FRONTPAGE

«Guérande: Mit Kommissar Dupin im Weissen Land in der Bretagne»

Von Ingrid Schindler

 

Mit dem aus Paris stammenden Kommissar Dupin erwächst Donna Leons Commissario Brunetti seit 2012 ernstzunehmende Konkurrenz. «Bretonische Verhältnisse» und «Bretonische Brandung», die ersten beiden unter dem Pseudonym Jean-Luc Bannalec veröffentlichten Fälle Dupins, eroberten mit über 700‘000 Lesern die deutschsprachigen Bestsellerlisten im Nu.

Ihr Hauptvorzug: Die leicht zu lesende, anmächelige, geschickt gestrickte Krimikost um den sympathischen wie eigenwilligen, in die Bretagne strafversetzten Kommissar macht Lust auf bretonische Küsten und Küchen und die Bücher eignen sich hervorragend als atmosphärisch dichte Reiseführer.

Der im Mai diesen Jahres erschienene dritte Fall Dupins, «Bretonisches Gold», spielt in der Guérande, einer vom Salz- und Sardinenhafen Le Croisic und der Salzstadt Guérande begrenzten Halbinsel an der französischen Atlantikküste. Die Bretonen nennen den Landstrich Gwenn Rann, Weisses Land. Administrativ gehört die Guérande heute zum Département Loire-Atlantique, gefühlt und historisch ist sie nach wie vor durch und durch bretonisch. Die in Feinschmeckerkreisen geschätzte Salzblüte der Guérande steht im Zentrum des Romangeschehens. Das Weisse Land im Süden der Bretagne dürfte für das Gros der deutschsprachigen Touristen dagegen eher ein weisser Fleck auf der Landkarte sein. Bevor sich das ändert, lohnt es sich, diese «atemberaubende, bizarre Landschaft aus den vier Elementen, die die Alchemie des Salzes ausmachten» – Meer, Sonne, Erde, Wind – heimzusuchen, die Bannalec so treffend beschreibt.

 

 

Sumpfbauern in schillernden Salzgärten
Schon vor zweitausend Jahren liessen die Römer Meerwasser in einem ausgeklügelten, komplexen System aus Kanälen und kaum merklich ansteigenden Wasserbecken zwecks Salzgewinnung in den Salzsümpfen des Weissen Lands verdunsten. Eines der Erntebecken wird angeblich unverändert seit der Zeit Karls des Grossen bewirtschaftet, auf die traditionelle, archaische Art, wie alle Salzgärten im Weissen Land. Insgesamt legten die Bewohner des Gwenn Rann nach und nach 2000 Hektar Marais Salants von Hand an, die in unterschiedlichsten Farben unter der atlantischen Sonne schillern.

Die Bezeichnung Fleur de Sel ist, so erfährt der Leser mit Kommissar Dupin, mittlerweile geschützt, nur noch die Salinen der Guérande, der Ile de Noirmoutier und der Ile de Ré dürfen ihre handgeschöpften Salzblüten als Fleur de Sel bezeichnen. «Reine Naturprodukte, die so auf den Tisch kommen, wie sie geerntet werden. Keine Raffinierung, keine Reinigung, keine Zusatzstoffe», sagt Xavier Phulpin, kein erfundener, sondern ein real existierender Salzbauer im Weissen Land.
In Gummistiefeln stapft der Paludier auf glitschigen Lehmwegen und Dämmen durch das unter Naturschutz stehende Labyrinth der Verdunstungsbecken. Die Berufsbezeichnung stammt von lateinisch Palus, Sumpf. Paludiers nennen sich nur die Salzbauern der Guérande. Das sei ebenso eine Besonderheit wie die Lehmerde auf dem Grund der Bassins, die dem Salz seine spezielle Note verleihe, meint Phulpin. In anderen französischen Salinen, wo die Salzbauern Sauniers heissen, bestünde der Boden häufig aus Kies. Die Qualität des Salzes hängt aber nicht nur vom Boden, dem Salzgehalt des Meerwassers, von Sonne, Wind und Wetter ab, sondern auch von der Pflege der Salinen. «Vom Aufwand her ist eine Saline mit einem Weinberg vergleichbar“, sagt Phulpin. „Dort kann man auch keine guten Trauben ernten, wenn man die Reben das ganze Jahr über vernachlässigt».

 

 

Ernte im Salzgarten
Im Winter und Frühjahr legen die Salzbauern die Klär-, Verdunstungs- und Kristallisationsbecken trocken, reinigen sie von Schlick, beseitigen Schäden an Dämmen oder Schleusen, bringen Wälle und Schikanen, die den Wasserlauf verlangsamen und die Verdunstung fördern, wieder in Form und legen neue Salinen und Kanäle an. Damit alles parat ist für die Hochsaison, die Erntezeit. Diese beginnt jetzt, Anfang Juni, und dauert bis etwa Ende September.
Morgens um fünf sind Salzbauern wie Phulpin in den nächsten Monaten auf den Beinen und sammeln mit blauen Holzschubkarren, Schaufeln, Rechen und langstieligen Schiebern die zerbrechliche, oberste Salzkruste ein. Diese kristallisiert sich in den 70 bis 80 m2 grossen Erntebecken, den Oeillets, aus, wenn Sonne, Wind, Ebbe und Flut, der langsame Lauf des Wassers und seine Erwärmung bis auf 38 Grad im richtigen Takt zusammenspielen. «Der leichte Wind bläst die feinen, nahe der Oberfläche schwebenden Salzkristalle zusammen, was eine eisähnliche Schicht erzeugt. Fleur de Sel schwimmt auf dem Wasser!». Das Procedere ist präzise anschaulich bei Kommissar Dupin nachzulesen.

Etwa 30 Oeillets erntet Salzbauer Phulpin morgens, weitere 30 am Abend. Pro Becken ergibt das 2,5 bis 3 kg Fleur de Sel und etwa 60 Kilo gros sel, grobes Meersalz. Am Beckenrand türmt sich das Salz auf «Teppichen» zu Bergen auf, bis es am Ende der Saison ein Traktor zum Lagerhaus der Genossenschaft transportiert.
«Hier steht jeden Tag alles auf der Kippe», erklärt der Leiter der Salzkooperative im Kriminalroman. «Eine Nacht starker Regen, und alles ist vorbei, die Arbeit von Wochen». – «Es gibt Jahre, da haben wir keine oder kaum eine Ernte», bestätigt der reale Monsieur Phulpin, «wenn der Sommer verregnet oder das Meerwasser verschmutzt ist, wie damals bei der Havarie des Tankers Erika». Um Ernteeinbrüche aufzufangen, hat die Coopérative Lager angelegt. Für drei Jahre reicht das Salz, so dass sich die 190 Mitglieder nicht um ihr Auskommen sorgen müssen. Insgesamt haben sich 70 Prozent der hiesigen Salzbauern der Coopérative «Les Salines de Guérande» angeschlossen. Deren primäre Aufgabe ist die Vermarktung.

 

 

Exil-Pariser
Das Guérande-Salz verkauft sich gut, besonders das Fleur de Sel, das sich in der kulinarischen Welt als Spitzensalz etabliert hat und als einziges Salz Frankreichs mit dem Label Rouge für höchststehende Produkte in Punkto Geschmack und ökologische Herstellung ausgezeichnet wurde. «In den 60er und 70er Jahren sah die Situation anders aus», sagt Phulpin. Damals drohte der Beruf des Paludiers zu verschwinden. Es gab keine Nachfrage nach Guérande-Salz, die Konkurrenz produzierte günstiger und industriell, wie die Salinen in der Camargue. Die Gefahr war gross, dass die alte Kulturlandschaft neuen Bettenburgen weichen würde. Zum Glück entdeckten linke Pariser Intellektuelle, Anwälte, Hippies und Aussteiger die Salzsümpfe, begeisterten sich für das Handwerk des Paludiers und gründeten 1972 die Coopérative. «Was die Einheimischen erst gar nicht gern sahen», so Phulpin. Die Genossenschaft habe ihr 68er-Image inzwischen längst abgelegt, der Region viel Gutes getan und ihr ihr ureigenes, identitätsstiftendes Produkt zurückgebracht.
Xavier Phulpin kam Mitte der 70er ebenfalls aus Paris ins Weisse Land. Er bereut es nicht. Das Salz gibt ihm gut zu tun. Seine 60 Oeillets entsprechen der Durchschnittsgrösse einer Saline. Dazu arbeitet er im Nebenjob als Verwalter für die Coopérative und betreibt nachmittags eine alte Mühle, in der er Bio-Buchweizenmehl für Galettes, die salzige Version der bretonischen Crêpes, mahlt. Hippie sei er nie gewesen, sagt er. «Aber eben: natur- und freiheitsliebend».

 

«Es war wirklich eine verrückte Landschaft. Das Weisse Land, so schien es, gehörte nur tagsüber den Menschen, abends und nachts wieder ganz der Natur. Es war still, kein Geräusch zu hören, im Hintergrund nur eine Art seltsames Zirpen, von dem Dupin nicht hätte sagen können, ob es Vögel waren oder Grillen. Fast ein wenig gespenstisch. Nur selten schrie eine zänkische Möwe, eine Botschafterin des nahen Meeres». (Bretonisches Gold)

 

 

 

Reisetipps

Anreise
Mit dem Auto ca. 1000 km ab Zürich, 9 Stunden Fahrzeit, durchgehend stressfreie Autobahn. Mit dem TGV Zürich – Paris – Le Croisic. Mit Easy Jet günstig von Basel-Mulhouse direkt nach Nantes, weiter mit Mietauto, Velo oder Zug nach Le Croisic, Guérande, La Baule oder St. Nazaire.

 

Übernachtung
L’Océan, gehobenes Hotel-Restaurant mit sehr schönen Zimmern mit Terrasse, Meerblick, exzellenter Seafoodküche und Traumlage direkt am Plage de Port-Lin, Le Croisic, www.restaurantlocean.com
La Guérandière, Chambres d’hôtes mit Charme und Cachet im mittelalterlichen Städtchen Guérande, www.guerandiere.com
Château du Pé, von Künstlern gestaltete, höchst originelle, günstige Zimmer im Estuaire, dem Lauf der Loire zwischen Nantes und St. Nazaire, gut gelegen für Velotouren im Mündungsgebiet der Loire, www.chateaudupe.fr
Hôtel de la Plage, Übernachten und Ferien machen wie 1952 Monsieur Hulot, am Drehort von Jacques Tatis legendärem Film in Saint-Marc sur Mer bei St. Nazaire, www.hotel-delaplage.fr

 

 

Literatur
Jean-Luc Bannalec, Bretonisches Gold, Kiepenheuer & Witsch 2014

 

Info
www.bretagne-reisen.de

 

 

Tipps
– Frische Austern, Palourdes farcies und Bar à la ligne en croûte de sel im l’Océan, Le Croisic, s.o.
– Frische, bretonische Erdbeeren auf dem Markt kaufen, z.B. in Le Croisic kaufen, eine Flasche Cidre trinken und Galettes au blé noir probieren
– Mit dem Velo durch die Salzgärten der Guérande oder die Sumpflandschaften des angrenzenden Parc naturel régional de Brière, das nach der Camargue zweitgrösste Moorgebiet Frankreichs, fahren oder wandern (vor allem für Vogelliebhaber)
– Haute Cuisine mit regionalem Einschlag: la Mare aux Oiseaux, auf der Ile de Fédrun in Saint Joachim, Briere, www.mareauxoiseaux.fr
– Führung durch die Salzgärten, u.a. www.maisondespaludiers.fr, www.leguerandais.fr
– Flanieren am Hafen von Le Croic und durch die mittelalterlichen Gassen von Guérande u.v.m.

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