David Chipperfield
Literaturmuseum Marbach, Foto: © Moritz Holfelder
«Der britische Architekt David Chipperfield: Zwischen Nofretete und Kafka»
Von Moritz Holfelder
Der britische Architekt David Chipperfield hat sich als Spezialist für Museen wie das Neue Museum in Berlin, das Literaturmuseum der Moderne in Marbach oder das Museum Folkwang in Essen einen Namen gemacht: Ein Architekt der leisen Töne, der Zwischentöne und der Balance zwischen neu und alt. Auf dem neuen Audiobuch von Moritz Holfelder kann man dem Architekten ohne Starallüren entspannt zuhören und seine Ansichten über die Rolle der Architektur in unserer Gesellschaft erfahren.
Wenn die Nationen der Welt bei der Architekturbiennale von Venedig aufeinandertreffen, ist der Aufwand jeweils gross und manches mehr Schein als Sein: Die einen feiern munter drauflos und lassen die Korken knallen, die anderen laden zur Podiumsdiskussion ein – und Dritte kreieren raumgreifend multimediale Installationen, in denen die Folgen von Globalisierung, Migrationsbewegungen und städtebaulichen Herausforderungen pompös präsentiert werden, dass man gar nicht mehr auf die Idee kommt, darüber nachzudenken.
«Common Ground»
Die Architekturbiennale 2012 kuratierte überraschend David Chipperfield, der bedächtige Brite. Den oft selbstverliebten Vertretern seiner Zunft verordnete er ein radikales Programm: Nach seinem Willen ging es in Venedig um den «Common Ground», so der Titel der Ausstellung, den gemeinschaftlichen Grund und Boden. Gefordert war aber auch die Bereitschaft zum kollektiven Arbeiten: «Architektur bedarf der Zusammenarbeit», betont Chipperfield, «denn gemeinsam können wir eine grosse Wirkung erzielen, aber individuell sind wir ziemlich machtlos. Die Öffentlichkeit sieht uns meist als homogene Gruppe, die für die teilweise sehr hässliche Umwelt verantwortlich ist, und wirft uns das auch vor, oft völlig zu Recht. Aber wir arbeiten ja nicht als Team an dieser Umwelt, sondern jeder von uns isoliert. Trotzdem trägt jeder von uns zur Misere der Gesamtheit bei. Das wollte ich mit meiner Biennale formulieren. Wir Architekten sind Teil eines Ganzen, und wir sollten Wege und bessere Strategien als bisher finden, um unsere – da bin ich jetzt gnadenlos positiv – eigentlich guten Absichten auch umsetzen zu können».
Gebäude mit Persönlichkeit
Der britische Architekt hat immer auch die soziale Geste eines Hauses im Blick und glaubt fest daran, dass Gebäude Persönlichkeit entwickeln beziehungsweise menschliches Befinden ganz grundlegend beeinflussen können: «Ich liebe Gebäude, in denen die Leute sofort das Gefühl haben oh, hier möchte ich bleiben, hier ist ein schöner Platz, um den Nachmittag zu verbringen».
Ich treffe David Chipperfield bei verschiedenen Gelegenheiten: mehrfach im Rahmen der Sanierung des Neuen Museums in Berlin, danach bei der Architekturbiennale in Venedig. Doch Zeit für ein längeres Einzelgespräch bleibt nie und einen Termin zu bekommen, erweist sich als schwierig. Chipperfield ist ständig in aller Welt unterwegs, er betreut eine Menge Projekte, dazu sitzt er in Jurys und lehrt als Gastprofessor an mehreren
Universitäten: «Es gibt jede Woche Dutzende von Anfragen, ich könnte jeden Tag, egal wo ich bin, zehn Interviews geben. Aber ich käme gar nicht mehr zum Arbeiten. Die meisten Journalisten suchen gar nicht das Gespräch, sondern wollen eine Frage nach der anderen abhaken können. Ich sage etwas und sie schlucken es, egal was ich sage. So entsteht keine Kommunikation».
Ich benötige rund zwei Jahre des ständigen Nachfragens bei den Pressebetreuern von David Chipperfield, um einen Gesprächstermin mit ihm zu bekommen. Wir treffen uns schliesslich in seinem neuen Bürokomplex in der Berliner Joachimstrasse, die vermutlich die gnadenlos verkehrsberuhigste Zone der Welt ist. Hier sind maximal 10 km/h erlaubt. Hier sprechen wir über die soziale Verantwortung von Architekten, über das Wunder von nutzlosem Raum und über Architektur als die Kompensation von Landschaft.
David Chipperfield wurde am 18. Dezember 1953 im Südwesten Englands geboren, in der Grafschaft Devon als Sohn des Farmerpaars Alan und Peggy Chipperfield. Er studierte am Londoner Kingston Technical Institute und arbeitete nach seinem Studienabschluss 1977 bei Douglas Stephen sowie anschliessend im gemeinsamen Büro von Richard Rogers und Norman Foster. 1985 gründete er sein eigenes Architekturbüo David Chipperfield Architects. Chipperfield ist zu einem der wichtigsten Architekten Europas geworden, er leitet Büros in London, Berlin, Mailand und Shanghai. Er gilt als Spezialist für Museen und baute in Deutschland das Literaturmuseum der Moderne in Marbach, das Museum Folkwang in Essen oder das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel. Er wurde mit der Erweiterung des Kunsthauses in Zürich beauftragt und bekam im September 2013 den Auftrag, das Münchner Haus der Kunst zu sanieren.
Sein Werk umfasst vom Einfamilienhaus bis zu Masterplänen das ganze Spektrum moderner Architektur. Für seine Bauten und Projekte erhielt David Chipperfield eine Vielzahl von Auszeichnungen, darunter den britischen Stirling Prize, den Deutschen Architekturpreis sowie im Oktober 2013 den japanischen Praemium Imperiale für sein Lebenswerk.
Wichtige Werke
Figge Art Museum in Davenport/USA (2005)
Literaturmuseum der Moderne in Marbach (2006)
Amerika’s- Cup-Gebäude Veles e Vents in Valencia/Spanien (2006)
Neues Museum Berlin (2009)
Museum Folkwang Essen (2010)
Kunstmuseum The Hepworth Wakefield in Wakefield/UK (2011)
Bürogebäude Joachimstrasse 11 in Berlin-Mitte (2013)
Moritz Holfelder
Zwischen Nofretete und Kafka,
zwischen Einfühlung und Entdeckung.
Der britische Architekt David Chipperfield
DOM Publishers, Berlin 2014
Hörbuch
CHF 16.80. € 14.00
ISBN 978-3-86922-333-9
Ausstellungstipp Literatur & Kunst:
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Henry van de Velde im Museum Bellerive Zürich
Henry van de Velde hat als Architekt und Designer des Jugendstils weltweiten Ruhm erlangt. Ab Ende des 19. Jahrhunderts setzt sich der Flame dafür ein, «die Welt von ihrer Hässlichkeit zu befreien» und mittels neuer Ästhetik das menschliche Leben zu verbessern. Mit einem Werk das durchdrungen ist von der gestalterischen Kraft der geschwungenen Linie, wird er zu einem wichtigen Impulsgeber der Moderne.
Die Ausstellung zeigt bedeutende Objekte aus seinen Interieurs und macht Inneneinrichtungen für Wohnhäuser, Geschäfte und Galerien anhand von Fotografien und Zeichnungen erlebbar. Gegenstände des täglichen Gebrauchs repräsentieren perfekte Eleganz: Mit silbernem Besteck kann bürgerliche Esskultur erfahren oder im Geist an einem Schreibtisch Platz genommen werden – in der Hand den Brieföffner aus Elfenbein, umgeben von farbenprächtigen Stoffen und Tapeten.
28. Februar bis 1. Juni 2014
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Veranstaltungshinweise unter www.museum-bellerive.ch.