Fotos © Ingrid Schindler
«Die lange Nacht des Käpt’n Blaubær»
Von Ingrid Schindler
Ende März findet auf den Lofoten die 21. Weltmeisterschaft im Kabeljauangeln statt. Der exzellente Speisefisch und die bizarre Gebirgslandschaft im Nordmeer sind die Reise wert.
„Smoke on the water …“ dröhnt es aus dem Lautsprecher der Iversen Jr.. Bei starkem Kaffee, selbstgedrehten Zigaretten und fetziger Rockmusik der norwegischen Nachtsendung Nightwishes sticht Børge Iversen mutterseelenallein um Mitternacht in See. Früher fuhr sein Sohn auf dem 14 m langen Kutter zum Fischen mit hinaus, doch der arbeitet inzwischen auf einem Versorgungsfisch für Bohrinseln. Normalerweise legt Børge erst zwischen drei und vier Uhr morgens von Ballstad ab, doch für den nächsten Tag ist Sturm angesagt, also fällt die Nacht kürzer aus als sonst. An Land bleiben, das kommt für den 53jährigen Seebären nicht in Frage, denn der Skrei ist da!
Zwischen Anfang Februar und Ende April bestimmt der arktische-norwegische Stamm des Kabeljaus den Lebensrhythmus der Lofotfischer. Das war schon immer so. Wenn der Winterkabeljau in dieser Jahreszeit aus der Barentssee zum Laichen zu den Lofoten hinunterzieht, dreht sich dort alles um den Fisch, der wegen seines schmackhaften, festen, fetten, saftigen Fleisches seit Jahrtausenden als Fisch der Fische gilt. Heute ist der Skrei der einzige Kabeljaustamm, dessen Bestände dank der Quotenpolitik der Norweger und Russen gesund sind. Das bestätigt der WWF und stuft in seinem Einkaufsführer den Verzehr von Kabeljau aus der Barentssee als unbedenklich ein.
Adlerrevier
So wie früher, als sich der Fisch in unvorstellbaren Massen im Vestfjord und den Häfen im Süden der Lofoten tummelte, liegen die Dinge freilich nicht. Konnte man Ende des 19. Jahrhunderts, als der Skreifang bis zu 37‘000 Fischer in die Lofotenhauptstadt Svolvær lockte, trockenen Fusses von Boot zu Boot durchs Hafenbecken spazieren, müssen die ca. 3‘000 Berufsfischer heute auf die Nordseite der Inseln ins Nordmeer hinausfahren. Das liegt am Hering, der nicht mehr in den Vestfjord zieht. Und weil der Kabeljau den Hering frisst und der Orka den Kabeljau, kommt auch der Killerwal nicht mehr in den Vestfjord. Deswegen sieht man auf den Orka-Safaris ab Svolvær keine Orkas mehr und muss sich mit dem Weissschwanzseeadler bescheiden. Dessen grösste Population lebt in den einsamen, 1000 m jäh aus dem Meer aufragenden Wänden der Lofoten. Mit seiner Leibspeise, tiefgekühltem Hering, locken Walsafari-Guides den Greifvogel umso leichter aus der Reserve. Der macht sich einen Spass daraus, in rasantem Tempo mit seinen über zwei Meter weit gespannten Flügeln dicht über die Touristenköpfe zu rauschen und im Sturzflug die Beute präzise mit seinen gelben Krallen aus dem Meer zu fischen.
Knochenjob
Punktgenau peilt auch Fischer Børge nach dreistündiger Fahrt durch schwieriges Gelände mit Hilfe des Navigationsgeräts, Fishfinders und Echolots seine zwei Tage zuvor vor Eggum ausgelegten Langleinen an. Acht Leinen von insgesamt sechs Kilometern Länge sind in einer Nacht abzuernten. Alle paar Meter hängt ein prächtiger Skrei am Haken. Der Fischer bohrt einen Enterhaken in die Kiemen, hievt den Fisch herauf, nimmt ihn vom Haken und wirft ihn an Bord. Einen nach dem anderen. Kaliber von 20, 30, ja sogar 40 kg sind darunter, bis zu 25jährige Exemplare. Ist das obere Erntebecken gefüllt, stoppt er die Maschinen und macht dem Leid mit gezieltem Schnitt durch die Kiemen ein Ende, bevor die Fische im Bauch des Schiffs verschwinden. Dann beginnt das Prozedere von vorn. Einzige Abwechslung bieten das Nordlicht, das sich zaghaft in grünen Schleiern in der eisigen Polarnacht zeigt, und das Frühstück aus Kaffee, Butterbrot und Blaubeermarmelade, das sich der Fischer zur Halbzeit gönnt.
Der lange Tag ist noch nicht zu Ende
Die See ist rau, die Wellen werden immer höher und werfen den Kutter ungestüm hin und her. Ungerührt arbeitet Børge weiter, bis um halb elf Uhr vormittags der letzte Haken abgeerntet ist und die kilometerlangen Leinen wieder im Meer platziert sind. Der Rotbart ist zufrieden, trotz Müdigkeit strahlt er übers Gesicht: „Ein guter Fang. Die lange Nacht hat sich gelohnt!“ 2‘400 kg Kabeljau sind im Kasten. Das ist mehr als an anderen guten Tagen. Børge überschlägt: Bei 14 Norwegischen Kronen pro Kilo Skrei bringt ihm der Fang umgerechnet 5000 Franken ein. Er lässt sich sein zweites Frühstück, Fischkonserven und Blaubeermarmelade, genüsslich schmecken, während der Autopilot Kurs auf Ballstad nimmt.
Im Hafen herrscht Hochbetrieb. Der lange Arbeitstag ist noch nicht zu Ende. Drei Stunden muss Børge warten, bis sein Kutter an der Reihe ist und die Ladung an der Fischfabrik gelöscht werden kann. Zwei Helfer stehen schon bereit, nun beginnt die eigentliche Drecksarbeit: Fische köpfen, ausnehmen, säubern, Leber und Rogen beiseite legen. Kinder verdienen sich in der Fabrik ein gutes Taschengeld: Sie schneiden den Köpfen Zungen, Backen und manchmal auch die Lippen aus. „Delikatessen“ sagt Børge, „für die man in Frankreich gutes Geld bekommt. Die Fischköpfe selbst sind ausgezeichnete Proteinlieferanten und werden über London nach Nigeria verkauft“. Auch die Köpfe trocknen wie der grösste Teil der Leiber auf den hjeller, den charakteristischen Holzgestellen. Erst als der Fisch im Lastwagen verstaut ist, der ihn am selben Abend zu den Trockengerüsten bringt, ist für Børge Feierabend. Skreimølje, gekochter Skrei mit Rogen und Leber, gedämpften Rüebli und Kartoffeln, kommt nun auf den Tisch.
Stockfischarchipel
Schon die Wikinger haben den Winterkabeljau in der salzigen Lofotenluft getrocknet. Vom norwegischen törrfisk, Trockenfisch, leitet sich das deutsche Wort Dorsch ab, ein Synonym für Kabeljau. Das wechselhafte, raue Klima der Lofoten ist ideal zum Trocknen. Nach drei Monaten wird der Stock- bzw. Klippfisch, der zuvor gesalzen wird, nach Portugal, Brasilien, Griechenland und Italien verschickt. Die beste Qualität geht traditionell nach Oberitalien.
Die Lofoter bevorzugen den Skrei in dieser Jahreszeit frisch. „Sie kochen ihn sehr simpel, denn die Fischer haben nach dem langen, harten Arbeitstag keinen Sinn für kulinarische Extravaganzen“, sagt Christian Neubacher, der seit drei Jahren in der Børsen Spiseri der Ferienanlage Svinøya Rorbuer, einer ehemaligen Stockfischhandelsstation von 1828 in Svolvær, regionale Fischspezialitäten kocht. Die Portionen sind wie üblich üppig. Pro Person rechnet man für Skreimølje, die „Fischmischung“, 500 g Skrei, lässt ihn mit Lauch und Rüebli eine Viertelstunde in Salzwasser ziehen, bis sich die Mittelgräte leicht herauslöst. Statt Butter serviert man traditionell zerkleinerte, ausgelöste Kabeljauleber. „Das ist ungeheuer nahrhaft und gesund“, sagt der Leipziger. Das klassische Powerfood der Fischer ist allerdings nicht nach jedermanns Geschmack. Wie auch der Lebertran. Das aus Kabeljauleber gewonnene Heil- und Impregniermittel, Waffenschmiere, Lampenöl und Ölfarbe war der Exportschlager im 19. und 20. Jahrhundert. Cod liver oil wird heute noch in Trankochereien auf den Lofoten produziert.
Rudererhütten
Leber, Tran und Rogen waren das unverzichtbare Lebenselixier der Lofotfischer zu Zeiten, als sie mit offenen Ruderbooten auf Kabeljaufang gingen und zu Zigtausenden in erbärmlichen Hütten oder gar im Freien unter ihren umgedrehten Booten während der Skrei-Saison auf den Lofoten hausten. Die Hütten der Ruderer, die rorbuer, bestanden häufig nur aus zwei Räumen. „In dem einen schliefen, kochten und flickten bis zu 16 Mann ihre Netze, im anderen lagerten das ganze Fischergerät, die Netze und die Vorratskisten“, erzählt Neubacher.
Heute sind die pittorsken, rot angestrichenen Rorbuer begehrte Ferienhäuser, die vor allem an Touristen vermietet werden. Manche sind sehr komfortabel ausgestattet, andere einfach, alle liegen sie direkt am Meer, teils stehen sie auf Holzpfählen im Wasser. Die Rorbuer in und um Svolvær sind in diesen Tagen ausgebucht. Die Weltmeisterschaft im Kablejauangeln steht vor der Tür. Hobbyangler aus Norwegen, Russland und ganz Europa reisen an, um ein skurilles Wettfischen auszufechten – und zu feiern.
Das Kultereignis findet jeweils am letzten Märzwochenende in der Inselhauptstadt Svolvær statt. Am Freitag geht es darum, den grössten Fisch zu angeln, am Samstag den grössten Kabeljau – mit nur drei Haken. Die meisten Teilnehmer schliessen sich zu Mannschaften zusammen, mieten die kleinen Boote alter Fischer und versuchen im Austnesfjord, wohin die Orca-Safaris fahren, ihr Glück. „Es geht lustig zu, Blaskapellen spielen, Aquavit fliesst in rauen Mengen, es herrscht eine ausgelassene, feucht-fröhliche Party- und Volksfeststimmung“, so Neubacher.
Weltmeister
Manche aktive Berufsfischer nehmen die Freizeitangler auf ihren Booten mit hinaus, wenn sie das Ende ihrer Quote erreicht haben. Børge zum Beispiel. Touristen sind ihm dann willkommen, ganz ernst nehmen kann er sie nicht. Für ihn ist die Weltmeisterschaft eine gute Marketingidee, um die Betten in der Nebensaison zu füllen. Die Sportfischer würden weit mehr trinken als fischen und wären schon glücklich, wenn sie einen zehn Kilo schweren Fisch an der Angel hätten, meint der Profi und amüsiert sich: „In einer Nacht fange ich mehr Kabeljau als 400 Wettkampfteilnehmer in zwei Tagen. Denn in der Nähe von Svolvær fängt man lange nicht mehr so viel Kabeljau wie früher.“
Im Sommer bietet Børge inzwischen lieber Angelausflüge für Touristen an, als dem Hering in die Barentssee zu folgen. Ein paar einfache Rudererhütten vermietet er auch. Das Kabeljaufischen will er aber noch lange nicht aufgeben. Deswegen kämpft er als roter Gemeinderat gegen die Pläne von Statoil, in den Kabeljaugründen der Lofoten Bohrinseln zu errichten. Im April fällt die Entscheidung, ob das Öl kommt. „Dann wäre es mit der Fischerei vorbei“, ist sich Børge sicher. Aber weil die dramatisch schöne Inselgruppe – laut National Geografic eine der drei schönsten der Welt – seit mehr als 1000 Jahren mit dem Kabeljau engstens verbunden ist, versuchen die Ölgegner sie in die Welterbe-Liste der UNESCO aufnehmen zu lassen. Dann kann die Weltmeisterschaft gern weiterhin ausgetragen werden. Am Wochenende vom 25./26. März findet sie zum 21. Mal statt. Ein Angelschein ist nicht erforderlich.
Die Reise wurde von Falcontravel und Visit Norway unterstützt.
Die Lofoten: Outdoorparadies zu jeder Jahreszeit
Lage: Die Lofoten (1‘227 km2) bestehen aus über 2000 Inseln, die sich in Nordnorwegen 100 bis 200 km nördlich des Polarkreises aus dem Europäischen Nordmeer erheben, zwischen dem Vestfjord und der Akrtischen See. Die zerklüftete Schärenlandschaft mit ihren über 1000 m steil aufragenden, schartigen, scharfen Berggipfeln, Zinnen und Bastionen ist von einer überragenden, dramatischen Schönheit, in die sich immer wieder traumhafte Sandstrände und pittoreske Buchten betten. Die Strömungen in den Meeresengen sind ausserordentlich stark und gefährlich.
Klima Die Temperaturen sind wegen des Einflusses des Golfstromes ungewöhnlich mild und viel höher, als sonst in diesen Breiten üblich. Die Berge sind von Nov. bis März schneebedeckt, die Küste ist eisfrei. Polarnacht: 6.12. – 6.1., Mitternachtssonen: 27.5. – 17.7., Wetterbericht: www.met.no.
Anreise Oslo ist 1‘700 km entfernt. Falcontravel bietet Flüge mit SAS via Oslo nach Bodø ab CHF 713.- an, weiter mit Wideroes Flyveselskap oder den Hurtigruten (zwei Stationen, 6 Std. entfernt) nach Svolvaer. Man kann auch über den Flughafen Narvik-Evenes oder die Lofotstrasse, die das Festland mit den Inseln verbindet, anreisen.
Outdoor Die Lofoten sind ein Paradies für Outdoorfans, sie eignen sich fantastisch zum Wandern, Velofahren, Kajakfahren, Surfen, man kann golfen, im Winter langlaufen, schneeschuhlaufen, das Nordlicht beobachten und zu jeder Jahreszeit angeln. Orca-Safaris (heute Winter Lofoten Nature Safaris) finden jeweils am Samstag statt (CHF 210.-). Børge Iversens Angeltouren und Rorbuer: www.rorbuer.info. Bester Ort für Nordlichtexkursionen: Northern Light Base Camp, www.lofotengolf.no.
Falcontravel (www.falcontravel.ch) bietet Individual- und Rundreisen sowie Aktivferien in Norwegen und Rorbu-Ferien auf den Lofoten an. Ein Rorbu von Svinøya Rorbuer kostet für 1-2 Pers. ab CHF 211.-/ Nacht, für 3-4 Pers. ab CHF 281.-, das DZ mit HP im Henningsvær Bryggehotel CHF 230.-/ Pers.
Info www.lofoten.info, www.visitnorway.com, Kabeljau-WM: www.vmskreifiske.info,