Parlamentsgebäude in Dhaka, Bangladesch, Louis Kahn, 1962-83 © Raymond Meier
Louis Kahn, ca. 1972 © Robert C. Lautman Photography Collection, National Building Museum
Parlamentsgebäude in Dhaka, Bangladesch, Louis Kahn, 1962-83 © Raymond Meier
Bibliothek, Phillips Exeter Academy, Exeter, New Hampshire, Louis Kahn, 1965-72 © Iwan Baan
Jewish Community Center, Ewing Township (bei Trenton), New Jersey, Louis Kahn, 1954-59. Außen-ansicht des Bath House mit einer von Kahn entwor-fenen Wandzeichnung am Eingang. © Louis I. Kahn Collection, University of Pennsylvania and the Pennsylvania Historical and Museum Commission, Foto: John Ebstel
Wohnzimmer des Norman und Doris Fisher House, Hatboro, Pennsylvania, Louis Kahn, 1960-67 © Grant Mudford
Louis Kahn am Design des Fisher House arbeitend, 1961 © Louis I. Kahn Collection, University of Pennsylvania and the Pennsylvania Historical and Museum Commission
«Louis Kahn – The Power of Architecture»
Von Fabrizio Brentini
Die grosse Retrospektive über den amerikanischen Architekten Louis Kahn (1901–1974) ist nach dem Start in Rotterdam im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen. Kahns Architektur ist über weite Strecken enigmatisch.
Ich besuchte die Ausstellung mit meinem achtjährigen Sohn, der insbesondere von den zahlreichen Modellen fasziniert war und schliesslich meinte, dies sei ja wie ein Labyrinth, wie die Kammer des Schreckens, eine inzwischen vertraute Kulisse der Welt Harry Potters. Intuitiv erfasste er wohl das Ambivalente in Kahns Architektur, die über weite Strecken enigmatisch ist. Obwohl Kahn die Bedeutung des Hauses für den Menschen betonte, auf die Ordnung der Räume für das Wohlbefinden hinwies, wird in seinen Realisationen das «fascinans» vielfach auch vom «tremendum» begleitet, um das Begriffspaar des Religionsphilosophen Rudolf Otto aufzugreifen, der diesen Spannungsbogen als etwas Entscheidendes für das Verständnis des Phänomens Religion sah.
Kaum in einer anderen Arbeit von Kahn wird das Thema Labyrinth derart virtuos durchgespielt wie im Parlamentsgebäude von Bangladesh in Dhaka (1962–1983), das in der Ausstellung einen prominenten Platz einnimmt. Die Assoziation Castel del Monte, das rätselhafte Monument von Friedrich II. in Apulien, vollendet im Jahre 1250, wird im Katalog lediglich angedeutet, doch das Stöbern im Internet deckt etliche Beiträge auf, die diesen Zusammenhang eingehend analysieren. Castel del Monte war für Umberto Eco das Vorbild für seine monströse Bibliothek in «Der Name der Rose». Ob Kahn in Apulien war, ist ungewiss. Die Reiseroute seiner 1928/29 durchgeführten Erkundungstour durch Europa ist nur bis Rom rekonstruierbar, aber man kann annehmen, dass Kahn zumindest in Publikationen die Krone Apuliens kennengelernt haben dürfte.
Das Thema Labyrinth wird implizit auch durch die Abbildung auf dem Umschlag der gewichtigen Begleitpublikation angedeutet. Zu sehen ist eine runde, zum erwähnten Parlamentsgebäude gehörende Öffnung, durch die der Blick in eine mehrschichtige und von Schrägen unterbrochene Höhle dringt. Wer denkt dabei nicht an Giovanni Battista Piranesi mit seiner Carceri-Serie? Piranesi wird in der Publikation denn auch als wichtiger Fluchtpunkt für Kahn zitiert. Der 1762 gedruckte Idealplan für den Campo Marzio in Rom soll über Kahns Schreibtisch aufgehängt gewesen sein.
Und schliesslich: Im kleinen Pavillon vor dem Vitra Design Museum, präsentiert der deutsche Fotograf Thomas Florschuetz Details von berühmten Bauwerken aus aller Welt, darunter auch das Salk Institute in La Jolla und das Indian Institut in Ahmedabad. Die in der Publikation als Portfolio verpackten Ausschnitte geben Einblicke in schwer lesbare, eben labyrinthisch anmutende Raumfluchten.
Jeder Entwurf im Kahnschen Oeuvre erlaubt es dem Untersuchenden, eine Tiefenbohrung zu den verborgenen Schichten vorzunehmen, die bewusst oder unbewusst als Fundament der architektonischen Idee dienten. Dazu gehören die antike Ruinen, die Werke der französischen Revolutionsarchitektur, die Mathematik, die Biologie, die Landschaft, die Weltreligionen und vieles mehr. Der in Estland geborene Kahn wanderte schon als Kind in die USA aus. Seine jüdischen Wurzeln verleugnete er nie, auch wenn er in Bezug auf Religion liberal, in jungen Jahren sogar indifferent war. Schon früh fühlte er sich zur Architektur hingezogen, absolvierte das Studium an der University of Pennsylvania und arbeitete in verschiedenen Büros, bis er 1935 ein eigenes Büro eröffnete. War er lange Zeit mit Stadtplanungsfragen insbesondere in Philadelphia, seiner Arbeitsstätte bis zu seinem Tode, beschäftigt, konnte er erst in den 1950er Jahren mit Realisationen auf sich aufmerksam machen.
Das Gesamtwerk ist, ein erstaunliches Faktum, im Grunde hauptsächlich im letzten Lebensdrittel entstanden. Zu den Hauptwerken gehören nebst dem Parlamentsgebäude in Dhaka das Alfred Newton Richards Medical Research Gebäude in Pennsylvania (1957–1960), das Salk Institute for Biological Studies in La Jolla (1959–1965), die First Unitarian Church in Rochester (1959–1962), das Indian Institute of Management im indischen Ahmedabad (1962–1974), die Bibliothek von Exeter (1965–1972 und das Kimbell Art Musuem in Fort Worth (1966–1972). In Europa konnte Kahn kein Werk realisieren, aber sein Einfluss auf hiesige Architekten wuchs seit Ende der 1960er Jahre enorm.
Dazu beigetragen dürfte sicher eine 1969 an der ETH Zürich eingerichtete Ausstellung, aus der 1977 das im Birkhäuser erschienene Gesamtwerkverzeichnis resultierte. Ohne Kenntnis der Architektursprache von Kahn ist beispielsweise weder das Werk von Mario Botta noch – weniger bekannt – dasjenige des Berner Büros Jörg und Sturm, verantwortlich für das Museum Franz Gertsch in Burgdorf, erschliessbar.
Kahn reiste leidenschaftlich gerne, zunächst im Sinne der Lehr- und Wanderjahre nach Europa, später aus beruflichen Gründen in den indischen Raum. Er soll, um die Aufträge in Indien und Bangladesh zu überprüfen, nicht weniger als 40 mal diese Länder besucht haben. Kahn sog sich voll mit den Eindrücken und hielt sie mit seinen Skizzen und Aquarellen zeit seines Lebens fest. Er muss ein obsessiver Zeichner gewesen sein, der seine Blätter nicht nur als Inspirationsquelle für die architektonischen Entwürfe betrachtete, sondern zeitweise auch als eigenständige Arbeiten ausstellte. In der Publikation ist ein Artikel dem zeichnerischen Werk gewidmet und in der Ausstellung sind in allen Abteilungen Originale zu sehen.
Die Kuratoren Jochen Eisenbrand und Stanislaus von Moos reihten die Exponate nicht chronologisch aneinander – hierfür ist gleich neben dem Eingang eine Kammer mit einer umfassenden Überblick über Kahns Biografie bespielt worden –, sondern teilten sie in sechs Themenbereiche auf. Initiiert wird der Rundgang mit den Visionen über die Zukunft der Stadt Philadelphia, die als eine Art Laboratorium Kahn immer wieder zu urbanistischen Überlegungen angeregt hatte, auch wenn er nichts umsetzen konnte oder besser durfte. Erhellend für die Euphorie der 1950er Jahre, aber nichts mit Khan zu tun hat ein kurzer, 1961 gedrehter Film mit dem Titel «From Design and the City», in dem verschiedene Gestalter auf einer riesigen Tafel den neuen Plan von Philadelphia skizzieren. Dabei sind sie auf die Hilfe von beweglichen Leitern angewiesen, die von adretten Damen geschoben werden – ein bizarres Ballett.
Architektur war für Kahn ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren, die in den folgenden Räumen mit Skizzen, Plänen, Fotos, alten und neuen Modellen sowie Filmausschnitten analysiert werden. So spielte die Mathematik für den Entwurfsprozess eine ebenso grosse Rolle wie das intuitive Befragen der Landschaft, des Lichtes, des Klimas am betreffenden Bauplatz. So komplex die Grundrisse auch erscheinen mögen, sie sind präzise Konstruktionen basierend auf Dreieck, Quadrat und Kreis. Klaus-Peter Gast, einer der ausgewiesensten Kenner von Kahn, versuchte in seiner 1998 erschienenen Studie «Die Ordnung der Ideen» den Weg Kahns von den Grundformen zur ausgereiften Lösung Schritt für Schritt nachzugehen. Die dreidimensionale Weiterentwicklung des Grundrisses bezieht die Hierarchie der Räume mit ein, die berühmte und immer wieder zitierte Aufteilung in dienende und bediente Räume sowie die Zähmung und Lenkung des Lichtes. In der Begleitpublikation wird das Ringen Kahns um die adäquaten Materialien geschildert, die zu eigenständigen Wesen wurden, etwa wenn er danach fragt, was ein Ziegelstein möchte. Laut Zeitgenossen muss Kahn mit seinem Perfektionismus, der ihn dazu trieb, immer wieder zu verwerfen, zu korrigieren, zu revidieren, die Bauherrschaften wie die Mitarbeitenden oft an den Rand der Verzweiflung getrieben haben.
Obwohl im Entwurf reine geometrische Formen das Skelett bilden, erscheinen die Bauten, ob sie nun Fassaden aus Klinker, aus Holz oder aus Beton besitzen, als Ergebnisse handwerklicher, unkontrollierbarer Prozesse. Mehrmals wird auf platonisches Gedankengut verwiesen, auf das Zusammentreffen unveränderbarer Ideen, hier abstrakter Entitäten, und der Wandlung unterworfener Materie, aber ich sehe eher eine Nähe zur aristotelischen Substanz, die sich erst aus der Verbindung von Form und Materie ergibt.
Die Begleitpublikation ersetzt frühere Kahn-Monografien nicht, aber mit den 512 Abbildungen und den zahlreichen Essays ist sie umfassend genug, um sich ein gültiges und vor allem aktualisiertes Bild vom Universum Kahns zu machen.
Ausstellung bis 11. August 2013
(https://www.design-museum.de/de/informationen.html)
Louis Kahn – The Power of Architecture
Vitra Design Museum 2012, 354 S.,
€ 79,90.
ISBN 978-3-931936-91-4