«Kunst von Frauen: Selbstverständlich hier und jetzt»
Von Isolde Schaad
Kunst kommt wieder von Können, und was gemacht werden kann, wird gemacht. Nach Jahrzehnten des Ringens um Sichtbarkeit und Anerkennung treten junge und jüngste Künstlerinnen in Zürich als Selfmade Women auf den Plan. Sie sind die Nachfolgerinnen des ehemaligen Undergrounds, der im Schatten der Geldkapitale nistenden Subkultur, die einst vom Mythos der Brotlosigkeit zehrte und für Gottes Lohn ihr Werk schuf.
Sichtung der Situation der Kunst von Frauen – vier Generationen in und um Zürich
Damit ist es endgültig vorbei. Denn in einer bis in die letzte Ritze globalisierten Welt, in der das Schöpferische – wie alles , aber auch wirklich alles, der Wirtschaftlichkeit unterliegt, muss die künstlerische Selbstbehauptung aufs Ganze gehen, um sich abzugrenzen. Kunst als Projekt ist jetzt bedeutsamer als das einzelne Produkt. Es kommt nicht mehr darauf an, wie gut das einzelne Werk ist, sondern wie glaubwürdig die Künstlerinnenexistenz. Und diese kann als antikommerzielle Gegenbewegung wirken und darin eine urbane Bastion sein.
Powerfrauen
Powerfrauen, gibt es die noch? Der Begriff Frauenpower hat doch ordentlich Staub angesetzt und erinnert an einen Feminismus, der junge Frauen zum Gähnen bringt. Klar, dass sie alle emanzipiert sind, und besonders in der Kunst tun sie genau das, was einst in Jungmädchenromanen “den eigenen Weg finden” hiess. Der geht von einem künstlerischen Selbstverständnis aus, das ohne Begriffe auskommt, und wer das als Theoriedefizit beklagen will, ist ebenfalls von gestern.
Ohne Begriff auszukommen, das ist der Triumph einer weiblichen Ästhetik, die durch Generationen der Selbstdeklaration ging, gehen musste, und ohne knüppeldicke Provokation kam sie nicht aus. In Österreich führte die Aktionskünstlerin Valie Export, geb.1940 in Graz, ihre Brüste in einem Rahmen spazieren, und lud unter dem Signet „Tapp- und Tastkino“ öffentlich zum Begrapschen ein. Sie tat so, um auf den Grad der Prostitution hinzuweisen, denen Künstlerinnen in den Sechzigerjahren noch unterworfen waren. In europäischen Kunsthallen trat eine schonungslose Performerin namens Marina Abramovic auf, um die Selbstentblössung mit Gewalt zur vorletzten Konsequenz zu treiben: der Selbstverletzung. In New York schoss die radikale Lesbe Shulamit Firestone auf den Shootingstar Andy Warhol, der den Warencharakter der (Männer-)Kunst auf die Spitze getrieben hatte. Es ging in der Kunst von Frauen also um nichts geringeres als um Leben und Tod. Es war das Ganz und Gar des persönlichen Out-Coming, um zu erwirken, was später handzahm und ziemlich bürokratisch als Gleichstellung der Geschlechter in die Gesetzgebung einging.
Inzwischen war hüben und drüben eine Vaginalmythologie aufgeblüht und hatte am Dinnertable der Hohepriesterin Judy Chicago Platz genommen, wo sie eine Weile blieb, um die künstlerische Schwesternschaft transkontinental zu sichern; ohne diese, dachte frau, würde die gemeinsame Marschrichtung nicht zu haben sein. Vor allem bedurfte es einer Schule, also ein gerüttelt Mass an Theorie, und einen Schuss akademischer Weihe, damit das künstlerische Subjekt, wenn es weiblich war, dorthin entlassen werden konnte, wo es jetzt steht. Nämlich im technisch avancierten Einerlei eines globalisierten Kunstbetriebs, der hier wie dort die gleichen Grössen führt.
Und in der Schweiz?
In der Schweiz kommt Kunst von jeher aus der Schule, und die Schule ist ein Hort der Begabung und ein Hindernis der Vision. Was heisst das hier und jetzt? Es heisst, dass ein gutes Mittelmass an Professionalität erreicht worden ist, in welcher die jahrzehntelang beschworene weibliche Ästhetik nahtlos aufgeht. Von sexual politics, von gezückten Schwertern des Amazonentums, von den hohen Zeiten und Worten einer Schwesternschaft in der Kunst will die jüngste Generation der Zürcher Künstlerinnen nichts mehr wissen. Pragmatisch bis in die Fingerspitzen verfolgt sie das Geschäftsmodell eines schöpferischen Survivals, das sich vor dem Marketing nicht scheut und durchaus Anleihen bei der Werbewirtschaft macht.
Im sozialen Kontext stellen wir also fest: die heroische Randständigkeit einer Kunst, aus der das Krude, das Wilde und dann auch die überragende Einzigartigkeit wächst, hat auch in Zürich abgedankt. Das will nicht heissen, dass wir nur noch den aufgereihten Kleinformaten abgekupferter Weltläufigkeit gegenüberstehen, – das tun wir zwar auch, wenn wir einen städtischen Kunstraum, eine Quartiergalerie aufsuchen oder einen coolen Ausstellungsort, der sich jetzt Off Space nennt. Ebenso kann es heissen, dass unternehmerische Qualitäten zur Anwendung kommen und neue Wege der Kunstvermittlung schaffen.
Seit 1996 macht der Name Esther Eppstein und ihr Messagesalon Schule, als eine Art Kunstlabor, Agentur und Plattform in einem und nicht nur für weibliche Kunstwillige, die sich auf diesem Weg einen Namen schaffen. Überhaupt ist das Internet heutzutage die erste Adresse und manche Idee kann sich auf einer Website austoben, die sonst mühevoll Mittel und Weg suchen müsste, um sich bekannt zu machen. Das Kriterium von Qualität ist also nicht mehr die Innovation, die Einmaligkeit eines Werks, sondern die Intensität, mit der es entsteht.
Was gemacht werden kann, wird gemacht, mit grossem Einsatz und grossem Können. Das „Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ (1936) ist sich selbst genug: Der Kulturphilosoph Walter Benjamin lächelt müde aus dem Orkus, leider weiss er nicht, dass sein Befund von einem schönen Begleiteffekt beflügelt wird, dem Kollektiv. Der Teamgeist ist nämlich auferstanden, nach Jahren des musischen Ellbogenindividualismus im merkantilen Zürich. Schon länger macht die Mediengruppe Bitnik von sich reden und jetzt sind es die drei Frauen Nina von Meiss, geb. 1978, Dominique Vigne, geb. 1981, und Christina Pfander, geb. 1980, die unter dem Logo Mickry 3 mit witzigen bis abstrusen Stolperobjekten Furore machen; in ihrem Fahrtwind taucht unter Führung von Fra Silva, geb. 1984, ein weiteres Künstlerinnenteam auf und offeriert in seinem Loop Pizza Collettivo allerhand schöpferische Dienstleistungen.
Video, Film, Fotografie, Fotoshop
Wo man hinschaut, lebt die Praxis einer wohltuenden Selbstverständlichkeit, die sich geradezu virtuos aller verfügbaren Techniken bedient, sei es Video, Film, Fotografie oder Fotoshop, sei es Polyester oder Kautschuk, Gummi oder Keramik, und nicht zuletzt Pinsel und Spachtel, denn auch die Malerei behauptet sich von Neuem, greift frisch und frei und vorneweg in den Farbtopf und dann zu Schere und Kleister, um die handgefertigte Collage gekonnt ins Bild zu setzen. Es fallen Namen wie etwa Simone Monstein, geb. 1979, Tatjana Gerhard, geb. 1974, El Frauenfelder, geb. 1979, Judith Albert, geb 1969, oder Anina Schenker, geb. 1971. Jahre zuvor sah man in der Szene vorwiegend Video-und Fotokunst: allen voran Cécile Wick, Hanna Villiger und Annelies Strba, während Dominique Lämmli oder Sandra Böschenstein als Zeichnerinnen hervortraten, die mit dem Stift Wände auskleideten oder auf Papier spintisierten, kurzum, die mittlere Generation schuf einen nachhaltigen Hallraum für den künstlerischen Nachwuchs um die Dreissig.
Schlussfolgerung: Das lokale Kunstwollen und Kunstmachen stellt heute eine nennenswerte gesellschaftliche Bastion gegen das neoliberale Diktat der sogenannten Kreativwirtschaft. Dass auch in der Gegenbewegung die Mode mitunter mitspielt, ist eine mehr oder minder kleidsame Begleiterscheinung eines Prozesses, in welchem das einzelne Produkt an Bedeutung verliert. Künstlerin zu sein, ein Atelier, einen autonomen Kunstort zu bewohnen, ist das Entscheidende, besonders dann, wenn diese Autonomie irgendeinem Brotjob abgerungen, abgeluchst werden muss.
Ikonen der Selbstdarstellung
Doch ohne die Ikonen der Selbstdarstellung, die aus Grosszürich auf die Welt ausstrahlen, wäre die ungeschorene Selbstverständlichkeit, mit der die jüngsten Künstlerinnen ihre Sache machen, nicht entstanden. Exemplarisch wäre hier Pamela Rosenkranz, geb. 1979 zu nennen, die mit gestylten Installationen aus Haut, Blut und Silikon eine geplante Karriere aus dem Erfolgslabor vorlegt und bereits an der Biennale di Venezia ausstellte. Doch eine solche Direttissima in die Internationale der Kunst wäre nicht möglich ohne den ausdauernden Kampf von Wegbereiterinnen gewesen. Aufs Ende des letzten Jahrhunderts adelte eine Lady Shiva den Stand des Callgirls, lange bevor ein markthöriges Jahrzehnt im Millennium aufging. In St. Gallen erhob sich eine Dame aus dem Volk, nannte sich Manon, und stellte sich in einer mit fleischfarbenem Dekor ausgestatteten Intimität der Öffentlichkeit zur Schau. Sie war als Rosmarie Küng 1946 in Bern geboren worden, und hatte einen phänomenalen Instinkt für die erotische Suggestion, die sie ab 1974 in berückende Environments verwandelte (Das Ende der Lola Montez, The artist is present). Sie kreierte ein permanentes, international beachtetes Boudoir der Selbstbespiegelung und deklinierte es in sämtlichen Funktionen und Rollen, die ein Frauenleben hinieden annehmen kann, von der Pin-up- Schönheit über die peitschenschwingende Domina bis zur kreuzbraven Hausfrau, von der Vorzimmerdame über die Putzfrau bis zur Krebspatientin: „Einst war sie Miss Rimini“ hiess eine Serie von Manons camouflierten Selbstporträts; sie kursierten durch das ganze Land und bereiteten der keimenden Selfie- und Social Media- Kultur eine neue, gut geerdete künstlerische Dimension.
Was als Inkarnation weiblicher Ästhetik jahrzehntelang als dilettantisches Wunschbild oder verschmocktes Mantra auf der Strecke blieb, nahm plötzlich heftig sinnlich Gestalt an. Es war eine Venus- Geburt, die mit dem Klischee der Muse brach, die seit der Renaissance die Kunst der Meister bevölkert hatte. Der Archetyp des Weiblichen landete eine künstlerische Breitseite gegen das in seinem Fett schmorende Kunstpatriarchat, doch im Gegensatz zu Angriff und Provokation der feministischen Vorhut geschah das auf subtile, ja wundersame Weise. Vorgesorgt hatten international bekannte Pionierinnen wie Meret Oppenheim oder Cindy Sherman, und die erwähnte kühne Marina, damit auch in Zürich, Suisse, Switzerland, die Frau als solche in die Offensive gehen konnte. Die rosenfingrige Morgenröte stieg bald aus den Gemächern Manons in neuere Gefilde um und erreichte die nächste Zauberin der Verwandlungskunst. Sie hiess Pipilotti Rist, geb. 1962 in Grabs, Rheintal, und war jedesmal eine andere, wenn sie ins Rampenlicht trat, uniformierte Billeteuse oder freche Göre, Femme fatale oder Jungstar, der Stoff wurde hier aus den eigenen Innereien gewonnen, nennen wir sie Pipi Mulden, aus denen die magischen Brunnen der weiblichen Säfte strömten und in erregte Kanäle der Videoinstallation mündeten. So entstanden wundersame tropische Gewächse des Organischen, die Pickleporn oder ähnlich hiessen und fortan im Urwald der Weiblichkeit wucherten. Der wurde alsbald von internationalen Institutionen wie Banken, Konzernen oder berühmten Kunstmuseen angekauft, und die erfolgreichste Schweizer Künstlerin aller Zeiten war geboren.
Frauenpower ein verstaubtes Wort? Mitnichten, es könnte sein, dass sie in diesen maroden Zeiten erst richtig beginnt.
ART DOCK ZÜRICH
Impressionen 100 Jahre Frauen Power 1916-2016
(Ausstellung bis 18.08.2016)
Literatur & Kunst-Buchtipp:
ESTHER EPPSTEIN – MESSAGE SALON
Der message salon: Motor der zeitgenössischen Schweizer Kunstszene
Scheidegger & Spiess, 2016
Mit Beiträgen von Nadine Olonetzky und Kerim Seiler
Deutsch und Englisch
Geb., 688 S., 195 farbige und 519 sw Abb.
22 x 29.5 cm
CHF 79. € 77.
ISBN 978-3-85881-456-2
Isolde Schaad, geb, 1944 in Schaffhausen, ist Schriftstellerin in Zürich. Als studierte, engagierte Künstlerstochter hat sie sich ein Leben lang mit Kunst befasst. Ihr mehrfach ausgezeichnetes Werk umfasst den Essay, das Sprechstück, die Reportage, die Kolumne, den Roman und die Erzählung. Mehrere Studienaufenthalte in Ostafrika, Nahost und Indien, 1997 war sie Gastautorin einer amerikanischen Universität. Ihre Bücher, zuletzt der preisgekrönte Erzählungsband „Am Äquator- Die Ausweitung der Gürtellinie in unerforschte Gebiete,, erscheinen im Limmatverlag, Zürich, www. limmatverlag.ch/autor