Julieta Schildknecht, Bild PD
«Engiadina und Val Müstair» – Eine romanische Galerie mit 81 Porträts
Von Ingrid Isermann
Fokus Engadin: Menschen aus dem Engadin und dem Münstertal, Apothekerin, Biologe, Restaurator, Fotograf, Buchhändlerin, Professor, Pfarrer, Forstingenieur aus dem Engadin und dem Münstertal. Wer sind diese Menschen, die aus einem der bekanntesten Täler der Alpen stammen und sich emotional, beruflich oder nebenberuflich, mit Musik, Kunst, Literatur, Sprache, Tradition, Natur und Umwelt beschäftigen?
Die Fotografin Julieta Schildknecht und der Romanist Jachen Curdin Arquint machten sich auf die Suche nach den Menschen, die das Geistes- und Kulturleben der «terra ladina» prägen. Dieses Buch porträtiert 81 Persönlichkeiten. Allen gemeinsam ist, dass sie zu Hause rätoromanisch – rumantsch ladin – sprechen und nicht nur durch die Sprache eine enge Beziehung zur «terra ladina» haben. Ein differenziertes Bild vom Innenleben der «muond rumantsch».
Im sorgfältig und schön gestalteten Buch lassen sich neben unbekannten auch bekanntere Namen und Porträts wie etwa über Not Vital, Chasper Pult, Rut Plouda, Leta Semadeni oder Madlaina Demarmels finden. Das Buch ist eine Fundgrube aus der rätoromanischen Schweiz, ein Kontrapunkt zum Bild aus der Tourismuswerbung.
«Als die Fotografin Julieta Schildknecht mit der Landschaft und mit den Leuten aus dem territori ladin in engeren Kontakt kam, nahm sie intuitiv wahr, dass zwischen dem Erscheinungsbild der Täler und ihrem Innenleben ein Kontrast besteht, der störend ist. Dieses Innenleben wollte sie zum Thema machen. Es entwickelte sich die Idee eines Fotobuchs, das in Bild und Wort eine Galerie von romanischsprechenden Persönlichkeiten vorstellt, die zum Kulturgeschehen beitragen, darüber nachdenken, aktiv werden und neue Perspektiven aufzeigen», so der Romanist Jachen Curdin Arquint in seinem Vorwort zum Buch.
Bis Leta Semadeni beispielsweise zu Gedichten kam, wie sie sie heute schreibt, durchlief sie eine lange Wegstrecke, reich an zusätzlichen Eindrücken: An der Universität Zürich – Sekundarlehrerpatent phil. I, acht Semester Psychologie -, später an der Universidad Catolica in Quito in Ecuador, in Perugia, als freie Mitarbeiterin beim Radio und Fernsehen (SF und DRS), als Lehrerin an verschiedenen Schulen in Zürich und im Engadin, auf Reisen in Asien entlang der Seidenstrasse, in Südamerika, auf den Galapagosinseln, am Amazonas, im Urwald. Wenn immer möglich, nicht als Touristin. Beglückt war sie, als ein Kioskinhaber, der bemerkt hatte, dass er von einem mattin indio, einem Indio-Bub bestohlen worden war, sie anwies, doch besser auf ihr Kind aufzupassen. Da dachte sie: «Ich bin angekommen». Seit 2005 ist sie freischaffend.
Leta Semadeni geht von der nüchternen Beobachtung aus, wählt die Elemente für ihr Gedicht und ordnet sie in der Sprachwerdung mit dem Mittel der Reduktion zur bewegenden Betrachtung. Es sind Begegnungen mit Orten, mit den Jahreszeiten, mit Erwachsenen, mit Kindern und immer wieder mit einem Tier. Gedichte schreiben, bedeute für sie frei sein. Sie müsse sich nicht an Konventionen halten, sie könne «Hierarchien knacken», sie könne »die Wörter aus dem gewohnten Kontext reissen und neue Sichtweisen ermöglichen». Das einzelne Gedichte dabei rätselhaft erschienen, dürfe sein. Das Rätselhafte sei dem Gedicht immanent. «Der Mensch bleibt ja auch vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug sich selber ein Rätsel», hält sie Skeptikern entgegen. (Ausschnitt).
Jachen Curdin Arquint (*1929, Susch), promovierter Romanist. 1969-1972 Redaktor am nationalen wissenschaftlichen Wörterbuch des Rätoromanischen. 1978–1994 Rektor der Bündner Kantonsschule in Chur. Zahlreiche Publikationen zum Rätoromanischen sowie Artikel und Vorträge zu sprachlichen und kulturellen Themen. Lebt seit 1999 in Ardez.
Julieta Schildknecht (*1960, São Paulo), studierte Jura und ist seit 2001 freischaffende Fotografin. Studium der Kunstgeschichte und Fotografie an der Universität Zürich, Master of Arts der Oxford Brooks University. Diverse Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland, u. a. in New York. Vertreten in privaten und institutionellen Sammlungen.
«ENGIADINA UND VAL MÜSTAIR»
Eine Galerie mit 81 Porträts
Fotos: Julieta Schildknecht, Texte. Jachen Curdin Arquint
Scheidegger & Spiess, 2015
geb., 320 S.,, 1 farbige und 202 sw Abbildungen
19 x 27 cm
CHF 36. € 38
ISBN 978-3-85881-460-9