FRONTPAGE

«Es funktioniert»

Von Isolde Schaad

Betrachtungen zu einem neuen Urteilskriterium der Literatur

 

Sublime Rhetorik oder Bildungsgerassel, artistischer Hahnenkampf oder stringente Dialektik, all das rollte vor der staunenden Zeitgenossin ab, ob im Namen der Erkenntnis oder der Einschaltquote, bleibe dahingestellt. Zum Beispiel der legendäre Club zwei im ORF: dort lieferten sich Kenner und Liebhaber, Gegner und Besserwisser geisteswissenschaftliche Schlachten, wie unsere Fussballer pusteten, preschten und dribbelten sie für oder gegen eine Verszeile von Hölderlin. Auch dieses TV Nachtschattengewächs stieg aus einer tiefen Vergangenheit, die gar nicht lange zurückliegt.

Was machte jene ungestüme, ja rohe Talkshow so faszinierend? Warum war das schrankenlose  Quartett so unerbittlich erfolgreich? Die Antwort floss ebenfalls vom Bildschirm, ausgerechnet vom Schweizer Literaturclub, der plötzlich zu einer Hochform der Streitlust auflief, und mir eineinhalb Stunden ungeteilten Genusses bereitete, in dem er sich ausufernd und gescheit über seine eigene Aufgabe uneinig war. Soll die Sendung möglichst viele Menschen zum Lesen anregen oder soll sie zeigen, was Literatur, abgesehen von Unterhaltung, auch und vor allem sein soll, nämlich die überaus anspruchsvolle, komplexe Formfindung für ein überaus anspruchsvolles komplexes Phänomen? Auch wurde festgestellt, dass solch ein überaus anspruchsvolles komplexes Unternehmen einen Namen hat, nämlich: Kunst.

 

Der Groschen fiel mit jenem Wort, das jetzt als vordringliches Kriterium unter Kritikern, an Textrunden und wohl auch in den einschlägigen Kommissionen den Ton angibt: funktionieren. Es fiel gottlob nur einmal, und im Munde des Philosophen klang es fremd und sonderbar und verschaffte mir darum die Erkenntnis des Augenblicks. Unmittelbarkeit, Authentizität macht die Talkshow, diese ungebremst brodelnde Vitalität, die entsteht, wenn ein paar kluge Köpfe vom Fach um eine Bücherbeige herumsitzen und einander ins Wort fallen, vor lauter Eifer, das Ei des Sokrates zu finden. Oder den Feldstecher des Kolumbus. Darum geht es, darum ginge es, um das unpolierte, unzensurierte Nichtschönreden von Literatur und Politik, mit einer Einstellung von Kamera und Moderation, die keine Rücksicht auf Opportunität nimmt.

Es geschieht also auch heute noch, manchmal, gelegentlich. Dass Literatur am Fernsehen als ein Abenteuer der Unwägbarkeit vorkommt, dessen Gelingen nicht das Können ist. Das Reden vom Funktionieren trifft allenfalls das Können, von dem auch heuer wieder Busch und Tal erfüllt sind, sodass sich dieses Können zu einem gewieften, überaus erfolgreichen Selbstläufer entwickelt. Der beisst sich bloss noch in den Schwanz. Soll man’s schon den neuen Manierismus der Selbstreferenz nennen? Ach nein, das klingt zu hochgestochen, innerhalb eines unter dem Druck des Marktes handelnden und prämierenden Betriebs.

 

Es funktioniert: die minimale Qualitätssicherung. Noch die verantwortungsvollsten Kritiker sind sich wohl kaum bewusst, wie sehr ihr Instrumentarium schon der Facebook Nomenklatur gleicht. Die Weltliteratur funktioniert nicht, sie ist voller Mühsale und Durststrecken, ja, mit Verlaub auch voll quälender Langeweile.

Weltliteratur ist, frei nach Robert Musil, wenn Seinesgleichen geschieht.

 

Dagegen das Funktionieren: ein Fungizid für das Schreiben, es treibt ihm auf Anhieb alle Flausen aus, von denen der Text erst einmal lebt, mit dem er atmet, wenn er gerade geboren wird. Die Unverfrorenheit, die aus der Unsicherheit schlüpft: was für eine Lust am Text ist doch einmal gewesen, Roland Barthes nannte sie in seinem berühmten Aufsatz von 1973 das Kamasutra der Sprache.

Der Text, den ich schreibe, muss mir beweisen, dass er mich begehrt. Das Schreiben ist dies: die Wissenschaft von der Wohllust der Sprache, ihr Kamasutra.

 

 

Es funktioniert. Zwei Wörtchen, ein schlichtes Sätzchen, die minimale Qualitätssicherung einer kulturellen Ära, die nolens volens zu Ende geht, die der Literaturkritik, dies nach der Blüte, die doch immerhin fast dreihundert Jahre gedauert hat.

Zwei Wörtchen, gefolgt vom Zünglein an der Waage, das der Justizia. Dem Nicht, njet, niente, nada. Mit der Verneinung wird nicht nur ein Text verabschiedet, sondern auch der Autor in den Orkus geschickt. Das Urteilsformat der Stunde, prekären Stunde eines untergehenden Betriebs, kursiert jetzt auch in gelehrten Zirkeln, es macht Experten zu Fingerzeigern, Fachleute zu Fachsimpeln. Sie werden es unter Druck einer schöpferischen Kategorie, die sich vom Markt abhängig macht.

 

 

 

 

 

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