«Iris von Roten – noch immer zu früh?»
Von Ingrid Isermann
Als Iris von Roten 1958 ihr Werk «Frauen im Laufgitter» über die damalige Stellung der Frau publizierte, wurde sie zur meistgehassten Frau der Schweiz. Was hat sich seither verändert? Anne Sophie-Keller und Yvonne-Denise Köchli sind der Frage nachgegangen.
An der Präsentation des Buches «Eine Frau kommt zu früh – noch immer?» ist der Saal des Literaturhauses gerammelt voll, frau ist gespannt auf die Erkenntnisse der Autorinnen, obwohl die Daten zur Stellung der Frau im Berufsleben bekannt sind.
Noch immer verdienen Frauen etwa 25 Prozent weniger für die gleiche Arbeit als ihre männlichen Berufskollegen, noch immer ist schwierig, Beruf und Familie und Karriere
für Frauen unter einen Hut zu bringen, immer noch ist der Frauenanteil an den Kaderpositionen unter 10 Prozent und der Politikerinnen unter 30 Prozent. Das hat sich seit Jahren nicht verändert.
Die Journalistin Anne-Sophie Keller (*1989) ist in Bern geboren und in Thun aufgewachsen. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Zürich. Sie engagiert sich für die Gleichstellung der Geschlechter und seit 2015 regelmässig Gast auf Podien zu feministischen Fragen. Seit Abschluss ihres Journalismus-Studiums Anfang 2017 ist sie als freischaffende Kolumnistin, Autorin und Bloggerin tätig. Welche Erfahrungen hat sie bisher in ihrem Berufsleben sammeln können? Da erstaunt es doch einigermassen zu hören, dass jungen Frauen heute oft noch den gleichen Anzüglichkeiten und Vorurteilen begegnen, als ob sich gar nichts geändert hätte. Sind die Frauen einfach zu nett? Viele wollen absolut nichts mit Feminismus zu tun haben, als ob es eine ansteckende Krankheit wäre. Und man möchte sich natürlich bei der männlichen Zunft auch nicht unbeliebt machen. Ob diese Appeasement-Politik allerdings hilft?
Das bezweifelt Anne-Sophie Keller und bringt glasklare Beispiele, wie oft Frauen noch an die gläserne Decke stossen. Wie Frauen von Machtpositionen ferngehalten werden und wieviel unbezahlte Care-Arbeit sie für die Gesellschaft leisten. Was es mit Prostitution als Beruf auf sich hat und was es kostet, eine Frau zu sein.
Das ist so informativ wie locker geschrieben, doch man kann sich kaum dagegen wehren, dass einem langsam eine stille Aggression und Wut überkommt. Ja, ist denn das die Möglichkeit, dass im Jahre 2017 n. Chr. noch solche Ungerechtigkeiten ungestraft vorkommen? Herrschaften!
Und das betrifft auch den nicht erlaubten Vaterschaftsurlaub. Hier hinkt die Schweiz meilenweit den europäischen Staaten hinterher. Väter auf die Barrikaden!
Warum die weibliche Sexualität noch immer tabuisiert wird und Verhütung ein männerdiktiertes Thema bleibt, ist ein weiteres spannendes Kapitel. Bis heute ist noch keine Pille für den Mann zur Verhütung auf den Markt gekommen. Männer wollen sich den Nebenwirkungen der Chemie nicht aussetzen, Frauen tun es, ohne sich wirklich im klaren zu sein, was sie ihrem Körper jahrelang zumuten. Mutterschaft und Hausarbeit sind zwei Seiten der gleichen Medaille, noch immer leisten Frauen selbst bei Berufstätigkeit und Kindern den Hauptteil der Hausarbeit, das haben Statistiken belegt. Die Wertschätzung dafür bleibt gering.
Die fünf interessanten Kapitel in Teil 1 sind entlang von Iris von Rotens fünf Kapiteln in «Frauen im Laufgitter» konzipiert.
Die Selbstbestimmte
Yvonne-Denise Köchli nimmt im Teil 2 «Die Selbstbestimmte» unter die Lupe, wie Iris von Roten ihr Leben lebte und wie sie es selbst beendete. Das liest sich so anrührend
wie kämpferisch, diese mutige Frau sich zum Vorbild zu nehmen. Die notabene in einer erzkatholischen Umgebung im Wallis ihren Mann, einen katholischen Grossrat, dazu brachte ein Feminist zu werden. Was ihm natürlich schadete, sowohl politisch wie auch persönlich, und ihn isolierte. Und dann brachte es diese Frau noch fertig, auf
Reisen zu gehen, ihren Mann alleine zu lassen und unterwegs einige Liebesabenteuer zu erleben und ihren Mann auch noch dazu zu ermuntern. Das war zuviel für
die brave Gesellschaft, die das Ehepaar fortan boykottierte und isolierte. Mit Politik und Feminismus wollte Iris von Roten dann nichts mehr zu tun haben, sie wandte sich
der Malerei zu und bannte Lilien auf die Leinwand, zog die Bilanz ihres Lebens.
Das Buch ist dringlich empfehlenswert für alle Arten von Frauen und Männer zugleich! Im Anhang informiert eine Rezeptionsgeschichte über die Ereignisse seit dem Tod von Iris von Roten 1990.
Yvonne-Denise Köchli (*1954) hat den Xanthippe-Verlag im April 2003 gegründet. Davor war die Zürcherin 15 Jahre Redaktorin bei der «Weltwoche» (1984-1999) und hat vier Jahre als freie Publizistin und als Ghostwriter für Manager und Bundesräte gearbeitet (1999-2003). Die promovierte Germanistin ist Autorin des Bestsellers «Eine Frau kommt zu früh» (Weltwoche ABC Verlag, 1992) «Frauen, wollt ihr noch 962 Jahre warten?» (Xanthippe Verlag, 2006) und «miis züri – Neun Streifzüge durch Zürich für Frauen» (Xanthippe Verlag, 2016).
Anne-Sophie Keller / Yvonne-Denise Köchli
Eine Frau kommt zu früh – noch immer?
Edition Xanthippe, Zürich 2017
CHF 39.80. € 35.80.
englische Broschur
180 Seiten
ISBN 978-3-905795-55-4
«Daniela Kuhn: In die Wärme nach Boswil»
Vom Ringen mit dem Leben und dem Geborgensein in der Kunst: Von 1960 bis 1991 existierte im Freiamt im Kanton Aargau eine einmalige Institution: das Künstleraltersheim Boswil. Hier lebten Kunstschaffende, wie zum Beispiel der Filmregisseur Kurt Früh, die im Alter in schwierige Situationen geraten waren, wobei ihre Wege nicht selten schon steinig begonnen hatten.
Daniela Kuhn erzählt zehn Lebensgeschichten von solchen Bewohnerinnen und Bewohnern, etwa von Walter Arnold Steffen, einem Maler, der als Verdingbub aufgewachsen und immer wieder in der Psychiatrie landete.
Oder sie erzählt von der jüdischen deutschen Sängerin Lissy Sanden, die vor den Nazis nach Bolivien flüchtete. Von der Tänzerin Stephanie Darras, die in Ägypten ein Tanzstudio führte, von Margaretha van Leeuwen, einem ungarischen Waisenmädchen, das im Urner Melchtal adoptiert wurde und im Alter von 45 Jahren nach einer Tumoroperation wieder gehen und sprechen lernte. Aber auch von Elsa Stauffer, einer Bildhauerin, die hellwach stets ihren eigenen Weg ging.
«In die Wärme nach Boswil» erzählt nicht nur von vergessenen Biografien mit ihren mitunter wundersamen Wendungen, sondern auch von einer kaum bekannten Künstlerwelt jenseits des Rampenlichts, vom Ringen mit dem Leben und dem Geborgensein in der Kunst.
Daniela Kuhn
«In die Wärme nach Boswil»
Limmat Verlag Zürich, 2017
10 Lebensgeschichten aus einem Altersheim für Künstler 1960–1991
160 Seiten, Klappenbroschur, 58 Fotos, Werke und Abbildungen
CHF 34. 38 €
ISBN 978-3-85791-831-5