FRONTPAGE

«Landleben»

Von Hedi Wyss

Also da ist er, der Frühling. In den Kinder- büchern kräht der Hahn auf dem Mist. Aber bis man heute einen findet in den grünen Hügeln des Emmentals oder auf den Matten des Züricher Unterlands, kann man ziemlich weit wandern. Auf Reisen in der dritten Welt, wenn ich nicht im Hotel wohnte, so weckte mich schon ein dauerndes Hähnekrähen von nah und fern, ein Meckern und Blöken, ein Schnattern und Gluckern von allerlei Geflügel.

 

Das Landleben ist laut, weil das Leben lebendig ist, weil hier sich noch zeigt, wie unsere Verwandten, die Tiere leben, die uns liefern, was die Menschen zum Leben brauchen. Da wühlt die Schweinemutter genüsslich mit den Kleinen im Schlamm, da watschelt die Entenfamilie zum Wasser. Dazwischen Rufe und Singen von Menschen, Kindergeschrei und je nach Land noch die Litaneien des Muezzins oder das Dröhnen der Kirchenglocken. Aber das ändert sich auch dort immer mehr. So bald die Entwicklung  fortschreitet , werden Stimmen und lebendige Töne durch Motorensummen ersetzt, durch das Dröhnen der Motormäher, das Stampfen der Mistkrähne, das Rattern der Traktoren, die auch in der Schweiz immer grösser zu werden scheinen, obschon ja hierzulande die Bauernhöfe im Vergleich zu den riesigen Farmen in anderen Ländern eher winzig sind.

 

Die Bauern, die da auf den Maschinen sitzen, tragen Ohrschutz, das ist verständlich. Auch die Strassenarbeiter, die irgendwo eine Böschung mähen. Nicht mehr wie früher mit elegantem Schwung einer Sense tun sie das, sondern mit diesen laut ratternden Motorsensen (die das eigentlich auch nicht schneller verrichten). Wie bei vielen anderen Arbeiten in der Natur sind sie zusätzlich mit Helm und oranger Signalweste ausgerüstet. Eine Montur, die an Krieger erinnert, an Rüstungen, wie sie die Ritter trugen. Krieger gegen das Grüne, das Wuchernde, das Wilde. Krieger gegen die Natur. Auch jene, die auf Vorplätzen und auf dem Trottoir mit diesem Rohr gegen das vorgehen, was früher mit einem Besen schnell weggewischt war, sind bis auf die Zähne gerüstet. Rassig lassen sie in diesem Kampf den Motor des Laubbläsers aufheulen – obwohl die Feinde nur ein paar verdorrte Blättchen sind.

 

Nun ja, der Kampf gegen die Natur, ums Leben ist alt, manch Abenteuerroman handelt davon. Denn ohne Maschinen war es hart, das, was man zum Leben brauchte, der Umwelt abzuringen. Die sprichwörtlich von der Landarbeit zerfurchten Hände alter Bauern und Bäuerinnen erzählten davon. Aber wenn sie alt wurden, sassen sie dann doch gemütlich auf einem Bänklein vor dem Bauernhaus. Sahen den Hühnern zu, die noch frei herumliefen, und folgten sinnend einer Feldlerche, die trillierend vom nahen Feld in den Himmel aufstieg.
Die Feldlerchen sind verschwunden, in unseren Breiten jedenfalls, dass sich da und dort noch ein Feldhase zeigt oder ein Reh, wirkt wie ein seltenes Glück. Die Wiesen sind immer noch grün, aber nur einheitlich grün, von den bunten Blumenwiesen allüberall, hat vor Jahren nur noch meine Mutter erzählt.. Da und dort gibt’s einheitlich gelbe Blüten des Löwenzahns. Aber sie überleben nicht lange, denn zusammen mit allerlei Getier werden die Gräser so früh gemäht und in Plastik verpackt, dass kaum etwas überlebt.

 

Zitieren in der Schule vielleicht die Kinder noch: «Frühling lässt flattern sein blaues Band…» und singen «Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt»? Oder gibt es nun moderneres?: ein Liedchen etwa über das rhythmische Rattern der Motormäher, eine poetische Beschwörung der Art, wie die Jauche aus den vielen Röhren des modernsten Mistverteilers fliesst?
Auf dem Dorf, wo ich oft bin, laufen zwei Schweinchen und zwei Schafe mit der Bauersfrau oft spazieren, denn sie gehören wie ihr Hund gewissermassen zur Familie. Und Schweine leben ja, wenn man sie lässt, in Familienverbänden, Kühe schliessen Freundschaften, wie das der Bauer Martin Ott in seinem neuen Buch «Kühe verstehen», beobachtet hat. Aber so wie die Wiesenblumen verschwunden sind, haben wir auch die, die für uns Eier legen, ihr Fleisch lassen und die Milch für Käse spenden, die ja eigentlich ihren Babys gehörte, zu Produktionsmaschinen gemacht.

 

Als ich ein Kind war, war alles, was mit Sexualität, mit Fortpflanzung zu tun hat, ein Tabu. Heute wird auch mit Kindern über all das offen geredet. Auch die erotische Seite der Mutterliebe, die Zärtlichkeit wird wahrgenommen. Aber genau in dieser Zeit verschwand die Sexualität unserer Verwandten im Fleische, der Tiere. Und obschon man heute weiss, dass sie Familienhaben wie wir, und Beziehungen, die unseren gleichen, haben sie immer weniger Chancen, das auch zu leben. Der kraftvolle Stier, den Bildhauer gern in imposanten Statuen darstellten, ist von dem Köfferchen des Tierarztes im weissen Kittel ersetzt. Hühnern ist der Bruttrieb schon lange weggezüchtet worden, die süssen Küken erblicken das Licht der Welt in der vollautomatischen Brutmaschine. Die männlichen Küken der Eierleger werden am ersten Lebenstag ausgeschieden und lebendig zerstückelt. Die andern, die als Poulets möglichst schnell auf dem Teller landen sollen, entwickeln dank optimaler Zucht in Windeseile so dicke Muskeln, dass ihr Knochenwachstum nicht nachkommt und sie als behinderte Tierchen, die nicht mehr stehen können nach wenigen Wochen im Schlachthaus landen.

 

Im Supermarkt in den verführerisch bepackten Regalen werden dann die  Produkte präsentiert. Und gekauft. Überfluss gibt es in unserer reichen westlichen Welt. Und doch sind wir verarmt, an dem, was man nicht kaufen kann. Und an was ich immer noch mit Freuden denken muss: an das Leben in kleinen Dörfern in jenen Ländern, wo die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Zum Beispiel an das geschäftige kleine schwarze Schwein das energisch seine Kinder mit befehlendem Grunzen zum Abfallhaufen mit den lecker-verfaulten Früchten führte. An die Glucken, die mit den Küken zu dem Punkt rannten, wo der Hahn laut gackernd etwas Gutes entdeckt hatte. An die Zicklein, die zusammen mit Kindern auf einem wackligen Wagen spielten. Und dann mit ihnen um die Wette rannten. Das Leben! Wo ist es geblieben?

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