FRONTPAGE

«JACKIE KENNEDY: Wie sie ihn liebte»

Von Susanne Mayer

Erstmals werden Gespräche von Jackie Kennedy über ihre Jahre an der Seite des Präsidenten veröffentlicht. Sie mochte es, Jacqueline genannt zu werden. Eine Frau mit dunklem Haar, die Augen so weit auseinanderstehend, wie es Nichtkatzen gerade noch erlaubt ist, ein Mund, fast so breit gezogen wie der von Penélope Cruz.

Die Stimme: hauchend, wie vor ständig neuem Schreck ganz atemlos. Dieses süße Haspeln, kein Wunder, dass Jacqueline Bouvier Kennedy die Staatsmänner ihrer Zeit in Bann zog, de Gaulle sich verzaubert zu ihr niederbeugte und Chruschtschow aus Moskau einen Welpen schickte, selbst Churchill sie verehrte, die glamouröse Gattin des 35. Präsidenten von Amerika John F. Kennedy, die gerade mal drei Jahre lang in der Pennsylvania Avenue Nr. 1600 in Washington, D.C., wohnte. Im Maison Blanche, wie sie es scherzhaft nannte. Die Welt nannte sie: Jackie.
Auf YouTube laufen Filmchen, in denen Männer als Jackie herumstöckeln. Jackie ist ein Hörspiel von Elfriede Jelinek ist ein Bild von Andy Warhol ist »eine der enigmatischsten Figuren des 20. Jahrhunderts«, wie die New York Times schrieb. Seit Anfang dieses Jahres tickern fiebrig Vermutungen um den Globus über Gespräche, die Jacqueline Kennedy im März des Jahres 1964, nur vier Monate nach den tödlichen Schüssen von Dallas, mit Arthur Schlesinger Jr. führte, dem Harvard-Historiker, der persönlicher Referent und Redenschreiber ihres Mannes gewesen war. Ein Chronist der Ära Kennedy, ein Freund. Jahrzehntelang waren diese Bänder im Archiv, auf Jackies Wunsch verborgen, nun werden sie veröffentlicht, aus Anlass des 50. Jahrestages der
Präsidentschaft Kennedys. Wird es Enthüllungen geben, Einblicke in die Seelenlage der 34-jährigen Witwe, Gespräche über ein Leben mit JFK, darunter kann man sich ja vieles vorstellen, sogar Politik. Bild meldet vorab, man werde nun von Jackies Liebhabern erfahren.
Es sind sieben Gespräche. Man liest Abschriften von Tonbändern, die von der Tochter Caroline Kennedy redigiert wurden, so viel zum Thema Enthüllungen, man kann sich entspannen. Die Gespräche arbeiten sich chronologisch vor auf einem Gelände, das bibliotheksfüllend ausgeleuchtet ist – von der Bewerbung des irischstämmigen jungen Senators John F. Kennedy für die Vizepräsidentschaft im Jahre 1956 über seine Nominierung für die Präsidentschaft im Juli 1960. Die Inauguration in das Amt. Das Schweinebucht-Desaster. Die Berlin-Krise, die Kuba-Krise, Bürgerrechtsbewegung.
Natürlich Vietnam. Zuletzt, wenige Wochen vor Kennedys Tod, der Stopp überirdischer Atomversuche. Ja, nicht nur das Heute ist reich an Spannungen, hier haben sich nun private Stichworte zwischen die Historie geschoben, »erste Ehejahre« oder »Rückenprobleme« oder »JFKs Temperament«, natürlich »JFK und die Kinder«.
Jackie erzählt, wie ihr Mann seinen Stab zusammenstellte, wen sie für ein Leichtgewicht hielt. Ihr Urteil war gefürchtet. Ihre Tonlage ist spitz, auch wenn sie vorträgt, was er von Eisenhower hielt (nicht viel) oder Franklin D. Roosevelt (ein Blender), von Martin Luther King (moralisch enttäuschend) und dann Indira Gandhi (Horror!). Sie erinnert sich lachend, wie Caroline in den High Heels ihrer Mama in die Konferenzen stolperte. An die schwere Geburt von John-John, wie Mamie Eisenhower Jackie wenige Wochen nach dem Kaiserschnitt bei ihrem Antrittsbesuch im Weißen Haus erbarmungslos durch den alten Schuppen schleifte. Dass Präsident Truman das Parkett mit seinen genagelten Golfschuhen völlig ruiniert hatte. So plaudern sie, Jackie und Arthur.
Für Arthur Schlesinger Jr. waren die Gespräche wohl Recherche für eines seiner Buchprojekte, Die Politik der Hoffnung oder 1.000 Tage. John F. Kennedy im Weißen Haus. Jackie war ihm Informantin – bis er scharf zurückgepfiffen wird, als er Funde aus diesen Unterhaltung in seinen Werken einbaut. Zu privat!
Privat war dieses Präsidentenpaar natürlich nie. Der Reiz des politischen Doppelkörpers Jack und Jackie lag in seiner Unnahbarkeit, und das nicht nur, weil dies eine Ära war, in der niemand erwartete, bei Telefongesprächen der Prominenten mithorchen zu können. Die Bilder von ihnen zeigen Skulpturen, wie sie in vollendeter Haltung nebeneinander stehen, ein schöner Mann und seine sehr schöne Frau. »Zwillingseisberge« hat die Jackie-Biografin Sarah Bradford das Paar genannt. Sie zeigten Würde, aber kaum je eine Geste der Intimität, berichten Freunde, auch nicht, wenn keine Kamera da war. Die wenigen familiären Szenen, die uns zu Ikonen wurden – das Paar auf dem Segelboot, die Familie sonnenumspielt auf der Veranda, John-John auf dem Pferderücken vor der Mama – es waren sorgfältig geplante Scharaden von Familienglück. Als es zu Ende war, bei der Beisetzung des Präsidenten, trug Jackie einen Schleier, und als sie ihn zurückschlug, auch dann war ihr Gesicht nicht lesbar.
Waren sie überhaupt ein Paar? Böse Zungen behaupten, die Ehe, geschlossen am 12. September 1953, sei in den ersten Jahren wenig mehr als ein »Handelsabkommen« gewesen, stets am Rande des Scheiterns. Sie eine »frankophile Ästhetin«, wie der Historiker Michael Beschloss Jackie in seiner Einführung zu diesem Buch nennt, eine Kostbarkeit aus der Aristokratie von Long Island, fließend in vier Sprachen. Und er der Spross einer katholischen Großfamilie, die sich in Touch-Football rempelnd und grölend auf- und übereinanderwarf. Er habe sie anfangs als Kuriosität betrachtet.
Wie sie ihn liebte, das zeigt sie nun. Wie sie sich um ihn sorgte und er sich um sie. Seine furchtbaren Schmerzen, sie habe ihn am Anfang mehr an Krücken gesehen als ohne. Wie er sich freute, als nach Totgeburt und Fehlgeburt der Sohn da war, wenige Tage nach dem Sieg über Nixon. Wie er am Abend vor der Amtseinführung an ihrem Bett saß und ihre Anregungen für die Antrittsrede notierte, wie er sie dann abholte zum Ball, wie stolz er auf sie war, wie froh sie war, ihn so stolz zu machen. Wie sie historische französische Bücher in Auszügen für ihn übersetze, als Vorbereitung auf den Staatsbesuch in Paris. Er vor ihrem zehnten Hochzeitstag Fundstücke aus den Antik-Shops apportierten ließ und sie aus ihnen einen ägyptischen Schlangenreif auswählte, weil sie spürte, wie sehr er wollte, dass sie diesen wählte. Wie sie sich ihm unterwarf. »Eine Frau passt sich immer an, besonders wenn sie sehr jung heiratet und sozusagen ungeformt ist, dann versucht sie wirklich, die Frau
zu werden, die ihr Mann sich wünscht«, sagt sie. Kein Ton, der den jungen Feministinnen gefallen hätte.
Sie erwähnt, wie sehr er sich stets nach den Kindern sehnte. Vieles wird nicht erwähnt. Unter dem Stichwort »Monroe« finden sich im Register nur James, 5. Präsident von Amerika (1758–1831). Marilyn ist in diesem Buch so abwesend, wie Jackie es war an jenem Abend, an dem sich im Madison Square Garden Tausende von Menschen versammelten, um den 45. Geburtstag von JFK zu feiern, und Marilyn auftrat in dem hautfarbenen Abendkleid, in das sie sich hatte einnähen lassen, und Happy Birthday Mr. President gluckste – bevor sie hinter der Bühne zusammenbrach, ein glitzernder Bonbon, ausgespuckt von einem sexsüchtigen Mann. Es war ihr letzter Auftritt.
Für Jackie ist Jack der Mann, mit dem sie abends Aufnahmen von John Gielgud hört, Shakespeare. Sie erzählt Schlesinger von Jacks Großzügigkeit, wie er immer bereit war zu vergeben, »Bist du mir böse, Liebling«, brauchte sie nur zu sagen, und alles war gut. Sein Gutenachtgebet, abends, auf der Matratze kniend, eiliges Kreuz und fertig.
Ihre Freunde kannten solche Anfälle von Heldenverehrung, der Jazzpianist Robin Douglas-Home kommentierte ironisch: »Es ist die rührende, fast kindliche Demonstration einer großartigen Leidenschaft, von der sie, wie mir schien, mir leichter erzählen konnte als ihm.«
JFK war natürlich ein bedenkenloser Schürzenjäger. Sie lächelte tapfer, erzählen Biografen, wenn er sie auf Partys stehen ließ und mit Frauen verschwand. Sie hielt durch, als er sich 1956 auf einer Yacht im Mittelmeer mit geladenen Damen vergnügte, während sie zu Hause eine Totgeburt erlitt. Ließ sich von ihm aufs Land schicken an Wochenenden, an denen er sich im Pool des Weißen Hauses vergnügte. Das FBI mochte darüber Akten anlegen – sie hält zu ihm. Mag sein, dass er sie an ihren Vater erinnerte, ein erfolgloser Beau. Nun, ihr Jack war erfolgreich, nicht zuletzt ihretwegen.
Wie Jacqueline zum Ruhme der Ära Kennedy beitrug, ist ein aufregendes Drama, und dieses Buch ist darin der letzte Akt. Die Biografen würden Unsägliches ausbreiten, so viel war sicher. Diese Gespräche waren Jackies Chance. Ihr letztes Wort. Sie hatte der Präsidentschaft ihres Mannes die Bühne bereitet. Mit Eleganz und Haltung überlagerte sie sein Image als triebkranker Playboy. Und die von ihr orchestrierte Restauration des Weißen
Hauses, die Entfernung von geschmacklosem Sediment aus vielen Jahren Herrschaft, sie war ein Meisterwerk.
Vorbereitung durch Lektüre, Gründung einer Stiftung. Hinzuziehung von Experten, etwa des Parisers Stéphane Boudin, die so geheim gehalten wurde wie die Beschaffung einer grünen Moiré-Seide, die über die französische Botschaft ihren Weg ins Maison Blanche fand. Neugestaltung des Rosengartens nach dem Vorbild von Malmaison, dem Sitz von Napoleon und Joséphine. Jacqueline Kennedy formte Amerikas Bild von sich selbst, und es war französisch koloriert. Da stand sie, in ihren wundervollen Roben, Garderobekosten im Jahr 1962: 120.000 Dollar. »Madame«, wird sich de Gaulle vor ihr verneigen, »heute
Abend sehen Sie aus wie ein Gemälde von Watteau.«
Nun also letzte Retuschen am großen Tableau. Die Inszenierung der Beisetzung, der Entwurf für das Grabmal in Arlington. Sie wird das John F. Kennedy Center for the Performing Arts gründen, um seinem kulturellen Anspruch Ausdruck zu geben. Dazu die John F. Kennedy Presidential Library und das Institute of Politics, in denen zukünftige Generationen sich über das Wirken des 35. Präsidenten von Amerika informieren können.
Sie werden Interviews mit 1.000 Bürgern vorfinden, die sich an ihren Präsidenten erinnern. Und nun auch ihre Stimme.
»Sie erteilte uns eine Lektion darin, wie man Dinge richtig macht«, wird ihr Schwager Ted Kennedy auf Jackies Beerdigung am 23. Mai 1994 sagen. Sie gab alles.

 

 

Courtesy DIE ZEIT,
Erstveröffentlichung 15. September 2011.

 

 

Jacqueline Kennedy:
Gespräche über ein
Leben mit John F. Kennedy.
Mit einem Vorwort von
Caroline Kennedy. Aus dem
Englischen von Helmut Dierlamm
u.a.; 479 S., geb., div. Abb.,
CHF 39.90.
24.99 Euro (D). 25.70 Euro (A).
Hoffmann und Campe Verlag,
Hamburg 2011.
ISBN 978-3-455-50238-1

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