«Reni Eddo-Lodge: Der Zorn ist eine treibende Kraft»
Von Marion Löhndorf
Die Autorin Reni Eddo-Lodge möchte mit Weissen eigentlich nicht mehr über ihre Hautfarbe reden, denn zu sehr ermüden sie die Vorurteile. Sie tut es trotzdem – auch in Zürich.
Der Titel ihres Bestsellers provoziert: «Warum ich nicht länger mit Weissen über Hautfarbe spreche.» Das klingt nach einem sehr persönlichen Bekenntnis und so, als ob Reni Eddo-Lodge nach langen Kämpfen bei einer strengen Entscheidung angelangt wäre.
Vor der Begegnung mit der Autorin denke ich also: Ich bin weiss, sie ist schwarz, in ihrem Buch geht es um Hautfarbe. Werden wir reden? Klar tun wir das. Die 29-jährige Londonerin ist aufmerksam, offen und alles andere als wortkarg. Denn Reni Eddo-Lodges deutliche Ansagen sind auch eine Einladung zum Dialog. Aber nur, wenn er mit fairen Mitteln geführt wird. «Man weiss nie, wie sich ein Gespräch über Rassismus und Hautfarbe in eine Diskussion verwandelt, bei der man um die eigene Sicherheit und Unversehrtheit fürchten muss», erklärt sie in ihrem literarischen Überraschungserfolg, der aus einem Blog hervorging. Im März trat die Autorin im Literaturhaus in Zürich auf.
Fremd in der Heimat
In ihrem vielgelesenen Blog war sie nach zahlreichen Anfeindungen an einem Punkt angelangt, an dem sie die Diskussion abbrechen wollte und das auch bekanntgab. Der betreffende Eintrag wurde tausendfach geteilt, und sein Schlüsselsatz bildet nun den Titel ihres Buches .«Als ich den Blog-Post verfasste, war es mir todernst damit», sagt sie heute. Es gehe ihr mit dem Buch darum, zu sprechen und gehört zu werden, ohne dass man sie unterbreche, was ihr vor der Veröffentlichung dauernd passiert sei. «Und ich engagiere mich immer noch nicht in Konversationen mit Weissen, in denen ich Wut und Feindseligkeit begegne.»
Warum ihr so viel Aggression entgegenschlägt? Weil sie den strukturellen Rassismus in ihrem Geburtsland Grossbritannien anprangert und seine Machtmechanismen und Traditionen erklärt. Weil sie findet, dass es an den Weissen sei, diese Strukturen anzuerkennen, denn: «Weiss-Sein positioniert sich als Norm.» Dabei schreibt – und spricht – sie zwar ungehalten und furchtlos, aber mit besonnener Stimme über die Bedingungen, die sie vorfindet, erlebt und recherchiert hat: «Vergessen wir das Politikergerede über das angeblich tolerante Grossbritannien. Es erfordert wahrhaft Toleranz, in dem Land, in dem man geboren wurde, ständig wie eine Ausserirdische angeschaut zu werden.»
Ihre Behauptungen will sie mit Fakten belegen. In ihrem Buch skizziert sie die Geschichte des Rassismus in Grossbritannien vom britischen Sklavenhandel bis in die Gegenwart. So entdeckt Eddo-Lodge auch heute den Widerwillen feministischer Aktivistinnen in ihrem Land, das Problem Hautfarbe in den Diskurs einzubeziehen. Sie beklagt den Mangel an nichtweissen fiktionalen Helden und Heldinnen und die gefährliche Vorliebe der neuen Rechten, sich für die «weisse Arbeiterklasse» einzusetzen und so zu tun, als ob diese gegenüber Nichtweissen benachteiligt wäre. «Das sind erneut hochgewürgte Ängste, die nahelegen, dass die wahren Opfer von Rassismus Weisse sind», schreibt sie.
Ihre Kritik macht auch vor gutmeinenden, liberalen Weissen nicht halt. Deren oft wiederholten Satz, sie seien «farbenblind», lässt Eddo-Lodge nicht gelten: «Weisse Liberale sagen das und glauben, sie seien progressiv. Aber in unseren Institutionen, vom Wohnungsmarkt bis zum Gesundheitssystem, gibt es immer noch drastische Ungleichheiten, die auf der Hautfarbe basieren.»
Dass der Rassismus in Grossbritannien nach dem Brexit-Entscheid zugenommen hat, glaubt sie hingegen nicht. «Vielleicht hat das Wahlresultat manchen Leuten die Erlaubnis gegeben, laut zu sagen, was sie immer schon empfunden haben.» Generell findet sie, dass in Grossbritannien Rassismus und Xenophobie von jeher «tief miteinander verbunden sind. Wenn man nicht weiss ist, gibt es all diese Narrative über dich, dass du nicht britisch bist, ganz egal, was dein Pass sagt.» Diese Strömungen machten sich gewöhnlich unter der Oberfläche breit.
Einst erfolglos, heute preisgekrönt
Trotz allem hat Eddo-Lodges eigene Geschichte, wenn nicht ein Happy End, so doch blendende Aussichten darauf. Sie wuchs in Nordlondon auf, als Tochter einer Mutter nigerianischer Abstammung, besuchte eine katholische Highschool und schloss an der Universität von Lancashire ihr Studium in englischer Literatur ab. Lange lebte sie als, wie sie sagt, erfolglose Freelance-Journalistin, die Mühe hatte, sich über Wasser zu halten, bis ihr Blog schliesslich einschlug und der «Guardian» sie auf seine Liste der wichtigsten digitalen Medienschaffenden setzte. Bald darauf konnte sie für die «New York Times» einen Artikel über die Immobilien- und Mietsituation in London schreiben und darüber, dass sie sich nie ein Haus leisten könnte. Dieses Gefühl habe sie nach wie vor, sagt sie, trotz ihrem Erfolg. Was sie nicht sagt: dass das kein spezifisches Problem der Hautfarbe ist, sondern eines, das Londoner wegen der hohen Immobilienpreise allgemein teilen.
Vom Beitrag in der «New York Times» angeregt, schlug ihr ein Londoner Literaturagent vor, ein Buch zu machen. «Er wollte, dass ich meinen Ton für das Buch mildere.» Eddo-Lodge lehnte ab: «Ich will mit Menschen arbeiten, die meine Stimme fördern und diese nicht auf ‹leise› stellen.» Diese Menschen fand sie beim Bloomsbury-Verlag, der durch die Harry-Potter-Reihe bekanntwurde. Unterdessen trug die Autorin eine Reihe von Literaturpreisen nach Hause, landete auf prominenten Bestenlisten wie der «Forbes’ European 30 Under 30» und sah ihr Buch monatelang auf der Bestsellerliste der «Sunday Times». Ihr Podcast, About Race with Reni Eddo-Lodge, wurde als einer der besten Podcasts 2018 von Apple Podcasts, Spotify, «Harper’s Bazaar UK», «Guardian», «British GQ» gekürt.
Niemand, der in den letzten Jahren über das Thema Rassismus in Grossbritannien geschrieben hat, war so erfolgreich. Der Zeitgeist kam ihr entgegen. Ihre Gedanken zur Hautfarbe, die 2012 noch als äusserst radikal galten, waren auf einmal willkommen, denn bis 2017 habe sich die Politik der westlichen Welt drastisch verändert, wie sie am Ende ihres Buches schreibt. «Ich wollte mit dem Buch die Diskussion über Hautfarbe verändern. Als es veröffentlicht wurde, standen die Sterne günstig, und die Leute waren bereit dafür.»
Zum Schluss frage ich sie, ob sie den Zorn, den ich zwischen den Zeilen herauslese, immer noch spüre. Sie antwortet: «Wie können Sie die Ungleichheit sehen und nicht zornig sein? Ich werde nicht schreien und Tische werfen. Aber der Zorn ist eine treibende Kraft.»
Erstveröffentlichung NZZ, 22. März 2019, mit freundlicher Genehmigung der Autorin.