FRONTPAGE

«Lara Rüter: amoretten in netzen – Lyrische Musen auf dem Smartphone»

Von Ingrid Isermann

In ihrem Gedichtband-Debüt flattern Amoretten auf Lichtpunkte zu und als Galionsfigur der Liebe erscheinen sie vielgestaltig im Geflecht von antiken Mythen, Anatomie, Archäologie und Popkultur.

 

Die prallvollen Gedichte verlocken mit Fabulierlust und sprachexperimentellen Ausflügen zu einer so amüsanten wie nachdenklichen Lektüre. Im Spannungsfeld von Sehnsucht und Hoffnung bahnen sie sich mit Ablenkung, Täuschung und Manipulation durch Wissen und Nichtwissen. 

 

 

amoretten umschwirrten mich wie motten,
um eine lichtquelle, das ich. zwitschern.
nach diesem tag verliessen sie mich nicht wieder,

und wenn: ich wäre auseinandergeflossen, meerschaum geworden.

 

 

i.

es klickt, hier, auf der scherbe, ein fang geht ins netz. oder das navi
spinnt. wie meer rauscht sich ein lovey dovey in mein hirn.
das ist ein göttlicher fang, der auf die liste kommt. to do ist nix
nicht mal ständig handy checken, so fühlt sich also arbeit an.

 

ökonomisch starr ich in den himmel, ohne bock auf metaphysik, flick
mit astronomie. mein süsser tick ist suche nach zusammenhang.
kometen, nee mythos, also jedenfalls venus, die ihren körper
streckt. mehr stimme als körper, mehr reinschlüpfen als drin.

 

sie probiert meine haut aus, zieht zyklisch weiter, okay. trennung
kenn ich, sie liebt ordnung. zwölf achsen umspannt mein netz jetzt.
und das navi spinnt, vergittert alles offene. Ich pflück, was zufall
hineinwarf, z.b. muscheln, schimpansengene, unbedenkliche weite

 

google, was ich nicht kenn. sowas kommt vor, okay, lad ich mir.
füg hinzu: das missgeschick im nacken, das wie die arbeit ruht
die gestern andockte. to do, to do. lustig, wie venus strauchelt.
bin ich ihr punkt, ein kringel im meer, wirble lakonisch delfine rum.

 

 

ii.

 

ich geh den technischen weg, aber spür ihn kaum. hab ovid

an der hand, lehn mich voll rein. ernte romantische blicke. das ist alles.

 

dass er unrecht hat, öffnet kurz die büchse, eeg, darin springen

delfine, sie schlürfen fische aus muscheln. oder schwämmen. hübsch.

 

werkzeug und werkzeug. super kluge viecher, äh hübsche, also beides.

dreh das thema um. nee, tiere sind dummchen, was wichtig ist. romantisch

    dumm.

 

dumm wie smartphones. google den iq, um ihn vom tier zu trennen

innen sind sie ausgemalt mit smileys, aussen blinkt nur spiegelung.

 

ihre linien gleiten schaumig auf plastik, so, ca. so-o. noch mal textlich

so-orry. qual, hoffnung, liturgie. okay, doch wozu die büchse überhaupt

 

guck mal kurz dumm

 

 

iv.

 

ovid liegt nackt, hier, auf der scherbe. erwartet sappho oder so, seine brüste

fliessen seitlich ab. so schutzlos. so sexy. in erwartung seiner mutter

benetz ich ihn mit seife, die mundhöhle geweitet. sie kommt nicht.

 

ausgerutscht. kurzerhand umschlinge ich ihn, statt der zungen kreiseln

sterne. wo wir knutschen, setzen sich planeten ein, ferne parasiten

wow. ich hoff auf eine sprachbarriere und verteile babyphones.

 

ovid tippt: primavera. lass ihn zappeln. wenn das kein frühling ist

blümchen rauschen sich ins hirn, ich hör fast nix, nur lovebirds tschilpen.

mein cortex schreibt ein muscheltelegramm. ich bin nicht

 

hier auf der scherbe, sondern – die torsoöffnung, endlich, wow

supernovaordnung. ich füg mich zügig ein, so mütterlich hineingewebt

das kleid betont das noch. ovid liegt nackt, sein buch ein loch.

 

 

v.

 

heut demonstriert lovey dovey am strand, im nebel.

fahnen unterm selben mond, der meer und pflanzen anzieht.

schau, hier auf der scherbe, au, wächst kaktus aus katus

wie ein puzzle im kopf. hol das handy, mach ein pic

 

ovid tippt: still im all. darauf ein kaktuseis, das bitzelt. klick.

da würd ich am liebsten schluss machen, aber motten flattern

aus den fahnen, zerstören das gewebe. zeigen, was sich

nicht beweist: amoretten im nebel, da glitch ich raus.

 

 

sanftes editing

 

schaust die pausenunterhaltung. im hippodrom von pompeji
trappelt das popcorn, fesselnder jubel, fanpost für vögel.

 

als ob umdeutende bilder auch festschrieben, schneidet part drei
die welt in geometrische scheiben, bekömmlich zerteilte sicht.

 

wie leda mit schwan, vor amoretten enthauptet, dann verbrannt von
irgendeinem mann, die animalia schützt, schenkt sparta zwei eier scham

 

zum knacks, was wie crispr funktioniert: der schwanteil wird auf ledas
leiste tätowiert, correggios in ihre dna geschnitten. pah, zurückumhalst!

 

byebye peripherie, auf der lymphknotenbahn nach rom. dort schlüpfen
die smileys, gepellt wie ledas rubbellos. schüttelst haut ab, schaltest um.

 

 

 

alpenträume

 

 

heute begehren die berge auf, sie bewegen ihre zuschauer
in eine richtung, verlachen vögel, halten die füsse nicht still.
die hände auch nicht. gestern fand ich gelistete wünsche.
überschrift: vorsicht mit wünschen, bitte.

 

ich träume von alpen, man sagt, sie gingen vorüber. von mal
zu mal stechen blassere berge den himmel, fällt weniger schnee,
wasser. Mit stiefeln aus gletscherresten flüchten die splitter
wie übliche opfer. gefallen sich faul, verwässernd.

 

was für eine landschaft! vollkommen menschbelassen.
auf hecken vögel, die ich beim spannen ertappe. legen
kanäle an, durch die sie botschaften transportieren. durch pflanzen,
drei mal höher als ich. gestern noch froren vögel im feld.

 

vögel und berge verschmusen, ihr gefieder blutet sich rosa,
selbst die flamingos. das weiss, das sich windet, völlig vernebelte
romanliebe. ich versuche zu dolmetschen. erwarte den
ausbruch. schreibe das im dunkeln. schreibe das auch im hellen.

 

 

Lara Rüter wurde 1990 in Hannover geboren. Sie studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie war Preisträgerin für Lyrik beim 26. Open Mike. 2020 erhielt sie den Caroline-Schlegel-Förderpreis für Essayistik, 2021 den Wolfgang-Weihrauch-Förderpreis beim Literarischen März. «amoretten in netzen» ist ihre erste Buchpublikation.

 

 

Lara Rüter
amoretten in netzen
Gedichte
Wunderhorn Verlag, 2024
Geb., 85 S., CH 34.90. € 22.
ISBN 978 3 88423 707 6

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