FRONTPAGE

«Die Türe zu René Burris Künstlerbüchern»

Von Julieta Schildknecht

 
 

Der erste Blick: Der Schweizer Fotograf Rene Burri arbeitet mit der jungen französischen Assistentin an seinem neuesten Künstlerbuch über Brasilia, das bei Scheidegger und Spiess erscheinen wird. Der Fotograf dokumentierte von den 60er bis 90er Jahren Sao Paulo, Rio de Janeiro, Salvador da Bahia und vor allem Brasilia. Der damalige visionäre Präsident Brasilien, Juscelino Kubitschek, war ein Freund von Burri sowie zwei andere visionäre Architekten Lucio Costa und Oscar Niemeyer, mit dem er die Epoche Brasilia dokumentierte.

Der zweite Blick:
Die Assistentin steht schnell auf, räumt alle Blätter in eine Schachtel auf dem Tisch nebenan und verabschiedet sich. Die Tür schliesst sich und grenzt uns aus vom Alltag von Paris an einem grauen Freitag. Die gleiche Tür, die sich für mich in die private Sphäre eines der grössten Fotografen und ehemaligen Präsidenten der goldenen „Magnum“-Zeiten öffnete. Im Hintergrund hört man ein Cello-Konzert von Dvorák.
Er fängt gleich zu sprechen an und äussert sich spontan über Film und Fotografie, Cannes und seinen Freund Raymond Depardons, dessen Dokufilm über die Umstrukturierung der Landwirtschaft Frankreichs. Nebenbei erzählt René Burri, wie Sergei Eisenstein für ihn eine besondere Bedeutung hatte, als er mit einer 16mm Bolex einige Filme drehte.
Wir sprechen über Kommunismus in Brasilien und in Frankreich, über die Studentenbewegung während der 60er Jahre und wie die Schweiz in ihrem narzisstischem Nationalismus die Politik anders erfährt. Seine Erinnerungen gehen zurück bis in die Zeit, als er am Zürcher Albisgüetli wohnte und als General Guisan die Schweiz im Zweiten Weltkrieg führte. Der 1933 geborene Fotograf, Sohn eines deutschen Hausmädchen aus dem Breisgau und eines Berner Kochs eines grossen Hotels in Genf, fuhr mit seinem Onkel mit dem Fahrrad 1949 in die Landschaft der bombardierten Ruinen in München, um zu fotografieren. Er kehrt in seine inneren Bilder zurück und erzählt, wie er die Flugzeuge, die anfangs 1945 in Kloten notlandeten, anschauen ging.
Als Pfadfinder erkundete er die Berge, machte grosse Bergtouren, doch was ihn wirklich faszinierte, war, die Gipfel dieser vielen, grandiosen Schweizerberge zu erreichen, um die andere Seite, hinter den Bergen, zu sehen. Er wollte aus der Schweiz heraus, wollte die Welt entdecken, um sich ein eigenes Bild zu machen. Er ist auf die Gipfel mehrerer Pyramiden in Ägypten gestiegen und zum Mythos der dokumentarischen Fotografie weltweit geworden.
Nach dem Studium an der Schule für Gestaltung, wo Hans Finsler über das Bauhaus lehrte und ihm die “Finsler-Linie” beibrachte, wurde René Burri beim Grafiker Müller Brockmann angestellt. Es ist 1955 und Duttweiler bestellt einen Katalog für das 15. Migros-Jubiläum. Es sind kaum zwei Monate her, seit dem Abschluss des Studiums, und er fotografiert wie ein mehrjähriger Berufsfotograf mit seiner Rolleiflex in der goldenen Zeit des Fotojournalismus. Er benutzt eine schnellere Kamera als die Lihnhofs, die er in die Schule brachte.
René Burri wird in der Schweiz wegen der Millionen-Katalogauflage schnell bekannt. Jede Schweizerfamilie bekommt einen Katalog inklusiv seiner stolzen Mutter. Heute sind etwa 20 Künstlerbücher, übersetzt in mehrere Sprachen, weltweit publiziert. Der Bündner Dino Simonett ist einer seiner geschätzten Verleger. René Burri erzählt, wie er gerne mit Simonett die farbige Plasticine für das “Berner Blitz” “verarbeitete”, um die Cover einer seiner Künstlerbücher zu gestalten. Es ist für den „Halbberner“ Fotografen von Vorteil, wenn die Verleger auch kreativ mit ihm während der Produktion seiner Künstlerbücher mit ihm eng zusammen arbeiten.
Das Mittagessen ist eine kurze Erholungszeit, wo auch seine Frau Clothilde Burri und der Sohn Léon Ulisse teilnehmen. Burri spricht immer wieder über Südamerika und Kuba, amüsiert sich auf portugiesisch und fragt, ob ich die Bildhauerin Maria Vieira kenne.
Dann zeigt er mir ein Foto von Danusa Leao. Sie war die Frau Samuel Weiners, eines Journalisten, der mutig gegen den Militarismus in Brasilien ankämpfte. Eine Muse der Bossa Nova in den 60er Jahren und eine seine Ex-Freundinnen.
Weitere Bücher werden durchgeblättert. René Burri erzählt, wie bedeutend der Bildhauer Brancusi für ihn ist. Nochmals ein Foto, wo Oscar Niemeyer Brasilia 1960 für den Kongress skizziert. Für Oscar Niemeyer war Le Corbusier eine zentrale Figur, die ihn, trotz Differenzen und politischen Haltungen, stark beeinflusste. Oscar Niemeyer, der Architekt Brasilias, ist heute 102 Jahre alt, er überlebte das militärische Regime Brasiliens, ist Kommunist geblieben und immer noch aktiv.
Die Zeit vergeht und René Burris Augen glänzen, wenn er Fotos von seinem favourite “building”, Le Corbusiers Ronchamp Kapelle, sieht. Durch die vielen Reisen rund um die Welt wurden von René Burri einige echte Werte der Architektur, Ethik und Verantwortung, bewusst festgehalten und fotografiert.
Der Fotokritiker und Kurator Hans Michael Koetzle schreibt im Buch “Rene Burri Fotografien”: “Architektur ist gebaute Umwelt. Im besseren Fall verkörpert sie eine Idee, im besten Fall eine Vision. Für visionäre, zukunftsweisende Architektur hat sich René Burri früh interessiert. Freilich nicht als Dienstleister, der ein Gebäude in nüchterne Bildbelege überführt, sondern als Chronist, der Planung und Entstehung, Fertigstellung und schliessliche Nutzung begleitet und dokumentiert“.
Tatsächlich sieht Burri Architektur in erster Linie als soziale, als politische Aufgabe und Tat. Nicht zufällig stehen Oscar Niemeyer, Schöpfer des modernen Brasilia, und Le Corbusier, Architektur-Mythos des 20.Jahrhunderts, im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Besonders Le Corbusier hat ihn früh begeistern können. Mit Albin Salaün und Lucien Hervé kann man Burri zu den massgeblichen Le Corbusier-Interpreten rechnen. Nicht weniger als 3000 Negative kreisen um Person und Werk des damals in Paris lebenden Schweizer Architekten. Wobei Burri das gebaute Werk nicht als Vorwand oder Ausgangspunkt für zumeist ausschnitthafte Bildformeln mit Tendenz zum Abstrakten nutzt (wie Hervé in seinen freien Bildern), sondern über gross angelegte Serien und Sequenzen den geistigen, sozialen, politischen und ästhetischen Prozess rund um den Bau sichtbar machen will.
Die Stadt Zürich hat aus René Burris puristischem ästhetischem Blick und optischen Architekturgeschichten 120 Bilder für ihre Sammlung ausgewählt. Es sind 120 Vintage Prints aus dem Fotowerk über Le Corbusier. Sie gehören jetzt der ZHdK (ehemalige Schule für Gestaltung), wo er einmal Student war und sie wurden im Museum Bellerive vom 20. August bis 7. November 2010 unter dem Titel „René Burri – Vintage Prints – Le Corbusier“ ausgestellt. Ein Katalog zu dieser Ausstellung ist im Museum Bellerive, Zürich erhältlich.

 

 

René Burri erhält den Swiss Press Photo Award für sein Lebenswerk
René Burri (*1933 in Zürich) erhält den Swiss Press Photo Life Time Achievement Award in Höhe von 20’000 Franken. Die Fondation Reinhardt von Graffenried wird die Auszeichnung am 8. April in Bern im Rahmen der Preisverleihung für Lokaljournalismus und Pressefotografie überreichen. Die Nominationen für die Preise werden am 3. März bekannt gegeben. Die Preisvergabe markiert ein doppeltes Jubiläum: Swiss Press Photo feiert dieses Jahr den 20. Geburtstag, und Preisträger René Burri am Tag nach der Verleihung des Preises seinen 78. Geburtstag.
René Burri ist der weltweit bekannteste Schweizer Fotoreporter seiner Generation und hat auf allen Kontinenten für Schweizer und internationale Printmedien fotografiert. Sein erstes Bild einer prominenten Persönlichkeit schoss er mit 13 Jahren von Winston Churchill in Zürich. René Burri wurde 1950 an der Kunstgewerbeschule, Zürich (heute HdKZ), unter anderen bei Hans Finsler, als Fotograf ausgebildet.

 

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Brasilia: Unesco-Weltkulturerbe
Brasilia ist eine realisierte Utopie. Der Schweizer Magnum-Fotograf René Burri dokumentierte die aus dem Boden gestampfte Hauptstadt Brasiliens von 1960 bis 1993: zuerst ihren Aufbau, dann ihr Alltagsleben. Die meisten seiner Fotografien sind bislang unveröffentlicht. René Burri. Brasilia präsentiert dieses reiche Bildmaterial nun zum ersten Mal. Die Farb- und Schwarzweissaufnahmen zeigen architektonische Ikonen wie Brasilias berühmtes Parlamentsgebäude im Bau, Wohnblocks oder die Sicht aus dem Flugzeug auf die dem Urwald abgerungenen Bauflächen. Porträts des Architekten Oscar Niemeyer, der Arbeiter oder Politiker sind ebenso eingefangen wie Strassenszenen oder stimmungsvolle Partys. Deutlich werden so die ungeheure Aufbruchstimmung und Anstrengung, die den Aufbau begleiteten, sowie die visionären Dimensionen dieser ultramodernen neuen Hauptstadt.
Mit einem Essay von Arthur Rüegg zur Planungs- und Stadtgeschichte Brasilias sowie zu Burris Fotografien, einem Auszug aus einem Text der brasilianischen Schriftstellerin
Clarice Lispector, einem Text von René Burri und Faksimiles seiner Magazin-Veröffentlichungen.

 

 

Herausgegeben von Arthur Rüegg
Gebunden ca. 256 Seiten, ca. 130 farbige und 80 sw Abbildungen 23 x 31 cm 978-3-85881-307-7 ca. CHF 99.–

 

 

Arthur Rüegg, *1942, war 1991-2007 Ordentlicher Professor für Architektur und Konstruktion an der ETH Zürich. Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen zur Architektur und zur Klassischen Moderne. Clarice Lispector, 1920–1971, in der Ukraine geboren, kam mit ihren Eltern nach Brasilien, wo sie Jura studierte. Lispector veröffentlichte Kurzgeschichten, Romane und Kinderbücher.

 

 

Buchpräsentation in Anwesenheit des Fotografen René Burri, des Herausgebers Arthur Rüegg und des Verlagsleiters Thomas Kramer:
Mittwoch, 2. März 2011, 18 Uhr, Buchhandlung Orell Füssli Kramhof, Zürich
Donnerstag, 24. März 2011, 19 Uhr, Buchhandlung Bücherbogen am Savignyplatz, Berlin

 

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DU-Themenheft März 2011: René Burri,
mit Beiträgen u.a. von Daniele Muscionico.
www.du-magazin.com
abo@du-magazin.com

 

RENÉ BURRI – TWO WORLDS
Zwei Ausstellungen mit René Burri, kuratiert von
Guido Magnaguagno und Brigitte Ulmer.
Der Titel der Doppelausstellung TWO WORLDS ist eine
Reminiszenz an die erste Retrospektive „One world“, die das
Kunsthaus Zürich 1984 dem Magnum-Fotografen René Burri widmete.

 

PART I – COLOUR. 4. – 19. März 2011
Barr & Ochsner, Dealers in Fine Art
@ Gallery Neumarkt 17, Predigergasse 14, 8001 Zürich
Vernissage: 3. März 2011, 19 Uhr
Opening talk 20 Uhr: Eskapaden in Farbe, Guido Magnaguagno, Kurator.

 

PART II – BLACK & WHITE. 5. – 19. März 2011
Galerie Burgerstocker, Mühlebachstrasse 2, 8008 Zürich
info@burgerstocker.com
Vernissage: 4. März 2011, 18 Uhr
Opening talk 19 Uhr: Die Lust des Chronisten, Marco Meier, Publizist.

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