«Mara Genschel: Cute Gedanken»
Von Andreas Kohm
Von einem deutschen Altbundeskanzler wird die Anekdote kolportiert, er habe nächtens am Zaun des Kanzleramts gerüttelt und gerufen: «Ich will da rein». Nun ist der Literaturbetrieb und seine prosaischen Verhältnisse nur bedingt mit bundesrepublikanischen Machtstrukturen kurzzuschliessen, doch verkörpert die in Stuttgart lebende Lyrikerin Mara Genschel (*1982) zumindest bezüglich der eingenommenen Haltung eine kühle Antithese, sowohl was das Ziel als auch die Verfahrensweisen ihrer poetischen Tuns anbelangt.
Dabei muss sie eine paradoxale Spannung aushalten, welche sich dann im Kern als eminent politisch erweist. Denn wie jene Spielregeln kritisch durchleuchten, welche der literarischen Produktions- und Vermarktungslogik zugrunde liegen, wenn diese zugleich den Ort der öffentlichen Wahrnehmung und in der Folge literarischer und ökonomischer Erfolge bestimmen? Ein Leiden, das so alt ist wie die engagierte Literatur und ihren Bedingungen geradezu fundamental eingeschrieben.
Mara Genschel versucht es mit feiner Anarchie und Analyse: sie befragt die ambivalente und wirtschaftlich oft prekäre Stellung des Dichters in der Gesellschaft, indem sie sich performativ ebenso zum, wie subversiv gegen den Literaturbetrieb (dessen Teil sie ist) positioniert, Klanginstallationen konzipiert oder ihre Texte in kleinen «Referenzflächen»-Editionen selbst gestaltet und verlegt. Nicht immer widerspruchsfrei lassen sich dabei die Konflikte zwischen Distanz und Teilnahme, Eigen- und Fremdbestimmung, Freiheit und Abhängigkeit, richtig und falsch lösen. Aber sie vermögen auf dem Niveau «Höherer Vasen/ gröbere Frasen» nachhaltig zu irritieren. Wofür ihr erst jüngst der Heimrad-Bäcker-Förderpreis verliehen wurde.
Ihr neuester Gedichtband „Cute Gedanken“, eine der Lyrik-Empfehlungen 2017 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, entstand während eines Literatur-Stipendiums in Iowa. Dort wird ein „sehr preiswertes Mobiltelefon“ mediales Gerät und Textmaschinchen zugleich, nachdem Genschel erkannt hat, daß sich konzeptionell äußerst fruchtbar die «Lernkurve seiner rustikalen Korrekturfunktion mit meiner Fehlbarkeit sowohl als nationale Repräsentantin wie auch als Akademikerin[gestrichen] Amerikanerin auf Zeit aufschlussreich engführen liess».
Solche Vorworte kommen theoretischer daher, als es die experimentell anmutenden, bisweilen irrwitzig changierenden, die Sprache an die Verstehensränder treibenden Gedichte tatsächlich sind. Wer schreibt da was mit?
„Al’s“, der „CIA“, „Ich Schreiber“? Wessen Sprache wird de-formiert? „13// Wie haven die Autoren I and/ rinnen aus sound so vielen/ Ländern such nämlich gestaut!“
Offenbart so der Un-Sinn einer Algorithmen-Ästhetik zugleich die Grenzen auktorialer Autonomie?
„30// Ich bin doch nur ein Susan/ men hang loser Zombie,/ sobald ich meine gewohnten// Biotope verlass!“
Und öffnet sich spielerisch heiter ein Fenster ins Absurde, wo das Recht auf Rechtschreibung sich selbst hintertreibt?:
„(…) MIT/ deinem unumstößlichen Be is// tell to sch chen und seinen/ dutch de Fensterfronten/ gespülten goldenen Woven// der Zuversicht in ihr/ wohlfrisiertes shampooniertes/ Haar murmelnd“.
Doch auch nach über hundert Jahren Avantgarde und zweihundert Jahren nach Hölderlin gilt der letzte (hoffnungsvolle? verzweifelte?) Anruf der „Km unst“:
„Du machst das ich/ ACH di see, die Poesie ist gut// und recht ‚ACH bitter Liebe“ „75 // Mama! Lass Mich wieder nach/Hauser!‘ “
Wo kommen wir Ver-Leser mit soviel „Peinlichkeit und Dummheit“ nicht überall hin!
Der Dog, der Dog in Richtung
Konsens, Richtung
Representation last such nur
stören, vielleicht geringfügig
und kurz I ns Straucheln
bringen, dutch Negation. Ich
weiß das schon! Gegen die
Reproduction üblicher Leasing
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vorzugehen, macht Mich das
nun zur heiligen Johanna?
Nein. Zu diner blöden
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Avant garde time leu und
genauso wird das auch
verstaut.
Mara Genschel (* 1982 in Bonn) studierte nach dem Abitur Musikwissenschaft in Köln und bis 2004 Schulmusik an der Hochschule für Musik Detmold mit dem Hauptfach Violine. Von 2004 bis 2008 studierte sie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie verfasst in erster Linie Gedichte, die in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. 2008 debütierte sie mit «Tonbrand Schlaf». Nach dem Gedicht «Grobkorn sein» entstand 2006 der von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Kurzfilm «Großvater und Enkelin», der in Chemnitz uraufgeführt wurde. Für das Hörspiel «Krieg der Manifeste – Futurismus erobert Europa» von Bernd Kempker, das vom WDR produziert und im Februar 2009 von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste als Hörspiel des Monats ausgezeichnet wurde, komponierte Mara Genschel die Musik. Mara Genschel lebt in Stuttgart.
Mara Genschel
Cute Gedanken
roughbooks, Urs Engeler
Iowa City, Stuttgart, Berlin und Schupfart 2017
96 S., 10 Euro
www.roughbooks.ch