FRONTPAGE

«Kunsthaus Zürich: Ernst Scheidegger – Fotograf»

 

Zum 100. Geburtstag eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Seine fotografischen Künstlerporträts machten Ernst Scheidegger international bekannt, wie seine berühmten Aufnahmen von Alberto Giacometti in seinem Pariser Atelier oder im Bergell. 

Der Fotoband «Ernst Scheidegger. Fotograf» erscheint anlässlich des 100. Geburtstags des Gründers des Verlages Scheidegger & Spiess und begleitet die Ausstellungen im Kunsthaus Zürich und im MASI Lugano. Es basiert auf einer Aufarbeitung seines umfangreichen fotografischen Nachlasses und wirft einen frischen und zeitgenössischen Blick auf dieses vielschichtige Werk.

   Eine konzise Auswahl ikonischer und weniger bekannter Aufnahmen bildet Ernst Scheideggers (1923-2016) Porträt- und Künstlerfotografie ab. Zudem aber lädt das Buch zur Entdeckung von Scheideggers bisher wenig publiziertem Frühwerk ein und nimmt damit eine Neubewertung seines Schaffens vor.

Texte von Tobia Bezzola, Direktor des MASI Lugano, von der Fotohistorikerin Alessa Widmer, von Philippe Büttner, Sammlungskonservator am Kunsthaus Zürich, und von Helen Grob, der langjährigen Lebensgefährtin Ernst Scheideggers, zeichnen dessen Werdegang und sein fotografisches Selbstverständnis nach und runden den fotoaffin gestalteten Band ab.

 

Fundstücke aus der Kartonschachtel
   In seiner Wohnung am Zeltweg in Zürich verwahrte Ernst Scheidegger eine grosse Kartonschachtel. Er hatte sie 1956 bei seiner Rückkehr aus Paris in die Schweiz mitgebracht und fast sechzig Jahre lang nicht geöffnet. Darin lagerten ungefähr hundert Fotografien, alles Abzüge, welche Scheidegger mit seinen Freunden und Kollegen bei der Agentur Magnum in den frühen 1950er-Jahren gegen eigene Fotografien eingetauscht hatte. Dieses Konvolut von Rohkopien, Presseabzügen, Archivkopien und Ausstellungsprints von Werner Bischof, Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, Ernst Haas, George Rodger, Ruth Orkin und David Seymour war mehr als eine Zeitkapsel oder eine Memorabiliensammlung. In gewisser Weise blieb in dieser Schachtel auch Ernst Scheideggers eigene, jäh abgebrochene Karriere als Fotoreporter und Bildjournalist versiegelt.
   Der Bruch in seiner Fotografenlaufbahn hatte zwei traumatische Ereignisse des Frühjahrs 1954 zum Anlass. Am 16. Mai war sein Freund und Mentor Werner Bischof bei einem Autounfall in den peruanischen Anden ums Leben gekommen. Nur neun Tage später starb der Magnum-Gründer Robert Capa, als er, unterwegs mit einem Minen-Suchtrupp, bei Thái Bình auf eine Mine trat. Für diesen Auftrag in Vietnam hatte die Agentur ursprünglich Scheidegger delegiert und akkreditiert. Erst als im letzten Moment für die Berichterstattung über einen Staatsbesuch in Ägypten nur der Schweizer Scheidegger rechtzeitig ein Visum erhalten konnte, packte Capa, der sich nicht mehr mit Kriegsberichterstattung hatte abgeben wollen, nochmals seine Kameratasche, um den Job zu übernehmen.
   Diese Ereignisse des Frühjahrs 1954 trafen Ernst Scheidegger tief, und es fiel ihm schwer, darüber zu sprechen. Sie haben zur Folge, dass er die Tätigkeit als Fotoreporter für Magnum aufgibt und auf Einladung von Max Bill einen Lehrauftrag an der Hochschule für Gestaltung in Ulm annimmt. Damit schliesst Scheidegger sein fotografisches Frühwerk ab. Der Fotografie bleibt er zwar ein Leben lang treu, aber es ist eine andere Art von Fotografie, die er fortan betreibt.
 
Ästhetische Wende
Andere Verwendungszwecke der Bilder und andere Zusammenhänge ihrer Entstehung verändern die Bildsprache, und Scheidegger besinnt sich zurück auf die Lehrjahre bei Hans Finsler und Alfred Willimann an der Kunstgewerbeschule in Zürich. Er bindet sein fotografisches Schaffen nun ein in ein übergreifendes Konzept der visuellen Gestaltung, welches in der Tradition des Bauhauses nicht nur Architekturfotografie, Sachfotografie und Werbefotografie, sondern auch grafische Gestaltung, Ausstellungsdesign, Buchgestaltung, Zeitungslayout sowie Werbe- und Dokumentarfilm mit einschliesst.
   Und nicht anders, als er es mit den Fotografien seiner Kollegen bei der Agentur Magnum tat, hat Scheidegger auch seine eigenen Fotografien der Jahre 1945 bis 1955 für sich endgültig archiviert und abgelegt. Nur sehr selten wurde die eine oder andere davon in Büchern oder Ausstellungen berücksichtigt.

Eine im Kunsthaus Zürich und anschliessend im MASI Lugano erstmals präsentierte Auswahl von ungefähr sechzig Arbeiten aus Scheideggers fotografischem Frühwerk überrascht nicht nur durch ihre Qualität, sie erhellt und unterstreicht auch seinen Platz in der Schweizer Fotografiegeschichte der Nachkriegsjahre: Der junge Scheidegger startet seine Fotografenkarriere in einem Moment, als sich in der Schweizer Fotografie ein neuer Trend anzudeuten beginnt.

 

Photographie ist Ausdruck

Mitte der 1930er-Jahre artikuliert Gotthard Schuh (dessen Nachfolger als Bildredaktor der NZZ Ernst Scheidegger 1960 werden sollte) als erster der führenden Schweizer Fotografen ein Unbehagen über die zum Klischee erstarrenden Gestaltungsformen des «Neuen Sehens» oder der «Neuen Photographie», welche die Fotografie in den zwei Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg an die künstlerischen Avantgarden angeschlossen hatten. Die Schulung zu «Unmittelbarkeit» und «Präzision», welche die Fotografie im Umfeld von Konstruktivismus und Bauhaus in den 1920er-Jahren erhalten hatte, wird von Schuh zwar anerkannt. Um aber «das ganze vielgestaltige Leben… intensiv und spontan» im Bild erfassen zu können, wird eine neue, expressive Dringlichkeit gefordert.
   Schuh und Jakob Tuggener sowie von der jüngeren Generation René Groebli und Robert Frank stehen in den späten 1940er-Jahren für eine ästhetische Wende innerhalb der Elite der Schweizer Fotografie. Der optimistische, technikgläubige Konstruktivismus der frühen 1930er-Jahre erscheint nun oberflächlich und naiv angesichts der katastrophalen Erfahrungen des Krieges und der Not der Nachkriegsjahre. Es entsteht eine introspektive, existenzialistische, oft schwermütige, subjektive Autorenfotografie. Die geduldige, genaue Beobachtung soll die Wahrheit, die in den Dingen des Alltags steckt, herausarbeiten; sie nochmals poetisch zu verdichten und auszugestalten, wird zur eigentlichen Aufgabe der Fotografie. «Photographie als Ausdruck» ist folgerichtig auch der programmatische Titel der Ausstellung des «Kollegiums Schweizerischer Photographen», die 1955 im Helmhaus Zürich den neuen Stil und seine Protagonisten vorstellt.

 

Das Künstlerporträt als fotografische Gattung

Das Künstlerporträt wird zur fotografischen Gattung, in der er sein vielleicht fruchtbarstes Arbeitsfeld findet. Die ganz unterschiedlichen Situationen, in denen die Porträts entstehen, und die unterschiedlichen Grade der Nähe und der Freundschaft, die ihn mit den Porträtierten verbinden, lassen hier einen grossen Reichtum der stilistischen Variation und der visuellen Umsetzung zu.

   Scheidegger verbindet das grafisch-abstrakte Auge seiner formalistischen Lehrjahre bei Hans Finsler mit der Liebe zum expressiven anekdotischen Detail seiner poetisierenden frühen Fotografenkarriere und komplettiert schliesslich sein Repertoire mit dem präzisen, nüchternen und pathosfreien Tatsachenrapport des abgebrühten Fotojournalisten. Eine Formel lässt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr gelingen die Aufnahmen, indem Zeit, Ort und Umstände der Begegnung immer in die fotografische Gestaltung einfliessen und in ihr sichtbar bleiben. Das muss nicht heissen, dass in jedem Fall die vielbesungene katalysierende Nähe zwischen Fotograf und Künstler die Arbeit befeuert haben muss. Im Gegenteil, bei Modellen wie etwa Cuno Amiet, Le Corbusier oder Oskar Kokoschka wird der Charakter der Auftragsarbeit nicht verleugnet, und die angemessene Distanz in der Flüchtigkeit der Begegnung wird jederzeit respektiert.

   Ernst Scheideggers fotografische Erzählungen aus den Künstlerateliers der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen von einem Menschen, der letztlich das Abenteuer seiner Protagonisten teilte und die Bilder als Teil eines gemeinsamen Unternehmens verstand, so Tobia Bezzola. Es war immer auch ein Verleger und Buchautor, ein Grafiker, ein Maler, ein Galerist, ein Filmemacher, ein Ausstellungsmacher und Kataloggestalter, der die Kameras bediente. «Fotokunst» als solche war hierbei kein grosses Thema, und wohl deshalb haben diese Fotografien bis heute so viel zu erzählen.

 

Kunsthaus Zürich

Ernst Scheidegger. Fotograf.

80 schwarz-weisse Fotografien von den 1940er bis Mitte 1980er-Jahren.

Ausstellung 27. Oktober –  21. Januar 2024.

 

MASI Lugano

Auge in Auge. Hommage an Ernst Scheidegger.

Ausstellung 18. Februar – 21. Juli 2024.

 

 

Ernst Scheidegger
Fotograf
Herausgegeben von Stiftung Ernst Scheidegger Archiv
Scheidegger & Spiess, 2023
Geb., 248 S., 12 farbige und 168 s/w-Abbildungen
23 x 30 cm, CHF 51.
ISBN 978-3-03942-173-2

 


 

 

«Walter Pfeiffer: In the Summer of 2009. Photographs. Design by Matteo Thun».

 

Eine inspirierende Reise mit den Design-Preziosen von Matteo Thun und eine humorvolle Hommage an den wichtigsten Designer und Architekten Italiens.
 
Eine humorvolle Hommage an Matteo Thun, einen der wichtigsten Designer und Architekten Italiens, und seine Möbel, Produkte, Interieurs und Bauten.

Im Sommer 2009 unternahm der Schweizer Fotograf Walter Pfeiffer eine Reise von der Schweiz nach Italien, in deren Verlauf er zahlreiche von Thuns Design-Objekten fotografierte.
 
Er tat dies nicht als trockene Objektdokumentation, sondern im Sinn von höchst lebendigen «tableaux vivants»: Pfeiffer wurde nämlich von den beiden damals jugendlichen Söhnen Matteo Thuns begleitet, die damit die visuelle Haupt-Erzählung des englischsprachigen Buchs bilden und zusammen mit den Objekten abgebildet sind.

Ergänzt wird dieses fotografische Panorama durch ein Register aller abgebildeten Design-Preziosen.

 

In the Summer of 2009
Von Walter Pfeiffer, Matteo Thun
Herausgegeben von Susanne Thun
Scheidegger & Spiess, 2023
Geb., 136 S., 155 farbige Abbildungen
20.5 x 28 cm CHF 49.00.
ISBN 978-3-03942-137-4

 

 

Solothurner Filmtage 2024
 
Vom 17. bis 24. Januar 2024 finden die Solothurner Filmtage zum 59. Mal statt und sind somit das zweitälteste Filmfestival der Schweiz. Die Werkschau des Schweizer Films wurde 1966 gegründet und zählt mit über 65’000 Eintritten zu den prägenden Kulturveranstaltungen der Schweiz.
 
Der Fokus auf hiesige Produktionen ist bis dato einzigartig und das Alleinstellungsmerkmal: Über 150 auserwählte aktuelle Schweizer Produktionen flimmern jährlich in der Barockstadt Solothurn über die Leinwände. Der Anlass ist sowohl für das kulturinteressierte Publikum als auch die Filmbranche nicht mehr wegzudenken. Insbesondere das Zusammenbringen der verschiedenen Interessen und die Förderung des Dialogs stehen heute mehr im Zentrum denn je. In Solothurn laufen keine Stars über den roten Teppich – sie befinden sich mitten unter dem Volk.

Info Programm: solothurnerfilmtage.ch. Die 59. Solothurner Filmtage finden vom 17. – 24. Januar 2024 statt

 

Der «Prix de Soleure» geht an «Die Anhörung», der «PRIX DU PUBLIC» an «Echte Schweizer».
 

63’000 Eintritte wurden registriert gegenüber 60’000 Eintritten im Vorjahr und über 170 Filme wurden in zehn Kinos aufgeführt, davon 23 Weltpremieren und 13 Schweizer Premieren. Die 59. Solothurner Filmtage fanden Sonntag, 24. Januar 204  ihren Abschluss. Feierlich nahmen die Preisträger:innen an der «Soirée de clôture» die begehrten Auszeichnungen entgegen. Mit dem «Prix de Soleure», mit 60’000 Franken der höchstdotierte Filmpreis der Schweiz, wurde der Film «Die Anhörung» von Lisa Gerig ausgezeichnet, der ab 25. Januar in den Schweizer Kinos läuft.
 
Die Jury setzte sich in diesem Jahr zusammen aus der Schweizer Schauspielerin Miriam Stein, dem Chemie-Nobelpreisträger Jacques Dubochet sowie Mariann Lewinsky, Filmhistorikerin und Co-Direktorin des Festivals «Il Cinema Ritrovato», Bologna. In der Laudatio begründet die Jury ihren Entscheid so: «Der Preisträgerfilm besticht durch die Menschlichkeit, welche er all seinen Personen zugesteht und entgegenbringt». Der Film beteilige das Publikum am Prozess und fordere es auf, zu beobachten, Schlüsse zu ziehen, ein Urteil zu fällen und vor allem, sich in die Lage der anderen zu versetzen.
 
«Echte Schweizer» von Luka Popadić gewinnt den «PRIX DU PUBLIC», gestiftet von der Festival-Hauptsponsorin Swiss Life. Der Film punktete beim Publikum mit einer gelungenen Mischung aus spitzem Humor und dem Hinterfragen von Heimat, Zugehörigkeit und Integration beim Schweizer Militär.
 
Zwei weitere Publikumspreise wurden verliehen: «2720» von Basil Da Cunha erhielt die Auszeichnung für den besten Kurzfilm und «Crevette» begeisterte die Zuschauer:innen als bester Animationsfilm(von Elina Huber, Noémi Knobil, Jill Vágner und Sven Bachmann.
Schauspielerpreise Prix Swissperform, dotiert mit je 10’000 Franken, an Dominique Devenport («Davos 1917»), Arcadi Radeff («Hartes Pflaster/Délits mineurs»), Stéphane Erös («Hartes Pflaster»), Carol Schuler («Tatort»).
Prix d’Honneur: Anna van Brée, Kostümdesignerin.

Das 60.Jubiläum der Solothurner Filmtage findet vom 22. bis 29.1.2025 statt.

 
 

Golden Globes 2024
 

Christopher Nolans Biopic über den Erfinder der Atombombe «Oppenheimer» war der grosse Sieger der Golden Globes 2024 in den Filmkategorien und erhielt die Auszeichnungen für die beste Regie (Christopher Nolan), den besten Hauptdarsteller Drama (Cillian Murphy), den besten Nebendarsteller (Robert Downey Jr.) und die beste Filmmusik (Ludwig Göransson). Zum Schluss gab es noch die Auszeichnung als bester Film in der Kategorie Drama.
 
Eine dysfunktionale US-Mediendynastie und das warmherzige Team eines Sandwich-Restaurants sind die grossen Abräumer in den TV-Kategorien der Golden Globes. Die vierte und letzte Staffel von «Succession» über die Intrigen in einem untergehenden Familienunternehmen wurde als beste Dramaserie ausgezeichnet.
«Barbie» wurde neben «Oppenheimer» als Favorit gehandelt. Billie Eilish, die ihren Song «What Was I Made For?» zum Blockbuster beigesteuert hatte, wurde für den besten Filmsong ausgezeichnet. «Barbie» gewann in der neuen Kategorie «The Cinematic and Box Office Achievement». Sonst ging Greta Gerwigs Werk wider Erwarten leer aus.

 
Die wichtigsten Golden Globes in den Filmkategorien:
Bester Film Drama: «Oppenheimer»
Bester Film Musical/Komödie: «Poor Things»
Beste Regie: Christopher Nolan («Oppenheimer»)
Bester nicht englischsprachiger Film: «Anatomie d’une chute»
Bester Hauptdarsteller Drama: Cillian Murphy («Oppenheimer»)
Beste Hauptdarstellerin Drama: Lily Gladstone («Killers of the Flower Moon»)
Bester Hauptdarsteller Musical/Komödie: Paul Giamatti («The Holdovers»)
Beste Hauptdarstellerin Musical/Komödie: Emma Stone («Poor Things»)
Bester Nebendarsteller: Robert Downey Jr. («Oppenheimer»)
Beste Nebendarstellerin: Da’Vine Joy Randolph («The Holdovers»)
Beste Filmmusik: Ludwig Göransson («Oppenheimer»)
Bester Animationsfilm: «The Boy and the Heron»
Bestes Drehbuch: Justine Triet und Arthur Harari («Anatomie d’une chute»)

 
 

 Filmtipps

 
 

All of Us Strangers
I.I. Beziehungskosmos zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Das britisch-amerikanische Melodram von Regisseur Andrew Haigh basiert auf einem Roman des Japaners Taichi Yamada und erzählt die Geschichte von zwei Männern, die sich in einem anonymen Hochhaus in London begegnen. Adam (Andrew Scott) ist Hauswart und trifft im Lift im fast leeren Hochhaus den Mieter Harry (Paul Mescal), mit dem er ins Gespräch kommt und der ihm später unverhohlene Avancen macht. Der Film nutzt Motive des Mystery-Films und blendet in Retrospektiven in die Vergangenheit von Adam zurück, der dabei seinen verstorbenen Eltern in einem Dialog über seine Kindheit in seinem Elternhaus begegnet. Die aufkeimende Nähe mit Harry wird von Unsicherheiten, Ambivalenzen und einem Kindheitstrauma überschattet und beeinträchtigt ihre aufkeimende Beziehung. Die Geschichte spiegelt gesellschaftliche Veränderungen und die sich verändernde Akzeptanz der Homosexualität, was in den imaginierten Wiederbegegnungen mit den Eltern (Claire Foy, Jamie Bell) deutlich wird, die Adam letztlich helfen, den Verlust seiner Eltern durch ihren Autounfall als Zwölfjähriger zu überwinden. 
 

Die Theorie von Allem
I.I. Metaphysischer Thriller in Schwarz-Weiss von Timm Kröger. Der Film beginnt in Farbe: 1974 wird der Autor Johannes Leinert in einer Talkshow zu seinem phantastischen Roman «Die Theorie von Allem» befragt, von dem er behauptet, dies sei Wirklichkeit. Das Publikums reagiert mit Unverständnis. Retro-Szenenwechsel: Der junge Wissenschaftler Johannes Leinert (Jan Bülow) reist 1962 mit dem Zug mit seinem Doktorvater Julius Strathen (Hanns Zischler) in die Schweizer Alpen ins Wallis zu einem physikalischen Kongress ins Grand Hotel Esplanade zu einem Vortrag eines iranischen Wissenschaftlers zum Thema Quantenmechanik. Johannes schreibt an seiner Doktorarbeit, in der er bereits eine Theorie von Allem vor sich sieht. Sein Doktorvater hält nichts von seinen Versuchen. Der Referent der Tagung verspätet sich, während sich die High Society mit Dinnerpartys und Ski-Ausflügen die Wartezeit vertreibt. Johannes begegnet im Hotel der Pianistin Karin Hönig (Olivia Ross), die viel über ihn zu wissen scheint. Physiker Blumberg (Gottfried Breitfuss), einer der Kongress-Teilnehmer, wird auf grausame Weise getötet, was die Kommissare Amrein (Philippe Graber) und Arnold (David Bennent) auf den Plan ruft, in einer Mordsache zu ermitteln. Als eine bizarre Wolkenformation am Himmel erscheint, verschwindet Karin spurlos. Johannes vermutet des Rätsels Lösung in der Tiefe der Berge. Früher wurde in den Stollen Uran abgebaut. Johannes gelangt an einen mysteriösen Ort, an dem sich Übernatürliches abzuspielen scheint und Joahnnes gerät auf die Spur eines dröhnenden Geheimnisses unter dem Berg. Ein spannender Mystery-Krimi zwischen Multiversen, Wissenschaft, Technik und Philosophie.

 

Bergfahrt – Reise zu den Riesen
I.I. Ein berührender Dokumentarfilm von Dominique Margot. Die Gletscher schmelzen, doch die Anziehungskraft der Berge ist ungebrochen. Der Berg ruft. Wie lange noch? Nach Jahren des Massentourismus in den Alpen, findet langsam ein Umdenken statt. Ob Forscher:innen, Künstler:innen oder Philosoph:innen, viele versuchen, sich dem Wesen der Bergwelt auf neue Weise zu nähern.
In den Bergen, einst Sitz von Göttern und Dämonen, spiegeln sich die Veränderungen unserer Zivilisation. Neben ökologischen und ökonomischen Notwendigkeiten nimmt auch die Sehnsucht vieler Menschen nach Ruhe und unberührter Wildnis zu. Die Berge sind ständig in Bewegung, durch Erosion, Klimawandel, Gravität. Sie versammeln die Energie von Jahrhunderten und Jahrmillionen.
Die Dokfilmerin Dominique Margot begleitete verschiedene Protagonisten auf die Berggipfel, wie beispielsweise die japanische Tänzerin und Choreographin Chiharu Mamiya oder den französischen Glaziologen Luc Moreau, der seit 30 Jahren die Bewegungen des Glacier de l’Argentière bei Chamonix misst und die sich ständig ändernden Wasserläufe unter dem Gletscher untersucht. Carla Jaggi, Bergführerin, stand im Berner Oberland schon mit drei Jahren zum ersten Mal auf den Skiern und erklimmt im Film die Eiger-Nordwand, wo ihr Freund, ein erfahrener Kletterer 2022 abstürzte. Die Biologin Erika Hiltbrunner leitet auf dem Furkapass ein Forschungslabor für die alpine Pflanzenwelt und untersucht, wie sich die Pflanzen durch die steigenden Temperaturen neue Standort suchen. Der wunderbare Dokfilm bietet grossartige Naturaufnahmen und regt zum Nachdenken an.

 
Mean Girls – Der Girls Club
I.I. Kommen böse Mädchen überall hin? Das versucht der US-amerikanische Musikfilm «Mean Girls» unter der Regie von Samantha Jayne und Arturo Perez Jr. nach einem Drehbuch der amerikanischen Comedian Tina Fey, zu ergründen. Cady Heron (Angourie Rice) ist neu an der Highschool, wo sie eine Gruppe von Mädchen trifft, die sich Die Plastics nennen. Regina George (Renée Rapp) ist ihre Anführerin, der die Girls auf Schritt und Tritt folgen. Nachdem Cady von Regina zum Mittagessen an den Tisch der Plastics eingeladen wird, möchte Janis diese Chance nutzen, um die Plastics mit Cadys Hilfe gegeneinander auszuspielen. Die machtbewusste Regina George, gespielt von der Pop-Sängerin und Musical-Darstellerin Renée Rapp, probiert ihre toxischen Spiele auch an der neuen Schülerin Cady aus. «Mean has never been this fun» heisst der Slogan des Films und «Get in the Car, Loser» kursiert bereits auf Social Media. Regina, die attraktive reiche Beauty und Cady, die bildungshungrige, unbedarfte Newcomerin, liefern sich ein ungleiches Duell um die Gunst von Aaron (Christopher Briney), dem Cady im Mathekurs begegnet ist und sich in ihn verliebt hat. Obwohl sie besser in Mathe ist, bittet sie um seine Hilfe, um ihm näher zu kommen. Regina reagiert furios und beansprucht Aaron für sich, was eine machiavellistische Kettenreaktion auslöst.

 

Jakobs Ross
I.I. Der Kinofilm «Jakobs Ross» basiert auf dem historischen Roman von Silvia Tschui und dem gleichnamigen Theaterstück (siehe Archiv Literatur&Kunst). Katalin Gödrös führte die Regie in der schweizerisch-luxemburgischen Koproduktion. Die musikalisch begabte Magd Elsie (Luna Wedler) dient im 19. Jahrhundert im Haus eines reichen Fabrikanten. Von der Tochter des Hauses ermutigt, will Elsie eine Karriere als Musikerin anstreben und mit ihr zusammen in Florenz studieren. Doch es kommt anders, denn Elsie wird vom Hausherrn schwanger und mit dem Rossknecht Jakob (Valentin Postlmayr) zwangsverheiratet und auf eine ärmliche Pacht in den Bergen abgeschoben, umgeben von Eibenbäumen, deren Nadeln für Pferde giftig sind. Jakob beachtet das nicht und ist mit seinem Traum beschäftigt, eines Tages selbst ein Ross zu erwerben, um einen eigenen Fuhrbetrieb zu gründen. Dazu plant er, den Direktor (Luc Feit) mit dem unehelichen Kind zu erpressen. Doch Elsie verliert das Kind mit Hilfe der Kräuterfrau Lina (Annina Butterworth). Daraufhin verkauft Jakob erbost Elsies Handorgel und lässt sie auch im Winter mit schlechtem Schuhwerk die Milch in die Käserei bringen. Zudem ersteigert er den Verdingbuben Kari (Orell Bergkraut), um so von der Gemeinde weiteres Geld zur Finanzierung seines Traums zu erhalten. Elsie kann und will ohne Musik nicht leben. Der jenische Musiker Rico (Max Hubacher) taucht im Dorf auf und mit ihm plant sie durchzubrennen, um als Musikerin um die Welt zu ziehen. Vielleicht bis nach Florenz. Der Verdingbub erfährt von der Sache und warnt Jakob. Dieser übergibt das eben erworbene Ross dem Buben und holt die Männer des Dorfes zu Hilfe, die den Musiker attackieren. Das Ross wird krank und stirbt. Die Situation eskaliert. Erst danach lernt Jakob, was er an Elsie hat. Er kauft ihr das Instrument zurück und akzeptiert ihr Kind.
 

Ferrari
I.I. Der Mythos Ferraris als Biopic von Manfred Mann. Adam Driver spielt zum zweiten Mal nach House Of Gucci eine italienische Legende, ein eindrucksvolles Psychogramm des charismatischen Ingenieurs und Firmengründer der Rennwagen Ferrari. Der Film beginnt im Sommer 1957: Das Lebenswerk von Enzo Ferrari (Adam Driver) ist in Gefahr, die von ihm gemeinsam mit seiner temperamentvollen Ehefrau Laura (Penélope Cruz) kontrollierte Autofirma braucht unbedingt Geld von einem externen Investor. Nicht einmal 100 der Luxusautomobile verkaufte Ferrari, zu wenig, um den Rennsport zu finanzieren. Konkurrent Maserati hat den roten Flitzern den Rekord auf der Hausstrecke in Modena geklaut. Um den Wert der Firma vor dem Teilverkauf zu steigern, soll der prestigeträchtige Sieg beim so gefährlichen wie legendären Rennen Mille Miglia eingefahren werden. Mehr als 1.000 Meilen geht es auf öffentlichen Strassen quer durch Italien. Während sich die fünf Ferrari-Fahrer um den Routinier Piero Taruffi (Patrick Dempsey) sowie den kurzfristig angeheuerten spanischen Shooting-Star Alfonso de Portago (Gabriel Leone) vorbereiten, versucht Enzo nicht nur seine Firma, sondern auch sein Privatleben zu ordnen. Seine Frau droht herauszufinden, dass Lina Lardi (Shailene Woodley) nicht nur seine Geliebte, sondern mit ihm auch den zwölf Jahre alten Sohn Piero hat. Das gefährliche Rennen wurde 1957 nach 30 Jahren verboten wegen des Horror-Crash, bei dem zwölf Menschen starben. In packenden Szenen schildert Mann Ferraris zwei parallele Leben: Enzo schiebt in der Auftaktszene sein Auto an, um es einen kleinen Hügel hinabrollen zu lassen, bevor er aufs Gaspedal drückt. Der Wagen hat nicht etwa eine Panne, sondern er will nicht seine Geliebte Lina oder seinen Sohn Piero aufwecken. In der heimischen Villa hingegen feuert Ehefrau Laura erst einmal als Ouvertüre einen Schuss auf ihn ab. Adam Driver steht neben den beiden Frauenfiguren als Enzo Ferrari im Mittelpunkt des Geschehens. Der gross gewachsene, elegante Mann mit grauem Haar hat Präsenz und mit seiner Ausstrahlung gelingt es ihm, Journalisten zu manipulieren, um die Story zu bekommen, die er bei der Suche nach einem Investor braucht. Wenn die Motoren röhren und Autos über Rennstrecken und öffentliche Straßen brettern, zeigt Regisseur Michael Mann mit einer audiovisuellen Meisterleistung, dass er auch mit 80 Jahren noch immer tonangebend ist. Erik Messerschmidt schafft eindrucksvolle Bilder mit brillanten Rennszenen und einer unglaublich authentischen Atmosphäre mit der meist an den Seiten der Rennwagen befestigten Kamera, die die steilen Bergstrecken einfängt, unterstützt von einem Sounddesign, wie selbst mit an Bord dieser Boliden zu sein.

 

Priscilla
I.I. Sofia Coppolas sehenswertes Biopic über Priscilla Beaulieu Presley. Es begann im Eagles Club der American Air Force in Wiesbaden, wo die in Deutschland stationierten Armeeangehörigen verkehrten, wie Priscilla Beaulieu aus Texas, die von Eagles-Manager Carrie Grant zu einer Party bei Elvis eingeladen wird. 14 Jahre jung ist Priscilla (Cailee Spaeny), als sie Elvis Presley (Jacob Elordi) im September 1959 in seinem privaten Domizil in Bad Nauheim an der Goethestrasse begegnet, wo Elvis mit Vater Vernon (Tim Post) und Grossmutter Minnie Mae logiert. «Wen haben wir denn da», sagt Elvis bei der ersten Begegnung und ist fortan von ihr fasziniert. Elvis ist wie Priscillas Stiefvater Captain Beaulieu (Ari Cohen) im amerikanischen Armeestützpunkt in Wiesbaden stationiert. Priscilla und den zehn Jahre älteren, berühmten Rock ’n‘ Roll-Star verbindet auf Anhieb die Sehnsucht nach der Heimat, der Elvis nachtrauert wie auch dem Verlust seiner Mutter. Mit 16 Jahren folgt Priscilla ihm auf sein Anwesen in Graceland in Memphis. Nach ihrer ikonischen Hochzeit 1967 und der Geburt ihrer Tochter 1968 Lisa-Marie (Emily Mitchell), versucht Priscilla die Rolle der perfekten Ehefrau und verantwortungsvollen Mutter zu erfüllen, während Elvis auf Tournee ist oder Filme in Hollywood dreht. Seinen toxischen Gemütsschwankungen ausgesetzt, fühlt sie sich kontrolliert und im Stich gelassen, die Einsamkeit in den prunkvollen Räumen setzt ihr zu. Nach und nach beginnt sich Priscilla von ihrem berühmten Mann zu emanzipieren, von dem sie sich 1972 trennte, 1973 erfolgte die Scheidung. Sofia Coppolas filmischer Blick rückt Priscilla nun aus dem Schatten des King of Rock ’n‘ Roll in den Fokus und zeigt den amerikanischen Mythos um die turbulente Ehe aus der Innenperspektive des jungen, schwärmerischen Mädchens, das sich zu einer eigenständigen Frau entwickelt. Priscilla Presley war als Produzentin am Film beteiligt, ihre Memoiren «Elvis and Me» dienten als Grundlage für den Film und lässt die 50er-, 60-er und 70er-Jahre aufleben in nostalgischen Dekors, eleganten Kostümen, opulentem Make-up und dem Soundtrack der Band Phoenix. An den Filmfestspielen Venedig 2023 wurde Cailee Spaeny für ihre Darstellung der Priscilla mit dem Preis als beste Schauspielerin ausgezeichnet. 2022 hatte Regisseur Buz Luhrmann mit seiner Filmbiografie «Elvis» den Rock-Star porträtiert..

 

Die Anatomie eines Falls (Anatomie d’une chute)
I.I. Europäischer Filmpreis 2023 und französischer César 2024 für Sandra Hüller. Goldene Palme in Cannes für Justine Triets Gerichtsfilm-Krimi. Ein Mann fällt aus dem Dachfenster eines Chalets in den französischen Alpen, der elfjährige blinde Sohn Daniel findet nach einem Spaziergang mit seinem Hund Snoop den Toten vor dem Haus liegen und ruft nach seiner Mutter. Das ist der Ausgangspunkt des Films, der in Cannes die Goldene Palme erhielt. Ist sie die Täterin oder nicht? Vor Gericht hat sie die Tat bestritten, während in filmischen Retrospektiven die Hintergründe beleuchtet werden. Die französische Filmregisseurin Justine Triet fächert das Drama als Liturgie der geschlechts- und gesellschaftspolitischen Machtgefälle auf. Hat die berühmte deutsche Schriftstellerin Sandra Voyter (Sandra Hüller) ihren französischen Ehemann Samuel (Samuel Theis) aus dem Fenster gestossen? War es ein Unfall? Die ärztlichen Recherchen ergeben, dass Samuel Tabletten gegen Depressionen nahm, war es gar ein Selbstmord? Ein wieder in der Vernehmung aufgetauchte Audiomitschnitt von Samuel dokumentiert einen handfesten Ehekrach, wo er seine Frau beschuldigt, ihm eine Romanidee gestohlen zu haben. Ein Interview von Sandra mit einer Journalistin torpediert er mit laut dröhnender Musik des Rappers 50 Cent. Daniel (Milo Machado Graner) muss vor Gericht aussagen. Eine Justizangestellte begleitet den Alltag der beiden. Kurz vor der Vernehmung will Daniel die Trennung von Sandra, sie zieht in ein Hotel. Die Aussagen von Daniel vor Gericht sind widersprüchlich. Trotz des Freispruchs von Sandra bleiben letztlich Zweifel, die den Film in der Ungewissheit über Tat und Wahrheit halten und die hervorragende schauspielerische Leistung von Sandra Hüller zwischen burschikosem Elan und Verzweiflung bezeugen.
 

 

Rapito (Die Bologna-Entführung)
I.I. Eine unwahrscheinliche, aber wahre Geschichte einer Entführung im Italien des 19. Jahrhunderts. Das historische Filmdrama des renommierten Regisseurs Marco Bellocchio (Il Traditore – Als Kronzeige gegen die Cosa Nostra (2019) über die Geschichte eines jüdischen Jungen, der 1858 aus seiner Familie entführt wurde und unter der Obhut von Papst Pius IX. (Paolo Pierobon) zum katholischen Glauben erzogen wurde, feierte in Cannes im Mai 2023 eine viel beachtete Premiere. Als Säugling war Edgardo Mortara (Enea Sala) heimlich von seiner Amme getauft worden. Als der Knabe sieben Jahre alt war, drangen Soldaten ins Haus der Familie Mortara im jüdischen Viertel in Bologna ein und erhoben Anspruch auf Edgardo gemäss dem päpstlichen Gesetz, ihn katholisch zu erziehen. Die verzweifelten Eltern versuchen alles, ihn zurückzubekommen und wenden sich an die Öffentlichkeit. Doch Kirche und Papst weigern sich, das Kind zurückzugeben, um ihre Macht zu demonstrieren. Der Fall schlägt europaweit hohe Wellen, wurde zum Politikum und machte Schlagzeilen in der Presse. Edgardo (Leonardo Maltese) blieb auch nach dem Tod des Papstes  zerrissen in den Diensten der Kirche. Ein packendes Sozialdrama über Kindsraub und Antisemitismus.

 

Maestro
I.I. Die West Side Story machte den Komponisten unsterblich. Und jetzt ist Leonard Bernstein auf der Filmleinwand zu erleben: lebendig, virtuos, charmant und eloquent, wie ihn Bradley Cooper hier verkörpert. Ziemlich authentisch und eine Liebesgeschichte ist es obendrauf. Der junge ambitionierte Komponist Leonard Bernstein (Bradley Cooper) begegnet auf einer Party Felicia Montealegre (Carey Mulligan), die ihn sofort fasziniert und fortan sein Leben begleitet. Doch eigentlich wahrt Bernstein ein Geheimnis, das erst nach der Heirat ans Licht kommt, dass Bernstein bisexuell ist und seine Sehnsüchte heimlich auslebt. Um ihren Mann, inzwischen einer der bedeutendsten Komponisten und Dirigenten, und auch ihre drei Kinder nicht zu belasten, behält Felicia das Geheimnis für sich. Die einsamen Nächte und die Vertiefung ihres Mannes in die Musik verlangt ihr jedoch alles ab. Ihre Beziehung, in der beide ausserehelichen Affären haben, wird immer wieder auf die Probe gestellt. Doch die Hauptrolle in diesem mitreissenden Epos spielt die Musik. Wenn Bernstein Mahlers Fünfte Sinfonie dirigiert, wenn er mit seinen Studenten probt, überhaupt der ganze Film ist eine einzigartige musikalische Schwingung mit Dur- und Molltönen. Bradley Cooper als Bernstein und als Regisseur ist oscarverdächtig.

 

The Boy and the Heron
I.I. Bezaubernder Animations-Spielfilm von Hayao Miyazaki.Während des japanisch-chinesischen Krieges kommt Hisako Maki 1943 während eines Luftangriffs auf Tokio um. Ihr Mann Shoichi Maki leitet eine Munitionsfabrik, ihr gemeinsamer Sohn Sohn Mahito ist zwölf Jahre alt. Nach dem Tod seiner Frau heiratet er Natsuko, Hisakos jüngere Schwester. Die Familie flieht mit ihrem Personal aufs Land. Mahito fühlt sich fremd und sein Verhältnis zur Stiefmutter ist angespannt. Auf dem Anwesen erregt ein merkwürdigen Graureiher seine Aufmerksamkeit. In der Schule gilt der verträumte Mahito als Outsider. Er verletzt sich mit einem Stein am Kopf, um nicht mehr in die Schule gehen zu müssen. Zuhause entdeckt er das Buch Kimitachi wa Dō Ikiru ka mit einem Zettel seiner leiblichen Mutter, worin er erfährt, dass sie ihm das Buch schenken wollte. Später bemerkt Mahito, dass der Graureiher kein Vogel ist, sondern ein Mann im Kostüm. Dieser führt Mahito zu einem Turm im Wald. Der verkleidete Graureiher offenbart Mahito, dass seine Mutter im Turm noch lebt. In der Hoffnung, seine Mutter zu retten, betritt er den Turm und findet sich in einer magischen Welt wieder. Es beginnt eine fabelhafte märchenhafte und gefährliche Reise zwischen den Welten. Die Musik von Joe Hisaishi unterstreicht die Glanzleistung der inszenierten Traumwelt voller komplexer Kreaturen und Figuren.

 

Napoleon
I.I. Kostümfest und Schlachten-Epos. Das Faszinosum Napoleon Bonaparte bringt Altmeister Ridley Scott mit wirkungsvollen Bildern der bombastischen Schlachten Napoleons und eindrucksvollen glitzernden Festen am Hofe mit der Kaiserkrönung auf die Kinoleinwand. Der Film beginnt mit der Hinrichtung Marie Antoinettes und dem jungen, für die Revolution brennenden Napoleon (Joaquim Phoenix), der sich zum strategischen Führer der Truppen hocharbeitet und Erfolge feiert. Wer Schlachtenbilder mag, kommt hier auf die Rechnung, auch wenn Ridley Scott historisch mitunter frei interpretiert. Viel Raum nimmt die verbriefte Liebesgeschichte zu Joséphine (Vanessa Kirby) ein, der späteren Kaiserin, der Napoleon zeit seines Lebens auch nach der Trennung verbunden blieb. Drei Jahrzehnte umfasst die Geschichte, Napoleon wirkt statisch und kein bisschen älter, seine Stimme klingt brüchig, als er aus der Verbannung auf Elba für hundert Tage als Herrscher nach Paris zurückkehrt, bevor er in die endgültige Verbannung nach St. Helena geschickt wird. Vielleicht eine Anregung, die Nase einmal wieder in die Geschichtsbücher zu stecken. Europa und auch die Schweiz verdankt Napoleon die Moderne.
 

The Zone of Interest
I.I. Der Film des englischen Regisseurs Jonathan Glaser wurde in Cannes mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichnet. Ein Filmdebüt, das unter die Haut geht. Hedwig (Sandra Hüller) und Rudolf Höss, der NS-Kommndant (Christian Friedel) leben mit ihren Kindern in ihrem Haus mit Garten an einem malerischen See, an dem Familien in Ruhe baden und picknicken. Die Präzision, mit der die Normalität einer Nazifamilie vor den Toren von Auschwitz erzählt wird, in Sicht- und Hörweite des Grauens, mit Gewehrsalven und Schreien wirkungsvoll mit filmischen Grautönen und bedrohlichen Klangwellen in Szene gesetzt, jagen einem einen kalten Schauer über den Rücken. Rudolf Höss, der mit seiner Familie auf dem idyllischen Fluss rudert und die im Haushalt waltende robuste Ehefrau mit der vom Führer gewünschten Kinderschar, die sich im Osten ansiedeln sollen, sind an stoischer Borniertheit und Ignoranz gegenüber dem Leiden der in Auschwitz ermordeten Menschen nicht zu übertreffen. Warum das Ungeheuerliche des Holocaust geschehen konnte, macht der Film nach Hannah Arendts Analyse sichtbar: «Die Banalität des Bösen», dass ganz normale Familienväter ihre Aufgaben «pflichtgemäss» ausführten, Menschenmassen zu ermorden, weil sie nach der Rassentheorie als minderwertig und unerwünscht galten. Ein Film mit gossartigen Schauspielern, der aktuell zu denken gibt.

 

Die Mittagsfrau.
I.I. Leben in einer dramatischen Zeit. Nach dem Bestseller (2009) der Schriftstellerin Julia Frank wurde «Die Mittagsfrau»unter der Regie von Barbara Albert verfilmt. Eine idyllische Kindheit in der Lausitz am Vorabend des ersten Weltkriegs, das Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre… Helene (Mala Emde)glaubt, dass ihr die Welt offen steht, mit ihrer Schwester Martha (Liliane Amuat) reist sie in den 20er Jahren nach Berlin. Während sich Martha dem Partyleben hingibt, hat Helene einen Traum. Sie will studieren und Ärztin werden. Es kommt die erste Liebe zu Karl (Thomas Prenn), dann ein Schicksalsschlag und Helene lebt in einem Land, in dem sie verbergen muss, dass ihre Mutter nicht nur als Geisteskranke eingesperrt, sondern auch Jüdin ist. Für Helene geht es ums Überleben. Die Geschichte erstreckt sich über einen Zeitraum von 25 Jahren und erzählt von einer Frau, die sich in Kriegszeiten selbst verleugnen muss, als sie von einem SS-Offizier Wilhelm (Max von der Groeben)umworben wird, der sie später erniedrigt und existenzieller Angst aussetzt. 1945 Flucht aus Stettin in den Westen. Ein kleiner Bahnhof irgendwo in Vorpommern. Helene hat ihren siebenjährigen Sohn durch die schweren Kriegsjahre gebracht. Nun, wo alles überstanden, alles möglich scheint, lässt sie ihn allein am Bahnsteig zurück und kehrt nicht zurück.

 

to be continued

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