Blaise Cendrars «Gold», Kollektion Nagel & Kimche, 2011
Portrait Blaise Cendrars
«Goldrausch & Abenteuer»
Von Ingrid Isermann
Das erste Buch von Blaise Cendrars
(1887 in La Chaux-de-Fonds – 1961 in Paris), das mir seiner furiosen Sprache wegen im Gedächtnis blieb, verschlang ich als Neunzehnjährige (Madame Thérèse). Jetzt ist sein 1925 erschienenes Buch «Gold» neu aufgelegt und wieder staunt man über die Lebendigkeit der Sprache und den Furor, der sofort in den Bann zieht. Cendrars erzählt die abenteuerliche Geschichte des Generals Johann August Sutter (Suter) aus der Schweiz, der nach Kalifornien auszog, zu einem der reichsten Männer Amerikas wurde und innert kürzester Zeit infolge des Goldrushes seinen gesamten Besitz wieder verlor.
Ein Stück wiederentdeckter Weltliteratur.
General Sutter ist in San Francisco omnipräsent.
Es gibt die viel frequentierte Sutter Street nahe dem Union Square, benannt nach Johann August Sutter (eigentlich Suter), der, am 28. Februar 1803 in Kandern, Baden geboren, in Kalifornien zu grossem Reichtum kam. Sutter, auch der Kaiser von Kalifornien genannt, aus der Schweiz vor Familie und Schulden geflüchtet, war kalifornischer Ländereienbesitzer und Gründer der Privatkolonie Neu-Helvetien.
Seit 1839 kolonisierte Sutter im Sacramento-Tal, ein Gebiet von der Grösse des Kantons Baselland, das er vom Gouverneur von Kalifornien, Juan Bautista Alvarado, erhalten hatte: ‚Neu-Helvetien’, wie er es nannte, sollte landwirtschaftlich genutzt werden. Im Namen der mexikanischen Obrigkeit vertrieb er die ortsansässigen Indianer und legte 1841 die Befestigung Sutter’s Fort an und erweiterte zudem seinen Besitz durch den Kauf der mobilen Anlagewerte (nicht des Bodens) der russischen Kolonie Fort Ross. Im Vertrag von Guadalupe Hidalgo, der den Mexikanisch-Amerikanischen Krieg beendete, fiel ganz Kalifornien und damit ‚Neu-Helvetien’ 1848 an die USA.
Im selben Jahr entdeckte James W. Marshall Gold bei Sutter’s Mill. Im darauf folgenden Goldrausch brachen Recht und Ordnung in dem Gebiet vollständig zusammen und der Ansturm der Goldgräber ruinierte Sutters Imperium. Er verlor alles und verarmte völlig. Ihm gelang zwar vor Gericht die Durchsetzung eines Rechtsanspruchs auf Schadenersatz, aber dazu kam es nie. Am 18. Juni 1890 starb Sutter verarmt in Washington D.C.
Das ist unglaublich flüssig, rasant und spannend erzählt, wie wenn es erst gestern gewesen wäre. Parallelen zur heutigen Finanzkrise sind unübersehbar; nach der Bankenkrise und der Börsen-Baisse beginnt der Run aufs Gold gerade von neuem. Über die Gier und ihre verheerende Wirkung schreibt der 38-jährige Autor Blaise Cendrars in seinem ersten Roman mit souveräner Präzision. 1926 erscheint ‚Gold’ in der Übersetzung des Dichters und Dramatikers Yvan Goll auf Deutsch. Der Roman war selbst ein Goldfund für den Autoren, der damit in den USA seinen ersten grossen Erfolg feierte.
(Auszug aus: Gold. Die fabelhafte Geschichte des Generals Johann August Suter).
SECHSTES KAPITEL
19
Bei seinem Ausritt kommt Suter in das Sacramentotal. Die unglaubliche Fruchtbarkeit des Bodens und das übrige Wachstum bestimmen seine Wahl. Bei seiner Rückkehr von diesem Ausritt erfährt er, dass das erste Kanakerschiff angekommen ist. Es sind 150 Mann, die in Yerba Buena, einem kleinen Flecken in der Bai von San Francisco, untergebracht sind. Neunzehn Weisse begleiten sie, lustige, stämmige und zu allem fähige Kerle, die von den Gesellschaftern von Honolulu gedungen worden sind. Suter besichtigt sie. Sie sind bis an die Zähne bewaffnet.
Sofort darauf reist Suter nach Monterey ab und zwar auf dem Landwege, Tag und Nacht auf dem Pferde sitzend.
Johann August Suter stellt sich dem Gouverneur Alvarado vor und teilt ihm seine Absicht mit, sich in diesem Lande niederzulassen. Seine Kanaker werden das Land urbar machen. Seine kleine, bewaffnete Armee wird somit eine Art Bewachungsgürtel gegen die Einfälle der völlig wilden Nordstämme bilden. Er hat auch die Absicht, die früheren Missions-Indianer wieder zu vereinigen, Land unter sie auszuteilen und sie unter seiner Führung zur Arbeit anzuspornen. „Andere Schiffe sind übrigens noch aus Honolulu gemeldet“, erklärt er, „wo ich eine grosse Geselschaft gegründet habe.“
„Neue Kanakerladungen werden bald in der von mir gewählten Bai ankommen sowie auch mehrere Trupps von mir besoldeter Weisser. Geben Sie mir freie Hand und ich werde das Land schnell hochbringen.“
„Und wo wollen Sie sich niederlassen?“, fragte der Gouverneur.
„Im Sacramentotal, an der Mündung des Rio de los Americanos.“
„Wie wollen Sie Ihre Ranch nennen?“ „Neu-Helvetien!“
„Warum?“
„Ich bin Schweizer und Republikaner!“
„Gut. Tun Sie, wie es Ihnen gefällt. Ich bewillige Ihnen eine erste Konzession auf zehn Jahre.“
Cendrars eigene Geschichte liest sich ebenso abenteuerlich: geboren am 1. September 1887 in La Chaux-de-Fonds als Frédéric-Louis Sauser, zog es ihn früh in die Welt hinaus. 1903 kehrte er als 16-jähriger seiner Schweizer Heimat den Rücken und fuhr mit der transsibirischen Eisenbahn durch Russland, die Mandschurei und China.
1910 gelangte er nach Paris, wo er Freundschaften mit der künstlerischen Avantgarde schloss, wie Guillaume Apollinaire, Marc Chagall, Robert und Sonia Delaunay, Henry Miller, Fernand Léger, Amadeo Modigliani u.a. Henry Miller sagte über ihn: „Lesen Sie ihn! Ich sage Ihnen, lesen Sie Cendrars, auch wenn Sie mit sechzig noch anfangen müssten, Französisch zu lernen.“
Cendrars führte das Leben eines Abenteurers und arbeitete als Imker oder Schausteller, bis er begann, Medizin und Philosophie an der Universität Bern zu studieren.
Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges im Sommer 1914 meldete sich Blaise Cendrars als Freiwilliger bei der französischen Fremdenlegion, wo er seine rechte Hand verlor. Als Schweizer mit Wohnsitz in Paris fühlte sich der junge Avantgarde-Dichter verpflichtet, seine Wahlheimat gegen die Deutschen zu verteidigen. Spätere Reisen führten den Schriftsteller u. a. nach Rom (1921), mit dem Schiff nach Brasilien (1924–1928) und zurück nach Spanien (1931). Ab 1950 lebte Cendrars in Paris, wo er am 21. Januar 1961 starb. Er ist auf dem Friedhof von Le Tremblay-sur-Mauldre begraben.
Blaise Cendrars Gesamtwerk umfasst etwa 40 Bände. Die deutschsprachigen Ausgaben wurden, abgesehen von ‚Gold’, seinem Roman über Johann August Sutter, zuerst vom Verlag Karl Rauch, vom Arche Verlag und später vom Lenos Verlag herausgegeben. Sein Nachlass befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern.
Blaise Cendrars
Gold
Die fabelhafte Geschichte des Generals Johann August Suter.
Mit einem Nachwort von Dieter Meier.
Übersetzt aus dem Französischen von Yvan Goll, herausgegeben
von Peter von Matt.
Kollektion Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag München 2011.
152 S., gebunden, mit Abbildung.
CHF 26.90 / 18.90 Euro (D) / 19.40 Euro (A).
ISBN 978-3-312-00486-7.