«Filmische Highlights»
Von Rolf Breiner
Filmmekka an der Limmat: Das Zurich Film Festival ZFF jubiliert und geht seinen Erfolgsweg konsequent weiter. Nadja Schildknecht (Geschäftsleitung) und Karl Spoerri (Künstlerische Leitung) präsentieren die 10. Ausgabe – vom 25. September bis 5. Oktober 2014.
Ein Fest fürs Kino – nicht nur für Zürich
Kontinuierlich hat sich das Zurich Film Festival (ZFF) entwickelt und etabliert im internationalen Filmfestivalbetrieb. Nicht nur die Besucherzahlen sind permanent gestiegen, auf 71 000 Besucher im letzten Jahr, auch das Budget hielt mit und konnte von 800 000 Franken (2005) auf 6,1 Millionen (2013) und nunmehr 6,9 Millionen Franken erhöht werden, die Zahl der Filme von 28 (2005) auf 145 (2014). Diese Entwicklung schlug sich auch beim Personal nieder. Vor zehn Jahren hatte ein kleines Team von vier Personen das erste Festival organisiert und durchgeführt. «Jetzt sind wir ein Betrieb von 20 Festangestellten und 40 Teilzeitmitarbeitenden. Dazu kommen 300 Volontäre», erläuterte Nadja Schildknecht anlässlich einer Presseorientierung. «Wir sind hier der grösste Arbeitgeber im Filmbereich.»
Es gibt mehr Glamour, das bedeutet die Präsenz von Stars wie Diane Keaton (Golden Icon Award), Cate Blanchett, Antonio Banderas, Liam Neeson, die Auftritte und Engagements von Kameramann Michael Ballhaus, Komponist Hans Zimmer und «Easy Rider»-Legende Peter Fonda, der bereits zum dritten Mal nach Zürich kommt. Darauf legt der künstlerische Leiter Spoerri betont Wert: «Die Filme stehen im Mittelpunkt.» Feste und Verleihungen diverser Eyes, muss man ergänzen, gehören natürlich dazu – in den verschiedenen Sektionen (Spiel- und Dokfilme, Schweizer Filme, Publikumspreis u.a.m.) bis hin zum Kleinen Golden Eye (Kinderfilmreihe). Schweizer Filme sind in allen Wettbewerben vertreten, insgesamt 14. In den diversen Kinos (Arena, Corso, Filmpodium, Le Paris) sind 17 Weltpremieren angesagt.
Das ZFF-Jubiläum 2014 steht zudem ganz im Zeichen der Frau. Direktorin Schildknecht freut sich: «Wir haben ein Frauenjahr.» Die Fakten: Bundesrätin Simonetta Sommaruga eröffnet das Festival am 25. September, auch Bundesrätin Doris Leuthard macht ihre Aufwartung. Jeder sechster Festivalfilm stammt in diesem Jahr von einer Frau. Spielfilmjury-Präsidentin ist die dänische Regisseurin Susanne Bier, die Filmschaffende Claire Denis wird mit einem Award geehrt. Ausserdem sind 80 Prozent der Mitarbeitenden Frauen. «Ein Fest fürs Kino – ein elftägiger Dauerspot fürs Kino», meint Karl Spoerri. Nadja Schildknecht unterstreicht: «Das Festival ist nicht mehr wegzudenken. Und Zürich ist perfekt als Networking-Plattform».
Zürich hat sich mit seinen vier Wettbewerben um das Goldene Auge, dotiert mit 20’000 Franken und Verleihförderungen, etabliert. Einige Gala-Premieren wurden bereits angekündigt, beispielsweise das Drama «The Cut» von Fatih Akin, die Tragikomödie «My Old Lady» von Israel Horovitz oder «Manglehorn» von David Gordon Green («Joe»). Bekannt sind auch drei Schweizer Weltpremieren (ausserhalb des Wettbewerbs): der Dokumentarfilm «Padrone e Sotto» von Michele Cingliano, das Drama «Freifall – Eine Liebesgeschichte» von Mirjam von Arx und der Film «Projekt Angst» von Stefan Jäger.
Wikinger und andere Stars
Weltpremiere feiert am 27. September auch ein Schweizer Wikingerfilm. Der in Los Angeles ansässige Urner Claudio Fäh hat das Historien-Spektakel um die Nordmänner inszeniert, produziert von Ralph D. Dietrich. In «Northmen – A Viking Saga» sucht im Jahr 873 eine Schar Wikinger Britannien heim – auf einem Racheraubzug. Mit von der Partie sind Tom Hopper, Ryan Kwantan, Ken Duken und der Schweizer Anatole Taubman.
Der Golden Icon Award wird Diana Keaton verliehen, die an einer Gala ihren neuesten Film «And So It Goes» vorstellt, eine romantische Komödie mit Michael Douglas. Ein anderer grosser Hollywood-Mime, Liam Neeson, wird den Cop-Thriller «A Walk Among the Tombstone» empfehlen. Hans Florian Zimmer (56) wird mit dem Lifetime-Award geehrt. Der deutsche Filmkomponist und Produzent ist in Hollywood eine Grösse. 1995 wurde er mit dem Oscar für die Filmmusik vom «König der Löwen» ausgezeichnet. Zuletzt lieferte er Musiken für «Mister Morgan’s Last Love» (2013), «12 Years a Slave» (2013), «Winter’s Tale» (2014) oder «Son of God» (2014).
Filmtipps
Yalom’s Cure
Er ist ein Mann der Seele und der Worte: Irvin D. Yalom, Sohn jüdisch-russischer Einwanderer, 1931 in Washington D.C, geboren. Er gilt als einer bedeutendsten und einflussreichsten Psychoanalytikerin in den USA. Neben zahlreichen Sachbüchern verfasste der rührige Analytiker, Therapeut, Psychiater und Autor auch einen Roman über eine junge selbstbewusste Russin, einen Arzt und den suizidgefährdeten Denker Friedrich Nietzsche: «Und Nietzsche weinte» (sehr lesenswert). Doch dieses Buch ist nur eine Randbemerkung im Porträt von Sabine Gisiger: «Yalom’s Cure – Eine Anleitung zum Glücklichsein». Das gelungene Porträt über und mit Psychiater Yalom erklärt und zeigt den Forscher und Menschen, seine Thesen und Therapien, aber auch seine Sicht des Lebens, der Psyche, der Beziehungen. Die Filmerin füllt die Zuschauer nicht mit zahllosen Weisheiten und Einsichten ab, sondern lässt Zeit, die assoziativen Bilder und Sentenzen wirken zu lassen. Im Oktober wird die Filmerin Sabine Gisiger zum Film, ihrer Arbeit und dem «Helden» Yalom Stellung nehmen – in «Literatur und Kunst».
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Cure – The Life of Another
Der Titel «Cure» mit dem Untertitel «The Life of Another» ist sperrig und schwer fassbar wie der ganze Film: eher eine Kopfgeburt der Leoparden-Trägerin Andrea Staka («Das Fräulein»). Ihr jüngstes Werk knüpft an ihre Aufarbeitung von Frauenschicksalen (Balkan nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens) und nahm am Internationalen Wettbewerb des Filmfestivals Locarno 2014 teil, ohne jedoch gross Spuren zu hinterlassen oder Aufmerksamkeit zu wecken. Sie inszenierte – mit Unterstützung ihres Partners Thomas Imbach («Mary») – ein Coming-out-Drama. Teenager Linda (14), in der Schweiz aufgewachsen, kehrt mit ihrem Vater 1993 in ihre Heimat Dubrovnik zurück und trifft ihre Freundin Eta. Man träumt, tauscht sich aus und wechselt die Rolle. Es kommt zur Rangelei an der Steilküste und Eta stürzt plötzlich ab. Es scheint, als würde die Heimkehrerin, die ihre Heimat nicht findet, die Stelle Etas einnehmen. Doch sie entscheidet sich anders. – Stakas schwermütiges, auch kantiges Teenager-Drama bemüht sich um einen psychologischen Hintergrund. Am Ende geht die Rechnung nicht auf. Es bleiben Fragen offen – um Verhältnisse der dominierenden Linda zu den Eltern, auch zu der vermeintlichen Freundin und zu Kroatien. In «Cure» spürt man das Bedürfnis der Filmerin Andrea Staka, die schwierigen zwischenmenschliche Bindungen und Irritierungen zu beschreiben und zu hinterfragen, mit Sinn und tieferer Bedeutung, doch bleibt es letztlich mehrheitlich beim guten Willen.
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Diplomatie
Paris, 24./25. August 1944. Die Alliierten bedrängen die Nazis. Der Führer ist in die Defensive gedrängt und will Paris vernichten, um sich zu rächen. Und Hitler hat einen General an die Seine geschickt, dem er vertraut: Der kommandierende, führungstreue General von Gross-Paris, Dietrich von Cholitz, soll die Stadt an der Seine dem Erdboden gleich machen. Brücken und Gebäuden sind mit Dynamit vermint– von Notre Dame bis zum Eiffelturm. In dieser apokalyptischen Lage sucht der schwedische Konsul Raoul Nordling den militärischen Befehlshaber im Hotel Meurice auf. Und es entspannt sich eine Konversation um Krieg und Kultur, Befehl und Verantwortung, Gehorsam und Courage. Volker Schlöndorff («Die Blechtrommel», 1979, «Homo Faber», 1991), der in Paris studiert hatte, schuf eine filmische Hommage an diese Stadt und erinnerte an dramatische Momente. Nach dem Theaterstück von Cyril Göly hat der deutsche Oscar-Preisträger ein Kammerspiel inszeniert, das von zwei grossen Mimen getragen wird, vom 65-jährigern Franzosen Niels Arestrup als Stadtkommandant (der in Wahrheit damals 49 Jahre alt war) und vom 68-jährigen André Dussollier als gewieften, unzimperlichen Diplomaten. Das historische Resultat ist bekannt, dennoch fesselt das dramatische Wortgefecht bis zur letzten Einstellung. Schlöndorffs Dokfiction ist grosses Theater, in dem – wie er selbst anlässlich einer Premiere in Zürich sagte, «Waffen mit Worte bekämpft werden». Seine Meditation über Geschichte sei in der konkreten Situation authentisch, natürlich verdichtet, aber wahr.
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Hectors Reise
Und dann war er mal weg, der Londoner Psychiater. Eigentlich müsste er zufrieden, ja glücklich sein – mit seiner florierenden Praxis und geerdeten Partnerin Agnes. Doch dieses «Glück» ist Hector suspekt und er begibt sich auf «Die Suche nach Glück» (so der deutsche Filmuntertitel). Auf seinen Stationen von China, Stadt und Land, bis Südafrika und Kalifornien lernt er leiden, staunen, nie verzagen und letztlich lieben. Er entwickelt sich zu einer Art «Indiana Jones of Happiness». Das ist abenteuerlich, bedrohlich in Afrika komisch, kauzig, manchmal katastrophal. Der Brite Peter Chelsom (Buch und Regie) hat sich aus dem Millionenbestseller «Hectors Reise» von François Lelord ein munteres Reisekaleidoskop inszeniert – mit Starensemble. Simon Pegg agiert als sympathischer Menschenfreund und Psychiater, der von allerlei Gangstern und Drogenbaronen (z.B. Jean Reno) gebeutelt, aber auch von einem gestressten, gutmeinenden Banker (Stellan Skarsgård) unterstützt wird. Nicht zuletzt spielen auch Frauen eine Rolle, eine Hellseherin (Veronica Ferres), die nicht mehr durchblickt, Hectors alte Jugendliebe Agnes (Toni Colette), die glückliche Mutter ist, und die arbeitswütige Partnerin Clara (Rosamunde Pike), die ihm seine Glücksfreiheit lässt. Das muntere «Hector im Glück»-Gaudi erweist sich als wankelmütig und launisch wie eben als Glück. Zum Glück hat am Ende der Glücksritter Hector eine schöne Liste von 15 Lektionen in seinem Büchlein notiert, etwa «Glück ist, seine Bestimmung zu finden» (Regel 8). Viel Glück mit Hector!
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Monsieur Claude und seine Töchter
Monsieur Claude Verneuil (Christian Clavier) ist eigentlich ein netter Kerl mit Familiensinn. Eher konservativ, bissig, ein bisschen querköpfig, aber offen bis zu einem gewissen Familiengrad. Man hat’s ja nicht leicht – mit drei Töchtern die quasi eine UNO ins gemütliche Landhaus bringen, idyllisch in der Loire-Region gelegen. Ségolène hat sich den Chinesen Chao geangelt; Isabelle ist mit dem Muslim Rachid liiert; Odile steht auf den jüdischen Jüngling David. Doch diese anderen Sitten (Beschneidung, Religion, Essen, Namensgebung) sind ihm suspekt, und seine Frau Marie (Chantal Lauby) macht gute Miene zum Bösen Spiel. Und nun soll Nesthäkchen Laure unter die Haube, mit gütiger Mithilfe der Eltern. Immerhin kündigt die verliebte Laure an, dass katholisch geheiratet wird. Überraschung. Ihr Liebster stammt von der Elfenbeinküste und… eben, Claude kriegt sich nicht mehr ein und muss sich mit den Folgen der Kolonialisierung auseinandersetzen. – Klar, bei dieser Konstellation explodieren förmlich die Vorurteile – bei aller Nächstenliebe. Daraus schöpft Regisseur Philippe de Chauveron seine Komödiendynamik – nicht immer stubenrein und wirklichkeitsnah, aber amüsant. Die Idee zum kunterbunten Ehereigen kam ihm beim Studium der Statistik. Demnach sind die Franzosen Weltmeister in Mischehen. Rund 20 Prozent der Ehen sollen zwischen Partnern verschiedener Herkunft und Religionen gestiftet worden sein. Wenn doch nur der Ehe- und Familienalltag so lustig-drollig wäre, wie bei Monsieur Claude und seinen tollen Töchtern und Schwiegersöhnen!
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Class Enemy
Er ist ein harter Brocken, der neue Deutschlahrer Robert Zupan (Igor Samobor). Er vertritt die beliebte Lehrerin Nusa, die sich in die Mutterschaftsferien verabschiedet. Er fährt einen härteren Kurs, will die Jugendlichen disziplinieren. Es geht ihm nicht um Beliebtheit, sondern ums Lernen und Wissen. Die jungen Wilden rebellieren und sehen in Lehrmeister Zupan den Schuldigen, der ihre Klassenkameradin Sabina (Daša Cupevski) in den Selbstmord getrieben haben soll. Luka (Vorance Boh) ist der Rädelsführer, der selber nicht klar kommt und seine Frustgefühle gegen den Lehrer richtet. Zupan wird angefeindet und sieht sich auch vom Lehrkörper isoliert. Als «Klassenfeind» gebrandmarkt, versucht der Deutschlehrer Würde zu wahren, Wahrheit und Wirklichkeit aufzudecken. Der Slowene Rok Biček hat ein wahres Ereignis aufgegriffen und lange daran gearbeitet. Sein Filmdebüt «Class Enemy» zeigt Reife und zeichnet eindrücklich die Fronten zwischen Schülern, Lehrern und Eltern an diesem Vorfall, ohne zu richten, zu kommentieren, ohne Opfer und Täter eindeutig zuzuweisen. Sein Blick in diese Klasse einer Sekundarschule hat etwas Allgemeingültiges und appelliert an Einsicht, Bereitschaft, dem anderen zuzuhören, zu begreifen, zu tolerieren. Es ist ein eigentliches Kammerspiel – mal im Klassenzimmer, im Lehrerraum, in den Schulfluren – über Beziehungen und Spannungen, aber auch über Hilflosigkeit in einer rücksichtlosen Welt.
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Die Biene Maja – Der Kinofilm
Wer hätte das gedacht! Das wirbelige Wesen entschlüpfte der Wabe bereits vor über 100 Jahren, denn schon 1912 zeichnete der Bayer Waldemar Bonsels die Abenteuer der «Biene Maja» auf, 1915 folgte eine Fortsetzung. In den Zwanzigerjahren tummelte sich die mutige Maja bereits auf der Leinwand – stumm, aber echt, denn ihre Abenteuer wurden mit echten Insekten nachgestellt. 1975 begann ihr Karriere als Trickfilmfigur. Das japanische Trickstudio Zuijo Enterprises produzierte 104 Folgen à 22 Minuten – im Auftrag des ZDF. Karel Gott sang ihr zu Ehren die Titelmelodie, und auf die kann man auch im neusten Kinofilm nicht verzichten, nun freilich mit der Stimme von Schlagerstar Helen Fischer. Maja hat in den letzten Jahrzehnten einen sagenhaften Erfolgsflug um die Welt angetreten, mal in TV-Animationsserien (2013) oder in Comicheften.
Das Münchner Studio 100, bereits bei der letzten Serie mit 78 Folgen aktiv, hat den Kinofilm im 3D-Look auf die Beine beziehungsweise auf die Flügel gestellt. Die Story ist nicht neu, aber beherzt und pfiffig wie erwartet. Jungbiene Maja (mit der Stimme von Nina Schatton) wird als zu forscher, unangepasster Störenfried ins Abseits gestellt. Doch sie lässt sich weder von «Erwachsenen» noch von der durchtriebenen und machthungrigen Beraterin Gunilla (Stimme: Nina Hagen) aufhalten, welche die Königin (Eva-Maria Hagen) kalt stellen will. Nicht nur die gütige Königin wird entmachtet, sondern auch ein Krieg mit Hornissen angezettelt. Gut gibt es die beherzte Frau Kassandra (Stimme: Cosma Shiva Hagen) sowie das starke Freundesquartett mit Maja, ihrem Freund mit Willi (Jan Delay), dem Grashüpfer Flip (Cusch Jung) und der Hornisse Fetzer, männlich. Die halten zusammen und Regisseur Alexs Stadermann sowie die Produzenten Patrick Elmendorff und Thorsten Wegener vom Studio 100 («Wickie und die starken Männer») lassen nichts anbrennen, forcieren die Neugierde, den Tatendrang und die Begeisterungsfähigkeit der bravourösen Biene. Die Fangemeinde – gross wie klein – wird sich freuen am rasanten 3D-Abenteuer aus Bienenperspektive. Da würde es doch wundern, wenn nicht dem einen oder andern der Stachel jucken würde.
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Of Horses and Men
Wer je das Land im hohen Norden betreten und bereist hat, kann sich seiner Faszination kaum entziehen. Da nimmt einen doch wunder, was uns Regisseur Benedikt Erlingsson zu erzählen hat. Nein, kein Wikinger-Abenteuer, wie es «Northmen – A Viking Saga» nach Hollywood-Manier bietet, übrigens eine Schweizer Produktion in Südafrika gedreht. Sondern Episoden heute auf Island, locker aneinander geknüpft. Ein Mann (Ingvar E. Sigurdsson) liebt eine Frau (Charlotte Boving) – eher aus der Ferne – und Pferde, dennoch tötet er seinen bestes Hengst, als der die Stute seiner Angebeteten besteigt. Ein anderer Isländer, versoffen und stur, schwimmt mit seinem Pferd einem Schiff nach, um Kanister mit irgendeinem starken Alkoholstoff zu ergattern. Noch auf dem Rückweg im eiskalten Wasser lässt er sich den Kanal volllaufen und fällt am Strand angekommen vom Pferd – tot. Es sind herbe Episoden, die uns Erlingsson in seinem Filmdebüt erzählt und die zarten Gemütern zusetzen können. Es gibt rauzarte Liebesmomente und eiskalte dramatische Situationen – und immer spielen Pferde eine wichtige Rolle bei Männern wie Frauen. Wunderbar, wie Bergsteinn Bjoergulfsson Pferdeaugen und vor allem die fünf (!) Gangarten der Isländer Rosse einfängt. Der sehr spezielle Spielfilm «Of Horses and Men» ist Islands erfolgreichster Streifen im eigenen Land, mehrfach im Ausland ausgezeichnet (Tokyo Filmfestival, Festival San Sebastian 2013). Ein Film gegen den Strom und Sehgewohnheiten. Ausserordentlich spannend und packend, wenn man sich darauf einlässt.
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Sex Tape
Sie sind scharf aufeinander wie Susi und Struppi. Wenn Annie mit dem Po wedelt, läuft Jay heiss. Die Lust scheint unstillbar, bis Kinder Tribut, sprich Zeit und Aufmerksamkeit, fordern. Um das Liebesleben neu zu beleben, kommt Annie auf die famose Idee, ihre Sexverrenkungen nach Kamasutra-Vorlagen zu filmen. Toll – für eine Nacht. Die Aufregung ist freilich gross, als Jay merkt, dass ihr Sex-Video (nicht gelöscht – aus Nachlässigkeit oder mit Absicht?) auf Reisen geht. Das Ehepaar, von einem versierten Bengel erpresst, versucht nun, das entlarvende Sex-Tape aus dem Verkehr im Bekanntenkreis zu ziehen. Das ist so bieder und naiv wie die bekannte Selfie-Affäre in der Schweiz. Doch das Problem, alles und jedes aufzunehmen und das Risiko, öffentlich zu werden, bleibt im privaten Dunst verhaftet und wird nicht tiefer thematisiert. Eine vergebene Chance. Letztlich entpuppt das Hecheln um ehelichen Sex so lustvoll wie eine Klosterkomödie. Ein bisschen nackte Haut, Gestöhn und verbale Phantasie machen noch keine Sexkomödie. Die hat Jake Kasdan mit dem eingespielten Pärchen angezettelt, das bereits in «Bad Teacher» agierte. Cameron Diaz ist hübsch anzusehen, und Jason Segel turtelt auch ganz nett. Aber insgesamt verspricht diese Beziehungs- und Familienkomödie mehr als sie je halten kann. Die anfangs angeheizte Sinnlichkeit verkommt zum naiven Slapstick. Eine verklemmte Hollywood-Produktion – wortreich, aber so erotisch wie ein routiniertes Ehepaar unter der Bettdecke.
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Everyday Rebellion
Die Strategie der Gewaltlosigkeit hat Gandhi weltberühmt gemacht. Und doch: Gewaltlosigkeit schützt vor Gewalt nicht. Aufgeben gilt nicht, das dokumentierte beispielsweise der Film «Millions Can Walk» von Christoph Schaub. Hunderttausende landloser Dorfbewohnern und Ureinwohner, den Adivasi, marschierten auf Delhi zu, um gegen Besitzlosigkeit und Unrecht, für die eigene Existenz und das Recht auf Land zu protestieren. Um das Recht auf Selbstverwirklichung, Freiräume und Freiheit geht es vielen «Protestanten und Protestantinnen» – weltweit. So unterschiedlich die Bestrebungen und Ziele auch sind, allen ist eines gemeinsam: Sie wollen gewaltlos ihre Rechte einfordern, ihre Anliegen, Proteste und Veränderungsaktionen in die Öffentlichkeit tragen: die Occupy, The Yes Men, die spanischen Indignados oder ukrainischen Femen, die topless Aktivistinnen, welche vom Osten bis in den Westen ihre Botschaften attraktiv und medienwirksam vortragen – auf nackter Haut. Die iranischen Brüder Arash T. und Arman T. Riahi (The Riahi Brothers), aufgewachsen in Österreich, haben diverse Protest-Aktionen begleitet und dokumentiert von Kairo, Damaskus und Teheran bis London, Madrid, Paris und New York. Ein Rebellion-Roadmovie, etwas sprunghaft, aber lustvoll, energisch und sehr optimistisch. Das dokumentarische Panoptikum, bildstark und aufrüttelnd, ist Teil eines cross-medialen Projekts und dient nebenbei als Aufruf zur Vernetzung (www.everydayrebellion.net).
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Der Kreis
Die Zürcher Clubszene Mitte der Fünfzigerjahre. Ernst Ostertag (Matthias Hungerbühler), ein schüchterner, angehender Lehrer, entdeckt seine homosexuellen Neigungen: Er verguckt sich in den Travestiestar Röbi Rapp (Sven Schelker), findet seinesgleichen im «Kreis», einer Schwulenorganisation, die bereits Anfang der Dreissigerjahre gegründet wurde. Kopf dieser Vereinigung ist Karl Meier, im Film der agile Rolf (Stephan Witschi), der ein internationales Netzwerk aufgebaut hatte und die Zeitschrift «Der Kreis – Le Circle – The Circle» herausgab. Ostertag arbeitet aktiv mit – im Untergrund. Man feiert, man sucht Konsens und Kompromisse mit den Behörden (Sittenpolizei) und wird gleichwohl als Aussenseiter kriminalisiert und verfolgt. 1960 erlässt der Zürcher Stadtrat ein Tanzverbot für Männer (unter sich), 1967 wurde das Magazin eingestellt, die Organisation löste sich mehr oder weniger auf. – Das Liebespaar Ernst und Röbi gab und gibt es: Sie sind letztlich auf der Leinwand präsent. Regisseur und Autor Stefan Haupt («Sagrada», «How About Love») hat geschickt sein historisches Drama um diese beiden Männer gebaut – mit überzeugenden Darstellern. Dazu gehört auch Anatole Taubman als «Kreis»- Mitwirkender. Taubman ist zurzeit in mehreren Produktionen («Die Akte Grüninger», «Northmen») präsent. Viel Zeitkolorit und Zeitgeist fliessen im Spielfilm «Der Kreis» ein. Man spürt die Hand des Dokumentarfilmers als Mahn- und «Denk»-mal für eine gesellschaftliche Entwicklung in der Schweiz verdient «Der Kreis» Beachtung und Anerkennung. Zeitgeschichte von gestern für heute?
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Gemma Bovery
Der Romancier Gustave Flaubert veröffentlichte 1856 seinen Roman «Madame Bovery» in der «Revue de Paris». Er wurde ein Klassiker der Weltliteratur. Seit 1934 ist das Buch ein Dutzendmal verfilmt worden. Es gibt einen Literaturcomic («Weltliteratur im Comicformat») und die Graphic Novel «Gemma Bovery» von Posy Simmonds. Und diese visuelle Interpretation der Geschichte einer Frau, die leidenschaftlich liebt und stirbt – in unserer Zeit, gab den Kick für die Verfilmung der Regisseurin Anne Fontaines. Schauplatz ist die Normandie. Der Film kreist um eine attraktive Frau, Gemma Bovery (Gemma Arterton!) und schwärmenden Männer: um ihren Gatten Charlie (Jason Fleming), ihren Ex-Lover Patrick (Mel Raido) und einen sehn-süchtigen Bäckermeister namens Martin Joubert (Fabrice Luchini). Als besagter Brot- und Croissant-Produzent, literaturvernarrt und phantasiebegabt, seiner neuen Nachbarin Bovery begegnet, klingeln bei dem frustrierten Ehemann alle Gefühls- und Literaturglocken. Ist Gemma die neue Bovery und wird dasselbe Schicksal erleiden wie Flauberts tragische Heldin? Die junge Engländerin geht fremd, turtelt mit dem jungen Adelssprössling Hervé und verbringt heisse Liebesstunden mit ihm. Martin ist Zeuge, alarmiert und fühlt sich verpflichtet, ins Schicksal einzugreifen und «Madame Bovery» zu retten. – Diese dramaturgische Idee und Variante des Klassikerstoffes hat ihren Reiz, Literatur mit der Wirklichkeit zu vermengen. Doch die sentimentale Spiegelfechterei steht auf wackligen Beinen, das Wechselspiel der Namen, Gefühle, Hoffnungen und Irrungen bleibt oberflächlich, Die Flamme der Leidenschaft erlischt, wie sie entfacht wurde – vorhersehbar und ungeschützt trotz romantischer Bemühungen des unglücklichen Beobachters.
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Fantoche 2. bis 7. September 2014
«Animierte Filmwelt: Fantoche in Baden»
Von Rolf Breiner
Fünf Tage steht Baden wieder ganz im Zeichen des Animationsfilms. Rund 300 Filme flimmern vom 2. bis 7. September über diverse Leinwände. Fantoche – das 12. Internationale Festival für Animationsfilme setzt Schwerpunkte auf Japan und «Krieg und Frieden».
Das Herzstück des Festivals in Baden sind die Wettbewerbe, der international Film (34 Filme) und der schweizerische Film (30 Filme). In allen Sektionen sind überwiegend Premieren, nationale wie international, zu erleben. Ein Schwerpunkt ist der japanischen Filmproduktion gewidmet. Dabei ist der Klassiker «Akira» von Katsuhiro Otoman aus dem jahr 1988 wiederzuentdecken. Der Animationsfilm spielt 2019, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Tokio und entwirft Katastrophen- und Zukunftszenarien. Eine aktuelle Produktion ist Hayao Miyazakis «The Wind Rises» (Kinostart: 11. September), der offiziell letzte Film des weltbekannten Filmemachers. Im Mittelpunkt steht Jiro, der schon als kleiner Junge davon träumt, Flugzeuge zu entwerfen. Später Ende der Zwanzigerjahre baut er Kriegsflugzeuge. Die Geschichte, in der sich auch die Entwicklung Japans widerspiegelt, zieht sich von 1923, Zeit des grossen Erdbebens in Tokio, bis zum Zweiten Weltkrieg. Ein grossartiges zweistündiges Panorama mit viel Herz und Seele. Hintergrund des japanischen Schwerpunkts ist auch das 150jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen der Schweiz und Japan. 20 Gäste aus Japan werden erwartet. Drei Ausstellungen sind in der Stanzerei zu sehen, die aktuelle Themen aus Japan zeigen, dazu kommen Talks und Präsentationen.
Und noch ein historisches Ereignis hat die Festivalorganisatoren bewogen, sich speziell der Thematik «Krieg und Frieden» zu widmen. Vor 200 Jahren, führte Festivalleiterin Annette Schindler an einer Medienorientierung aus, fand ein Friedenskongress in Baden statt. 1714 wurde der Friedensvertrag im Spanischen Erbfolgekrieg, der Frieden von Baden am 7. September 1714, geschlossen. Die Erbfolgekriege endeten mit einer Pattsituation, wobei sich ein europäisches Gleichgewicht herausbildete zwischen Spanien, Frankreich, Österreich und Preussen sowie Grossbritannien (Gibraltar wurde gewonnen, die Kronen Schottlands und Englands vereint). «Frieden verhandeln» ist eine Ausstellung im Historischen Museum überschrieben (ab 7. September).
Verschiedene Programme befassen sich mit dem Themenspektrum: «Frieden statt Krieg! Aktuelle Antikriegsfilme», «Der europäische Pazifismus und die Balkankriege» oder «Die neueste Generation der (Anti-)Krieger». Die Ausstellung «Warzone Peace» im Kunstraum Baden thematisiert Frieden als grosse, wohl unerreichbare Hoffnung.
Ein weiterer Themenkreis steht unter dem Titel «Gestern, Heute, Morgen», hier werden animierte Music-Clips, von SRG/SSR produzierte Filme, die Panoramen «Strong Women», «Love Stories» oder «Short & Sweet» aufgeführt.
Grosses Publikumsinteresse werden die aktuellen Langfilme «Beyond Beyond» (mit Making of), «The Boy in the World», «Loulou, l’incroyable secret» (mit Making of) oder «The BoxTrolls» (mit Making of) wecken. Insgesamt sind 14 Langfilme in 2D oder 3D zu sehen.
Im vergangenen Jahr wurden rund 22 000 Eintritte bei «Fantoche» gezählt. Auf ähnlichen Erfolg hoffen Annette Schindler und ihr 30-köpfiges Team, das während des Festivals auf 120 anwächst. Ein kleines Festival ganz gross – bei einem Budget von 1,5 Millionen Franken.
Eine kleine Fantoche-Auswahl geht ab 17. September auf Schweizer Tournee von Lausanne (17. bis 23. September) über Zürich (ab 18. September) und Luzern (ab 18. September) bis Aarau (24. September), Brugg (28. September) und Chur (26. Oktober) sowie weitere Spielorte.
www.fantoche.ch