FRONTPAGE

«Eine Pionierin der Frauenrechte: Louise Aston»

Von Barbara Sichtermann

In Gröningen bei Halberstadt 1814 geboren, in Magdeburg gegen ihre Neigung mit einem englischen Fabrikanten verheiratet, erkor sich Louise Aston nach ihrer Scheidung Berlin als Wahlheimat. Hier erregte sie Aufsehen als Frau, die in Hosen posierte und auf der Straße rauchte, die mit Männern durch Kneipen und Debattierclubs zog und freie Liebe propagierte. Man nannte sie die deutsche George Sand.

 

Sie schrieb drei Romane und viele Gedichte, erregte durch ihre Religionskritik das Missfallen der preußischen Polizei und wurde mehrmals aus der Metropole ausgewiesen. Im Revolutionsjahr 1848 zog sie mit einem Freikorps in den Krieg gegen Dänemark, gründete die Zeitschrift Der Freischärler und lernte ihren zweiten Mann kennen, den Arzt Eduard Meier. Mit ihm wanderte sie in den Folgejahren durch den Osten Europas, immer in der Furcht vor Bespitzelung und Ausweisung. Unsere Epoche dürfte reif sein für die Wiederentdeckung einer großartigen Kämpferin, der es immer um die Freiheit ging – im erotischen ebenso wie im politischen Sinn.

 

 

In allen revolutionären Bewegungen gibt es die Ungeduld derer, die finden, dass die Genossen, die Mitverschwörer, die Parteileute, die Volksvertreter zu viel reden. Das Vorparlament in der Frankfurter Paulskirche wurde wegen seines rhetorischen Furors verspottet. Es war ja nicht so, dass die Redekunst einen schlechten Ruf hatte – aber jede noch so schön formulierte Suada klang hohl, wenn keine Taten folgten. Louise empfand den Widerspruch zwischen zu vielen Sprüchen und zu wenig Widerstand äußerst schmerzlich. Sie wollte, was ihr eigenes Leben betraf, Anspruch und Wirklichkeit zur Deckung bringen, wollte nicht nur Wilde Rosen in Gestalt von Gedichten unters Volk bringen, sondern durch ihre ungezügelte Lebensweise sich selbst und der Welt zeigen, wie Freiheit aussehen kann.

Auch in diesem Zusammenhang spielt ihre Religionskritik eine tragende Rolle. Besonders die Frauen, das sah sie, begnügten sich mit dem Versprechen, im Jenseits für all ihr Dulden und Leiden entschädigt zu werden. Von daher ließen sich die passiven Tugenden, die ihnen zugeschrieben und abverlangt wurden – Entsagung, Hingabe, Verzicht und Selbstverleugnung – moralisch und lebenspraktisch aufwerten: der Lohn wartete im Paradies. Skeptisch hatte die junge Louise vor dieser Verheißung gestanden. Und wenn da gar nichts war im Jenseits?
Die Männer immerhin, das sah sie auch, nahmen sich mehr vom Glück im Diesseits. Zwar hofften auch sie auf Vergebung ihrer Sünden und Aufnahme in den Himmel. Aber es gab für sie schon im irdischen Hier und Jetzt, das einen so viel größeren Radius hatte als das weibliche Dasein, genug Glück und Unglück, Kampf und Sieg, Niederlage und Leidenschaft, Neugier und Erkenntnis, als dass sie die Vertröstung auf ein Jenseits so bitter nötig gehabt hätten wie die Frauenzimmer. Auf Erden, fand Aston, sollten auch Frauen ihr Glück finden, anstatt in engen Verhältnissen schmachtend auf ein besseres Jenseits zu warten. Ihr Zeitgenosse Karl Marx, der wie sie mit dem Ehepaar Anneke im Briefwechsel stand und der die Werke ihrer Freunde Bruno Bauer und Max Stirner verriss, hat es so ausgedrückt: Es ginge nicht darum, dass die Menschheit ihre Ketten mit den Blumen der Religion umwinde, sondern »dass sie die Ketten abwerfe und die lebendige Blume breche«.

Die Einstellung zur Religion, die ›Gretchen-Frage‹ in Goethes Faust, sie war und blieb die Sollbruchstelle in Astons Lebenspraxis. An ihr schieden sich die Geister – solche, die zu ihr hielten, und solche, die ihr den Krieg erklärten. Durch letztere wurden die Polizeipräsidenten in allen Ländern, durch die Aston reiste, aufgeschreckt und schickten ihre Leute los, die Atheistin hinauszuwerfen.

Auch zur Gruppe der bürgerlich emanzipierten Frauen, soweit sie auf Anstand hielten, durfte Aston sich nicht rechnen. Sie, die aufgrund ihres Freisinns mit Männern besser auskam, entwickelte einen gewissen Hochmut gegen das angepasste Weibervolk. Für Aston war formale Gleichheit nie genug, sie wollte mehr: die Befreiung der Leidenschaft, wie Georges Sand sie gefordert hatte.

Es gibt ein Gedicht von der aufgeklärten Dichterin Emilie Spreu, das ‚An Louise Aston‘ heißt und mit einer freundlichen Verneigung vor der mutigen Geschlechtsgenossin beginnt.

 

»Du hattest – als ein Vorbild dem Geschlecht –

Dich kühn von jener Kette losgerungen,

Die man gewaltsam, wider alles Recht

Einst deiner schwachen Jugend aufgedrungen.«

 

Doch dann geht die Dichterin streng mit der Kollegin ins Gericht. Aston wisse nicht, was Liebe sei, wenn sie immer nur von Wollust schwärme und sogar die Sünde schön rede. »Ich liebte Dich und habe dich verehrt«, schrieb Spreu, doch »die edle Weiblichkeit« werde durch Astons Tiraden beleidigt, sie werde zum Spott, »denn vor der Sprache muss der Mann erröten«.
Louise hatte mit ›edler Weiblichkeit‹ längst abgeschlossen, und ihr wird es gefallen haben, auch den einen oder anderen männlichen Zeitgenossen durch ihre Verse und ihr Verhalten zum Erröten zu bringen. Emilie Spreu antwortete mit ihren Versen auf Astons Gedicht ‚Den Frauen‘, das im Freischärler erschienen war. Es umfasst vier sechszeilige Strophen und spricht einen ingrimmigen Klartext. Aston will mit weiblichen Tugendbolden nichts mehr zu schaffen haben, ihr ist der ganze bigotte Seelenkrampf nur noch zuwider. Hier spricht die Anarchistin, die Louise auch war:

 

Der Unschuld Lilien mögen euch umblühn,

Das Rot der Scham auf euren Wangen glühn;

Ich achte dennoch eure Tugend nicht,

Verwerfe kühn Eu’r heiliges Gericht!

Seid des Gesetzes Hort, der Sitte Rächer,

Des frommen Glaubens treuer Genius!

Es lebt ein heil’ger Geist auch im Verbrecher,

Der Freie sündigt, weil er sünd’gen muss.

 

Zur Tragik oppositioneller und revolutionärer Bewegungen gehört, dass sie sich selten einig sind. Die Überzeugung, den richtigen Weg erkannt zu haben, die Begeisterung für die Idee des Neuanfangs – sie sitzen zu tief und fühlen sich zu verpflichtend an, als dass die kämpferischen Gemüter zu Kompromissen bereit wären. So zerfiel auch die Emanzipationsbewegung der Frauen während des 19. Jahrhunderts in Fraktionen, die nur schwer oder gar nicht miteinander auskamen. Die so genannten bürgerlichen Frauen setzten auf Bildung und Wahlrecht, den proletarischen Streiterinnen lag mehr am gleichen Lohn, aber beide waren sich einig, wenn es darum ging, provokante Geister und Aktivistinnen wie Aston in die Schranken zu weisen. Fügte diese Amazone nicht der Sache der Frauen Schaden zu, wenn sie derart die Moral verhöhnte? Aston stand mit ihrer Propaganda der Tat, sofern es um die freie Liebe ging, ziemlich allein da. Nur gut, dass es noch George Sand gab.

 

 

Barbara Sichtermann
Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott
Hommage an Louise Aston
Halbleinen, Fadenheftung
12 x19 cm
144 S., 16,80 € [D]
Reihe: blue notes 54
Erscheinungstermin: 25. August 2014
Artikelnummer: 978-3-86915-094-9

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