird, auch kontrovers, diskutiert.
Das Strauhof-Museum will mit seiner neuen Literaturausstellung aufzeigen, wie vielfältig die Spuren sind, die der Schrift- steller und Dramatiker Max Frisch im Leben seiner Rezipienten hinterlassen hat und bis auf den heutigen Tag immer wieder neu hinterlässt.
Genau einhundert Jahre nach seiner Geburt in Zürich, wo er an der Heliosstrasse im Kreis 7 seine Kindheit verbrachte, versucht sie sich an einer Bestandesaufnahme: Wie viel Max Frisch steckt in der Gegenwart und vielleicht in jedem von uns?
Die 100 Jahre zwischen 1911 und 2011 bilden das lockere Gerüst. In Themenfeldern, die für Frischs Werk und Leben markant sind, voll- zieht jede Station einen Dreischritt. Das erste Wort hat stets ein Rezipient, das letzte – natürlich – Max Frisch. Zugleich führt die Ausstellung in Max Frischs wichtigste Werke ein; auch dies wird in Interviews ganz den Leserinnen und Lesern überlassen. Die 16 ausgewählten Texte werden je nach Hintergrund und Interesse wiedererzählt, analysiert und kommentiert.
Wie immer man sich, aus welcher Perspektive, man sich ihm nähert, Max Frischs Literatur ist lebendig.
Fragebogen aus Tagebuch 1966-1971, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1972.
1. Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?
2. Wie oft muss eine bestimmte Hoffnung (z.B. eine politische) sich nicht erfüllen, damit Sie die betroffene Hoffnung aufgeben, und gelingt Ihnen dies, ohne sich sofort eine andere Hoffnung zu machen?
3. Beneiden Sie manchmal Tiere, die ohne Hoffnung auszukommen scheinen, z.B. Fische n einem Aquariaum?
4. Wenn eine private Hoffnung sich endlich erfüllt hat: wie lange finden Sie in der Regel, es sei eine richtige Hoffnung gewesen, d.h. dass deren Erfüllung so viel bedeute, wie Sie jahrzehntelang gemeint haben?
5. Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben?
6. Wieviele Stunden im Tag oder wieviele Tage im Jahr genügt Ihnen die herabgesetzte Hoffnung: dass es wieder Frühling wird, dass die Kopfschmerzen verschwinden, dass etwas nie an den Tag kommt, dass Gäste aufbrechen usw?
7. Kann Hass eine Hoffnung erzeugen?
8. Hoffen Sie angesichts der Weltlage:
a. auf die Vernunft?
b. auf ein Wunder?
c. dass es weitergeht wie bisher?
9. Können Sie ohne Hoffnung denken?
10. Können Sie einen Menschen lieben, der früher oder später, weil er Sie zu kennen meint, wenig Hoffnung in Sie setzt?
11. Was erfüllt Sie mit Hoffnung?
a. die Natur?
b. die Kunst?
c. die Wissenschaft?
d. die Geschichte der Menschheit?
12. Genügen Ihnen die privaten Hoffnungen?
13. Gesetzt den Fall, Sie unterscheiden zwischen Ihren eignen Hoffnungen und den Hoffnungen, die andere (Eltern, Lehrer, Kameraden, Liebespartner) auf Sie setzen: bedrückt es Sie mehr, wenn sich die ersteren oder wenn sich die letzteren nicht erfüllen?
14. Was erhoffen Sie sich von Reisen?
15. Wenn Sie jemand in einer einheilbaren Krankheit wissen: machen Sie ihm dann Hoffnungen, die Sie selber als Trug erkennen?
16. Was erwarten Sie im umgekehrten Fall?
17. Was bekräftigt Sie in Ihrer persönlichen Hoffnung:
a. Zuspruch
b. die Einsicht, welchen Fehler Sie gemacht haben?
c. Alkohol?
d. Ehrungen?
e. Glück im Spiel?
f. ein Horoskop?
g. dass sich jemand in Sie verliebt?
18. Gesetzt den Fall, Sie leben in der Grossen Hoffnung („dass der Mensch dem Menschen ein Helfer sei“) und haben Freunde, die sich aber dieser Hoffnung nicht anschliessen können: verringert sich dadurch Ihre Freundschaft oder Ihre grosse Hoffnung?
19. Wie verhalten Sie sich im umgekehrten Fall, d.h. wenn Sie die grosse Hoffnung eines Freundes nicht teilen: fühlen Sie sich jedes Mal, wenn er die Enttäuschung erlebt, klüger als der Enttäuschte?
20. Muss eine Hoffnung, damit Sie in ihrem Sinn denken und handeln, nach Ihrem menschlichen Ermessen erfüllbar sein?
21. Keine Revolution hat je dieHoffnung derer, die sie gemacht haben, vollkommen erfüllt; leiten Sie aus dieser Tatsache ab, dass die grosse Hoffnung lächerlich ist, dass Revolution sich erübrigt, dass nur der Hoffnungslose sich Enttäuschungen erspart usw., und was erhoffen Sie sich von solcher Ersparnis?
22. Hoffen Sie auf ein Jenseits?
23. Wonach richten Sie Ihre täglichen Handlungen, Entscheidungen, Pläne, Überlegungen usw., wenn nicht nach einer genauen oder vagen Hoffnung?
24. Sind Sie schon einen Tag lang oder eine Stunde lang tatsächlich ohne jede Hoffnung gewesen, auch ohne die Hoffnung, dass alles einmal aufhört wenigstens für Sie?
25. Wenn Sie einen Toten sehen: welche seiner Hoffnungen kommen Ihnen belanglos vor, die unerfüllten oder die erfüllten? (I.I.)
Ausstellung Max Frisch Strauhof Zürich in Zusammenarbeit mit dem Max-Frisch- Archiv an der ETH-Bibliothek, kuratiert von der Praxis für Ausstellungen und Theorie.
16. März bis 4. September 2011.
Museum Strauhof
Literaturausstellungen
Augustinergasse 9
8001 Zürich
Max Frisch
Fragebogen
Jeder dieser elf Fragebogen kreist ein Thema ein. Zu antworten bleibt den Lesenden überlassen – was die Lektüre unwiderstehlich macht. Es geht um die Erhaltung des Menschengeschlechts, um Ehe, Frauen, Hoffnung, Humor, Geld, Freundschaft, Vatersein, Heimat … mehr » Suhrkamp Verlag Berlin 2011. Erschienen 14.3.2011, suhrkamp taschenbuch 4239, Broschur, 92 Seiten, ISBN: 978-3-518-46239-3. EUR 4,95 [D]
Max Frisch
Notizbuch
Die berühmten Fragebogen von Max Frisch zu Freundschaft, Heimat, Tod, Humor, Frauen und Geld – mit genügend Raum für Ihre Antworten. EUR ca. 8,95 [D] CHF 15.90.
Erschienen: 15.03.2010 suhrkamp taschenbuch 4272 Gebunden, 240 Seiten ISBN: 978-3-518-46272-0