«Gegenstände»
Von Hedi Wyss
Ich liebe es, morgens mit Kaffee auf dem Balkon zu sitzen und wohlig zu erschrecken, wenn ein Vogel vom Dach über mich weg in die Tiefe stürzt. Und dann versuch ich der Konversation des Krähenpärchens zu folgen, das um den Kamin des nächsten Hauses herumhüpft und das Gefieder hudert. Ich mag Krähen, weil ich weiss, wie intelligent sie sind. Ich mag auch mein Frühstück, die weisse Kaffeetasse, das Glas, die Zeitung, die frisch geliefert wurde, das schön geschwungene Geländer vor mir, und den alten Toaster, bei dem ich mir schnell die Scheibe Brot hole, bevor sie verkohlt.
Ach der Toaster! Ich wollte den Artikel eigentlich behalten, der davon erzählt, wie jemand versuchte, so ein einfaches Gerät selbst herzustellen – tut ja nichts als etwas erhitzen und wenn’s ein moderner ist, automatisch wieder auszuspucken. In Handarbeit.
In vorindustrieller Zeit benutzte man ja im Alltag Dinge, die man entweder selbst hergestellt hatte, oder die ein Handwerker lieferte. Von dem einfachen Tonkrug bis zu den kunstvoll bestickten Kleidern, die die Edlen trugen, war es eigentlich klar, was für Materialien da verarbeitet, wie sie verarbeitet wurden.
Aber ein moderner Toaster. Die Beschreibung in diesem Text zeigte, wie komplex es ist, wenn ein Ding aus den verschiedensten Materialien zusammengefügt ist, wenn man das alles selbst bestellen, herholen, bearbeiten, zusammenpassen muss. Im Laden ein spottbilliger kleiner Apparat. Aber wenn der Autor den eigenen Aufwand berechnete, ein furchtbar teures Stück.
Ich setz mich an meinen Schreibtisch und registriere mal bewusst all die Dinge um mich herum. Auch die einfachsten – der Radiergummi und die Ablegeboxen aus Kunststoff, die schwenkbare Tischlampe und die Glühbirne darin. Wenn ich mir all das selbst basteln müsste! Sogar die Kaffeetasse, die neu gefüllt vor mir steht und auf der Zeitung ein paar Flecken hinterliess, wäre eine Knacknuss für mich! Keine Ahnung, wer da den weissen Porzellan geformt hat, wie die Farben des grossen bunten Bildes auf die Frontseite der Zeitung gekommen sind.
Wir sind von lauter Dingen umgeben, von denen wir viele nicht entbehren könnten und die wir benutzen, ohne viel von ihrer Herkunft zu wissen. Und sie entwickeln sich rasend schnell, werden immer einfacher zu bedienen.
Das Tablet, das iPhone antworten auf die kleinste Berührung des Fingers. Magisch, Zauberei? Schon damals, als elektrisches Licht neu war, man einfach die Wand berühren konnte und es wurde hell, hielt das manch einer – etwa ein Afrikaner aus dem Busch – für Zauberei. Wir zaubern heute dauernd, und nehmen es hin, es ist normal. Ein Druck mit dem Fuss und ich flitze mit meinem Wagen davon. Ich setz mich in einen bequemen Sessel, die Motoren dröhnen und ich fliege über den Wolken weg. Ein Klick auf meinem Computer und ich lächle über Skype meinem Sohn im fremden Land zu und sehe, wie auch er die Kaffeetasse zum Munde führt. Ja, Zauberei! Wir nehmen es hin, es ist normal. Nichts, worüber man nachdenken müsste?
Die Dinge sind einfach da. Wir sind ja, so glaubte man lange, die einzige Spezies unter all den Lebewesen, die Werkzeuge benutzen. Die sie auch herstellen. Jetzt ist zwar klar, dass noch andere das tun, Krähen zum Beispiel, Menschenaffen. Unsere Vorfahren taten das, vor tausenden von Jahren. Schliffen sich einen Stein zurecht, um Fleisch damit von der Tierhaut zu schaben. Und wir jetzt? Tu ich nicht mehr, tun wir nicht mehr.
Wir kaufen. Jemand anderes tut es. Wer? Wir stellen nicht mehr her, nicht selber. Versuchten wir es – das Experiment mit dem Toaster ist nur der Vorgeschmack von dem, wohin das führen würde. Wir kaufen, wir konsumieren.
Die Dinge sind da, die Regale übervoll, die Auswahl riesig…
Ein engagierter Mensch, ein Freund, der all seine Arbeitskraft, sein grosses Vermögen heute nur dafür einsetzt, dass wenigstens etwas von der Vielfalt der Natur überlebt, sagte mal: „Eigentlich sollte man sich jederzeit vorstellen und sich bewusst machen, woher die Dinge kommen, die man benutzt, wenn man das Licht anstellt, den Computer startet, die Schuhe anzieht.“
Aber das ist, so zeigt sich, so schwierig und kompliziert, wie man nur denken kann. Wir sind abhängig, aber von wem? Wo ist der Schuhmacher denn? Der Computerbastler ? Wo sind diese Ansprechpartner? Konzerne, Firmen? Und die Entscheidungsträger in ihnen?
Manchmal in den Medien eine Meldung, die zeigt, dass diese grossen scheinbar anonymen Gebilde eine Eigendynamik bekommen haben, die gefährlich sein kann. Und dass sie unter Umständen einflussreicher sind als jede Regierung.
Arbeitsplätze! Rendite für Anleger! Wirtschaftswachstum! Dank Konsum, dank Innovation.
Da sitzen die Politiker und Politikerinnen wieder mal an einer internationalen Konferenz, um den Planeten zu retten. Denn alle wissen, die Erderwärmung, wenn man sie nicht begrenzen kann, wird ihn in eine unlebbare Wüste verwandeln. Und doch findet sich kein Ausweg aus dem Dilemma. Die Dinge, die in Massen hergestellt, ausgeliefert, transportiert und verkauft werden, haben die Herrschaft übernommen. Die Dinge, von denen man nun eigentlich wirklich zum Überleben – auch zum gut leben! – viel weniger brauchen würde!
Nicht mehr unzählige Modelle von Fernsehern, von Autos verfügbar? Geht ökonomisch nicht. Die letzten grossen Bodenschätze – in der Arktis, der Antarktis -, nicht fördern, weil sonst der CO2 Ausstoss ein Vielfaches von dem beträgt, als laut Vorhersagen noch tolerierbar wäre? Geht nicht. Volkswirtschaftlich! Die letzten Regenwälder nicht durch Palmölplantagen und Sojafelder ersetzen? Geht nicht! Denn in den aufstrebenden Ländern sollen die Menschen eine gute Auswahl an Fertiggerichten und Fleischprodukten zur Verfügung haben. Die Nahrungsmittelkonzerne sind das ihren Aktionären schuldig.
Ich hab meinen neuen Computer, der aber leider doch schon ein Jahr alt ist, – also nicht das neuste Modell – zum Arbeiten auf den Balkon mitgenommen. Über dem See zieht – seit einiger Zeit ein eher seltener Anblick – ein grosser Greifvogel seine Kurven. Nutzt die Thermik aus, gleitet elegant weiter. Wird erst hektisch, als zwei Krähen ihn in Sturzflügen und waghalsigen Kurven attackieren. Die drei zeigen umwerfende Flugkünste und stellen jeden menschlichen Kunstflugpilot in seiner Maschine in den Schatten! Ihre Körper in Vollendung brauchen kein Fluggerät.