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«Georgien auf der Buchmesse Frankfurt: Archil Kikodze»

Von Ingrid Schindler

 

Ein Land der Vögel und Geschichten. Neue Literatur aus Geogien. Georgien ist Gastland auf der Buchmesse 2018. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Archil Kikodze ist mit zwei erstmals ins Deutsche übersetzten, neuen Werken vertreten. Georgien ist reich an Kultur, auch und gerade die gegenwärtige Kulturszene ist bewegt und lebendig.

Deshalb ist es eine Freude, dass dieses kleine, aber weltoffene Land zwischen den beiden Kaukasusketten, sich heuer auf der Buchmesse in Frankfurt präsentieren kann. Eine der schillernden Figur des georgischen Kulturbetriebs ist Archil Kikodze. Er ist in Georgien ein Star. Was er anpackt, scheint zu gelingen. 1972 in Tiflis/ Tbilissi geboren, studierte er zunächst Orientalistik, dann Film und Theater in seiner Heimatstadt. Bereits als Student arbeitete er als Guide im Gebirge, vor allem im Grossen Kaukasus.

 

Seine Tätigkeit als Wanderführer, ökotouristischer Guide und Autor von drei Reiseführern über Georgien ist die eine Seite des Multitalents, seine Liebe zu Film und Literatur die andere. Mit 21 Jahren begann Kikodze, Kurzgeschichten, Essays, Artikel und Fotografien zu veröffentlichen, die regelmässig in populären Magazinen wie Literaturuli Palitra und Hot chocolate publiziert werden. Für seinen ersten Erzählband («Calmly», 2008) gewann er den Literaturpreis GALA, für die 2013 erschienene Sammlung von Essays und Kurzgeschichten, inklusve «The story of a bird and a man», wurde er mit dem SABA Award für die beste Prosasammlung des Jahres ausgezeichnet. Seine Filme «Spring in Javakheti» (2004) und «Blind Dates» (2013) wurden ebenfalls ausgezeichnt, u.a. auf der Berlinale. Er arbeitet als Drehbuchautor (u.a. Episodenfilm «Tbilisi, I love you»), Schauspieler, Autor, Fotograf sowie nach wie vor als Naturguide und wohnt mit seiner Familie in Tiflis.

 

Die Geschichte von einem Vogel und einem Mann

Abertausende von Greif- und Singvögeln ziehen Ende des Sommers über Georgien hinweg nach Süden. Es gibt verschiedene Korridore, wo man sie besonders gut und gehäuft beobachten kann. Ein alter Engländer, «als Birdwatcher ist er noch ein Dilettant», engagiert einen Wanderguide, der «schon ganz anderen Leuten vom Fach» begegnete, die er begleiten durfte. «Das braucht viele Jahre, um sich so zu vervollkommnen. Der Engländer wird das kaum noch schaffen; dafür reicht die Zeit nicht mehr aus». Aber es mache ihm «tatsächlich Spaß, die Vögel zu beobachten und die Trümmer eines Landes zu besichtigen, an dessen Zerstörung er selbst beteiligt war; auch er hat dabei einige Steine abgetragen. Darauf ist er wirklich stolz».

 

Zehn Tage lang unternehmen die beiden eine Reise durch das Gebirge. Abends vor dem Einschlafen erzählen sie sich tiefsinnige, abgründige Geschichten, der eine von den Landschaften, Menschen und Tieren, die sieheute und in alten Zeiten bevölkerten, der andere aus seinem Leben. Ausserdem gibt es Dokumente in einem Koffer, die dem Wanderguide ein Rätsel sind und den Engländer zu allem anderen als einem harmlosen Birdwatcher machen ….

 

Die Geschichte von einem Vogel und einem Mann

Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani

Novelle

Ullstein 2018, 120 S., 12.- €

 

Der Südelefant

 

Der Liebe zum Land und den Bergen steht die Liebe zur Hauptstadt in nichts nach. Wie «Die Geschichte von einem Vogel und einem Mann» kann man «Der Südelefant» als eine Reise durch die Tiefen, Höhen und das spezielle Lebensgefühl Tbilissis lesen. Der Erzähler führt den Leser in einem Monolog an sein Kind während eines Tages an Schauplätze der Geschichte und verquickt diese mit persönlichen Erfahrungen und Begegnungen. Mit den Augen des Protagonisten treibt man während dieser Tagesreise durch Orte und Zeiten und saugt in verdichteter Form ungeschönt und lakonisch den Zeitgeist auf. In diesem Roman schlägt das Herz des heutigen Georgiens. Als Auslöser des Flanierens fungiert ein befreundeter Regisseur, der sich die Wohnung des Erzählers für ein Tête-à-tête ausleiht. Der für einen Tag Obdachlose stromert ohne Plan durch Tiflis, der Weg wird zum Flow durch das bewegte, vergangene Jahrhundert. Ähnlich dem Strickmuster, nach dem sich während der Auftragsreise des Wanderguides mit seinem englischen Klienten die Geschichten verselbständigen, stösst der unfreiwillige Spaziergänger an jeder Ecke auf eine weitere Geschichte, taucht an der nächsten Biegung ein neues Bild von früher auf. Aus dessen Kindheit und jungen Erwachsenenjahren, der Ära der Sowjetdiktatur, der daraus hervorgehenden Gewalt und Aggression, aus der Anfangszeit der Unabhängigkeit Georgiens und seiner anarchistisch-euphorischen Aufbruchsstimmung, aus der Zeit der Annexion Abchasiens und Südossetiens durch Russland und der klaffenden Wunde, die diese in der georgischen Seele aufriss, und der Sehnsucht nach Anbindung an den Westen und Eigenständigkeit heute. Daneben entspinnt Kikodze eine dramatische Liebesgeschichte und die Vita zweier junger Filmenthusiasten in einem Land, in dem die Filmkultur wie überhaupt alles am Boden lag.

Wer das moderne Georgien verstehen möchte, bekommt mit diesen beiden Reisen einen starken Einblick in ein stark gebeuteltes Land zwischen Ost und West.

 

Der Südelefant

Roman

Aus dem Georgischen von Nino Haratischwili und Martin Büttner

Ullstein 2018, 256 S., 22.- €

 

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