FRONTPAGE

«Monografie: Frank Geiser, Architekt – Hauptwerke 1955-2015»

Von Fabrizio Brentini

 

 

Der Berner Architekt Frank Geiser, *1935, ist einer der hervorragendsten Vertreter des Schweizer Stahlbaus. Nach einer Lehre als Hochbauzeichner studierte er ab 1956 an der legendären Hochschule für Gestaltung in Ulm, wo Max Bill, Otl Aicher und Konrad Wachsmann zu seinen Lehrern zählten. Geprägt von Theorie und Praxis der industriellen Bauweise mit ihrer radikalen Reduktion und klaren Konstruktion, hat er ein Werk geschaffen, das mit einem vielbeachteten kleinen Bürokubus in Bern ansetzt und seine Vollendung im Campus der Gewerbeschule Bern und in einem skulpturalen Wohn- und Bürohaus in Spiegel bei Bern findet.

Es ist immer wieder ein Genuss, ein Buch in Händen zu halten, das mit aller nötigen Sorgfalt gestaltet und hergestellt wurde. Um ein solches Werk handelt es sich bei der im Verlag Park Books erschienenen Monografie über den Berner Architekten Frank Geiser.

Für den Einband wurde ein edler grauer Leinenüberzug gewählt. Das recht dicke Papier für den Inhalt wurde zusätzlich lackiert, was einen sanften seidenen Glanz ergibt. Der Architektur von Geiser entsprechend entschieden sich die Herausgeber für die Univers, die wunderbar zeitlose Schrift von Adrian Frutiger aus dem Jahre 1957. Und es sind schnörkellose Schwarz-Weiss-Aufnahmen, die das beeindruckende Gesamtwerk von Geiser dokumentieren. Nur auf einer einzigen Seite ist eine zusätzliche Farbe aufgetragen worden. Der Präsentation von insgesamt 20 Hauptwerken zwischen 1955 und 2015 ist eine frühe Lithografie vorangestellt, die lediglich zwei Zeichen auf rotem Grund zeigt — ein Hinweis dafür, dass das Bemühen für grösstmögliche formale Reduktion bei Geiser von Anbeginn vorhanden war.

 

Es wird schon beim ersten Durchblättern klar, welche Hauptquelle für die Architektur von Geiser genannt werden muss; es ist das Nachkriegsschaffen von Mies van der Rohe mit seiner kristallinen Sprache, seiner Liebe zum Detail und seiner modularen Komposition. Geiser setzte als Rastereinheit das Quadrat und ordnete diesem nicht nur den Grundriss, sondern auch die Fassadengestaltung unter. Wo er ohne Sachzwänge agieren durfte, setzte er als Hauptwerkstoffe Beton, Stahl und Glas ein. Der Autor Konrad Tobler stimmt mit dem Verdikt im «Architekturlexikon der Schweiz» überein, wonach Geiser der Solothurner Gruppe nahestand, obwohl er ihr nie angehörte. Aus meiner Sicht ist es vor allem die Arbeitsweise von Fritz Haller, die mit derjenigen von Geiser verglichen werden kann. Wie Haller verstand Geiser ein Gebäude als komplexe Maschine, für deren Funktionieren alle Elemente perfektioniert und aufeinander abgestimmt werden müssen. Als in den 1970er Jahren, bedingt durch die Ölkrise, Gebäude energieeffizienter konstruiert werden mussten, stellte sich Geiser dieser Herausforderung, ohne seine modulare Architektur in Frage zu stellen. Und wie Haller stiess er damit auf Widerstand, weil man gerade die Glas-Stahl-Verkleidungen als Ausdruck eines verantwortungslosen Umganges mit Energie brandmarkte. Geiser konnte aber mit seinen Spätwerken zeigen, dass solche Fassaden durchaus ideale Möglichkeiten zur Energieoptimierung boten. Sein 2007 vollendetes Wohn- und Bürohaus in Köniz etwa erhielt ein Minergie-Zertifikat, was man angesichts der gläserner Haut, welche die drei auf einem Betonsockel ruhenden Geschosse umspannt, beileibe nicht erwarten würde. In dieser Beziehung ist eine Verwandtschaft mit den englischen Ingenieurarchitekten wie Foster, Rogers oder Grimshaw zu erkennen.

 

Erstaunlich ist bei dieser, sagen wir technoid anmutenden Architektur, dass die Natur im Schaffen von Geiser eine grosse Rolle spielt. Fast in jedem der kurzen und präzisen Kommentaren zu den 20 ausgewählten Bauten ist von Bäumen die Rede, die den Aussenraum prägen sollen. Sie spielen als Einzelbäume die Rolle von Brennpunkten oder bieten Sichtschutz oder legen, in Reihen gesetzt, Achsen, welche den Solitär oder den Baucluster mit der Umgebung vernetzen.

Konrad Tobler traf sich sich häufig mit Geiser, und daraus entwickelte sich dieses Buch, «das als kritische (Selbst-)Reflexion des Architekten im Dialog mit dem Autor als Teil des Werkes betrachtet werden darf», so Tobler im Nachwort. Das Biografische beschränkt sich auf den Werdegang, insbesondere auf die Nennung von Personen im Umfeld von Geiser, die ihn beeinflussten und motivierten, einen künstlerischen Beruf ins Auge zu fassen. Dazu gehören seine Eltern, die der Bauhausbewegung nahestanden, wie auch zwei Onkel, von denen der eine, Charles Geiser, zeitweise bei Le Corbusier tätig war, während der andere, Bernhard Geiser, zum international anerkannten Experten des grafischen Werkes von Picasso arrivierte. Schon in jungen Jahren wurde dem angehenden Architekten der Weg zu Kunstschaffenden geebnet. Die Einbeziehung künstlerischer Interventionen in seine Artefakte war für ihn kein Muss, sondern ein Bedürfnis. Es seien hier die vier, 1984 ausgeführten Anamorphosen von Markus Raetz im Hauptgebäude des ehemaligen staatlichen Seminars Hofwil in Münchenbuchsee erwähnt.

 

Wichtige Impulse erhielt Geiser bei seinem Studium an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, die von Otl Aicher gegründet wurde und die Bauhausidee nach dem Krieg wieder aufleben lassen wollte. Eine weitere Station in seiner Ausbildung war das Institut für Städtebau und Landesplanung in Aachen, was ihn veranlasste, eigene Projekte in seiner Heimat auszuarbeiten. Die wichtigsten, etwa ein Überbauungsplan aus dem Jahre 1957 für Neu-Schliern in Köniz, bilden den ersten Teil der Werkschau. Es folgen die Kapitel mit den Einzelbauten, mit den Um- und Erweiterungsbauten, schliesslich mit den Grossbauten ab 1990. Obwohl die Herausgeber — auch diesbezüglich in Anlehnung an die Prinzipien der architektonischen Sprache — äusserst sparsam in der Auswahl der Pläne und der Aufnahmen waren, erhält man bei jeder Arbeit einen umfassenden Ein- und Überblick. Dabei stösst man auf beeindruckende Artefakte, die einer breiteren Öffentlichkeit bislang wenig vertraut waren. Ich denke da an das Landhaus in Zuzwil ((1967/68) und an den Kubus in einem Weiler bei Niederbottigen (1989/95), die als interessante Paraphrasen des Farnworth House von van der Rohe zu werten sind. Elegant und ein Grossstadtflair ausströmend erhebt sich das zwölfgeschossige Stahl-Glas-Hochhaus (1969/72) an der Schwarztorstrasse in Bern. Es ist meines Wissens eines der seltenen Anwendung der von van der Rohe beispielsweise am berühmten Seagram Building in New York erprobten Ästhetik in der Schweiz. Dass die modulare Architektur sich harmonisch mit historischer Bausubstanz verzahnen kann, bewies Geiser mit dem Umbau des kantonalen Verwaltungsgebäudes an der Speicherstrasse (1984/86) in Bern. Ein auskragender Stahl-Glasriegel schafft zusätzlichen Raum und verbindet fünf Einheiten zu einem Ganzen. Überraschend auch der aussen angebrachte Lift am Historischen Museum Bern (1989/91). Der Aufzug wird eben nicht kaschiert, sondern als das präsentiert, was er im Grunde ist, als eine Maschine, um Personen und Waren vertikal zu transportieren. Das urbanistisch komplexeste Projekt ist sicher die Erweiterung der Gewerblich-industriellen Berufsschule in Bern sein (1996/99). Die zahlreiche Bautrakte mussten nicht nur auf den in der schweizerischen Architekturgeschichte wichtigen Urbau von Hans Brechbühler aus den 1930er Jahren reagieren, sondern sich auch in eine sensible Zone über der Aare und mit Blick auf die Altstadt einfügen. Seiner Sprache treu bleibend übernahm Geiser die Hofrandbebauung und verband die neuen Trakte mit den «Altbauten» mittels einer schwebenden Fussgängerbrücke, in die Max Neuhaus eine komplexe Klanginstallation integrierte.
Im Buch sucht man vergeblich nach einer Porträtaufnahme von Geiser, und dies ist gewiss so gewollt. Der Architekt lässt sein Gesamtwerk sprechen, ohne sich selber in den Vordergrund zu drängen.

 


Konrad Tobler

Frank Geiser, Architekt

Park Books, 2016

Geb.,
208 Seiten, 100 farbige und Duplex-
und 34 sw Abbildungen und Pläne
25 x 26.5 cm
CHF 69 | € 68
ISBN 978-3-906027-91-3

 

 

 

L&K-Hörbuchtipp

 

«Die Erweiterung des Horizonts: Der Denker und Architekt Rem Koolhaas»

Der Denker und Architekt Rem Koolhaas ist einer der international wegweisenden Baumeister im Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert. Er entwirft nicht nur Gebäude – ebenso wichtig sind für ihn seine Schriften. Bücher und Essays wie Delirious New York (1978) oder The Generic City (1995) haben weltweit Aufsehen erregt. Mit Gebäuden wie der Niederländischen Botschaft in Berlin (2004), dem Hochhauskomplex De Rotterdam (2013) oder dem Kunstareal Fondazione Prada in Mailand (2015) hat Koolhaas seine theoretischen Überlegungen in die Praxis umgesetzt. In diesem Hörbuch äußert er sich zur Philosophie seiner wichtigsten Bauten.

 

 

Der Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk und Rem Kohlhaas trafen im November 2011 in der Niederländischen Botschaft in Berlin zu einem architektonisch-philosophischen Diskurs zusammen. Es ging um gesellschaftliche Zwänge, die Kunstwelt, zivilisatorische Umbrüche und das Unterbewusste. Kohlhaas erklärte, er befasse sich im Moment vor allem mit den ländlichen Gegenden, mit der Countryside. Nachdem er sich jahrzehntelang mit der Stadt beschäftigt hatte und fasziniert vo ihr gewesen sei, interessiere ihn jetzt zunehmend, was die Menschen hinter sich lassen, die vom Land in die Stadt ziehen.

Von der zunehmenden Urbanisierung sprach auch Peter Sloterdijk – von der Stadt als dem grossen architektonischen Archetyp des 21. Jahrhunderts, der (im Gegensatz zum Land) mit dem Ruf locke, das wirtschaftliche Überleben der Menschen zu sichern. Europa sei bereits seit dem 19. Jahrhundert durch den Prozess der EntAgrarisierung gegangen – in vielen armen Ländern der Welt sei er aber noch voll im Gange.

 

Die von Rem Kohlhaas geforderte und geförderte Freiheit des Denkens ist möglich, weil er selbst oder langjährige Mitarbeiter des Büros ihr Wissen mit einbringen.

Rem Kohlhaas wurde 1944 in Rotterdam geboren. Er arbeitete als Autor und Journalist, bevor er 1968 an der Architectural Association School of Architecture in London zu studieren begann. Anschliessend kam er bei dem deutschen Architekten Oswald Mathias Ungern unter, der in den USA an der Cornell University in Ithaca eine Professur hatte. 1975 gründete er zusammen mit seiner heutigen Ehefrau Madelon Vriesendorp, Elis Zenghelis und Zoe Zenghelis das Architekturbüro Office for Metropolitan Architecture (OMA). Seit den Neunzigerjharen gilt Rem Kohlhaas als einer der weltweit aufregendsten Baumeister und Architekturtheoretiker. Er spielt eine wichtige Rolle in der Diskussion über die Entwicklung der Städte und zukünftige Formen des Wohnens.

 

 

Moritz Holfelder
Koolhaas
Die Erweiterung des Horizonts:
Der Denker und Architekt
Rem Koolhaas
CD Hörbuch, DOM publishers, 2016

CHF 19.50

 

 

«DOM Architekturführer: Vereinigte Arabische Emirate»

Bei Architektur und Vereinigte Arabische Emirate denkt man unwillkürlich an die rekordträchtige Architektur in Abu Dhabi und Dubai. Bei genauerem Hinschauen findet sich auch neotraditionelle Baukunst in Sharjah, oder in den kleineren Emiraten anspruchsvolle Bauten und zukunftsweisende Projekte. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Beispiele für eine emiratische Architektur der neuen Generation, deren Fokus auf Nachhaltigkeit und dem Erhalt der Bautradition liegt. So weist die Baukunst in den Emiraten eine grössere gestalterische Vielfalt auf, als man hierzulande auf den ersten Blick vermuten würde.

 

 

Der Architekturführer Vereinigte Arabische Emirate stellt auf 540 Seiten über 200 Bauten und Projekte dieses immer noch jungen Landes vor, das sich innerhalb von drei Generationen von einer kargen Beduinenkultur ins Burj-Khalifa-Zeitalter katapultiert hat.

Die Autoren Hendrik Bohle und Jan Dimog porträtieren alle sieben Emirate in jeweils eigenen Kapiteln, wobei die Schwerpunkte auf dem glänzenden Dubai und dem weltgewandten Abu Dhabi liegen. Sie führen nicht nur zu den bekannten Highlights, sondern auch in entlegene Ecken und stellen die traditionelle Architektur der Festungen, Souks, Windtürme oder Wohnhäuser reicher Kaufleute vor und vermitteln somit ein lebendiges Bild der Architektur.

 

Ergänzt wird die Darstellung durch Interviews mit internationalen und einheimischen Architekten sowie Projektentwicklern, die für die Region bedeutend sind, aber auch Akteure aus anderen Branchen wie einem Hotel- und einem Museumsdirektor, einem Touristenführer oder dem politischen Berater der VAE-Botschaft in Berlin werden in den fundierten Reportagen und kulturgeschichtliche Essays vorgestellt. Kritisch und kenntnisreich zugleich beleuchten die Autoren die vielschichtige Architektur und die visionären baulichen Vorhaben der VAE und zeichnen so ein komplexes Porträt dieses „Übermorgenlandes“.

 

 

Hendrik Bohle ∕ Jan Dimog
Vereinigte Arabische Emirate
Architekturführer
DOM publishers Berlin, 2016
540 S., 1.090 Abbildungen
Softcover
978-3-86922-376-6 (deutsch)
978-3-86922-508-1 (englisch)
CHF 58.60. € 48.

 

 

Hendrik Bohle, Projektarchitekt, Stadtforscher und Autor diverser Fachpublikationen.
Jan Dimog, Reporter, PR-Redakteur, Drehbuchautor. Ebenfalls bei DOM publishers
erschien ihr Architekturführer Istanbul. Gemeinsam betreiben Bohle und Dimog
TheLink.berlin: das internationale Online-Architektur-Reisemagazin.

 

 

 

Sharjah – Die Geschichte einer Stadt

Sharjah und das benachbarte Ra’s al-Khaimah, seit Jahrhunderten Herrschaftsgebiet der Qawasim, haben sich im Laufe der Zeit zu bedeutenden Wirtschafts- und Seemächten entwickelt, mit territorialen Besitztümern sowohl an der arabischen als auch an der persischen Golfküste.

 

Ende des 18. Jahrhunderts spielten sie eine entscheidende Rolle im Geflecht der gemeinsamen und widerstreitenden Interessen, deren nationale und regionale Auswirkungen das Leben der Menschen in der Golfregion beeinflussten.

In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts sah sich Shaikh Sultan bin Saqr bin Rashid al-Qasimi beträchtlichen Zwängen und hohem Druck ausgesetzt. Schließlich unterzeichnete er 1820 den General Maritime Treaty, den ersten „Allgemeinen Seevertrag“ mit Großbritannien. Der Vertrag sicherte den Briten die Vorherrschaft im Golf und die Kontrolle der Handelsrouten nach Indien und Fernost.

Durch eine Reihe von Zusatzverträgen, darunter der Treaty of Exclusivity von 1892, band die britische Krone – von ihrem Sitz in Indien aus – die Shaikhs der sogenannten Vertragsküste des Arabischen Golfs eng an Großbritannien. Die Shaikhs konnten zwar ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln, aber nur, solange sich daraus kein Konflikt mit der britischen Hegemonie ergab und die für die Regierung der Kolonien und den Handel nötige umfassende Kontrolle aller regionalen Angelegenheiten nicht gefährdet war. Mit einer Kombination aus sanfter Diplomatie und erbarmungslosem Zwang hielten die Briten ihre absolute Vormachtstellung in der Region aufrecht.

 

Das Buch berichtet von einigen bedeutenden Ereignissen, die den Entwicklungsverlauf der Region entscheidend beeinflusst haben, und endet damit, dass Shaikh Sultan bin Saqr bin Khalid al-Qasimi, der damalige Herrscher von Sharjah, an Bord des britischen Kriegsschiffes HMS Bideford am 23. Juli 1932 das Sharjah Air Station Agreement unterzeichnet, ein Abkommen, das britischen Zivilflugzeugen erlaubte, in Sharjah zu landen. Diese Öffnung des Arabischen Golfs für die Luftfahrt machte der ganzen Region den Weg ins 20. Jahrhundert frei.

Den Text durchziehen Anekdoten und persönliche Schilderungen, und immer wieder erhält man Informationen, die nur jenen Eingeweihten bekannt sind, deren Familien seit langer Zeit an der Macht sind. So wird Geschichte nicht nur für Historiker lebendig.

 

 

Sultan Bin Muhammad Al-Qasimi
Sharjah – Die Geschichte einer Stadt
Übersetzt von Stefanie Kuballa.
Redaktion von Beate Bücheleres.
Olms Verlag, 2016
130 S., mit 13 Abbildungen., Leinen mit Schutzumschlag
19,80 EUR
ISBN: 978-3-487-08583-8

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