FRONTPAGE

«Forschungsprojekt: Zuhause im Stahl»

Von Marcel Meili

 

Das Institut Konstruktives Entwerfen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW präsentiert hier die Ergebnisse eines internationalen Sommerworkshops und Forschungsprojekts. Die Autoren reflektieren die Ikonen des Stahlbaus aus heutiger Sicht und präsentieren zeitgenössische Bauten von Atelier Bow-Wow, Christian Kerez, Lacaton & Vassal, Made in und anderen.

 

Das Brüsseler Hôtel Tassel (1893–1986), die Maison de Verre in Paris (1928–1932) oder das Eames House in Los Angeles (1949) stehen bis heute ikonografisch für die Wohnlichkeit von Stahlkonstruktionen. Als reale Modelle scheinen sie jedoch ausgedient zu haben: Dem Architektentraum stellen sich stets verschärft Anforderungen in den Bereichen Brandschutz, Bauphysik und Energie entgegen.

 

Gleichzeitig bieten rationale Vorteile von Stahlkonstruktionen wie die industrielle Vorfertigung, kurze Bauzeiten, die trockene Bauweise, die Flexibilität in der Grundrissgestaltung und die Anpassbarkeit der Struktur auch grosse Chancen für dieses Baumaterial im Wohnungsbau.

 

Das vorliegende Buch untersucht, inwiefern und unter welchen Bedingungen die Verwendung von Stahl im Wohnungsbau heute einen Mehrwert generieren kann. Neben den drei genannten Ikonen werden neun zeitgenössische Stahlbauten von Schweizer und internationalen Architekturbüros mit zahlreichen Plänen und Fotografien vorgestellt. Untersucht werden diese Projekte insbesondere auf ihre räumlichen und konstruktiven Eigenarten.

 

 

Zur Tektonik des Eames House

Einstieg in die Stimmug der 1950er-Jahre

Zumindest in einer Hinsicht fügt sich das Eames House in den Chor der anderen Case Study Houses ein. Die Häuser vermitteln die Stimmung einer leichten, durchsichtigen und heiteren privaten Existenz, eine Art Optimismus für das, was sich als Lebensweise der 1950er-Jahre abzuzeichnen beginnt. Diese wurde dann in Werbefilmen, Haushaltsgeräten, Ausstellungen und Zeitschriften als Zukunftversprechen beschworen und als American Way of Life zu einem weltweiten Standard einer unbeschwerten, Spass und Zuversicht vermittelnden Existenz erhoben. Was war der Beitrag der architektonischen Konstruktion zu dieser Stimmung?
Vielleicht wird bei der Analyse der Case Study Houses auch zu wenig in Rechnung gestellt, dass die Stimmung dieser Häuser in der Luft lag. Die Entwürfe und Bauten von George Fred Keck z.B. oder die frühen Arbeiten von Mies van der Rohe in den USA bereiteten vieles vor, was in den Case Study Houses durchdekliniert worden ist. Dass nur wenige Jahre nach einem fürchterlichen Krieg eine so unbeschwerte Stimmung heraufbeschworen wurde, ist bemerkenswert. Dieser Krieg war nur noch durch einige Rüstungsprodukte wie Plastikteile, Flugzeugkleber und synthetische Harze präsent. Eine fast durchsichtige heitere Leichtigkeit ist ohne Zweifel ein Leitmotiv des Eames House.
Das Eames House als selbständige Interpretation eines Case Study House
 
Jenseits dieses präzisen Stimmungsbildes schlägt das Eames House aber eine sehr eigenständige architektonische Tonlage innerhalb der Case Study Houses an. Das Haus vermittelt die Atmosphäre einer ungezwungenen, beinahe zerbrechlichen Architektur, indem Teile fast ohne Gewicht sorgfältig zu einem aufregenden Raumgebilde und einem starken plastischen Körper zusammengefügt werden. Dieser Entwurf bezieht so offensichtlich seine Kraft aus dem Dialog zwischen innen und aussen, weshalb man kaum glauben kann, dass die fein austarierte Lage zwischen dem Hang und den Eukalyptusbäumen gewissermassen nur zweite Wahl war.

 

Das Vorgängerprojekt stiess rchtwinklig zum Hang aus der kleinen Anhöhe hervor. Es gemahnte in der Zartheit an jene schwebenden, ihre Leichtigkeit zelebrierenden Pavillonhäuser, die die Moderne nahezu als Prototypen bereitgehalten hat. Vordergründig scheint es, als ob sich das Eames House als No. 8 bruchlos in die berühmte Case-Study-Serie der Zeitschrift «Art & Architecture» einfügen würde. Wenn wir genauso hinschauen, stellen wir aber fest, dass das Haus recht weit weg ist von bei Case Study Houses verbreiteten Rechrche nach einem leichten Stahlbausystem, dessen Spannweite auffallend grossformatige Fensterscheiben ermöglicht hat. Die grossen Glasscheiben sind beinahe das Markenzeichen der Case Study Houses. Beim Eames House ist es das Gegenteil: das Heruntrbrechen der Flächen des Kubus auf ein Netz relativ kleiner Felder.
Die Form selbst war aber nicht Charles Eames’ letztes Ziel, sondern eine nicht näher umschriebene «Qualität», wie er festhielt. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass damit die materiellen Eigenschaften des architektonischen Entwurfs in den Vordergrund gerückt wurden.
Darin liegt der unverwechselbare Beitrag des Eames House zur Konstruktionsgeschichte der Moderne. Zwar soll auch für Ray and Charles Eames die Maximime «less is more» Gültigkeit gehabt haben, aber der in der Moderne verbreitete Zug in eine Abstraktion, die die Tektonik strafft und damit die Haptik des Matrials reduziert, ist dem Eames House fremd.

 

 

In diesem Oszillieren zwischen abstrakter geometrischer Ordnung und materieller Präsenz wird das Haus als eigenständig erkennbar. Die Eames verwenden zwar, dem Auftrag der Case Study Houses entsprechend sehr viele gängige vorfabrizierte Bauteile eines Produktekatalogs von einem der grossen Anbieter auf diesem Feld: Truscon. Das House Nr. 8 war, wie es das Case-Study-Programm vorsah, eines der acht Stahlversuchshäuser. Vorfabrizierter Stahl unterstellt eine sachliche vorausdenkende Entwurfsstrategie, was den Eames offenkundig lag, aber sie kümmerten sich nicht um eine einheitliche Fügungslogik die diese Truscon-Teile nahegelegt hätten, auch wenn sie nicht im engeren Sinn des Wortes als Bausystem konzipiert waren. Dieses individuelle Fügungsverfahren erforderte eine Art Bricolagetechnik, weil die Verbindungen zwischen den Teilen in jedem Einzelfall erfunden und gefertigt werden mussten.

 

 

Eine eher unerwartete innenräumliche Eigenschaft der fein abgewogenen netzhaften statischen Gitterstruktur soll hervorgehoben werden: die Elastizität zur Aufnahme von Gegenständen und Möbeln als Ausdruck der Beschlagnahmung der Räume für das tägliche Leben. Möbel, persönliche Gegenstände, Kunst und Textilien schmiegen sich gewissermassen an die Bauteile an und überspielen damit das strenge Regime in der Ordnung der Stahlteile. Besonders deutlich wird die Annäherung von Struktur und Einrichtung beim Einsatz von Holz für die grosse Wand und in der Verwendung von steifem Segeltuch für die Bespannung von Paneelen. Vorhänge und Schiebepaneele geben als Einrichtungselemente und Sichtblenden der Gitterstruktur Tiefe und heben gleichzeitig einzelne Elemente durch Flächigkeit hervor. Das Haus nimmt gerade in dieser Interferenz zwischen Einrichtungsteilen und struktureller Ordnung den Charakter einer Ausstellung der Arbeiten von Ray und Charles Eames an.
(Auszug).

Marcel Meili
Die Verwendung von Stahl im Wohnungsbau im Wandel der Zeit mit aktuellen Beispielen unter anderem von Atelier Bow-Wow, Christian Kerez, Lacaton & Vassal, Made in. Mit Beiträgen von Ingrid Burgdorf, Patric Fischli-Boson, Patric Furrer, Stephan Mäder, Marcel Meili, Daniel Meyer, Niko Nikolla, Tanja Reimer, Astrid Staufer und Martin Tschanz.

 

 

 

 

Zuhause im Stahl

Hg. ZHAW Institut Konstruktives Entwerfen

Räumliche und konstruktive Betrachtungen

zu Stahl im Wohnungsbau

Park Books Zürich, 2016

Broschiert

160 S., 72 farbige und 107 sw Abbildungen

17 x 24 cm

CHF/€ 29.

ISBN 978-3-03860-013-8

 

 

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