FRONTPAGE

Editorial Nr. 76

Editorial Nr. 76

September/Oktober 2018

 

 

Herzlich willkommen!

Liebe Kunstinteressierte,
liebe Freunde von Literatur & Kunst

 
Those were the days... ein wunderbarer Sommer, der den Namen verdient, neigt sich seinem Ende zu… ein heisser Herbst erwartet uns. Politisch steht die Schweiz vor der Entscheidung, ob sie die Bilateralen und das Rahmenabkommen mit der EU befürwortet. Die SVP sieht sich fast am Ziel, seit sich auch die SP mit gewerkschaftlicher Ablehnung des Rahmenvertrages hervortut und FDP und CVP einknicken. Nur die Grünliberalen halten der Vernunft die Stange und lehnen die Gesprächsverweigerung von allen Seiten ab. Kopf in den Sand stecken und Gartentür zu, hilft nicht weiter. Der stete (Medien)tropfen auf den ausgehöhlten Stein wider das EU-Rahmenabkommen zeigt Wirkung. Lassen wir uns davon nicht beeindrucken. Die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist ein Stück Europa! Zudem ist die Schweiz die multikulturellste Nation nach den USA. Geschäftsverträge brauchts zwischen Partnern, das ist sonnenklar, der Lohnschutz muss erhalten bleiben, auch klar, aber wie man das machen soll, für was sind eigentlich die Politiker da, mit ihren hohen Löhnen? Wir sagen ja zu Europa, die EU ist ein wichtiger Friedensfaktor. Das verdient Respekt! Und die EU lernt auch dazu… vielleicht auch von der Schweiz? Aber nicht, indem wir abseits stehen! Christoph Blocher mit seiner EMS-Chemie will sich dem EU-Gericht nicht unterstellen, aus Angst, er könnte in seiner Expansion gebremst werden. Die EU bietet  im Gegensatz zur Schweiz einen höheren Arbeitszeit- und Kündigungsschutz für die Mitarbeitenden. Die Gewerkschaften misstrauen den Schweizer Arbeitgebern,
dass sie ohne Mindestlöhne die Situation ausnützen könnten. Da liegt des Pudels Kern. Die Zuwanderung ergibt sich aus den Angeboten der Schweizer Wirtschaft. Punkt.
Die Sache ist noch nicht gegessen, mutlos und risikoscheu können wir die Zukunft der Schweiz nicht bewältigen!

 

Kunst-Perspektiven

Das Reservoir unserer Hoffnungen ist auch im Museum… Am 1. September findet wieder die beliebte Museumsnacht statt, 19 h – 02.00 Uhr. Das Kunsthaus Zürich wartet erstmals mit einer grossen Robert Delaunay-Ausstellung auf: «Robert Delaunay und Paris», die um Paris, Eiffelturm, frühe Luftfahrt, Sport und Farbe am Beginn der Moderne kreist (siehe Frontpage Literatur & Kunst). 33 Kuriere aus verschiedenen Museen haben die Werke ins Kunsthaus transportiert, so Direktor Christoph Becker, woran man sieht, wie vielfältig und kompliziert eine so delikate Ausstellung ist, die gewürdigt werden sollte. Ausserdem empfehlen wir Ihnen u.a.  auch das Museum Haus Konstruktiv, das  am Puls der Zeit immer wieder mit frischen, diskursiven Ausstellungen überrascht. Mit Imi Knoebel lässt sich gedanklich knobeln und The Afterlife ist ebenfalls ein Thema.

Ihre Ingrid Isermann
Theater Neumarkt: I LOVE DICK – Passion fiktionalisieren

Liebe ist keine Privatsache. Nein, das Stück ist nichts für prüde Geister in Zürich. Was das Theater Neumarkt in der Schweizer Erstaufführung des Romans «I LOVE DICK» von Chris Kraus in der Regie von Friederike Heller und ihrer Dramaturgin Angela Osthoff zeigt, ist provokativ, schrill, laut und ein tractatus philosophicus des Geschlechterdiskurses. Chris (Hanna Eichel), Feministin, verheiratet mit Sylvère (Ulrich Hoppe), der sich auf der Bühne bis auf die Socken zur Kenntlichkeit als Mann entblösst, macht mit bei der Begeisterung seiner Ehefrau für Dick (Martin Butzke), dem er sogar Liebesbriefe für sie schreibt. Auch eine Art Liebe. Das Werkzeug auf der Bühne sind riesige Plastik-Penisse als Neonmarker, mit denen Sylvére Botschaften wie «Fuck Psycho Analyse» oder «Schizo Kult» auf den Boden schreibt, denn Liebe ist Schizophrenie. Chris sieht dem Treiben zu, wälzt sich exaltiert zwischen Genderdiskussionen und Schriften und schreibt sich auf die nackten Brüste «J’accuse». Am Ende des Abends werden Schnüre als roter Faden kreuz und quer durch die Arena zum Publikum gespannt, als «visions of you – vision of me». I LOVE DICK löste 1997 einen Skandal in der New Yorker Kunstwelt aus, der Roman erschien in kleiner Auflage. Heute ist er ein internationaler Bestseller, der auch verfilmt wurde. Mittlerweile ist unser Privatleben durch Tinder, Facebook oder Instagram vollkommen öffentlich, was 1997 noch als Eingriff in die Privatsphäre galt, ist es heute nicht mehr. Kompositionen von Peter Thiessen, u.a. «Desert Cold Heart», «No man is an Island». Ein kurzweiliger, amüsanter und anregender Theater-Abend, der viel Applaus bekam. Sehenswert! Premiere 22. September 2018. Weitere Veranstaltungen:
www.theaterneumarkt.ch. tickets@theaterneumarkt.ch
 

 

 
Was können Sie im September/Oktober auf Literatur & Kunst entdecken?

 

Literatur: Wieviele Geheimnisse erträgt eine Familie? Francesca Melandri erzählt die verdrängte Kolonialgeschichte Italiens unter faschistischer Herrschaft in Äthopien anhand persönlicher Schicksale, eine Reise über die Vergangenheit in die aktuelle Gegenwart der Migranten. Brillant! Francesca Melandri «Alle, ausser mir», Wagenbach-Verlag, 2018.

 

 

Lyrik: «Aus Mangel an Beweisen», deutschsprachige Lyrik des 21. Jahrhunderts, Hg. Michael Braun und Hans Thill, mit poetologischen Essays. Wunderhorn Verlag, 2018. Bela Chekurishvili, die georgische Lyrikerin, *1974, ist auf der Frankfurter Buchmesse (10.-13.Oktober 2018) mit ihrem Gedichtband vertreten: «Barfuss», Wunderhorn-Verlag, 2018.

 

 

Kunst: Migros-Museum für Gegenwartskunst: «Koki Tanaka: Vulnerable Histories (Road Movie, 2018); Pipilotti Rist «Raus aus den Federn», Video-Installation, 2001.. Interview Oskar Metsavaht, Rio de Janeiro, von Julieta Schildknecht.

 

 

Photo/Film: Interview mit Barbara Auer. Rolf Breiner traf die beliebte Schauspielerin in Locarno und befragte sie u.a. zu ihrem neuen Film «Was uns nicht umbringt». Aktuelle Filmtipps.

 

 

Vielfältige Architektur-Buchtipps: DOM publishers Architektur-Guides Shanghai, Monterrey, Barcelona, Minsk, Krakau, Liechtenstein.

 

 

Widescreen Frontpage: JAMES TURRELL. The Substance of Light

Wer in James Turrells Lichträume eintaucht, macht eine magische Erfahrung: Das farbige, sich verändernde Licht lässt den Raum unendlich erscheinen. Museum Frieder Burda, Baden-Baden, 2018.

(c) James Turrell, Foto Florian Holzherr.  9. Juni – 28. Oktober 2018,

Im Kinderspital Zürich befindet sich übrigens eine Lichtinstallation «My Light», die James Turrell dem Spital zur Verfügung stellte.

 

 

Die Reportage von Ingrid Schindler führt diesmal auf die Äusseren Hebriden, Schottlands traumhaft schöne Vorposten im Atlantik, Inseln mit einem besonderen Charme. Kommen Sie mit!

 

 

Diskurs: Chinas leere Mitte. Helwig Schmidt-Glintzer. «China könnte vielleicht einmal als Beispiel gelten, wie Weltgestaltung und Modernisierung in harmonischer Weise gelingen».

Ökologie der Angst. Jens Soentgen. «Wenn es eine naturwissenschaftliche Theorie gibt, die als Platzhalter für eine allgemeine Theorie der Natur gelten könnte, dann ist es heute nicht mehr die Physik, deren Naturbegriff weiter, damit aber auch abstrakter gefasst ist».

 

 

Buchtipp: Georgien ist Gastland auf der Frankfurter Buchmesse: «Der Mann und der Vogel», Archil Kikodze. Rezension von Ingrid Schindler.

 

 

Wir wünschen Ihnen einen goldenen, schönen Herbst und viel Vergnügen und gute Unterhaltung mit Literatur & Kunst.

 

Herzlich
Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin

Editorial