«Von Tahiti zu den Marquesas»
Von ingrid Schindler
Paradiesvögel, Tropenfrüchte, wilde Kerle und Schönheiten mit Blütenkränzen, wie von Gauguin gemalt. Die Reise mit dem kombinierten Passagierfrachter Aranui 5 zu den Marquesas führt ins Herz der Südsee.
Was für eine Jungfernfahrt! Es regnet Katzen und Hunde. Kein Mensch erweist der Aranui 5 am Quai d’Honneur im Hafen von Papeete, Tahiti, die Ehre. Seit den 50er Jahren transportieren die Wongs mit ihrem Schiff Waren von Tahiti zu dem Iles Marquises und zurück nach Papeete, in die Hauptstadt Französisch-Polynesiens.
Wie ihre Vorgängerinnen ist auch die neue, grössere und luxuriösere Aranui 5 mit Platz für 254 Passagier, ein Cargo mixte. Alle drei Wochen macht sich der kombinierte Passagierfrachter auf den 4300 km langen Weg zu den einsamsten Inseln der Welt, um diese mit Waren zu beliefern und mit Kopra, Noni und Zitrusfrüchten nach Tahiti zurückzukehren. Die Iles Marquises, 14 grüne Vulkaninseln im Südpazifik, nur sechs davon bewohnt, sind am weitesten von allen Kontinenten entfernt. Während Tahiti und die Gesellschaftsinseln schon immer mit sanften, schönen Frauen assoziiert wurden, stehen die 1500 Kilometer entfernten Marquesas für Männlichkeit. Man verband sie mit kraftstrotzenden Kannibalen, furchterregend in der Erscheinung, von Kopf bis Fuss tätowiert. Bis Robert Louis Stevenson, Paul Gauguin, Jacques Brel und viele andere Künstler und Abenteurer das brutale Bild der Marquises allmählich wandelten und auch sie Teil des Mythos Südsee, des „glücklichen Polynesiens“, wurden.
Land der Männer
Die tahitianische Truppe Toa Huahine trommelt gegen den Takt des Tropenregens an. Mit Ziegenschädeln, Eberhauern und Haifischzähnen behängt springen die Tänzer kampfeslustig übers Pooldeck. Wie die Wilden schwingen sie Fäuste, Keulen und Totschläger und stossen raue, heisere Laute aus, während der Regen die rote Farbe ihres Bastschmucks über die breiten Schultern und Rücken hinunterwäscht. Der „Haka“ liefert einen Vorgeschmack auf unsere Schiffsreise ins Te Fenua Enata, das „Land der Männer“, wie die Marquesas im Original heissen.
In den nächsten 14 Tagen werden wir viele archaische Kriegs-, Schweine- oder Vogeltänze kennenlernen, denn auf Hiva Oa, dem fruchtbaren „Garten der Marquesas“, findet das diesmalige Festival des Marquises statt, zu dem die Toa Huahine mit der Aranui unterwegs sind. Alle vier Jahre kommen auf den abgelegenen Inseln – ohne eigentliche touristische Infrastruktur – Tausende von Menschen aus dem gesamten polynesischen Raum von Hawaii bis zu den Osterinseln, Samoa, Neukaledonien und Neuseeland zusammen, um die Mythen und traditionellen Künste des Archipels im Herzen Polynesiens wiederzubeleben. Vier Tage lang wird getanzt, getrommelt, geschnitzt, gesungen, tätowiert, gespielt, gefeiert. Ende 2015 waren zum ersten Mal nichtfarbige Besucher offiziell zum Festival zugelassen, die Passagiere der Aranui.
Südsee-Feeling
Am nächsten Tag schaut unsere Welt ganz anders aus. So paradiesisch, wie man sich die Südsee erträumt. Kokospalmen säumen einen endlosen Sandstrand, die Sonne strahlt, die Farbe des Wassers ist türkisblau. Die Aranui liegt vor Takapoto, einem der 78 Atolle des Tuamotu-Archipels, vor Anker, unserem ersten Etappenziel. Die Tuamotus, bekannt für schwarze Perlen und eine grossartige Unterwasserwelt, gelten wegen der Korallenriffe als schwieriges Gewässer.
Auf Takapoto werden wir wie Könige empfangen. Blumenbekränzte Frauen in bunten Kleidern und Pareos hängen uns duftende Hibiskus-, Jasmin- und Tiaréblütenketten um, die Inselband spielt auf. Mag sein, dass wegen der Anwesenheit der Wongs die Zeremonien besonders üppig ausfallen, etwa zwei Dutzend Mitglieder der Besitzer- und Gründerfamilie der Compagnie Polynésienne de Transport Maritime (CPTM) sind wegen der Jungfernfahrt und wegen des Festivals an Bord.
Wir spazieren zur Innenseite des Atolls und sehen, was das schmale, wenige Meter übers Meer ragende Eiland zu bieten hat: eine Kirche, einen Laden, eine kleine Pension, eine Piste für Kleinflugzeuge und vor allem weissen Sand. Insulanerinnen jeden Alters und Formats lassen zu eingängigen Melodien rhythmisch ihre Hüften kreisen, während wir das Buffet, das Bad im warmen Wasser der Lagune und die Leichtigkeit des Seins geniessen.
Rauschender Empfang
Ein weiterer Tag auf See, dann tauchen sie vor uns auf: Sattgrüne, teils dicht bewaldete bis 1200 m hohe, zerklüftete Vulkanberge mit senkrecht aufragenden Felsennadeln und tief eingeschnittenen Tälern. Wir haben das Land der Männer erreicht. Hier schützen keine Saumriffe die felsigen Küsten, der Sand ist, wenn überhaupt, schwarz, der Pazifik rollt ungebremst heran.
Gellende Schreie durchschneiden die Brandung, Muschelhörner ertönen, Trommeln schlagen an, Spannung liegt in der Luft, das Horn der Aranui trötet. Krieger im Blätterkostüm marschieren zum Tanz auf. Wieder nehmen uns Frauen mit Blumen und Kränzen in Empfang und stehen Honoratioren am Pier parat. Ob auf Nuku Hiva, wo sich Herman Melville („Moby Dick“, „Typee“) und Robert Louis Stevenson („Die Südsee“, „Die Schatzinsel“) inspirierten, auf Ua Huka, Ua Pou, Hiva Oa, wo Gauguin und Brel ihren Frieden fanden, auf Tahuata und Fatu Hiva, wo Thor Heyerdahl das Leben der Marquesianer studierte, auf allen Inseln werden wir freudig begrüsst.
Überall besichtigen Dorfdelegationen die Aranui, die Einheimischen sind neugierig auf „ihr neues Schiff“, wie Philippe Wong sagt. „Die Marquesianer nennen es ‚siebte Insel der Marquesas’, weil der Grossteil der Besatzung (103 Mann) von hier stammt und der Frachter den Archipel mit der Welt verbindet“, so der CEO der CPTM. Autos, Boote, Kühlschränke, Computer, Lebensmittel, schlicht alles kommt mit der Aranui. Dazu fördert die CPTM die marquesianische Sprache und Kultur, sie unterstützt das Festival und die Bewerbung der unverdorbenen Inseln als Welterbe der UNESCO.
Coup de foudre
Die enge Bindung zu den Einheimischen sei das Erfolgsrezept der Aranui, ist Philippe Wong überzeugt. Die Stimmung an Bord ist bestens, sehr entspannt, und das nicht nur, weil die Matrosen so freundlich ihre Tattoos und Muskeln spielen lassen und uns mit starken Armen sicher in die Landungsboote hieven. Die Crewmitglieder sorgen während der Ausflüge und Wanderungen auch für unser Wohl, sie stellen die Bordband und lernen uns, wie man Haka tanzt, rohen Fischsalat zubereitet oder aus Tüchern Südseemode macht. An Land chauffieren uns ihre Verwandten in privaten SUVs zu den Tikis, Kultstätten und Tabuplätzen der Inseln. „Wir geben unsere Passagiere an Land nicht in fremde Hand. Die enge Kooperation mit den Locals bei den Landgängen ist ein weiterer Unterschied zu herkömmlichen Kreuzfahrtschiffen“, betont Wong. Und natürlich das Laden und Löschen der Fracht.
Das spezielle Aranui-Feeling kommt bei den Gästen an. Südsee kann süchtig mache, das kennt man. Aber ein Schiff? Viele der Passagiere sind zum zweiten, dritten, vierten Mal und mehr an Bord: das deutsch-amerikanische Professorenpaar, die rüstige Dame aus Düsseldorf, der House-Musiker aus Vancouver, der Pariser Chirurg, der australische Schiffsmakler, der französische Architekt, die britische Krankenschwester, das Schweizer Rentnerpaar … Für auf Tahiti lebende Metropolitains ist vor allem das Festival ein guter Grund, noch einmal mit der Aranui zu fahren. Zwei Tage lang bietet sich Gelegenheit, an den Darbietungen von Tanztruppen von den Oster- bis zu den Gambierinseln teilzunehmen.
Als wir die Marquises verlassen und uns auf den Weg nach Rangiroa und Bora Bora machen, der letzten, unvergleichlich touristischeren Station der Reise, veranstaltet die Crew einen polynesischen Abend an Bord. Viele der weiblichen Passagiere tun es inzwischen den Marquesianerinnen gleich und tragen Pareos am Leib und Blüten im Haar. „Blumen- und Blätterkronen sind für jede Frau vorteilhaft“, meint dazu Philippes Gattin Sonia Wong, die auch zu Hause in Tahiti täglich Grünzeug trägt. Die Belegschaft tritt für uns auf, Mutige unter den Gästen tanzen nun den Haka selbst, und die propperen Krieger der Gruppe Toa Huahine und ihre ebenso propperen Frauen hüpfen an diesem prächtigen Tropenabend trockenen Fusses als Paradiesvögel übers Deck.
Auch Madame Wong tanzt mit. Zur Feier des Tages hat sie sich Federn an die Finger gesteckt, „das sieht gleich viel graziler und verlockender aus“. Vor 25 Jahren hat sie ihren Mann auf der Aranui 2 kennengelernt, sie als Passagier, er als junger Barkeeper. Liebe auf den ersten Blick, „amour fou, coup de foudre“. Sonia kam bald wieder auf das Schiff der Marquesianer zurück. Auch wir sind vom Südsee- und Aranui-Virus infiziert.
Aranui 5 Mit dem Passagierfrachter
Anreise Flüge u.a. mit Air France, Air New Zealand und Air Tahiti Nui o.a. von Zürich – Paris – Los Angeles – Papeete/ Tahiti (Flugzeit ca. 21 Std.), ca. 2’000 CHF hin und zurück. Der Flughafen Faa’a ist etwa 20 Minuten vom Hafen entfernt.
Schiffsreise 17mal pro Jahr fährt die Aranui 5 (Frachtkapazität 2’300 Tonnen, Passagierkapazität 254, 103 Kabinen) von Tahiti über Takapoto zu den Marquesas und über Rangiroa und Bora Bora zurück. Entweder als 14 tägige, 4300 km lange Rundreise oder neu auch als 10-/11- und 7-tägige Reise mit Flug Papeete – Nuku Hiva – Papeete buchbar. Alle Kabinen sind Aussenkabinen, ab Buchungsklasse Deluxe verfügen die meisten über einen Balkon. Die Schiffsreise beinhaltet sämtliche Landausflüge, Vollverpflegung inkl. Tischwein, alle Gebühren, Transporte und Aktivitäten an Bord sowie fast alle an Land. Preisbeispiele: ab ca. 2‘500 €/ Pers. in der Vierer-, ab ca. 4’100 €/ Pers. in der Standard- und ab ca. 4‘800 €/ Pers. in der Deluxe-Kabine für die 14-tägige Reise bei www.langsamreisen.de, www.aranui.de und anderen Veranstaltern.
Verlängerung Es bietet sich an, die Schiffsreise mit einem Aufenthalt auf Tahiti und Moorea, nur eine halbe Stunde mit dem Schnellboot von Tahiti entfernt, zu verbinden.
Tanz- und Kulturfestivals Im Dezember 2019 findet das 11. Marquesas-Festival auf einer der grösseren Inseln. Jeweils im Juli führen Tahiti und die Iles de Société ein eigenes, grosses Kulturfestival, die Heiva I Tahiti, mit vielen Tanzdarbietungen durch, die man gut mit der Reise auf die Marquesas verbinden kann, siehe www.tahiti-tourisme.com.