März/April 2024
Liebe Literatur- und Kunstinteressierte, Freundinnen und Freunde, herzlich willkommen zum 14. Jahr von Literatur&Kunst!
Bonjour printemps! Im März 2011 haben wir Literatur&Kunst aus der Taufe gehoben, es war das Jahr von Fukushima. Nun spricht man wieder von Atombomben und Atomkraftwerken. Und auch die Kriege haben nicht aufgehört, wie in der Ukraine mit Putins völkerwidrigem Angriffskrieg am 24. Februar 2022 und dem Nahost-Krieg im Gazastreifen aufgrund des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 auf Israel. Die Daten haben sich ins Gedächtnis eingebrannt.
Am 16. Februar 2024 erschütterte die Welt der Tod des inhaftierten 47-jährigen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny in Sibirien, der kurz vor den Wahlen im März zu Putins 20. Präsidentschaft (2000-2008, 2012-2024) ausgeschaltet wurde. 2024 will Putin seine Regentschaft auf Lebenszeit ausdehnen. Keine Chance für ein modernes Russland, keine Chance auf Meinungsfreiheit. Putin hat Russland auf eine Kriegswirtschaft umgestellt und ist an Verhandlungen mit der Ukraine nicht interessiert, ausser an der Kapitulation des Landes. Die Souveränität der Ukraine seit 1991 erkennt Putin nicht an, sondern will die Ukraine wieder zu russischem Staatsgebiet machen. Wohin dieser Grössenwahn führt, ist uns aus der Vergangenheit bekannt.
Die Europäische Union (EU) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt gegründet und sie ist Oligarchen und autoritären Regimes ein Dorn im Auge. Europa spielt eine wichtige Rolle im Weltkonzert und wir können nicht abseits stehen, sondern werden unsere Werte wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität verteidigen, dringender denn je.
Auch Literatur und Kunst kann einen Beitrag dazu leisten, und sei es auch den «Trost der Schönheit», wie es Gabriele von Arnim in ihrem Buch erläutert, das wir Ihnen gerne vorstellen. Und wir spannen den Bogen von der amerikanischen schwarzen Bürgerrechtsbewegung von Diane Olivers «Nachbarn» zur aktuellen Stimmungslage im Mittleren Westen der USA mit «Iowa» der Wiener Kultautorin Stefanie Sargnagel und ihrem Ausflug nach Amerika.
1. März 2024 Ihre Ingrid Isermann
Putins Eurasien?
Wenn die Ukraine bis 2027 nicht in der EU und der NATO Mitglied ist, könnte sich Putins (71) Traum von Eurasien erfüllen, der gerade für weitere sechs Jahre zum fünften Mal als Präsident bis 2030 antritt. Denn 2027 sind Wahlen in Frankreich und die Rechtspopulistin Marine Le Pen strebt an die Macht, nachdem Präsident Macron nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten kann. «Die gefährlichste Frau Europas» titelte die NZZ am Sonntag am 17. März 2024, denn Marine Le Pen ist Putin-Versteherin, Nationalistin und will Europa von innen her zersetzen. Bei den kommenden Europawahlen könnte sie den ersten Schritt zur Machtergreifung erzielen, wo auch die rechtsextremistische AfD ebenfalls Europa zerlegen will. Le Pen tritt mittlerweile gemässigt auf und redet von Frieden in der Ukraine, enthielt sich aber der Stimme bei der Abstimmung über das Sicherheitsabkommen, das weitere Militärhilfe über drei Milliarden Euro für Kiew vorsieht. Ihre radikale Gesinnung verstecke sie hinter einer weichgezeichneten Fassade. Im Verbund gegen die EU steht auch die populistische SVP, die kürzlich rote Luftballone vom Bundeshaus gegen die EU fliegen liess und mit schrillen Tönen gegen die Verhandlungen des Bundesrates mit der EU opponierte. Doch interessiert es die Schweiz überhaupt, die sich aus allem heraushält und ihre nationalistische Präsenz nur bei Ski-Ikonen zeigt? Alles andere geht sie nichts an? Das dürfte ein grosser verhängnisvoller Fehler sein, der uns teuer zu stehen kommen und letztlich die Freiheit und die Sicherheit, in Frieden leben zu können, kosten würde.
17. März 2024 Ingrid Isermann
Premiere im Schauspielhaus Zürich: Biedermann und die Brandstifter – Todernster Klamauk.
1958 wurde das «Lehrstück ohne Lehre» von Max Frisch im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt, seither ist die Welt bunter geworden und die Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg wird signifikant als die Spielzeit mit der meisten Diversity ever in Erinnerung bleiben. Da blieb sich das Intendanten-Duo auch in seiner letzten Premiere treu mit dem schönen Schein wechselnder Identitäten. Die Biedermänner sind unter uns und die Brandstifter auch, wer wollte das bezweifeln? Ein Blick in die Zeitungen genügt, und Herr Biedermann (Patrycia Ziolkowska) ist im Bilde, als der obdachlose Ringer Herr Schmitz (Niels Bormann; Schmitz, Anna, Polizist, Chor) vor der Tür steht und um Unterkunft bittet. Anna, das Dienstmädchen mit Schürze und weissem Häubchen lässt ihn ein. Man ist ja kein Unmensch, aber Biedermanns Ehefrau Babette (Kay Kysela mit Bart; Eisenring, Polizist, Chor) hat es mit dem Herzen und verträgt keine Aufregung. Klar doch, auch der zweite Arbeitslose, Kellner Eisenring (Kay Kysela) ist dankbar für den Unterschlupf auf dem Dachboden, wo sich bald Benzinkanister zu stapeln beginnen. Hat jemand Streichhölzer? Biedermann hilft gerne aus. Musikalisch untermalt wird das ganze Theater mit Live-Soundtrack von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel. Und die Dialoge fliegen munter durch den Raum während die extrem agilen Schauspieler flugs die Rollen, aber nicht die Kleider wechseln. Wo bleiben die Gewerkschaften in dieser Mega-Leistungsgesellschaft und der doppelte Lohnschutz? Gibt es nicht genug Schauspieler für die verschiedenen Rollen, da wäre doch Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard gefordert. Vielleicht beim nächsten Mal? Jetzt hatte man alle Hände voll zu tun, das johlende Publikum bei Laune zu halten, während das Theater im Video abgefackelt wird (unter dem Schauspielhaus sollen Tausende von Parkplätzen entstehen) und die scheinbar Verantwortlichen von links bis rechts ihr Fett abkriegen; jeder ist Biedermann und Brandstifter zugleich und deshalb gehört jede Nase in den Dreck gesteckt. Die schauspielerischen Leistungen sind so beachtlich wie hinreissend, allen voran Patrycia Ziolkowska, die beim Publikum auch lautstark Anerkennung fanden.
Premiere Schauspielhaus Pfauen, 21. März 2024.
23.März 2024, Ingrid Isermann
Info: www.schauspielhaus.ch
Die Gewerkschaften und das EU-Dossier – wozu brauchen wir noch Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften haben ein Generationenproblem, soviel ist seit längerem bekannt, ihnen laufen die jungen Leute davon und der Mitgliederbeitrag ist auch nicht gerade niedrig. Deshalb haben die Gewerkschaften ein Legitimationsproblem, weshalb ihr oberster Chef, Pierre-Yves Maillard in die Offensive und in die Medien drängt. Mit der Initiative auf den 13. AHV-Monatslohn ist ihm das wider Erwarten gelungen. Und der zweite Streich folgt sogleich? «Der Gewerkschaftsbund (SGB) hat seine Drohung wahrgemacht und nimmt nicht mehr an den Gesprächen am runden Tisch des Staatssekretärs für Wirtschaft für das EU-Dossier teil», wie der Direktor des Arbeitgeberverbands Roland A. Müller in einem Gespräch mit der NZZ am 28. März 2024 konstatiert. Er bezeichnet die Haltung des SGB als verantwortungslos, die das Vertrauen beschädigt. Wie immer geht es den Gewerkschaften um den Lohnschutz, ihr Mantra in allen Verhandlungen. Gemäss Müller wäre der Lohnschutz mit der EU trotz Konzessionen möglich, doch der SGB wolle den Lohnschutz ausbauen und verlangt sachfremde Regulierungen, die mit den Verhandlungen mit der EU nichts zu tun hätten, von Mindestlöhnen über Kündigungsschutz bis zu Gesamtarbeitsverträgen (GAV), die am runden Tisch nichts zu suchen hätten. Ein Poker also, um möglichst viel herauszuholen? Müller hält die Schweiz für wohlstandsverwöhnt und «gottgegeben», dass es uns gutgehe und vermisst einen bürgerlichen Gegenspieler zu Pierre-Yves Meillard, wenn der Arbeitgeberverband die gleiche Sprache wählen würde wie der Gewerkschaftsboss, hätte man sofort einen Shitstorm. Eine wichtige Rolle hat der Bundesrat, von dem erwartet wird, dass er dezidiert zum EU-Dossier steht. Wie man auch auf die Befürworter, u.a. auch der SP, wartet.
28. März 2024, Ingrid Isermann
https://www.nzz.ch/wirtschaft/arbeitgeber-chef-zu-gewerkschaften-wenn-ich-die-gleiche-sprache-waehlen-wuerde-wie-pierre-yves-maillard-haetten-wir-sofort-einen-shitstorm-ld.1823600
Das Bundesamt für Kultur vergibt den Schweizer Grand Prix Kunst / Prix Meret Oppenheim 2024
Auf Empfehlung der Eidgenössischen Kunstkommission zeichnet das Bundesamt für Kultur (BAK) in diesem Jahr Jacqueline Burckhardt, Marianne Burkhalter und Christian Sumi sowie Valérie Favre mit dem Schweizer Grand Prix Kunst / Prix Meret Oppenheim aus. Die Preisverleihung findet am 10. Juni 2024 im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung Swiss Art Awards in Basel statt.
Klaus Merz erhält den Schweizer Grand Prix Literatur 2024
Das Bundesamt für Kultur (BAK) würdigt das Lebenswerk des Aargauers Klaus Merz mit der höchsten literarischen Auszeichnung der Schweiz. Der Spezialpreis Übersetzung geht in diesem Jahr an die Zürcherin Dorothea Trottenberg. Fünf Autorinnen und zwei Autoren werden mit einem Schweizer Literaturpreis für ein im vergangenen Jahr erschienenes Werk ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet am 10. Mai 2024 im Rahmen der Solothurner Literaturtage in Anwesenheit der Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Innern Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider statt.
Giardina 2024 – Wie ein facettenreicher Garten den Wohnbereich vergrössert.
Die Giardina 2024 lockt wieder mit einer einzigartigen Outdoor-Veranstaltung in die Messe Zürich. Der moderne Garten erfüllt heute vielfältige Bedürfnisse nach Rückzug und Erholung. Nachhaltigkeit im Gartenbau ist essenziell: bewusste Materialwahl, Upcycling, standortgerechte Bepflanzung und nachhaltiger Umgang mit Boden und Wasser sind heute wichtige Faktoren bei der Planung. Leben im Garten – facettenreich und lebenswert mit innovativen Gestaltungsideen. Ein Programm mit Work-shops und Vorträgen sowie kulinarischer Vielfalt erwarten Sie.
Messe Zürich, 13.-17.März 2024. Infos: giardina.ch
Buchtipp: «Der essbare Garten», von Sabine Reber und Markus Kobelt. Edition LandLiebe, 2024. Giardina Halle 1, Stand B05.
Was können Sie im März/April auf Literatur&Kunst entdecken?
Diane Olivers «Nachbarn» ist eine Neuentdeckung, die Autorin aus North-Carolina starb viel zu jung mit 22 Jahren; ihre brillanten Essays über die Bürgerrechtsbewegung und den Rassismus sind ungebrochen aktuell. Aufbau-Verlag, Berlin 2024.
Juli Govrin «Begehrenswert» untersucht in ihrem Essay, was Begehrenswertes ausmacht. Matthes&Seitz, Berlin 2023.
«19/21 Synchron/Global»: Charles Linsmayers weltliterarisches Lesebuch von 1870 bis 2020. Theodor Gut Verlag, 2024.
Mary Oliver: «Sag mir, was hast du vor mit deinem wilden kostbaren Leben». Die amerikanische Bestseller-Lyrikerin schreibt über Schönheit, Poesie und wie ihr vor allem das Gehen durch die Natur das Leben gerettet haben. Mit einem Vorwort von Doris Dörrie. Diogenes, 2023.
Belgien feiert den Maler James Ensor mit fulminanten Ausstellungen. Ingrid Schindler war vor Ort und berichtet über den Maler und seine Masken.
Cathy Josefowitz ist hierzulande eher nur Insidern bekannt, ihre Ausstellung «Release» in der Galerie Hauser & Wirth an der Limmatstrasse im Löwenbräuareal zeigt ihr beachtliches Werk zwischen Zeichnung, Malerei und Choreografie.
«Close-up»: eine spannende Ausstellung im Landesmuseum Zürich beleuchtet die Filmverleihfirma Praesens von den Anfängen bis heute. Aktuelle Filmtipps.
Monografie «EM2N Stadtfabrik»: das Zürcher Architekturbüro arbeitet seit 25 Jahren an städtischen Transformationsprozessen. «Konstruktion und Sinnlichkeit. Bürohaus Küng Alpnach», ein bahnbrechender Holzbau. Park Books, 2023. «Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik» von Philipp Oswalt, Architekt und Publizist. Mit einem Vorwort von Max Czollek. Berenberg Verlag, 2023.
Widescreen: JEFF WALL. Fondation Beyeler, Riehen b. Basel, Ausstellung 28.1.-21.4.2024.
Seine grossformatigen Fotos sind kunstvolle Kult-Inszenierungen: die erste umfangreiche Werkschau des kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall (*1946) in der Schweiz seit fast zwei Jahrzehnten. www.fondationbeyeler.ch
Gabriele von Arnim: «Der Trost der Schönheit» schenkt gute und aufbauende Gedanken. Pia Troxler hat das Bestsellerbuch rezensiert.
Stefanie Sargnagel : «Iowa. Ein Ausflug nach Amerika» Ein Reisebericht in den Mittleren Westen der USA, der für die Präsidentschaftswahlen im November 2024 eine wichtige Rolle spielt. Der schwarzhumorige Text lässt keinen Zweifel daran. Rezension von Ingrid Schindler.
«Thomas Koerfer, Filmemacher» steht für tiefgründige Schweizer Filme wie «Der grüne Heinrich» oder «Der Gehülfe». Julieta Schildknecht im Gespräch mit Thomas Koerfer.
Wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Frühling, anregende sowie aufregende Momente mit Literatur&Kunst und danken Ihnen für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlich
Ihre Ingrid Isermann, Herausgeberin