FRONTPAGE

«konkret & kongenial: Künstlertrio Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und Max Bill»

Von Ingrid Isermann

Das Kunstmuseum Appenzell zeigt in Kooperation mit der Fondazione Marguerite Arp Locarno «Allianzen» über die Anfänge der Konkreten Kunst und beleuchtet die  Zusammenarbeit von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und Max Bill. Dazu ist ebenfalls der Band «Allianzen» im Verlag Scheidegger Spiess erschienen.

 
Doppelte Allianz an zwei Standorten: Das Kunsthaus Appenzell mit dem ikonischen Zick-Zack-Dach nahe beim Bahnhof, erbaut von den Zürcher Architekten Gigon/Guyer, und die Fondazione Marguerite Arp in Locarno präsentieren verschiedene Kapitel der spektakulären Werkschau, wie die Kuratorinnen Simona Martinoli und Stefanie Gschwend im Cabaret Voltaire in Zürich orientierten, dem Gründungsort der Dadaisten, zu denen auch Hans Arp gehörte. 
 
Seit 2000 besteht eine Partnerschaft zwischen der Heinrich Gebert Kulturstiftung Appenzell und der Fondazione Marguerite Arp in Locarno. Die zehnte Kooperation widmet sich der Freundschaft und Zusammenarbeit von drei Protagonisten der europäischen Avantgarde: Hans Arp (1886-1966), Sophie Taeuber-Arp (1889-1943) und Max Bill (1908-1994).
 

Das Kunsthaus Appenzell zeigt Malereien, Skulpturen und Reliefs, die aus der Fondazione Marguerite Arp und der Sammlung von Chantal und Jakob Bill stammen. Briefe ergänzen die Schau und beleuchten die Interaktion zwischen den drei Künstlern. Die Ausstellung veranschaulicht zudem das Engagement avantgardistischer Künstlergruppen für die nichtgegenständliche Kunst; verschiedene Mappenwerke werden als Gemeinschaftsproduktionen künstlerischer und verlegerischer Art gezeigt. Neben den Druckgrafikreihen gehörte die Herausgabe von Publikationen und Zeitschriften und Ausstellungsbeteiligung zu den Aktivitäten. Ein besonderer Fokus wird auf die Zeitschrift Plastic Plastique und ihr Umfeld gelegt, von der 1935 und 1939 fünf massgeblich von Sophie Taeuber-Arp geprägte Ausgaben erschienen. Die Zeitschrift förderte die Vernetzung der Kunstschaffenden und den transatlantischen Austausch der konstruktiven Avantgarde in einer Zeit, als viele Kunstschaffende Europa bereits verlassen hatten. Sie verband die Kunstzenen in New York und Paris und war zugleich Sprachrohr für die vom Faschismus verfolgten Künstler:innen in Europa. Erstmalig werden die Entwürfe der geplanten Nummer 6 gezeigt, aufgrund des frühen Todes von Sophie Taeuber-Arp nicht mehr realisiert, die auch in der Publikation Allianzen erstmals in Form von bisher unveröffentlichten Dokumenten und Maquetten veröffentlicht wird.

 

Drei Freunde der europäischen Avantgarde

Max Bill macht noch eine Ausbildung als Silberschmied an der Kunstgewerbeschule Zürich, an der Sophie Taeuber-Arp unterrichtet, als auf ihre Einladung hin zwei seiner Arbeiten in der Exposition internationale des arts décoratifs 1925 in Paris ausgestellt werden.
Sophie Taeuber wuchs in Trogen auf und lässt sich in St. Gallen, München und Hamburg gestalterisch ausbilden. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zieht sie nach Zürich und begegnet dem Elsässer Künstler Hans (Jean) Arp. 1922 heiraten die beiden, Hans führt Sophie in den Kreis der Dadaisten im Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse in Zürich ein. 
 
Der Umzug nach Clamart bei Paris im Frühling 1929 bedeutete für Sophie Taeuber-Arp den Wechsel von einem Leben im Schweizer Kunstgewerbe mitten in die internationale Pariser Avantgarde, wo Sophie nicht nur für ihre Marionetten und die Bedeutung für die Dada-Bewegung geschätzt wird, sondern auch für ihre Innenraumgestaltungen und modern decorative sense, der sich auch in ihren textilen Wandteppichen zeigte. Die Arps gelten als gut vernetzt, ihr Haus entwickelte sich rasch zu einem Treffpunkt der Pariser Kunstszene.

 

Von Abstraction-Création zur Allianz

Paris ist in den 1930er-Jahren Metropole der Avantgarde und das Zentrum des Surrealismus und des Neo-Fauvismus. Hier geht die Post ab mit neuen Kunstströmungen, doch für die abstrakte Kunst scheint es schwieriger, sich zu etablieren. Daher entstanden Künstlergruppen wie Cercle et Carré, Art concrét und Abstraction-Création, die nicht nur die Förderung der abstrakten Kunst vorantrieben, sondern auch innovative Kunstwerke hervorbrachten. Auf der Suche für die abstrakte Kunst wird in Paris die Bezeichnung art non figuratif verwendet, wie auch der Untertitel der Zeitschrift Abstraction-Création lautet. Zu den Kunstschaffenden, die sich an der Debatte beteiligen, zählen u.a. Hans Arp, Theo van Doesburg, Paul KleePiet Mondrian und Georges Vantangerloo. 

 

1933 tritt der junge Max Bill der Vereinigung bei, der bereits die Arps angehören: der Abstraction-Création. Es ist der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit und einer lebenslangen Freundschaft: «… wenn ich an die 20 vergangenen jahre zurückdenke, während denen ich zuerst gedichte und reproduktionen ihrer reliefs sah, dann sie selber kennen lernte, und sie für mich den beitritt zu <abstraction creation> einluden, dass wir zusammen einen ersten besuch bei Mondrian machten, später besuche in meudon und was sich in der folge noch ereignete bis heute, so merke ich, was für einen grossen platz sie in meinem leben und meiner entwicklung einnehmen», schreibt Max Bill 1946 zu Hans Arps 60. Geburtstag.

 

Die Faszination abstrakter, surrealistischer und konstruktiver Kunst

Die Ausstellung Zeitprobleme der Schweizer Malerei und Plastik 1936 im Kunsthaus Zürich war die erste gesamtschweizerische Ausstellung abstrakter, surrealistischer und konstruktiver Kunst. 1937 gründete der Maler Leo Leuppi die Allianz. Vereinigung moderner Schweizer Künstler als Interessenverbindung von Kunstschaffenden, die nicht der Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten GSMBA angehörten und vereinigte Kunstschaffende aus allen Landesteilen der Schweiz und allen modernen Richtungen, sie war von 1937 bis 1954 aktiv.

 
Trotz unterschiedlicher Auffassungen, – Arp und Taeuber-Arp verlassen Abstraction-Création 1934 -, kooperiert man weiter durch die Herausgabe von Publikationen und der Initiierung wichtiger Ausstellungen. Nach der Gründung der Allianz wird 1941 der Allianz-Verlag unter der Leitung von Max Bill gegründet, der Künstlerbücher und Portfolios herausgab. 

 
Wechselwirkungen der Netzwerke

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der Flucht ins südfranzösische Exil 1940 änderte sich die Lage von Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp dramatisch, Ausstellungen und Publikationen werden in Frankreich unmöglich. Das Allianz-Projekt eines Portfolios mit dem Titel 5 constructionen + 5 compositionen, das im neu gegründeten Allianz-Verlag erscheinen sollte, war für Taeuber-Arp eine wichtige Gelegenheit zu publizieren und auch etwas Geld zu verdienen. Die Werke 5 constructionen + 5 compositionen und «10 original-lithos» sind nun in der Ausstellung in der Fondation Marguerite Arp in Locarno zu sehen.
 
Die zweite Mappe des Allianz-Verlags entstand in der Künstlergruppe, die sich 1941 in Grasse um die Arps gebildet hatte, mit u.a. Sonia Delaunay-Terk und Alberto Magnelli, die auch Wassily Kandinsky und Georges Vantangerloo dazu eingeladen hatten, jeweils ein Blatt zu dem Album beizutragen. Am 9. April 1942 schlug Taeuber-Arp Bill vor, es im Allianz-Verlag zu publizieren, der einverstanden ist und es um die Allianzkünstler Leo Leuppi und Richard Paul Lohse erweitert sowie um seine eigenen Arbeiten. Die Arps brachten die in Frankreich entstandenen Blätter mit nach Zürich, als sie im November 1942 eine befristete Einreisegenehmigung erhielten. Am 1. Januar 1943 erschien die von Bill gestaltete Mappe 10 original-lithos, was im Hause der Bills in Zürich-Höngg gefeiert wurde. Sophie Taeuber-Arp kam am 13. Januar 1943 erneut zu ihnen, um ihre Exemplare zu signieren. Sie verstarb dort in der kommenden Nacht infolge einer nicht fachkundigen Bedienung eines Ofens im Gästezimmer. Dies für alle traumatische Geschehen mag der Grund für eine posthume Auseinandersetzung Bills mit Taeuber-Arps Werk gewesen sein. Im Juni 1943 erschien ein ausführlicher Nachruf Bills, in dem er den Versuch einer ersten Werkanalyse der Künstlerin unternahm. Aus dem Projekt einer Monografie wurde schliesslich ein Werkverzeichnis, für das Bill das 1948 im Holbein-Verlag, Basel erschienene Buch mit blauem Cover gestaltete, das an das Blau in Taeuber-Arps Grafik für die erste Allianz-Mappe erinnerte. Es ist Bills Hommage an Sophie Taeuber-Arp.

 

Die Entwürfe bilden auch in der illustren empfehlenswerten Publikation Allianzen, die anlässlich der Ausstellung entstanden ist, einen gut dokumentierten Fokus wie Briefwechsel und Memorabilien der europäischen Avantgarde. Von der Freundschaft erzählt Jakob Bill im Beitrag «bezugspunkte zu sophie taeuber-arp und hans arp aus der sicht von max bill».
 
Die Ausstellung wird kuratiert von Dr. Simona Martinoli, Direktorin Fondazione Marguerite Arp und Stefanie Gschwend, Direktorin Kunstmuseum / Kunsthalle Appenzell. 5. Mai  – 6. Oktober 2024.
 
Parallel zur Ausstellung im Kunstmuseum Appenzell wird ein ergänzendes Kapitel in der Fondazione Marguerite Arp in Locarno gezeigt. 31. März – 3. November 2024.

 

VERANSTALTUNGEN
5. September 2024
18:30 Uhr Kuratorinnenrundgang Allianzen mit Stefanie Gschwend, Direktorin (dt.). Im Anschluss ist die Kunstbar Heute Tankrevision geöffnet im Kunstmuseum Appenzell.

 

3. Oktober 2024
18:15–19:45  Uhr Gespräch und Buchpräsentation Allianzen. Arp / Taeuber-Arp / Bill. 
Simona Martinoli im Gespräch mit Isabelle Ewig, Walburga Krupp und Jakob Bill (dt.). Im Anschluss ist die Kunstbar Heute Tankrevision geöffnet im Kunstmuseum Appenzell.
Ausstellung 05.05.2024 – 06.10.2024.

Kunstmuseum Appenzell, Unterrainstrasse 5 CH-9050 Appenzell www.kunstmuseum-kunsthalle.ch +41 71 788 18 00

 

Fondazione Marguerite Arp, Via alle Vigne 46, Locarno. Öffnungszeiten: Sonntags von 14 bis 18 Uhr. Werke von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Max Bill, sowie von Leo Leuppi, Richard Paul Lohse. Hans Hinterreiter, Max Huber, Verena Loewensberg, Serge Brignoni, Hans Erni, Hans Fischli.
 
Die Fondazione Marguerite Arp wurde 1968 von Marguerite Arp-Hagenbach, der zweiten Ehefrau von Hans Arp, gegründet und ist im Atelierhaus des Künstlers in Locarno angesiedelt, das eine umfangreiche Sammlung, eine Bibliothek sowie ein Archiv beherbergt. Der historische Komplex, eine wunderbare Oase, zu der auch ein Park mit Skulpturen gehört, wurde 2014 umfassend modernisiert und zudem ein formschöner kubistischer Bau mit lichtdurchflutetem Ausstellungsraum und Kunstdepot ebenfalls von den Architekten Gigon/Guyer erstellt.
 
Im Studio und Wohnzimmer des Atelierhauses mit der originalen Möblierung werden auf den Spuren des Surrealisten André Breton seltene, dem Surrealismus gewidmete Bücher gezeigt, wie etwa «L’Exposition surréaliste d’Objets», 1936, sowie Werke von Hans Arp, Max Ernst, Marcel Duchamp und weiteren Künstlerfreunden. Arp, der bereits 1936 zu den Mitbegründern des Dadaismus in Zürich gehörte, stellte bei der ersten Gruppenausstellung der Surrealisten 1925 in der Galerie Pierre in Paris aus. 
 
7. September 2024, 14 Uhr: Führungen auf Deutsch auf Anmeldung +41 91 751 25 43

fondazionearp.ch

 

Bildlegenden

Kunstmuseum Appenzell von Gigon/Guyer:  Hans Arp, «Assiette, fourchette et nombril», 1923, Relief;  Sophie Taeuber-Arp «Six chambres»; Max Bill, Linolschnitt ohne Titel.
 
Fondazione Marguerite Arp: Kubus von Gigon/Guyer, Einblick in die Ausstellung Arp, Taeuber-Arp, Bill. Atelierhaus Hans Arp. Sophie Taeuber-Arp, Ohne Titel, 1941; Max Bill, Ohne Titel, 1941; Hans Arp, «Formes concrètes aux rayons jaunes placée selon les lois du hasard», 1946. Bemaltes Holzrelief. 

 

 

Allianzen

Arp Taeuber-Arp Bill

Herausgegeben von Jakob Bill, Stefanie Gschwend, Simona Martinoli

mit Texten von Isabelle Ewig, Walburga Krupp und Jakob Bill

Scheidegger & Spiess, Zürich 2024

Geb., 144 S., 132 farbige und 15 s/w-Abb.

22 x 26 cm. CHF 49.

ISBN 978-3-03942-165-7 

 

 

 

«Brancusi – Die Kunst beginnt stets von Neuem»
 

Vor 120 Jahren zog ein junger rumänischer Künstler zu Fuss durch Europa, um sich in Paris niederzulassen. Im pulsiererenden Leben der französischen Hauptstadt erfand Constantin Brancusi eine neue Art des Schaffens, die das direkte Hauen aus dem Stein und einfache Formen bevorzugte. Als Wegbereiter der modernen Bildhauerei übte er grosse Faszination auf seine Zeitgenossen aus, angefangen von Künstlerfreunden wie Marcel Duchamp, Amedeo Modigliani, Fernand Léger und Erik Satie bis hin zu Bewunderern, die in sein Atelier in der Impasse Ronsin im 15. Arrondissement strömten.
 
Constantin Brancusi (1876–1957) ist einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts und ein Pionier der Moderne. Dieser in der offenen Form eines Brancusi- Wörterbuchs konzipierte Band präsentiert seine weltweit gefeierte Kunst in ihrer ganzen Fülle und mit einer Vielzahl von Bezügen: von A wie Afrika und D wie Dada über K wie Krokodil und P wie Paris bis zu T wie Tanz und Z wie Zeichnungen.
 
Mehr als 110 Beiträge der führenden Brancusi-Spezialistinnen und -Forscher formen ein weitreichendes Panorama seiner Karriere, von seiner Heimat Rumänien über Paris, wo er sich 1903 niederliess, bis in die Vereinigten Staaten, wo 1913 auf der legendären Armory Show in New York zum ersten Mal Werke von ihm gezeigt wurden.
 
Die anlässlich einer grossen Retrospektive im Pariser Centre Pompidou auf Englisch erschienene Publikation wirft ein neues Licht auf Brancusis kreative Prozesse, seine Beziehung zu Materialien, seine Verwendung von Film, Fotografie und Zeichnung sowie seine Vorliebe für Musik. Es blickt auf die weltweite Rezeption seines Schaffens durch Fachwelt und Publikum zurück und beleuchtet seine ungebrochene Bedeutung für Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart.

 

 
Brancusi
Herausgegeben von Ariane Coulondre
Scheidegger & Spiess, 2024
Deutsche Ausgabe
Geb., 320 S., 343 farbige Abb. und 1 s/w-Abb.
19 x 27 cm CHF 59.
ISBN 978-3-03942-203-6

 

 

 

Die Aura der Transzendenz –

«Eva Hesse: Exhibitions 1972-2022»

 

Hommage an Eva Hesse: Über die deutsch-amerikanische Künstlerin Eva Hesse (*1936 in Hamburg – 1970 in New York), eine Ikone der Prozess- und Objektkunst der 1960er-Jahre, ist bei Hauser & Wirth Publishers ein aufschlussreicher Bildband mit Essays von 16 Kurator:innen der posthumen Ausstellungen von 1972-2022 erschienen.
 
Whence the mystery that woman represents in a culture claiming to count everything, to number everything … She is neither one nor two… She resists all adequate definition.
– Luce Irigaray

 

Warum dieses Buch, fragt Herausgeber Barry Rosen in seinem Vorwort. Warum diese Ausstellungen? Wer machte die Ausstellungen? Wer sind die Kuratoren? Worin besteht das anhaltende Interesse an Eve Hesse’s Werk?
 
«Since 1970, when Eva Hesse left us here with an impressive body of more than 100 paintings, over 1,000 works on paper, and 176 sculptures, some 16 monographic exhibitions have presented her work for examination: at first, simple exposures of the artist’s oeuvre for all to see the range of her brilliance; later, more programmatic examinations of her unique use of materials and her singular voice; and more recently, shows probing deeper objectives and the meanings she may have stored in all this art for future generations».
 
«Barry Rosen: Seit 1970, als Eva Hesse uns verlassen hat mit einer eindrücklichen Werkschau von mehr als 100 Gemälden, über 1,000 Arbeiten auf Papier und 176 Skulpturen, haben etwa 16 monografische Ausstellungen ihr Werk präsentiert, zunächst einfach um ihr künstlerisch brillantes Oeuvre zu erkunden, später folgten mehr programmatische Betrachtungen ihres einzigartigen Gebrauchs von Materialien, denen sie ihre eigene Stimme verlieh und in letzter Zeit meist, um die Bedeutung der tiefgründigen Objekte zu erschliessen, die sie in ihre Kunst für zukünftige Generationen transferiert haben könnte».

 

Eva Hesse’s Lebensgeschichte, nicht zuletzt ihre berührenden Tagebuchaufzeichnungen, – die auch in einer von Hauser & Wirth 2022 veranstalteten Lesung ein breites interessiertes Publikum fanden -, ihr ausserordentlicher Erfolg in ihrer kurzen Schaffenszeit fasziniert bis heute und beeinflusste nachfolgende Generationen; ihr früher Tod liess sie zum Mythos werden. Zahlreiche Einzelausstellungen in den letzten 50 Jahren wie auch Retrospektiven wurden u.a. vom San Francisco Museum of Modern Art, Guggenheim Museum bis zum Museum Wiesbaden und zur Tate Modern in London gezeigt, die das anhaltende Interesse an ihrem Oeuvre verstärkten. Hesse kultivierte in ihrem Schaffen die Arte Povera mit überraschender subversiver Rätselhaftigkeit und transzendierte ihre Werke in literarische Assoziationen zu u.a. Sartre und Beckett. Die Objekte, die sie schuf, bewahrten ihr Charisma und spielen eine zentrale Rolle in der Transformation und Entwicklung der zeitgenössischen Kunst.

 

Im New York der 1960er-Jahre beschäftigte sich Eva Hesse innerhalb einer Gruppe von Künstlern um Robert Morris, Bruce Nauman, Richard Serra und Robert Smithson mit Materialien wie Latex, Plastik, Polyester, Kupfer, Fett, Staub oder Papier, die oftmals einem kurzem Verfalldatum unterworfen waren. Hesse schuf ephemere Objekte und experimentierte mit Materialien von temporärer Dauer, entwickelte sich dabei von der Malerin zur Objektkünstlerin. Ihren monumentalen Latexparavent «Expanded expansion» schuf sie 1969 kurz vor ihrem Tod. Im Hinblick auf das sich verändernde fragile Latexmaterial sagte sie dazu 1970 in einem Interview  im Wissen, dass es wie das Leben an sich Verwandlungen erfährt: «… I feel a little guilty when people want to buy (my latex works). I think they know but I want to write them a letter and say it’s not going to last. I am not sure what my stand on lasting really is. Part of me feels that it’s superfluous and if I need to use rubber that is more important. Life doesn’t last; art doesn’t last».

 

 

A Tribute to Eva Hesse

 

Reflections from Sixteen Curators
 
This volume provides a historical account of Eva Hesse’s landmark museum exhibitions. Essays by the curator who organized these shows speak to the personal dimension of crafting an exhibition, addressing questions of intent and reception. With extensive installation views, archival material, ephemera, and snapshots. Eva Hesse: Exhibitions, 1972-2022 brings these exhibitions to life.

 

Reflexionen von 16 Kurator:innen
 
Die Publikation bietet einen historischen Überblick über Eva Hesse’s Ausstellungen. Essays von Kuratoren der Museen, die die Ausstellungen organisierten, sprechen über ihre persönlichen Sichtweisen, eine Ausstellung zu planen und reflektieren Fragen zu Inhalt und Rezeption. Mit ausführlichen Installationsansichten, Archivmaterial, Ephemeren und Schnappschüssen. «Eva Hesse: Exhibitions, 1972-2022« macht diese Ausstellungen wieder lebendig.

www.hauserwirth.com

 
Eva Hesse: One More than One
Hamburger Kunsthalle, November 29, 2013-March 2, 2014
 
«… the dialogue between sculpture and drawing was always a contemplementary process for her. In discussing the sculptures she created at the same time as the circle drawings, Hesse remarked that she «literally translated the line» in three dimensions. She continually undertook this process of translation, moving from drawing to sculptural work and back again. It was important to us to make this process tangible in the exhibition».
 
Petra Roettig, Curator, Kunsthalle Hamburg (Auszug)

 

  
 
Eva Hesse
Exhibitions 1972 -2022
Reflections from Sixteen Curators
Edited by Barry Rosen
Contributions by Linda Shearer, Nicholas Serota, Ellen H. Johnson, Helen Cooper, Elisabeth Sussman, Renate Petzinger, Sabine Folie, Catherine de Zegher, Fred Wasserman, Briony Fer, Fiona Bradley, E. Luanne McKinnon, Brigitte Kölle, Petra Roettig, Andrea Gyorody, Lena Stringari
Hauser & Wirth Publishers, 2024
English. CHF 55.
ISBN 978-3-906915-86-9

 

 

Eva Hesse wurde 1936 in Hamburg als Tochter des jüdischen Rechtsanwalts Wilhelm Hesse und seiner Frau Ruth Marcus Hesse geboren, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 seinen Beruf aufgeben musste und sich anschliessend in der Gemeinde der Synagoge engagierte. Eva Hesse wurde mit zwei Jahren mit ihrer älteren Schwester Helen 1938 von ihren Eltern mit einem Kindertransport nach Holland geschickt, wo die Geschwister in einem katholischen Kinderheim in Rijswijk unterkamen. 1939 emigrierte die Familie in die USA nach New York.  Die Eltern liessen sich im Frühjahr 1945 scheiden, im selben Jahr heiratete Wilhelm Hesse Eva Nathanson und erhielt das Sorgerecht für beide Töchter. Ihre Mutter beging 1946 Suizid, kurz bevor Eva Hesse zehn Jahre alt wurde.
Eva Hesse studierte im Anschluss an ein Stipendium Malerei an der Cooper Union in New York und an der Yale School of Art and Architecture, unter anderen bei Josef Albers. Ihre Arbeiten erhielten Anfang der 1960er Jahre Impulse durch die Objekte von Marcel Duchamp.
1961 heiratete Eva Hesse den Bildhauer Tom Doyle. 1964/1965 verbrachte sie mit ihrem Ehemann ein Jahr bei dem Sammlerehepaar Friedrich Arnhard Scheidt in Kettwig an der Ruhr, wo sie in Scheidts Tuchfabrik ein Atelier bezog. Dort entstanden erste dreidimensionale Arbeiten. 1964 begann Hesse, sich mit ihrer Rolle als Frau in der Kunst zu beschäftigen und nach der Rückkehr aus New York trat sie aus dem Schatten ihres Mannes, es folgte die Scheidung. Sie widmete sich feministischen Theorien der 60er und wandte sich dem skulpturellen Schaffen zu. Dabei arbeitete sie mit ungewöhnlichen, sich zersetzenden Materialien wie Naturkautschuk, Glasfaser und Polyester. Eva Hesse starb am 29. Mai 1970 im Alter von 34 Jahren in New York an einem Hirntumor.

Fotos: Estate Eva Hesse Hauser & Wirth

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