Hannah Arendt
Margarethe von Trotta
Martina Gedeck ist die Protagonistin in Marlen Haushofers Buch «Die Wand» © Filmcoopi
Die Handlung spielt in einer einsamen Jagdhütte © Filmcoopi
Wie verhält sich der Mensch in der Isolation? © Filmcoopi
Solothurner Filmtage 24. bis 31. Januar 2013
Direktorin Solothurner Filmtage Seraina Rohrer
«Der Glaube an die Macht des Subjekts»
Von Rolf Breiner
Die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta hat sich bereits mit Filmen wie «Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen» (2009) oder «Rosa Luxemburg» (1986) einen Namen geschaffen. Nun stellt die Berlinerin, die in Paris lebt, die Philosophin und Politdenkerin Hannah Arendt ins Zentrum ihres jüngsten Films.
Sie haben sich mit markanten Frauenpersönlichkeiten auseinandergesetzt. Warum nun Hanna Arendt? Wollten Sie diese weitsichtige Denkerin vor dem Vergessen bewahren?
Margarethe von Trotta: Ich wollte sie verstehen, sie hat mich angezogen. Die Linke in Deutschland hat Hannah Arendt dazumal nicht wahrgenommen, weder im Westen noch in der DDR, wo man sie quasi totgeschwiegen hat, weil sie gegen jede Art von Totalitarismus anging – von den Nazis bis Stalin. Erst nach dem Berliner Mauerfall wurde sie wieder ins Licht gerückt. Hannah Arendt ist eine wichtige starke, grandiose Persönlichkeit. Eine spannende Figur.
Ist Ihr Film nicht auch eine historische Reminiszenz für die Generation 50plus?
Mein Film ist ein Beitrag zur politischen Kultur, er ist – denke ich – spannend erzählt und hat Drive. Ich hoffe, er interessiert auch eine jüngere Generation und weckt die Neugierde. Am französischen Festival von Pessac erhielt ich den Preis der Jury und den Studentenpreis. Das macht Hoffnung.
Eine Kollegin störte sich an der Ausstattung und Frisur der Schauspielerin Barbara Sukowa. Sie hatte ein anderes Bild im Kopf. Wie weit kann Kino historischen Persönlichkeiten überhaupt gerecht werden?
Film kann nur Annäherung an eine Persönlichkeit wie Hannah Arendt sein. Barbara Sukowa hat Hannah hervorragend gespielt, meine ich. Sie hat wochenlang den deutsch-amerikanischen Akzent geübt, denn eigentlich spricht sie perfekt Englisch. Ich finde, wichtiger als das Aussehen ist die Ausstrahlung: Barbara hat den Intellekt, Denken zu spielen. Daran haben wir lange gearbeitet, es war ein work-in-progress über Jahre.
Sie sagen, Hannah Arendt sei für Sie eine aussergewöhnliche Frau, die denkt «ohne Geländer». Sie wollen eine leidenschaftliche Denkerin, die ihrer Zeit voraus war, zeigen. Wie haben Sie den Schlüssel zu dieser Persönlichkeit gefunden?
Der Schlüssel waren die Briefe etwa an den Philosophen Martin Heidegger, ihrem heimlichen Geliebten oder andere Zeitgenossen. Wir haben auch Lotte Köhler, die sehr alt, aber wach war, ihren ersten Biograph oder der Frau von Hans Jonas, einem ihrer besten Freunde, aufgesucht und gesprochen.
Warum steht Eichmann im Zentrum?
Zuerst wollten wir einen Film über das Leben Hannah Arendts machen, das hätte aber zu weit geführt für einen Film. Jetzt zeigen wir einen sichtbaren Gegner. Zu oft sind es bei dieser Problematik Gegenstände. Aber hier haben wir das Duell Eichmann – Arendt (mit Originalfilmaufnahmen des Prozesses in Jerusalem 1961, wo Eichmann zum Tode verurteilt wurde. Anmerkung Redaktion L&K).
Hannah Arendt pafft wie ein Schlot – das fällt im Zeitalter des Verbietens und Einschränkens auf. Wie sind Sie damit klar gekommen?
Hannah hätte, so erzählte mir ein Neffe in Israel, hätte noch viel mehr geraucht. Das gehört zu ihr. Sie soll ja auch mit einer Zigarette gestorben sein.
Mit Barbara Sukowa haben Sie sechs Filme gedreht. Gibt es ein neues Projekt?
Ja, ich habe ein Drehbuch geschrieben, das wir 2013 realisieren wollen. Ein fiktionaler Stoff diesmal. Barbara singt und Katja Riemann spielt mit. Kein Musical, sondern ein Gegenwartsdrama. Es soll «Die abhandene Welt» heissen.
Sie kommen im Januar in die Schweiz. Was verbindet Sie mit der Schweiz?
Ich war zur Premiere von «Hildegard von Bingen» in Zürich. Die fand mittags statt, das fand ich eigenartig. Aber der Kinosaal im Lunchkino war voll und die Menschen waren begeistert. Ich hoffe, das wird auch diesmal so sein. Ich liebe das Schwyzerdütsch. Ich habe zweimal Schauspieler in Zürich unterrichtet, je eine Woche. Bei dieser Gelegenheit auch das Grossmünster in Zürich besucht. Ein Jugendfreund von mir, Sigmar Polke, hat die zwölf neuen Kirchenfenster geschaffen.
Noch ein Wort zu Hannah Arendt. Sie ist eine Lichtgestalt, die Verständnis suchte, für Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit kämpfte und den Begriff von der «Banalität des Bösen» prägte. Wie charakterisieren Sie diesen Menschen?
Der Schlüssel zum Verständnis ihres Lebens liegt in dem Wunsch, sich eine Haltung zu bewahren, die sie selbst «amor mundi», die «Liebe zur Welt» genannt hat. Ihr Glaube an die Macht des Subjekts, das der Geschichte eben nicht hilflos gegenüber steht, auch wenn es die Erfahrung der Verletzbarkeit und des Fremdseins gemacht hat, macht sie für mich zu der aussergewöhnlichen Frau, deren «Licht noch heute leuchtet».
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Hannah Arendt
Ihr Denken veränderte die Welt
Herausgeber Martin Wiebel
Piper Verlag München
CHF 16.90
ISBN 978-3-492-30175-6
Auf der Suche nach Hannah Arendt
Wie nähert man sich einer der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts?
Diese Frage stand am Beginn von Margarethe von Trottas jüngstem Film „Hannah Arendt“. Mit dem Begleitbuch zum Film eröffent sich ein Blick hinter den Kulissen, wird das
Making of in Bild und Text sichtbar. Zugleich bietet dieser Band einen Einblick in das Werk Hannah Arendts, fragt er nach dem, was uns die grosse Philosophin und Autorin von
‚Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen’ heute zu sagen hat.
Geschichte und Geschichten – Der aktuelle deutsche Kinofilm.
Der deutsche Film hat es schwer in der Schweizer Kinolandschaft. Es ist auch das Verdienst des Zurich Film Festival, dass deutschsprachige Produktionen im Festivalrahmen aufgeführt wurden und manchmal später auch in die Kinos kamen. Ein kleiner Streifzug von der «Kriegerin» bis zu «Hannah Arendt».
Der Film «Die Kriegerin» hat fast alle wichtigen Preise in Deutschland abgeräumt (Bayrischer Filmpreis, Deutscher Filmpreis). Jüngst erst konnte die Hauptdarstellerin Alina Levshin ein Bambi entgegennehmen. Am Zurich Film Festival 2011 aufgeführt, verschwand das Drama über eine Neo-Nazibraut aus der Kinolandschaft. Das Skingirl konnte hier nicht Fuss fassen, und der Verleih Ascot Elite wird jetzt kaum noch einen Kinoversuch unternehmen. Denn eine DVD wurde bereits angekündigt.
Die Liste bemerkenswerter und sehenswerter deutscher Filmproduktionen lässt sich fortsetzen, die keine Kinochance in der Schweiz hatten. Aber nun scheint eine ganze Welle ins Kino zu schwappen.
Sie begann mit zwei Filme aus Deutschland, die ihr Publikum gefunden haben. Beide beschäftigen sich mit Frauen. «Barbara» mit Nina Hoss beschreibt die Drangsalierung einer Ärztin in der DDR, die in den Westen flüchten möchte und dann doch «opferbereit» und verliebt im Schnüffelstaat verharrt. Ein anderer Film, «Lore», wurde bereits am Filmfestival Locarno aufgeführt und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Er schildert das Schicksal eines Mädchens aus einer Nazi-Familie und ihrer Geschwister, die auf der Flucht um 1945 durch den Schwarzwald sind. Zeitgeschichte, von der Australierin Cate Shortland in Deutschland inszeniert, spannend in persönlichen Geschichten verpackt. Berührend und denkwürdig zugleich. Sehr sehenswert.
Nun kündigt sich ein dritter deutscher Frauenfilm an, der es in sich hat: «Hannah Arendt» von Margarethe von Trotta. Die gebürtige Berlinerin (*1942) hat sich auf eine markante Persönlichkeit eingelassen. Diese aussergewöhnliche Frau – Philosophin, Dozentin und Journalistin – hat den Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem verfolgt. Adolf Eichmann war ehemaliger SS-Obersturmbannführer, der massgeblich den Transport von Juden in die Konzentrationslager organisiert hatte und für millionenfachen Judenmord verantwortlich gemacht wurde. Eichmann ist im Dezember 1961 zum Tode durch den Strang verurteilt worden. Von Trotta konzentriert sich auf die Jahre um und nach dem Prozess und beschreibt eindrücklich Hannah Arendt, die deutsche Denkerin in Amerika (siehe Gespräch mit Margarethe von Trotta). Dieser Frauenfilm ist Zeitbild, Porträt und Denkansatz zugleich. Es fragt sich nur, wer sich auch auf Thema, Personen und Zeitgeschichte einlässt. Gleichwohl, der Spielfilm mit Barbara Sukowa in der Titelrolle ist intelligent, fesselt und macht neugierig. (Filmstart im Januar 2013).
Ein ganz anderes Zeitdokument hat der hessische Filmer David Sieveking eingefangen. In seinem Dokumentarfilm «Vergiss mein nicht» thematisiert er Alzheimer. Seine Mutter erkrankt an dieser Gedächtnisstörung. Er lässt sich darauf ein, erzählt, wie Vater und Sohn mit dem geistigen und körperlichen Abbau von Gretel umgehen. Es ist kein Film über die Entwicklung einer Krankheit, eines Verfalls, sondern eine Familiengeschichte, einer Rückbesinnung über Verlorenheit und Findung. Sensibel, intim, warmherzig und ganz alltäglich berührend. Der Dokumentarfilm wurde am Filmfestival Locarno mit dem Prix der Semaine de la critique ausgezeichnet. (Deutschschweizer Kinostart: 31. Januar).
Und noch ein deutscher Film bereichert unsere Kinos. «Die Wand» ist ebenfalls eine Literaturverfilmung. Und wieder steht eine Frau im Mittelpunkt: Sie (Martina Gedeck) wird in einer Jagdhütte in den Bergen zurückgelassen und ist gefangen. Sie versucht auszubrechen und stösst in der Natur auf eine unsichtbare Wand, eine imaginäre Grenze. Die Ausgesperrte wird auf sich selbst zurückgeworfen. Sie versucht zu überleben und muss sich universellen Daseinsfragen stellen. Marlen Haushofer hat ein ungewöhnliches Kammerspiel inszeniert (Kinostart: 3. Januar 2013). Untenstehend Interview von Rolf Breiner mit Martina Gedeck.
«Die grösste Arbeit fand im Kopf statt»
Interview Rolf Breiner
Ein Buch, 1963 vor fünfzig Jahren erschienen, das als unverfilmbar galt, kommt jetzt auf die Leinwand (ab 3. Januar 2013): «Die Wand». Beschrieben wird eine abgeschottete Naturwelt, in die eine Frau unversehens geworfen wird und auf sich allein gestellt ist.
Martina Gedeck spielt diese von einer unsichtbaren Wand gefangene Städterin, die zu überleben versucht, ungemein intensiv und überzeugend.
Ihr Blick ungläubig, verunsichert, irritiert. Unterwegs mit dem Hund Luchs von der Jagdhütte in den Bergen auf dem Weg ins Dorf und plötzlich ist dieses Etwas, diese unsichtbare Wand mitten auf dem Weg. «Luchs fing sofort wieder zu winseln an und drängte sich an meine Beine. Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen glatten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft. Zögernd versuchte ich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf der Scheibe eines Fensters. Dann hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, dass es mein eigener Herzschlag war, der mir in den Ohren dröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wusste.»
So beschreibt die Schriftstellerin Marlen Haushofer die erste Begegnung der namenlosen Frau mit der Wand in einer Naturidylle. Man sieht sie nicht, man spürt sie nur: Sie grenzt aus und ein, diese Wand, die einen auf sich selbst zurückwirft. Was geht in diesem Mensch vor und vor allem: Wie spielt man eine Frau in einer isolierten Welt, der nichts geblieben ist als eine Berghütte, ein paar Tiere und Natur?
Martina Gedeck, eine der markantesten Charakterdarstellerinnen Deutschlands, hat diese Rolle angenommen. Die 1961 in München geborene Schauspielerin wirkte in über 65 Filmen mit. Aber dieser unwirklich wirkliche Part edeutet wohl eine der grössten Herausforderung ihrer Karriere. Wir trafen die Wahlberlinerin (seit 1971) in Zürich zu einem intensiven Gespräch für Literatur & Kunst. Locker und erwartungsvoll – Martina Gedeck absolviert ihren Schweizer Part mit professionellem Interesse.
Ein Buch «Die Wand», das dazumal bei der Frauenbewegung – und nicht nur dort – grossen Anklang fand, ist in der Versenkung verschwunden, sich nun aber wieder dank der Verfilmung durch Julian Roman Pölsler in den Buchhandlungen findet. Wann sind Sie auf den Stoff gestossen?
Martina Gedeck: Ich habe das Buch damals als Zwanzigjährige als Geschenk bekommen und gelesen und habe vieles nicht verstanden. Vor vier Jahren kam Regisseur Pölsler auf mich zu. Ich sollte mir das mal anschauen. Ich war dabei. Es hat noch ein Jahr gedauert, bis alles, Geld usw., zusammen war.
Waren Sie von Anfang die Favoritin des Regisseurs Pölsler?
Ja.
Der Roman spielt in Österreich. Haben Sie auch dort gedreht?
Ja, nur in Österreich.
Die Autorin hatte ihre genaue reale Vorstellung des Schauplatzes, der Hütte. Das hatte mit ihrer eigenen Biografie zu tun.
Das Tal und die Berge gibt es, aber wir haben aus logistischen Gründen in der Nähe gedreht.
Der Regisseur hat sich bemüht, sehr naturalistisch zu drehen. Das gibt doch erhebliche Probleme…?
Es ist richtig, wir mussten uns nach dem Wetter, den Jahreszeiten richten. Wir mussten unsere Pläne kurzfristig ändern. Wir sind mit unserer kleinen Equipe, die rund ein Dutzend Leute ausmachte, sehr flexibel damit umgegangen.
Das Team ist also jahreszeitlich vorgegangen. Und wie war es mit den Szenen, als die Frau in der Berghütte beginnt zu schreiben?
Diese Passagen haben wir am Stück gedreht, in etwa zwei Wochen, einmal im Winter, einmal im Sommer.
Die Dreharbeiten zogen sich über anderthalb Jahre hin. Konnten Sie in dieser Zeit aus der Figur aussteigen?
Eigentlich nicht. Solange das Filmvorhaben nicht zu Ende ist, bleibt man damit in Verbindung und trägt die Figur im Gepäck.
Wie haben Sie sich auf die Einsamkeit eingelassen, sich mit diesem Einsiedlerleben beschäftigt?
Alleinsein ist mir nicht fremd. Ich habe etwas gemacht, was ich kannte, aber auch während dieser Zeit in einer Hütte gewohnt, teilweise unter gleichen Bedingungen wie im Film. Das war mir ein Bedürfnis. Ich kenne das Landleben.
Ihre Gefährten im Film sind Vierbeiner, der Hund Luchs, eine Kuh, ein Kalb, zwei Katzen und dazu eine weisse Krähe. Wie haben Sie diese Herausforderung geschafft?
Vor der Kuh hatte ich etwas Angst, aber das gab sich. Ich war mit ihr viel zusammen, habe mit ihr gesprochen und sie gemolken. Ich habe auch gelernt, mit der Sense zu arbeiten. Das war schwierig und harte Arbeit.
Der Film ist dem Buch sehr nah. Man spürt die Zeilen…
Alles, was ich spreche im Voice-over-Text, stammt aus dem Buch. Es ist alles genau beschrieben, und wir haben es so gemacht, wie es im Roman steht. Dem Regisseur Pölsler ist dieser Text heilig. Man kennt das Buch in Österreich, es ist Schullektüre und eine Art Nationalgut.
Es gibt den Spruch: Der ist gegen die Wand gelaufen Sie sind es. Wie war das, wie macht man das?
Ich hatte einen Pantomimen, der mir gezeigt hat, wie man mit oder gegen eine unsichtbare Wand spielt. Wir hatten auch spezielles Glas, das nicht spiegelte. Aber die grösste Arbeit fand im Kopf statt. Man musste sich diese Situation vorstellen, aber ich weiss, ehrlich gesagt, nicht, wie ich das gemacht habe. Der Regisseur war mir eine grosse Hilfe und hat mir genaue Anweisungen gegeben.
Sie mussten etwas Nichtgreifbares greifbar zu machen.
Das war wirklich schwer, auch mit dem Hund. Und dann die Angst, wenn der Frau bewusst wird, dass sie einer Wand ausgeliefert ist. Da muss man alle Schleusen aufmachen. Das ist eine Schocksituation, die alles, auch den Verstand, übersteigt. Eine Traumatisierung. Ein bisschen ist es, als ob man den Verstand verlieren würde.
Mit dem Aufprall auf die Wand werden Sie auf sich selbst zurückgeworfen. Kann ein Mensch eine totale Isolation aushalten?
Er kann es geistig nur überleben, indem er sich eine Rettungsinsel baut und quasi sein Revier absteckt. Diese Situation erinnert ein bisschen an das Leben in der DDR: Es ist vielleicht nur ein Spitzel da, aber ich weiss nicht, wer das ist. Es kann jeder sein. Also bin ich in meiner Freiheit völlig eingeschränkt, weil ich nicht mehr frei sprechen oder bewegen kann. Das heisst: Du bist gelähmt und musst damit klarkommen. Die Frau hier bestimmt ihre Welt: Das ist mein Haus, meine Lichtung, meine Tätigkeit fürs Überleben, das sind meine Tiere, für die ich sorgen muss. Das ist mein Programm. Das ist ziemlich klug: Sie löst sich nicht auf in Emotionen oder Wahnsinn, sondern baut sich eine Struktur. Das benötigt eine hohe Konzentration. Sie driftet nicht ab in die Gefühligkeit. Und das habe ich versucht darzustellen.
Diese Frau macht eine Entwicklung durch – von der Städterin, zur Hüttenbewohnerin, zur Jägerin und letztlich zur Kriegerin, als sie einem Eindringling begegnet.
Richtig. Die Autorin Haushofer hat gesagt, dass alle Figuren Teil von ihr sind. Für mich verkörpert der Eindringling Gewalt, Zerstörung. Er kann auch ein Spiegelung von ihr selbst sein: die Verkörperung von Aggression-, Hass- und Destruktionspotenzial. Das ist etwas im Menschen drin ist, das plötzlich auftaucht und nicht in den Griff zu kriegen ist, ausser man tötet es. Dieser Mann ist so etwas wie das archaische zerstörerische Böse.
Aber es gibt auch andere Interpretationsmöglichkeiten dieses Mannes…
Ja, dieser Eindringling ist auch eine Erscheinung, die sie selber hätte werden können, wenn sie nicht verortet und Bezüge geschaffen hätte, die eben auch Bezüge der Liebe sind. Das war ihre Rettung.
Als der Fremde über ihre Tiere herfällt, erschiesst die Heldin ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie kam das?
Sie stellt sich nicht die Frage: Warum habe ich den Mann erschossen, sondern warum hat er meine Tiere getötet. Er bedroht ihr Leben, aber er ist auch ein potenzieller Partner – nicht der Hund. Ich habe mir gedacht: Diese Frau ist traumatisiert, sie hat vielleicht den Kontakt zur Welt abgebrochen und sich gesagt, dass alle dort draussen tot sind. Die unsichtbare Wand schützt mich. Dieser Person ist nur mit dem Wesentlichen ausgestattet, den ursprünglichen Triebkräften. Und dafür stehen die Tiere. Der Mann will sein Terrain erobern und tötet die männlichen Energien, den Stier und den Hund. Diese sind die Ersatzpartner von ihr.
Sie haben den Begriff Jetztzeitfrau geprägt. Was verstehen Sie darunter?
Wir haben beim Drehen die Figur ganz praktisch aufgeteilt. Wir sprechen von einer Frau der Gegenwart, die schreibt, und die der Vergangenheit, die Jägerin, die Vergangenheitsfrau. Alles was in der Gegenwart spielt, betrifft die Jetztzeitfrau.
Was bedeutet für Sie der Begriff Wand – Schutz oder Abschottung, Einengung oder Ausgrenzung?
Für mich ist es primär eine Eingrenzung. Die Wand war für mich als Filmfigur mit Grauen behaftet. Als reflektierende Schauspielerin weiss ich auch, dass diese Wand Schutz ist, weil die Person zu sich kommen kann, weil sie ihre Fähigkeiten und Potenziale kennenlernt.
Buch und Film beschreiben auch eine Lebenshaltung, ein Lebensgefühl, eine Entwicklung.
Genau. Diese Frau sagt am Anfang: Die Angst kriecht von allen Seiten auf mich zu. Ich muss jetzt schreiben, sonst verliere ich den Verstand. Am Schluss hat sie keine Angst mehr.
Wie ordnen Sie diese Rolle in Ihrer Karriere ein?
Das ist schon eine Art Wendepunkt, eine aussergewöhnliche schauspielerische Aufgabe. Eine intensive Erfahrung. Ich musste pur sein im Spiel – da haben sich für mich neue Räume eröffnet. Das, was ich mir immer gewünscht habe, hat sich irgendwie erfüllt.
Martina Gedeck (Sternzeichen: Jungfrau) hat in über 65 Filmen mitgewirkt hat – als Topköchin in «Bella Martha» (1999), im TV-Drama «Auf ewig und ein Tag» (2006) von Markus Imboden, mit dem sie nun «Am Hang» drehte, Sie trat in diversen Fernsehserien («Liebling Kreuzberg») auf, spielt im deutschen Drama «Das Leben der Anderen» (2006, Oscar) und beeindruckte als Ulrike Meinhof in «Der Baader Meinhof Komplex» 2008). Martina Gedeck spielt aktuell an der Seite von Jeremy Irons in «Nachtzug nach Lissabon» (Regie Bille August) und mit Klaus Maria Brandauer im Fernsehdrama «Die Auslöschung» (20. Februar, ORF). Martina Gedeck, mit einigen Preisen bedacht (Bundesfilmpreis 1997 für «Rossini» und «Das Leben ist eine Baustelle», Goldene Kamera (2003), Bayerischer Filmpreis 2007).
Eine Reise durch Kulturen und Katastrophen, ein Netzwerk aus Beziehungen und Abhängigkeiten, eine brillante Performance zwischen den Genres.
Ein ganz anderes Kaliber ist das monumentale Kinoepos «Cloud Atlas». Darüber könnte man sich seitenweise auslassen, aber besser wäre es, ihn zu sehen und zu diskutieren: Das 170-Minuten-Werk von Tom Tykwer («Lola rennt») und dem Geschwisterpaar Lana und Andy Wachowski («Matrix») hat eine eigene Geschichte und bringt scheinbar unverfilmbare Geschichten auf die Leinwand. Und die hat David Mitchell ersonnen, sein verschachtelter Roman mit weitläufiger Erzählstruktur erschien 2004 und umspannt mehrere Jahrhunderte.
Das Regie-Trio verknüpft die verschiedenen Zeit- und Erzählebenen mit einem Trick: Die Schauspieler spielen sich durch Zeit und Raum, wechseln die Figuren und Masken wie andere ihr Hemd – Tom Hanks und Halle Berry, Susan Sarandon. Jim Broadbent und Hugh Grant. Und so geistern und kämpfen, abenteuern und lieben sie sich von stürmischer Seefahrt im 19. Jahrhundert bis in ferne Zukunft mit Klonen und Rebellen.
Das gewaltige Mix-Bilderwerk springt unvermittelt in verschiedene Epochen zu sechs Geschichten und Schicksalen, vom Meer in wilde Bergwelten, vom Landhaus zur futuristischen Stadt Neo-Seoul. Wildnis. In das vielschichtige Erzählmonstrum haben vor allem Europäer (auch die Basler Mäzenin Gigi Oeri), aber nicht die grossen US-Studios über 100 Millionen Franken investiert – ist in seiner Art einzigartig.
Schier übergangslos driftet der Zauberfilm zwischen Abenteuer und Science Fiction, Romanze und Thriller, Melodram und Gesellschaftstragödie. Auch wenn die Produktion ausserhalb Hollywoods realisiert wurde (in den Berliner Babelberg Studios, auf Mallorca und anderswo), ist der fulminante «Wolkenatlas» ein Anwärter auf den Oscar in den Kategorien Maske und Schnitt. Selten hat man im Kino solche nahtlosen Übergänge zwischen den Episoden gesehen. «Cloud Atlas» – das ist grandiosen Kino ausserhalb des Mainstream, kein Popcorn-, kein Action- oder reizvolles Unterhaltungskino, sondern eine Bilderschöpfung, die eine literarische Vorlage quasi an die Wand spielt.
Die angesprochenen Filme haben eines gemeinsam: Sie haben europäische Wurzeln, sind ungewöhnlich und bieten keine Pop-Unterhaltung. Sie sind Kultur und Ausdruck der Gesellschaft.
«Solothurn: Nabel der Schweizer Filmwelt»
Von Rolf Breiner
Mag das Filmfestival von Locarno auch älter sein (Gründungsjahr 1947), so hat sich Solothurn seit 1965 zum Nabel der Schweizer Filmwelt entwickelt. Was das Weltwirtschaftsforum für Davos, sind die Filmtage für Solothurn. Jeweils Ende Januar wird die Ambassadorenstadt zum nationalen Stelldichein der Filmbranche – mit internationaler Beachtung, heuer zum 48. Mal vom 24. bis 31. Januar 2013.
Hätte Gründervater Stephan Portmann je gedacht, dass die Filmtage in der Kleinstadt an der Aare zu einem Publikumshit werden würden? Dem Ahnherr Portmann – er wurde 1987 von Ivo Kummer abgelöst und starb vor 10 Jahren 2003 in Guatemala – ist übrigens eine Ausstellung in der Freitagsgalerie gewidmet (Vernissage am 26. Januar), zusammengestellt von seiner Lebenspartnerin Gertrud Pinkus. Der Publizist, Medienpädagoge, Filmproduzent und Filmtage-Chef wäre am 1. Januar 2013 80 Jahre alt geworden.
Das Interesse an den Solothurner Filmtagen wächst kontinuierlich von Jahr zu Jahr. Waren es 2012 rund 57 000 Eintritte, werden es in diesem Jahr annähernd 59 000 oder 60 000 sein, stehen doch dank des neu aktivierten Konzertsaals 5000 Plätze mehr zur Verfügung.
599 Filme wurden eingereicht, rund 180 Filme angenommen und werden aufgeführt. Das wären zwar leicht weniger Filme als 2012, unterstreicht die Direktorin Seraina Rohrer, aber die Spielzeiten blieben insgesamt etwa gleich. Das läge daran, dass die Filme, vor allem die Kurzfilmer länger geworden seien. Die Solothurner Filmgastgeber sind bereit, mit der 35-jährigen Zürcherin Seraina Rohrer (aus Männedorf) an der Spitze, die nun ihre zweiten Filmtage präsentiert.
Bereits 2012 nach der ersten Ausgabe resümierte die neue Direktorin Seraina Rohrer, dass Solothurn an Kapazitätsgrenzen gestossen sei. Mehr Platz musste her. Nun konnten die Filmtageorganisatoren den ehrwürdigen Konzertsaal mit 450 Plätzen, der vor gut zehn Jahren (2001) still gelegt wurde, aktivieren und wiederbeleben – mit neuen Stühlen, wie Daniel Fuchs, Leiter der Geschäftsstelle PR & Sponsoring, an der Presseorientierung verschmitzt bemerkte.
Solothurn wächst. Mehr Plätze dank des Konzertsaals. Wem kommt das zugute, den Filmen, dem Publikum? Welche Absichten verfolgt Seraina Rohrer?
Seraina Rohrer stellt klar: «Unser Ziel war, nicht mehr Filme zu zeigen, sondern dem Publikum den Zugang zu den Filmen zu erleichtern. Wir hatten letztes Jahr das Problem, dass die Leute anstanden und teilweise nicht mehr ins Kino kamen. So haben wir auch die Situation in den Canva-Kinos entspannt und zeigen dort einen Film parallel in den beiden Sälen. Auch eine leicht gestaffelte Programmierung sollte die Situation entspannen.»
Ist die Aktivierung des Konzertsaals Ihnen und den Sponsoren zu verdanken?
«Für mich war 2012 ganz klar, dass ich die Situation etwas verändern muss, wenn die Leute die Freude am Kino nicht verlieren sollen. Es ist natürlich schön, dass die Raiffeisenbank, die Stadt, der Bund und die anderen Partner mitziehen.
Das bedeutet: Das Budget wurde leicht erhöht. Wie hoch?
«Es ist richtig: Das Budget wurde leicht erhöht. Im letzten Jahr hatten wir ein Defizit von knapp 120 000 Franken. In diesem Jahr streben wir ein ausgeglichenes Budget an. Es beträgt in diesem Jahr knapp 2,9 Millionen Franken.»
Und wie viel trägt das Publikum zum Budget bei?
«Zirka 40 Prozent. Das sind Eintritte, Mitgliedschaften, Erträge aus der Gastronomie. Das sind die eigen erwirtschafteten Leistungen.»
Die Festivals und Filmtage von Locarno, Nyon oder Baden bis zu Winterthur und Zürich boomen, Was macht die Solothurner Filmtage auch heute noch so attraktiv?
«Die Filmtage haben eine ganz klare Ausrichtung. Sie sind die Werkschau des Schweizer Films. Zuschauer können sich in diesem Jahr rund 30 Premieren, aber auch Reprisen anschauen. Hier in Solothurn kann man sich selbst ein Bild über das Schweizer Filmschaffen machen kann, man kann mit den Filmschaffenden in Kontakt treten. Diese Möglichkeiten haben wir ausgebaut: Bei jeder Vorstellung ausser in der Reithalle gibt es Publikumsgespräche. Das Erfahren von Film, dieser Moment des Austausches – das ist uns ein wichtiges Anliegen.»
Das Herzstück der Filmtage ist das Panorama. Dazu gibt es weitere Sektionen wie die Rencontre, die heuer dem Mailänder Regisseur mit Tessiner Wurzeln, Silvio Soldini, gewidmet ist. Diese Retrospektive umfasst 15 Werke. Dann steht das Programm Fokus unter dem Titel «Radikales Kino heute». Hier werden verschieden Filme aus verschiedenen Ländern und verschiedener Machart gezeigt. Was will diese Sektion?
Der Fokus bietet einen Austausch zwischen nationalen und internationalen Branche. Wir haben wichtige Leute wie die Filmer Carlos Reygades («Post Tenebras Lux», Jurypreis in Cannes 2012), Ulrich Seidl («Paradies: Glaube», «Paradies: Liebe») oder Jazmin Lopez («Leones») zu Gast, national ausserdem Thomas Imbach mit seinen Filmen «Happiness is a Warm Gun» oder «Lenz». Hier ist das Ziel, dass die Branche sich mit dem Thema ‚Was ist heute radikales Kino?’ auseinandersetzen kann. Dabei definieren wir Radikalität als eine Art Verunsicherung, also Filme, die es immer noch schaffen, die Zuschauer zu destabilisieren, und die sich nicht einordnen lassen.»
«Upcoming» nennt sich ein Programm, das dem Nachwuchs eine Plattform bietet. Ist das Ihre Art der Nachwuchsförderung? Wollen Sie damit ein jüngeres Publikum in die Säle locken?
«Das geht Hand in Hand. Mit Filmen von Jüngeren kann man auch eine jüngere Generation interessieren. Ausserdem organisieren wir viele Schulvorführungen, mit denen wir früh die Begeisterung für Kino wecken wollen. Diese Vorführungen sind bei Schülern ein sehr willkommener Anlass. Man sieht. dass Filme gute Gelegenheiten bieten, sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen.»
Wenn man auf Schweizer Filmjahr 2012 zurückblickt, fallen einem Flops wie «Das Missen Massaker» (auch in Solothurn zu sehen) ein, aber nur wenige Spielfilme wie «Der Verdingbub» oder «L’enfant d’en haut/Sister», die beim Publikum und an Festivals ankamen. Wie beurteilen Sie den Jahrgang?
«Es gab aber auch herausragende Beispiele wie Ursula Meiers Spielfilm und starke Dokumentarfilme wie beispielsweise «More Than Honey». Es ist schwer, in der Schweiz alljährlich Bilanz zu ziehen, weil die Produktionszahl verhältnismässig klein ist. Da tappt man schnell in die Falle, kurzfristige Schlüsse zu ziehen. Ein Zeithorizont, um über Schweizer Filme Bilanz zu ziehen, wären fünf Jahre ideal. Da sieht man die Bewegungen. Ich finde das Jahr ganz erfreulich etwa mit ‚More Than Honey’, ein Film mit Haltung, der das Medium ausnutzt, oder mit ‚Hiver Normad’, der Dokumentarfilm, der den Europäischen Filmpreis gewann. Ich bin mit dem Jahrgang 2012 zufrieden.»
Es fällt auf, dass Filme wie «More Than Honey» oder «Sister» griffige Titel haben, im Ausland nicht spezifisch als Schweizer Filme wahrgenommen werden.
«Bei diesen Filmen ist der Funken nicht nur beim Schweizer Publikum gesprungen. So sollten Schweizer sein: Im Idealfall kann man eine lokale Geschichte erzählen, die aber eine globale Dimension hat und auf internationales Interesse stösst.»
Zurück nach Solothurn. Was erhoffen, erwarten Sie von der 48. Ausgabe? Wie bestehen Sie gegenüber der Konkurrenz in Zürich oder Locarno
«Wir bieten die Werkschau des Schweizer Films. Das gibt es nur bei uns. Wir wollen das Filmerlebnis Film stärken, diese Einmaligkeit der Begegnung mit Filmschaffenden. Das Ambiente in Solothurn ist familiär, aber der Kreis geht weit über das Familiäre hinaus. Die Stadt ist ideal wegen ihrer Kompaktheit. Man begegnet sich fast automatisch immer wieder. Solothurn bietet eine Nische für Gespräche, für gesellschaftliche Fragen.»
Worauf freuen Sie sich besonders bei den Filmtagen 2013?
«Ich freue mich einfach auf die zweite Ausgabe, weil ich das Gefühl habe, dass ich nach der Feuerprobe weiss, wies läuft, auf verschiedene Begegnung etwa mit Soldini. Ich bin gespannt auf den Fokus, den Austausch der Branchen, der zum ersten Mal stattfindet.»
Wo gibt’s Problemstellen?
«Bei einem Festival weiss man nie so recht, was alles passieren kann. Dieses Risiko gehört dazu. Organisatorisch sind wir gut gerüstet. Eine grosse Herausforderung ist auch, dass wir keine 35mm-Filme im Panorama zeigen, sondern nur noch im DCP-Format. Das bedeutet: Die gesamte Filmlogistik mussten wir total umkrempeln.»
Übrigens, die 48. Solothurner Filmtage werden am Donnerstag, 24. Januar 2013, von Bundesrätin Simonetta Sommaruga eröffnet. Eröffnungsfilm: «Rosie» von Marcel Gisler.
Preise und Ehrungen
Prix d’Honneur (10 000 Franken), gestiftet von den Gemeinden im Wasseramt, an Beki Probst, Berner Kinoleiterin und Leiterin des Filmmarkts der Berlinale.
Schweizer Fernsehfilmpreis (10 000 Franken) an Schauspieler und Schauspielerinnen: Marie Leuenberger («Hunkeler und die Augen des Ödipus»); Peter Freiburghaus («Nebelgrind»); Virginia Meiserhans (in der Serie »L’heure du secret») und Herbert Leiser («Der Teufel von Mailand»).
Prix Pathé (10 000 Franken) an Florian Keller (TagesAnzeiger) und Lisa Röösli (SF).
Prix de Soleur, Jurypreis (60 000 Franken), verliehen am 31. Januar 2013 im Landhaus (18.00 Uhr).
Prix du Public 2013 (20 000 Franken), verliehen am 31. Januar im Landhaus (18.00 Uhr)
Agenda Solothurn 2013
Donnerstag, 24. Januar 2013: Eröffnung der Filmtage in der Reithalle (17.30 Uhr): Premiere «Rosie» von Marcel Gisler (auf Einladung).
Freitag, 25. Januar: Konzert Baby Jail zur Premiere des Films «Baby Jail» (17.30 Uhr, Palace) im Kino am Uferbau (ab 23.15 Uhr).
Samstag, 26. Januar: Vernissage der Ausstellung «Hommage an Stephan» in der Freitagsgalerie (ab 15 Uhr). Vernissage der Ausstellung «Philippe Antonello – Photographer» im Künstlerhaus S11 (ab 16 Uhr). Gespräch mit Alba Rohrwacher (Kino Palace, 17 Uhr) über «Nackte Haut im Schweizer Film», Filmprogramm und Podiumsgespräch im Kino Capitol (ab 21 Uhr). Upcoming Award und Party im Kino Uferbau, Projektion der Gewinnerfilme (ab 21.30 Uhr).
Sonntag, 27. Januar: Fokus – Ulrich Seidl im Gespräch im Kino am Uferbau (14 Uhr). Silvio Soldini im Gespräch mit Bruno Ganz im Kino Palace (14 Uhr). Reden über Film: «Die (Über-)Präsenz des Alters im Film» im Kino im Uferbau (15 Uhr).
Montag, 28. Januar: Carlos Reygadas im Kino am Uferbau (10.30 Uhr, Thomas Imbach im Kino am Uferbau (12 Uhr). Podiumsdiskussion «Radikales Kino produzieren und verleihen» im Kino am Uferbau (14 Uhr). Fokus-Party im Kino am Uferbau (ab 21.30 Uhr).
Dienstag, 29. Januar: Neue Schweizer Filme im Gespräch im Kino am Uferbau (ab 15 Uhr). Konzert von Les Reines Prochaines im Kino am Uferbau (ab 20 Uhr) zur Premiere des Films (17.30 Uhr im Konzertsaal).
Mittwoch, 30. Januar: Podiumsdiskussion «Der digitale Filmkonsum – ein Übel?» im Kino am Uferbau (10.30 Uhr). Nacht der Nominationen im Konzertsaal (ab 19.30 Uhr) für Schweizer Filmpreis (auf Einladung). Party (ab 22 Uhr) im Solheure.
Donnerstag, 31. Januar: Soirée de clôture: Preisverleihung Prix du Public und Prix de Soleure im Landhaus (18 Uhr auf Einladung). Gewinnerfilme: Prix de Soleure im Kino Palace (20.30 Uhr), Prix du Public im Landhaus (20.30 Uhr).
«Der bewegte Mann»
Von Rolf Breiner
Gasthaus Leonhardt nahe beim Stuttgarter Platz in Berlin, – lokale Beiz und internationaler Treffpunkt zugleich, geführt von einem Briten und einer Peruanerin -, liegt für den Schauspieler Anatole Taubman just um die Ecke. Der Wahlberliner aus der Schweiz hat hier sein Zuhause gefunden.
Wir trafen uns, nicht zum ersten Mal an diesem Ort, zu einem Gespräch über sein Engagement auf der Leinwand, seine Pläne und Aktivitäten. Man hat das Gefühl, er stehe immer unter Speed, unter Druck, aktiv von den Fingerspitzen bis zur hohen Stirn. Ein bewegter Mann, der vibriert, der mit seinem Enthusiasmus ansteckt und ständig Feuer entfachen möchte…
Anatole Taubman fühlt sich in der Welt und seiner Familie zuhause. Der im Zeichen des «Steinbock» 1970 in Zürich geborene Schauspieler lebt seit einigen Jahren in Berlin mit seiner Lebenspartnerin, der Schauspielerin Claudia Michelsen und der gemeinsamen Tochter Tara (9).
Im Oktober und November 2012 wirkte er beim Schweizer Fernsehfilm «Nur ein Schritt» mit. Nach diversen «bösen» Charakteren, etwa im Vierteiler «Die Säulen der Erde» (2010) als diabolischer Mönch oder im Bond-Streifen «Quantum of Solace» (2008) als kleiner Gangster, der mit seiner Mutter auf Schwyzerdütsch telefoniert, kann er jetzt den Vorsteher der israelitischen Gemeinde, Siegfried «Sidney» Dreifuss, in einer neuen Rolle verkörpern.
Das Drama «Nur ein Schritt», Regie Alain Gsponer, rekapituliert ein kleines Geschichtskapitel. Es geht um den St. Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger, gespielt von Stefan Kurt, der in den Dreissigerjahren Flüchtlingshilfe illegal leistete und deswegen 1939 entlassen wurde.
Ruth Dreifuss, die ehemalige Bundesrätin, sei übrigens die Tochter von Siegfried Dreifuss, erläutert Taubman. «Sidney, ursprünglich Textilkaufmann, beherrschte sieben Sprachen, er war ein Menschenfreund und Humanist. Der Staatsbeamte und Polizeidirektor Paul Grüninger hat zwischen 1938, der Grenzschliessung, und 1939 Tausenden von Juden die Einreise in die Schweizer ermöglicht und viele Leben gerettet, bis er verhaftet wurde.»
Rehabilitiert wurde der angeprangerte Held erst in den Neunzigerjahren. Der Fernsehfilm wird voraussichtlich im Herbst ausgestrahlt.
Eine andere Rolle liegt Taubman sehr am Herzen, und zwar als Polizist Uwe Hansen: «Hansen ist ein rechtschaffener Polizist, der zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn an seine Grenzen stösst. Er muss eine moralische Entscheidung fällen, schliesst er die Augen vor dem, was passiert, oder übernimmt er Verantwortung und verstösst gegen das Gesetz…?»
Im Fernsehfilm «Operation Zucker», der am 16. Januar von der ARD ausgestrahlt wird, geht es um Kinderhandel und –missbrauch.
Das zehnjährige Mädchen Fee wurde von ihren Eltern in Rumänien verschachert und nach Berlin transportiert. Dort soll Fee zusammen mit anderen Kindern «angesehenen» Herren in einem Club dienen. Sie kann bei einer Razzia zusammen mit ihrem Kumpan Bran fliehen. Kommissarin Karin Wegmann (Nadja Uhl) und ihr Kollege Hansen (Anatole Taubman) ermitteln. Die Staatsanwältin Dorothee Lessing (Senta Berger) ist zutiefst betroffen.
Der Film mit dem etwas willkürlichen Titel «Operation Zucker», inszeniert von Rainer Kaufmann, greift einen Fall beispielhaft auf, der sich tagtäglich abspielt: Kinderhandel und Kinderprostitution. Die UNICEF geht davon aus, dass täglich 3000 Kinder Opfer von Menschenhändlern werden.
In Rumänien werden Geburtsurkunden nicht selbstverständlich ausgestellt. So werden viele unregistrierte Kinder verkauft, verschoben, verraten.
Anatole Taubman hat sich selbst als UNICEF-Spokesman ein Bild vor Ort gemacht. «Das Mädchen Fee in unserem Film ist keine Fiktion, das wurde mir klar», erzählt Taubman.
Was bringen Reisen wie diese nach Rumänien oder Afrika? «Ich kann die Welt nicht retten, aber als Künstler Seismograph der Welt sein und Aufmerksamkeit wecken.» Das wird er sicher auch im Leipziger «Tatort: Schwarzer Afghane», Ausstrahlung demnächst. Er ist auch im 3D-Thriller «Lost Place» zu sehen. (Start: 11. April).
Anatole Taubman ist auch als Goodwill-Ambassador für BBC Worldwide Trust unterwegs – in Turkmenistan und jetzt Ende Januar in Kirgistan. Dort soll die erste kirgisische Soap Opera entstehen. «Wir leisten dort Entwicklungshilfe im Bereich Film und Fernsehen. Ein Pilotfilm zur Serie soll produziert werden.»
Und da wäre noch die eigene Firma Lailops Pictures, die er 2006 zusammen mit Nils Dünker gegründet hatte. Ursprünglich eine reine Stoff-Makler-Firma. Nun will Anatole Taubman eine eigene Produktion auf die Beine stellen. «Wer war Bond wirklich, wer war das Vorbild?» fragt Taubman. «Es war Sydney Reilly, russisch-jüdischer Abenteurer und Doppelagent. Bereits 1983 gab es eine Mini-TV-Serie unter dem Namen «Ace of Spies».
Jetzt will Taubman zum grossen Wurf ansetzen und die Geschichte, welche James Bond quasi zum Leben verhalf, verfilmen. Darauf freut er sich wie ein Schneekönig.
Taubmans Herz schlägt auch für den englischen Fussball, speziell für Manchester United. Sein Club steht an der Spitze der Premiere League, nach dem letzten 2:1-Sieg gegen den FC Liverpool. Anatole «Toli» Taubman – den Spitzname Toli verlieh ihm Tom Hanks – träumt davon, einmal mit ManU ins Stadion Old Trafford einzulaufen, verriet er einem Reporter. Da heisst es : trainieren! Doch eher wird er wohl der Queen vorgestellt, als je mit Sir Alex Ferguson die Bank zu teilen, aber wer weiss…?
Seine Bindung zur Schweiz ist ungebrochen. Seine Mutter lebt in der Innerschweiz, er besucht sie, so oft sich eine Gelegenheit bietet.