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«Ein winterlicher Rückblick – Wohnhäuser von Peter Kunz»

Von Fabrizio Brentini

 

Vor 20 Jahren eröffnete Peter Kunz in Winterthur ein eigenes Architekturbüro. Es ist nun für ihn der Moment gekommen, zur Halbzeit einen persönlichen Rückblick in Buchform zu wagen. Was dabei herausgekommen ist, kann ohne zu übertreiben als eines der intimsten und faszinierendsten Architekturbücher der letzten Jahre gewertet werden.

 

In einer knappen Einführung, die ohne Jargon auskommt und in der kein Wort zuviel ist, erläutert Kunz sein Projekt. Er habe sich für seine Wohnhäuser interessiert, weil sie gleichsam das Leben der Bewohner widerspiegeln.
«Ich empfinde das Altern, die Patina als Qualität. Am Ende lerne ich selbst vom Gebauten und finde Inspirationen, welche Themen ich in Zukunft angehen möchte».
Für seine Reise in die Vergangenheit wartete er auf den Winter, weil diese Jahreszeit für eine sinnliche Reduktion stehe. Und Reduktion sei seine bevorzugte Strategie, Reduktion «bei der Materialwahl, bei der Gestaltung, in der Architektur; aber auch in der Fotografie, in der Bildsprache, bei der Buchgestaltung, beim Layout und bei der Papierwahl».

 

Aus den 150 Projekten, die am Schluss des Buches aufgelistet sind, wählte Kunz lediglich deren 12 aus, die er mit der Winterthurer Fotografin Claudia Luperto erkundete. Auf nicht weniger als 140 Seiten werden die Resultate ausgelegt, aber es wird beim Durchblättern nie langweilig. Luperto arbeitete bewusst mit Überbelichtung, wodurch die architektonischen Objekte wie mit einem Schleier überzogen erscheinen, und dies hat etwas Erotisches an sich.
Kunz schuf eine faszinierende Poesie, die mit knappsten Mitteln alles ausdrückt, was auszudrücken gilt.
Die Objekte zeugen von der Phase der «Schweizer Kiste», womit man die präzis konturierten Gebäude aus wenigen Werkstoffen meint, die von Schweizer Architekten insbesondere in den 1990er Jahren zu einem Aushängeschild hiesiger Baukunst geschliffen wurden. Angesichts neuerer Tendenzen mit teilweise manieriert wirkenden Fassadengestaltungen erinnert Kunz’ Hommage an seine asketische Sprache an einen Höhenflug der Schweizer Architektur, der aufgrund aktuellerer Modeströmungen viel zu schnell abgebremst wurde.

 

Mit Ausnahme weniger Namen – Snozzi als grosses Vorbild, Mies van der Rohe, Schindler, Neutra –, die Kunz im Gespräch mit Hubertus Adam und dem Luzerner Architekten Daniele Marques nennt, erfahren wir nichts über den Werdegang von Peter Kunz. Mit der vorliegenden Monografie meldete sich kein Exzentriker, kein Selbstdarsteller, keiner, der seine Überlegenheit mit einer unerträglichen Fachsprache demonstriert. Kunz widmet sich leidenschaftlich dem Bauen und weiss, dass er dabei auf andere angewiesen ist.
«Mein Architektenteam zählt ebenso dazu wie die Bauherrschaft, die Behörden, die Fachingenieure, die Handwerker.» Nur selten stösst man in Architektenmonografien auf soviel Bescheidenheit, aber auch auf soviel Ehrfurcht vor der Aufgabe.

 

Das Buch als Architektur

Das in orangefarbenem Leinen gekleidete Buch ist zugleich eine Schmuckkassette, denn hebt man den vorderen Einbanddeckel, erkennt man, dass der Buchblock lediglich mit dem hinteren Deckel verklebt ist. Vermutlich dachte Kunz auch an ein abstrahierendes Modell eines Wohnhauses mit einer einfachen Hülle, die das vielschichtige Innere kaschiert. Nach der Seite mit dem Schmutztitel erscheint eine blaugraue Fläche, die bei näherem Hinsehen drei nur minim voneinander sich unterscheidende Felder zeigt. Davon ist eines aller
Wahrscheinlichkeit nach ein fotografischer Ausschnitt aus einer Ecksituation eines Innenraumes. Es ist ein Überlagern von Buchraster und Bauplan, oder anders gesagt, das Buch wird zur Architektur.

 

Vertrieben wird die Monografie im Luzerner Quart Verlag, der unter der Leitung von Heinz Wirz seit Beginn sich – vereinfacht gesagt – der Architektur der «Schweizer Kiste» verschrieben hat. Inzwischen steht der Quart Verlag in Bezug auf die Baukunst auf eine ähnliche Weise für eine bestimmte Ästhetik wie der Münchner Plattenlabel ECM in Bezug auf die Musik für einen unverwechselbaren Sound. Das Buch von Kunz hätte von keinem anderen Verlag vertrieben werden können.

 

 

Peter Kunz – Bauten
Quart Verlag Luzern 2012
D/E, 210 S., 160 Abb., 64 Pläne.
CHF 88/€ 69. ISBN 978-3-03761-070-1.

 

 

Audio-Tipp:

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Skulpturen aus Beton: Der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer
Oscar Niemeyer 15. Dezember 1907- 5. Dezember 2012, Rio de Janeiro
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Moritz Holfelder

Skulpturen aus Beton: der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer

Ein Hörbuch
DOM publishers

EUR 14. ISB

ISBN 978-3-86922-236-3

 

 

 

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