FRONTPAGE

«Kunstmuseum Basel: Permanenter Wandel»

Von Simon Baur

 

Die 100-Tage-Frist ist aus der Mode gekommen. Einst hatte sie die Funktion einer Schonzeit, ausgehandelt zwischen Politikern und Journalisten. Die Zeiten haben sich geändert. Die Journalisten wollen nicht mehr warten, die Politiker auch nicht, erst nicht die Kulturpolitiker.

 

Der neue Direktor des Kunstmuseum Basel, Josef Helfenstein, setzt starke Akzente durch seine Neuhängungen in der Sammlung.

Mit Kultur und Politik hat auch sein Amt zu tun und Josef Helfenstein, seit Anfang September Direktor des Kunstmuseum Basel hat die 100 Tage nicht als Schonzeit verstanden, im Gegenteil er hat umgehend damit begonnen an seinem neuen Wirkungsort Akzente zu setzen.
Viele der Weisungen Josef Helfensteins werden unbemerkt bleiben, andere werden erst im Laufe der Zeit erkannt, am sichtbarsten indessen dürften seine Neuordnungen der Sammlung sein. Wie schön, das die Eingangsbereiche vor den Sammlungsräumen für einmal fast leer bleiben. Keine schweren Bilder an den Wänden im Treppenhaus und auch die Skulpturen von Rodin und Arp stehen nicht mehr auf den Zwischengeschossen. Entspannt darf man sich auf die Umgebung einstimmen, kann das neuartige Raumerlebnis, mitsamt dem grandiosen Licht in sich aufnehmen und sich auf die Neuordnungen der Sammlung freuen.

 

 

Vergleiche, Assoziationen, Kombinationen
Doch wo anfangen? Kürzlich versuchten wir uns auszutauschen. Meine Freundin erzählte vom Saal mit den vier Bildern «Verkündigung nach Tizian» von Gerhard Richter. An der einen Wand hingen zusätzlich einige Bilder von Picasso, ihnen gegenüber ein Bild von Alberto Giacometti. Kein Grund, ihre Beschreibung anzuzweifeln. Einige Wochen später habe ich es ganz anders erlebt. Alberto Giacomettis „le chat“ bewegte sich durch den zweiten Raum, beobachtet von «Effigier rocher fruiteux» von Jean Dubuffet. Gerhard Richter und Pablo Picasso, die beiden Schwergewichte der Kunstgeschichte, sind unter sich. Einen Sieger gibt es nicht, zu unterschiedlich ihre Farbpalette, zu eng die motivische Verwandtschaft. Einige Räume weiter nochmals Alberto Giacometti, zusammen mit Bildern der Surrealisten. Und jedesmal ist die Erfahrung eine völlig andere. Früher war Alberto Giacometti ein grosser Raum vorbehalten, heute präsentiert ihn Josef Helfenstein im Sammlungskontext, zeigt ihn mit Tanguy, Dalì, Mirò und Max Ernst. Wie eng verwandt sich Giacomettis „la boule suspendue“, 1930, und Ernsts „la grande forêt“, 1927, sind. Im Raum zwischen den Giacomettis geht es in eine andere Richtung. Paul Klee, Pierre Bonnard und Henri Matisse sind vereint. Von Matisse ist die „Natur morte aux huîtres“ zu sehen, die um 1940 im Hotel Régina in Nizza entstanden ist. Dort haben sich Giacometti und Matisse 1953 getroffen, Giacometti sollte im Auftrag der französischen Münzprägestätte Matisse porträtieren, rund 30 Zeichnungen sind bei verschiedenen Treffen entstanden, das Konvolut wurde in diesem Jahr zum ersten Mal in einer erstaunlichen Publikation vereinigt, die im Piet Meyer Verlag erschienen ist (www.pietmeyer.ch).

 

 

Wie eine grosse Familie
Paul Klee war für die Surrealisten kein Unbekannter, André Breton hat ihn über Robert Delaunay kennengelernt. Vor zehn Jahren wurde die Begegnung Paul Klee und Max Ernst in einer Ausstellung im Max Ernst Museum gezeigt. Und Bonnard? Ein Exot in diesem Kontext? Mitnichten. Er generiert den Link zum 19. Jahrhundert, von dem auch die Surrealisten optimal profitierten. Vergessen wir nicht, Marcel Duchamp war auch einmal in dieser Sammlung, sogar in diesem Haus. Zwischen Juni und August 1942 lässt sich ein Besuch in Basel nachweisen, gewohnt hat er vermutlich bei Meret Oppenheims Grossmutter im Kleinbasel, was ihn im Museum interessierte? Arnold Böcklin natürlich.

 

 

Sammlungsgeschichte
Optimal präsentiert und sammlungsgeschichtlich wichtig, ist auch der Raum mit den Arbeiten von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und einem Bild von Francis Picabia. Es sind vornehmlich Bilder und Reliefs aus der Emanuel Hoffmann-Stiftung oder Schenkungen von Hans Arp, Marguerite Arp-Hagenbach und Oskar und Annie Müller-Widmann. Hans Arps Rolle als Vermittler, ist bis heute zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden: Arp hat bei Herwarth Walden in Berlin gearbeitet, war mit Hilla von Rebay liiert, bevor Sophie Taeuber Hilla den Hans ausspannte, Hilla ging daraufhin nach Amerika und wurde Solomon Guggenheims Sekretärin. Sie hat Frank Lloyd Wright den ersten Brief geschrieben. Ihr Vorschlag war die Fassade des Guggenheim Museums weiss zu streichen, Wright schlug rot vor, sie hat sich durchgesetzt. Arp hat bei Dada und bei den Surrealisten Menschen miteinander bekannt gemacht, hat seine Kontaktnetz für seine Künstlerkollegen eingesetzt, Kurt Schwitters bei Müller-Widmanns vorgestellt, der dann später dort seine „Ursonate“ vortrug und im Garten auf dem Bruderholz Teile des Merzbaus montierte. Später hat er einige Zeit bei Maja Sacher gelebt.

 

Arp und Basel, darüber gäbe es noch viel mehr zu erzählen.
Überspringen wir einige Säle im zweiten Obergeschoss, treten ein in den langen Raum mit den Steinfliessen, der allgemein als Giacometti-Saal bekannt ist und bleiben vor Paula Modersohn-Beckers 1906 gemaltem „Selbstbildnis als Halbakt mit Bernsteinkette“ stehen. Auch nach der hundertsten Betrachtung fasziniert es durch seine direkte Art der Darstellung. Doch über Nacht sozusagen hat das Bild einen neuen Nachbarn erhalten. Es ist der Maimorgen, 1910 also nur vier Jahre nach Paula Modersohns Selbstporträt von Augusto Giacometti, dem Onkel von Alberto, gemalt. Vier Jahre, doch zwischen den beiden Bildern scheint ein halbes Jahrhundert zu liegen, und doch sind sich die beiden Bilder aufgrund ihrer Stimmungsdarstellung verwandt.

 

 

Die Kunst immer wieder neu sehen
Machen wir noch einen Abstecher in den Neubau. Die beiden rhombenförmigen Objekte von Bruce Nauman sind verschwunden, stattdessen hängen in der Unterführung zwischen den beiden Gebäuden grosse Lichtkästen mit Fotos von Jeff Wall. Obwohl die Darstellungen wie Schnappschüsse ausschauen, sind alle Motive gestellt und bis ins letzte Detail minutiös geplant worden. Ihre Lebendigkeit haben diese Motive dadurch nicht verloren. Auch im Untergeschoss ist ein neuer Raum mit konkreter und konstruktiver Kunst von Schweizer Künstlern entstanden. In einem einzelnen Raum liegen und stehen farbige Platten von Adrian Schiess. Wer sie abschreitet, stellt fest, dass sie durch die Bewegungen permanent die Farben verändern. Doch das ist noch lange nicht alles, die Künstler der Minimal Art sind in einem grossen Raum gemeinsam vereinigt, die Künstler des amerikanischen abstrakten Expressionismus zeigen sich in neuen Konstellationen. Einmal jährlich durch die Sammlung zu gehen und die neue Hängung zu bestaunen, reicht in Zukunft nicht mehr. Denn sie verändert sich permanent. Meist sind es nur kleine Veränderungen, doch sie haben eine grosse Wirkung, weil wir dadurch die Kunst immer wieder neu sehen und beurteilen können. Das gilt aber nicht nur für Basel, sondern auch für andere Museen weltweit. Besuchen Sie also nicht nur die Sonderausstellungen, sondern machen Sie immer auch einen Abstecher in die Sammlungen, dort sehen Sie die wahren Trouvaillen, die sie zu Ihrem eigenen, subjektiven Museum arrangieren können. Viel Spass!

 

Das Kunstmuseum Basel hat Di, Mi, Fr, Sa, So von 10–18 Uhr und am Do 10–20 Uhr geöffnet.
www.kunstmuseumbasel.ch

 

 

 

Cinéma mon amour – Kino in der Kunst

 

Von Niklaus Oberholzer

 

Die letzten Januar-Tage sind die Zeit des Schweizer Films – der Solothurner Filmtage. Das Aargauer Kunsthaus in Aarau sucht den Kontakt und wartet mit der prominent besetzten Ausstellung „Cinéma mon amour – Kino in der Kunst“ auf. Die Schau ist ein Essay über die Beziehungen zwischen zwei Kunstformen – und auch ein Plädoyer für das Überwinden von Grenzen.

 

 

Dass Film Kunst sein kann – darüber streitet heute niemand mehr. Dass also auch das Kino ein Ort der Kunst sein kann, ist ebenso selbstverständlich. Und seit vielen Jahren sind Filme (ob Video, Super 8, 16 mm oder 35 mm) regelmässig Bestandteil von Ausstellungen in Museen, Kunsthallen und Galerien. Madeleine Schuppli, Direktorin des Aargauer Kunsthauses, geht in der jüngsten Ausstellung „Cinéma mon amour“ möglichen – natürlich nicht allen – Formen der Beziehung zwischen bildender Kunst und Kino nach. Die spannende, zum Teil auch vergnügliche Schau mit Werken von rund 20 Künstlern, Künstlerinnen und Künstler-Paaren, in Partnerschaft mit den Solothurner Filmtagen konzipiert, wird zum Gang durch ein wechselvolles und an Facetten reiches Beziehungsnetz, in dem allerdings die Frage, was nun des Films ist und was der Kunst, obsolet wird.

 

Popcorn im Kino
Der Aufwand, mit dem Madeleine Schuppli dem Brückenschlag zwischen Kunst und Kino in den Museumsräumen Geltung verschafft, ist mitunter beträchtlich: So liess sie die Kanadier Janette Cardiff und George Bures Miller eigenes einen nostalgisch wirkenden Kinosaal mit (begehbarem) Balkon, mit Miniatur-Parkett und natürlich mit Leinwand aufbauen, auf der das Künstlerpaar alte Filmszenen abspielen lässt. Über Kopfhörer bekommen die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht nur die Tonspur dieser Szenen mit, sondern auch all die Geräusche, welche fiktive Mit-Zuschauer verursachen – geflüsterte Kommentare zum Geschehen, Geschwätz, Husten, Geräusche von Bewegungen, das Knarren der Sitze, natürlich Popcorn-Knabbern. Das ist eine hübsche, leichtfüssige und mit Ironie und unseren Erinnerungen spielende Hommage ans Kino als Erlebnisraum. Um den Kinosaal geht es auch in der hintergründigen Foto-Serie von Hiroshi Sugimoto, aus der ein Bild in Aarau zu sehen ist. Er Japaner richtete seine Kamera in prunkvollen amerikanischen Kinosälen auf die Leinwand und liess den Verschluss während der ganzen Spielrauer des Films offen. Resultat ist die weiss leuchtende Projektionsfläche, auf der der Film keinerlei Spuren – oder die Gesamtheit aller Spuren und gerade darum wiederum nichts? – hinterliess: Gilt das auch für unsere Erinnerung? Was hat sich in unserem Gedächtnis während der Spieldauer des Films festgesetzt? Was projizieren wir selber in die Leerstelle? Unsere Fragen kann und will der Künstler nicht beantworten; vielmehr stellt er sie uns.

 

Die weinenden Stars
Dürfen Männer weinen, gar „öffentliche“ Männer, renommierte Filmstars? Sie tun es effektvoll auf den Fotos von Sam Taylor-Johnson, die damit einen Bild-Kommentar gleich zu mehreren Aspekten der Filmwelt – zu Geschlechterrollen zum Beispiel – abgibt. Die Künstlerin trat in den 1990er Jahren als vielversprechendes Jung-Talent mit Videoarbeiten u.a. an der Biennale Venedig auf, aber auch im Museum Reine Sofia in Madrid oder in der Kunsthalle Zürich. Einmal wurde sie auch für Turner-Price nominiert. Dann wechselte sie zum Film, u.a. als Regisseurin von „Fifty Shades of Grey“. Um 2002 liess sie für ihre Fotoarbeit „Crying Men“ die „harten Männer“ des Hollywood-Kinos in aller Öffentlichkeit schluchzen. Natürlich tun sie es nicht echt, sondern auf Kommando und als Beweis ihrer schauspielerischen Fähigkeiten.

Auch Pierre Bismuth, 2005 Oscar-gekrönt fürs beste Drehbuch, greift mit seiner Arbeit kommentierend ins Film-Geschehen ein: Er lässt die Figuren von Disneys „The Jungle Book“ von 1967 in ganz unterschiedlichen Sprachen sprechen, um dem um den ganzen Erdball gefeierten Film endlich zur adäquaten globalen Tonspur samt babylonischer Sprachverwirrung zu verhelfen. Mark Wallinger schlägt im 35mm-Film „The End“ eine Brücke zwischen Film und Bibel: In üblicher Form eines Abspanns sehen wir nicht etwa Hinweise auf Darsteller und andere Mitarbeiter, sondern die ganze Genealogie des Alten Testaments von Adam bis Jesus.

 

Kunst als Film
Bildende Kunst und Film kommen sich mitunter sehr nahe, so nahe, dass man sich fragt, warum ein Werk nun hier im Museum und nicht im Kino (oder umgekehrt) zu sehen ist. Das galt schon bei den Altmeistern eines experimentellen Films. Das gilt auch von einigen der in Aarau gezeigten Werke. Allerdings beeinflusst der Abspielort unsere Wahrnehmung des Films – und wohl auch die Arbeit der Autoren selber. Das Künstlerpaar Hubbard/Birchler reflektiert in ihrer grossen Videoinstallation (Spieldauer 24 Minuten) in vielschichtigem Vorgehen das Genre des Westerns. Stan Douglas, ein Künstler mit breitestem internationalem Echo, ermöglicht den Besucherinnen und Besuchern in der aufwändig erarbeiteten, beinahe einstündigen 6-Kanal-Installation „The Secret Agent“ ein neues und geradezu aufregendes Film-Erleben, indem er die Bilder von allen Seiten so auf uns eindringen lässt, dass es kaum mehr ein Entkommen gibt.

 

Orson Welles‘ „Heart of Darkness“?
Eine ganz eigene Art des künstlerischen Nachdenkens über das Medium Kino demonstriert Fiona Banner: Sie zeigt düster-schwarze Plakate für Orson Welles‘ „Heart of Darkness“ nach Joseph Conrads gleichnamiger Meistererzählung – für einen Film also, den Orson Welles wohl geplant, aber nie gedreht hat. Und schon malen wir uns aus, wie denn dieser Film geworden wäre. Auch Daniela Keiser sucht einen eigenen und unverwechselbaren Zugang zum Thema: Ihre Serie grossformatiger Fotos zeigt wacklig und provisorisch wirkende Bauten in karger und heisser Landschaft. Schauplatz ist eine wüstenähnliche Region in Südspanien mit Holzkulissen, die sich für ganz verschiedene Western-Produktionen nutzen und mit geringfügigen Änderungen an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen lassen.
Das Thema des Films über Kunst und Künstler hat Madeleine Schuppli übrigens bewusst ausgeklammert. Da sprangen die Solothurner Filmtage mit dem „Fokus Art mon amour – Kunst im Film“ ein und zeigten Filme wie „Eva Hesse“ von Marcie Begleiter, „Hans Peter Feldmann – Kunst keine Kunst“ von Corinna Beiz, „Josephsohn – Stein des Anstosses“ von Jürg Hassler oder „Maria Lassnig – Es ist die Kunst, jaja,,,“ von Sepp Reissinger.

Aargauer Kunsthaus Aarau. Eine Kooperation mit den Solothurner Filmtagen. Bis 17. April Publikation 222 Seiten, 49 Franken.
www.aargauerkunsthaus.ch

 

Die Künstler der Ausstellung
Martin Arnold (A), John Baldessari (USA), Fiona Banner (GB), Marc Bauer (CH), Pierre Bismuth (F), Candice Breitz (ZA), Janet Cardiff und George Bures Miller (CAN), Annelore Schneider und Claude Piguet (CH), Tacita Dean (GB) Stan Douglas (CAN), Thomas Galler (CH),Christoph Girardet und Matthias Müller (D), Teresa Hubbard und Alexander Birchler (IRL und CH), Samson Kambulu (MW), Daniela Keiser (CH), Urs Lüthi (CH), Philippe Parreno (F) Julian Rosefeldt (D), Hiroshi Sugimoto (JAP), Sam Tylor-Johnson (GB), Mark Wallinger (GB).

NACH OBEN

Kunst