FRONTPAGE

«Hans Arp – die Poetologie des direkten sprachlichen Zugriffs»

Von Ingrid Isermann

Schriftsteller begeben sich in die Texte des Künstlers und Dichters Jean/Hans Arp (1886-1966). Arp ist einer der wichtigsten Dichter des 20. Jahrhunderts, der neben einem breiten künstlerischen Werk auch Gedichte von grosser Strahlkraft hinterlassen hat. Eine wunderbare Anthologie widmet sich dem Dichter der konkreten Kunst (siehe auch Rubrik Kunst: konkret & kongenial: Arp / Taueber-Arp / Bill).

 

Als Hans Arp einmal gefragt wurde, wie er sich entscheiden würde, hätte er zwischen Malerei und Dichtung zu wählen, antwortete er, er würde es vorziehen, ein Dichter zu sein.
 
Seine Poetologie des direkten sprachlichen Zugriffs ist immer noch und wieder stilbildend für die zeitgenössische Lyrik Europas. Die Anthologie versammelt Texte und Bilder von Stipendiaten des Programms «Arp im Ohr». Es handelt sich um ein Aufenthaltsstipendium am Bahnhof Rolandseck in Anbindung an das dortige Arp-Museum. Präsentiert werden unter anderen Gedichte von einer Reise ins Arpsche Herkunftsland Elsass von Tom Schulz, Prosagedichte um die Schwittersche «arpsenil»-Formel sowie Arpokryphen von Norbert Lange, ein Nimrod-Zyklus des Luxemburger Dichters Jean Portante, die sehr eigenwilligen Prosatexte von Paul Watermann, Gedichte und Fotos des deutsch-französisch-argentinischen Dichters Léonce W. Lupette, eine google-Recherche mit Dada-Qualitäten von Dagmara Kraus sowie Collagen von Safiye Can.

 

ich habe vier naturen.
ich habe zwei dinge.
ich habe fünf sinne.
sinn ist ein unding.
 
Hans Arp
 
(Strassburgkonfiguration. Ausgewählte Gedichte, Die Arche, Zürich 1986)

 

Kann man einen Traum kaufen

oder das Lied einer Blume

oder die Blume eines Traumes

oder den Traum einer Wolke

 

Hans Arp

 
(Gesammelte Gedichte III, Die Arche, Zürich 1984)

 

Hans Arp begegnet der Welt mit einem tastenden Spürsinn, behutsam nähert er sich seinen Themen,  aus der Fülle der Natur konnte er einen winzigen Prozess der genauesten Beobachtung destillieren und in der konzentriertesten Form wiedergeben. Die konkrete Kunst wurde zu seinem Prinzip, mit der er eigenständige Welten erschuf, die aus einer elementaren Anschauung erwachsen, schreibt Julia Wallner im Vorwort.
 
Die Strassburgkonfiguration, benannt nach seinem Geburtsort im Elsass, ist einer der bekanntesten Texte des Künstlers. Zwei Weltkriege hatte er erlebt, die Technisierung und Rationalisierung der Welt wurde für ihn zur grössten Herausforderung seiner Zeit, auf die er mit der zärtlichen und zugleich widerständigen Annäherung der Poesie reagierte. Kunst und Leben zu versöhnen, fasste er als sein tief empfundenes und immer neu formuliertes Credo. In vielen Disziplinen fand er dafür einen bleibenden Ausdruck. Neben der bildenden Kunst war es immer die Sprache, die sein Schaffen als Urelement begründete. Im Text schuf er eigene Formen, die parallel und in der Verschränkung der Bildebenen Bedeutung kreieren oder in Frage stellen 

 

In einer weiten künstlerischen Perspektive erfand Arp einen spielerisch elementaren Kosmos. Immer neue Formen der Kombinatorik gaben einer universalistischen Sinnsuche ihren Ausdruck. In seinen Collagen, Reliefs und Skulpturen, bis in die zerrissenen Papiere (Papiers déchirés) lässt sich das De- und Rekonstruieren von Form und Inhalt immer neu beobachten. Dabei entstehen einerseits in dadaistischer Manier anarchistische Reibungen und Zersetzungen, andererseits fülligste Neuschöpfungen der Welt in fantastischen Wortgebilden und eigengesetzlicher Konstruktivität.

 

Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck als Gastgeber
Jährlich empfängt das Arp Museum Bahnhof Rolandseck im Rahmen eines Literaturstipendiums des Künstlerhauses Edenkoben einen Sommergast in seinem von Birgit Schuh und Michael Volkmer gestalteten Künstlerappartement direkt am Rhein. Der vorliegende zweite Band von Arp im Ohr versammelt literarische Beiträge aus den letzten sieben Jahren seit Erscheinen des ersten Lyrikbandes, der 2016 aus dieser Kooperation hervorgegangen ist und eine Reihe im Verlag Das Wunderhorn begründete.

 

Barbara Tax nimmt Arps Sprache zum Ausgangspunkt und analysiert die Energien seines Formversetzens in einer kreativen Annäherung, die seinem verschlungenen Kosmos nachspürt und dabei ganz eigene Wege geht, die manches neu sehen lassen.
Tom Schulz streift mit Arp im Ohr durch Strassburg und Colmar und folgt mit seinen Worten dem Klang und Nachhall der Zeit und seinen rauschenden Ungereimtheiten, setzt beispielsweise Werbeslogans der 1980er- Jahre neben die von Arp so häufig in seinen Werken konkretisierten Wolken und Blumen.
Jean Portante begibt sich in seinen Nimrod-Variationen in einen weit ausströmenden Fluss der Wörter, die sich in einem nahezu atemlosen Dialog umkreisen, be rühren und voneinander lösen.
Zweisprachigkeit war für Arp als geborenen Elsässer ein künstlerischer Ausgangspunkt seines Werkes. Zwei Weltkriege hatten für ihn vieles in Frage gestellt, die Versprachlichung oder die wiederkehrende Unmöglichkeit, der Welt Sinn abzutrotzen, blieb ihm Lebensthema. Léonce W. Lupette folgt dieser Offenheit der sprachlichen Gefüge, unter anderem mit seinen Nachdichtungen Apollinaires, der als Dichter des Orphismus zu den vormaligen Gästen Rolandsecks zählt und in dessen Worten die kulturelle Dimension der literarischen Auseinandersetzung mit dem oberen Mittelrheintal eine neue Perspektive erfährt. Norbert Lange reist mit seinen Arpokryphen durch einen selbst erdachten Lauf der Jahrtausende, in denen sich die Geschichte zu einer momenthaften Beobachtung kristallisiert. Seine «Dummkopfelegien» antworten mit dekonstruktiver Kraft und lautmalerischen Worten Arp und Rilke. Paul Waterman setzt in einer Art magischem Realismus visionäre Dialoge in konkrete Bilder, in denen sich kindliche Phantasmen mit Alltagsbeobachtungen durchkreuzen. Dagmara Kraus befragt in ihrer Recherche die Pseudo-Objektivität des computerbasierten algorithmischen Rasters und verfolgt so eine konstruktive Spur des Arp’schen Werkes – und einem oft humorvoll vorgetragenen Zweifel an der Rationalität der Welt und ihrer Sprache. Safiye Can schließlich ist mit Collagen vertreten, eine der Haupttechniken des Dadaismus, zu dessen Begründern Arp und seine Frau Sophie Taeuber-Arp zählen. Cans künstlerischer Ansatz reagiert auf die Erfahrung von Flucht und Exil und die Suche nach einer Sprache, die als mächtige Zuflucht der Zersplitterung der Welt trotzt und der Angst der Entwurzelung eine innere Heimat entgegenstellt, die mit ihren Widersprüchen leben kann und daraus Neues schöpft.

 

STRASSBURGKONFIGURATION

 

ich bin in der natur geboren. ich bin in strassburg geboren. 

ich bin in einer wolke geboren. ich bin in einer pumpe geboren. ich bin in einem rock geboren.

  ich habe vier naturen. ich habe zwei dinge ich habe fünf sinne. sinn ist ein unding.

natur ist unsinn. platz da für die natur da. die natur ist ein weisser adler. platz dada für die natur dada.

  ich modelliere mir ein buch mit fünf knöpfen. die kunsthauerei ist der schwarze blödsinn.

  dada ist in zürich geboren. zieht man strassburg von zürich ab so bleibt 1916.

(Auszug)

 

 

 

SOPHIE

 

für dich

war die welt

nie dunkel

und zerklüftet

du schrittest mir voran

mit frohem glanz

und frohem schein

dein mut

zog hilfreich

in mich ein

du schirmtest

unseren traum

und jede stunde

hatte einen sinn

und einen sauberen saum

 

GEBET

 

Reines Licht

erlöse uns von der Sinnlosigkeit.

Erlöse uns von dem sinnlosen Leiden

der Sinnlosigkeit.

Es genügt nicht

dass ab und zu

ein Tropfen auf den heissen Stein

der Erde fällt.

Erlöse uns

von den Zuhältern der Sinnlosigkeit

den triumphierenden Menschenfressern

prahlenden Brüllaffen.

Wir irren in sinnlosem Leiden.

Wir sind die ewigen Sandwanderer.

Wir wälzen uns in Betten

aus glühendem Sand.

Es ist zum lachen

es ist zum weinen

es ist zum beflissen irrsinnig zu werden.

Weh uns armen Narren.

Welchem Wahnsinn obliegen wir.

 

(aus: Hans Arp. ich bin in der natur geboren. Ausgewählte Gedichte. Die Arche, Zürich, 1986)

 

 

 

NACHDICHTUNG ARP IM OHR

 

Die Sterne sind Brunnen

und Samen

           mit Jean Hans Arp

 

Die Herzen sind Sterne,

die im Menschen blühen.

          Ich singe dir die Wolken, sehr weit oben

sind sie weiß? Und was heißt blau oder

das Blaue vom Himmel.

 

Alle Blumen sind Himmel.

Alle Himmel sind Blumen.

Alle Blumen glühen.
Alle Himmel blühen.

 

Die Bänke, Kumulus-Wolken, wie eine Herde

Schafe ziehen sie vorüber. Blumen-Schafe.

 

Die Meere sind Blumen.

Die Wolken sind Blumen.

 

Ich singe dir ein anderes Blau, ich singe dir

(die Meere und die Wolken)

 

Die Sterne sind Blumen,
die im Himmel blühen.
der Mond ist eine Blume.
Der Mond ist aber auch eine große Träne.

 

               singe die Spitze des Eises

und der Berge, stehe ich vor der Traufe

singe, singe für dich.

Alle Blumen blühen für dich.

 

 

Alle Herzen glühen für dich.

 

Deine Brauen sind Falter, der Baum hat Federn.

Dieser Vogel ruft zwischen Winter und Februar.

Zunge spricht wahr, küsst Salz und Eis.
           Du bist eine schwarze Wolke in einem Kleid.

 

Wir zogen hell
durch Glanz und Duft.

 

           Auf den Stufen von Sant’Apollinare umarmten

wir einander. Die Entfernung zwischen uns:

mit jedem Hauch geringer.

 

Nun tut das Licht mir weh

und niemand ruft
und zeigt mir eine Blume

und einen Stern

 

Du schenktest mir Brunnen.
Fülle, was ich dir geben konnte, Sterne und Samen.

 

Nun bist du fortgegangen.
Was soll ich hier gehen und stehen.

Ich habe nur ein Verlangen.
Ich will dich wiedersehen.

 

Niemand ist vor dem anderen gestorben.
Alle haben gelebt. Die Blumen gegossen,
die Scheine in den Tiefkühler gelegt.
Ich werde nicht vor dir sterben, du nicht vor mir.

Alle werden nicht voreinander sterben, nicht

nacheinander.

 

Ich will auch schlafen.

So wie du schläfst
in Gold und tiefer Ferne

in einem reinen Wiegen.

 

Als du schliefst, so wie ich schlafen würde.
Als ich träumte: dieses Gedicht.
Sanfter als der Tropfen Quellwasser auf der Haut.

Einfacher als ein Apfel und ein Igel.

Verständlicher als das Rot der Wangen.

 

Deine Flügel glänzten wie junge Blätter.

Dein Gesicht
war ein weißer Stern.

 

Wir möchten ihr erzählen, dass wir leben.
Dass wir träumen, dass wir wissen:
Wir werden geträumt.

Berühren das Gesicht,

die gefalteten Hände nehmen aus dem Schoß,

sehen, wie sich die Lippen schließen, wie sich

die Stirn entfernt.

 

Seitdem du gestorben bist,
danke ich jedem vergehenden Tag.

 

Alle werden von der Erde geschaukelt, alle

werden noch einmal den Basalt küssen und

den Bauchnabel. Alle sind jung und alt.

Alle sind innen und außen auch schön,

alle haben gelebt.

 

Jeder vergangene Tag

bringt mich dir näher.

In der Tasse ist Wasser, in der Kanne

Kaffee.

 

 

Hans Thill, geboren 1954 in Baden-Baden, lebt seit 1974 in Heidelberg als Lyriker und Übersetzer. Peter-Huchel-Preis 2004. Mitbegründer des Verlags Das Wunderhorn. Leiter der jährlichen Übersetzer-Werkstatt «Poesie der Nachbarn. Dichter übersetzen Dichter» und Herausgeber der gleichnamigen Reihe. Mitherausgeber der «Reihe P». Seit 2010 ist Hans Thill künstlerischer Leiter des Künstlerhauses Edenkoben.

 

Safiye Can ist als Kind tscherkessischer Eltern in Offenbach am Main geboren. Lebt in Frankfurt am Main.
Dagmara Kraus, geboren 1981 in Wrozlaw, lebt in Strasbourg.
Léonce W. Lupette, geboren 1986 in Göttingen, lebt in Frankfurt am Main und Buenos Aires.
Norbert Lange, geboren 1978 in Gdynia, lebt in Berlin.
Jean Portante, geboren 1950 in Differdingen/Lux als Kind italienischer Eltern geboren, lebt in Paris.
Tom Schulz, geboren 1970 in Großröhrdorf, lebt in Berlin und Italien.
Paul Watermann, geboren 1986 in Melle, lebt in Berlin.

Ein Projekt des ArpMuseums Bahnhof Rolandseck und des Künstlerhauses Edenkoben.

 

 

Hrsg. Hans Thill
Arp im Ohr 2
Gedichte
Wunderhorn Verlag, 2024
Geb., 98 S., € 24.
ISBN: 978-3-88423-718-2

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