Maxim Biller Bild PD
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«Elena Ferrante: Meine geniale Freundin»
Von Ingrid Isermann
Dieses Buch braucht keine Kritiker. Weil jede Kritik nur eine Facette dessen sein kann, was in diesem Buch einer Frauenfreundschaft verhandelt wird. Und weil man die eigene Geschichte darin erkennen und in Gedanken weiterschreiben könnte, die Geschichte mit der besten Freundin. Der Überraschungs-Bestseller des Sommers 2016.
«Als Lila und ich uns entschlossen, die dunkle Treppe nach oben zu steigen, die Stufe für Stufe, Absatz für Absatz, zu Don Achilles Wohnungstür führte, begann unsere Freundschaft».
Nachdem man das Buch atemlos verschlungen hat, gibt es nur ein Bedauern: dass die Fortsetzung von «Meine geniale Freundin» erst im Frühjahr 2017 erscheint.
Man mag sie kaum aus der Hand legen, die Geschichte zweier Freundinnen im Neapel der 50er Jahre, die so berückend authentisch geschildert wird. Wobei das Lokalkolorit der armseligen Gassen der trüben Nachkriegszeit in Neapel nicht die Hauptrolle spielt. Sondern die beiden Protagonistinnen Lila und Elena, wobei letztere die Geschichte nach dem spurlosen Verschwinden ihrer Freundin nach sechzig Jahren aufschreibt.
Davon lebt die Spannung, aber mehr noch von der detailreichen Schilderung innerer Befindlichkeiten, über Bewunderung, Eifersucht und Neid, wie Elena ihn gegenüber der hochbegabten Lila empfindet, einer Schuhmachertochter, die einfach alles kann, spielend lernen, Leute furchtlos distanzieren, immer eine kesse Antwort auf den Lippen und leidenschaftlich bewundert von Elena, der Tochter des Pförtners, die ihre Kindheit zusammen verbringen, als Sechsjährige bis zur Sechzehnjährigen, wo das erste Buch der vierbändigen Saga mit der Hochzeit von Lila endet.
Lange ist gerätselt worden, wer sich hinter dem Namen Elena Ferrante versteckt, ob sie eine Universitätsprofessorin ist oder sogar ein Mann. Das Geheimnis konnte bisher nicht gelüftet werden, gut so, die Autorin schreibt mit einer Effizienz und Qualität, die ihr Schreiben auszeichnet. Ihre eigene Person findet sie unwichtig. Und in einem der seltenen Mail-Interviews gab sie bekannt, dass sie vielleicht nicht so frei hätte schreiben können, wenn ihre Person bekannt wäre.
Aber so nimmt sie uns mit in die geheimsten Regungen einer Kinderseele und der beginnenden Erwachsenenwelt, wie Elena durch Lila angestachelt wird, und nur wegen ihr in der Schule Fortschritte macht bis sie zur Klassenbesten wird und aufs Gymnasium geht, Latein und Griechisch lernt und sich von ihrer kleinbürgerlichen Umgebung entfernt. Lila, die begabtere, fügt sich ihrem Schicksal, um den Vater und Bruder durchzubringen und heiratet einen wohlhabenden Lebensmittelhändler. Mit 16 Jahren. Da endet das erste Buch. Bis im Frühjahr müssen wir uns gedulden, und selten hat ein Roman das Publikum dermassen begeistert und aufgewühlt.
Wie gesagt, das muss man selbst lesen und eintauchen in diese Geschichte, die einem auch Rückschlüsse auf vielleicht längst vergessene Episoden im eigenen Leben erlaubt. Grossartig!
Elena Ferrante
Meine geniale Freundin
Suhrkamp Berlin, 2016
422 S., CHF 31.50. €22 (D). € 22.70 (A)
ISBN 978-3-518-42553-4
Auch als eBook erhältlich
«Maxim Biller: Biografie»
Auf der Flucht vor ihren kleinen Verbrechen und grossen Lebenslügen landen der deutsch-jüdische Schriftsteller Soli Karubiner und sein bester Freund, der Millionärssohn Noah Forlani, in Buczacz, einem kleinen Ort in der Ukraine, aus dem ihre beiden Familien einst von den Nazis verjagt wurden. Bis sie dort ankommen, erleben sie das grösste Abenteuer ihres Lebens, irre wild und komisch. Ein explosives Buch. Hinreissend geschrieben.
Maxim Biller hat den jüdischsten, amerikanischsten, komischsten Roman der deutschen Gegenwart geschrieben, so der Verlag Kiepenheuer & Witsch. Was sagen Kritiker und Rezensenten? Und die differieren gewaltig, von begeisterter Zustimmung bis zu schroffer Ablehnung oder sogar Gleichgültigkeit, vielleicht auch nur vorgegebener. Jedenfalls lässt Maxim Biller niemanden kalt. Seine Geschichte, die aus lauter Einzelschicksalen zusammengesetzt ist, beileibe also nicht seine eigene Biografie, will an Stoff alles hineinpacken, was nur geht, im deutsch-jüdischen Verhältnis, das ein sensibles und belastetes ist. Doch Maxim Biller kann sich manche Freiräume eröffnen, wie selten jemand anderes.
Die verrückte Geschichte von Soli und Noah, beste Freunde und fast Brüder seit ihrer gemeinsamen Bar-Mizwa in der Hamburger Synagoge im Jahr 1976, durch ihre Herkunft, Humor und bizarren sexuellen Fantasien verbunden und verstrickt in eine groteske Erpressungs- und Entführungsstory globalen Ausmasses, ist temporeich erzählt, mit Wirrnissen, Irrnissen, grossen und kleinen Katastrophen.
Soviel zur Story: Soli Karubiner, Schriftsteller und Erzähler des umfangreichen Romans, muss Deutschland verlassen, nachdem er in einer Sauna einen Skandal verursacht hat und ihn ein deutscher Jungschriftsteller bedroht, das aufgezeichnete Video online zu stellen. Aus Prag verfolgt Soli, wie Millionärssohn Noah Forlani, Gründer der NGO Goodlife und entschlossen, sein Erbe durchzubringen, den Hollywoodstar Gerry »El Dick« Harper dazu bringt, in seinem neuesten Kunstvideo mitzuwirken – in dem Noah selbst Joseph Goebbels spielt, natürlich nackt. Während es bei den Dreharbeiten im Sudan zu einer Entführung kommt, muss Soli sich mit seiner hysterischen, besitzergreifenden jüdischen Familie herumschlagen und sieht den Ausweg aus diesem ödipalen Superdrama nur in der Flucht nach Tel Aviv. Von dort reist er mit Noah weiter nach Buczacz, dem Herkunftsort ihrer Familien, und kommt dem Geheimnis seines undurchschaubaren russisch-jüdischen Vaters Wowa, eines Ex-Kommunisten, Geschäftsmanns und Doppelagenten auf die Spur, der ganz allein den Sturz des Kommunismus im Jahr 1989 herbeigeführt hat. Natürlich spielen auch die Frauen verschiedene Rollen: die schöne, traurige Natascha Rubinstein, die mal Noah liebt, mal Soli, die perverse Ethel, die keine Jüdin mehr sein will, und die Familien-Tyrannin Merav, Noahs klammernde Ehefrau.
Zeit braucht man also für den dicken Wälzer, doch hinter den zahlreichen Provokationen rund um Sex, Nazis und (Galgen)Humor versteckt sich für Kritikerin Jana Hensel «wunderbare, kluge, feine, wirklich grosse Literatur». Elfriede Jelinek ist «voller Bewunderung für Maxim Billers Erzähltemperament». Der jüdische Schriftsteller Etgar Keret meint: «unglaublich klug, auf Weltrekord-Niveau komisch, verstörend ehrlich». Und Daniel Kehlmann: «Maxim Biller kann schreiben. Mein Gott, und wie». Andere Kritiker finden, dass der Autor zu nervender Kraftmeierei ohne Struktur neige, die letzten 500 Seiten Makulatur seien oder aber eine grosse Farce nach Karl Marx, und die Fabulierlust getarnt als Sprachflapsigkeit eine für den Rezensenten schwer verständliche Einförmigkeit auszeichne. Soviel zur Meinungsfreiheit für Maxim Biller, der auch im «Literarischen Quartett» des ZDF als Gesprächsteilnehmer polarisiert.
«Biografie» ist in herrlich unbekümmertem, unprätentiösem Stil geschrieben, der sich nicht um Gepflogenheiten schert, was die «political correctness» angeht. Hier wird erzählt, in einer Manier, die Charaden und Arabesken der chaotischen Zeitläufte der Generationen verbindet, die atemlos macht.
Hier eine Leseprobe:
1
Party bei Walhalla Film
Vielleicht, aber nur vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Noah Forlani, mein Freund und Bruder, an Silvester 2005 nicht nach Berlin geflogen wäre, wo er bei einer kleinen, verwirrenden Filmparty in der Schliemannstrasse 12 erst den Tisch mit den Wasabi-Canapés und dem südafrikanischen Prosecco umwarf und danach Ethel Urmacher vor allen Leuten die linke Wange streichelte. War also alles seine eigene Schuld? Er hätte genau so zu Hause in Herzlia Pituach bleiben können, wo seine etwas zu klein geratene Frau Merav mal wieder ein Essen gab, bei dem zehn langweilige Israelis den ganzen Abend leise sprechend um ihren drei Kilometer langen Mogensen-Tisch herum standen und Krevetten auf Rucola assen. Ja, genau die Merav – die mit dem Nan-Goldin- Komplex, den Prada-Stilettos, dem eher warmen als kalten Herzen und der unangenehmen Angewohnheit, Noahs Freunden extra muros zu erzählen, er könne nur, wenn er sich in einem schmutzigen Hemd aufs Bett setzte, die Hände ans imaginäre Steuer legte und zu ihr sagte: «Und, Kleine, wo hin soll ich dich mitnehmen?»
(…)
Dann sah Noah mich und Natascha Rubinstein in Auschwitz, April 1988. Er sass damals die ganze Woche an seiner Seminararbeit über Potenzstörungen bei der Second Generation, während Nataschale mir in Breslau, Warschau und Oświęcim ganz untraumatisiert die Kronjuwelen polierte und wir uns gegenseitig ewige Liebe versprachen. Noah hatte ihr auch etwas versprochen, kurz vor unserer Polenreise: ein Haus in Othmarschen, eine Finca in Palermo (gibt’s so was überhaupt?) und eine Duplex-Wohnung im obersten Stock des Kolbo-Schalom-Hochhauses in Tel Aviv. Als Nataschale und ich aus Polen zurückkamen, hatte sie genug von meiner Selbstverliebtheit und dem ewigen Judengerede. Sie rief Noah an, und sie trafen sich, beide ziemlich unaufgeregt, vor Burger King auf der Mönckebergstrasse, Nebeneingang für Türken und deutsche Islamkonvertiten. Als sie sagte, sie habe sich jetzt doch für ihn entschieden, sagte er: «Aber nicht mehr als zehntausend im Monat, Pupkale, ist das k-k-klar?. Und schon war sie verschwunden.
An diesem Punkt brach die Welle seiner trostlosen Assoziationen. Noah trudelte durch den weissen Schaum seines Minderwertigkeitskomplexes, und dann war Oxford dran, seine Ur-Niederlage, Jewish Studies, Wolfson College, morgens immer um sechs aufstehen, sechs Kilometer laufen im Park, acht Stunden Bibliothek jeden Tag, Punting am Wochenende und Saufen mit diesen englischen Juden, die alle wie Gaddafis Söhne aussahen, aber später Kibbuzmanager oder Volontäre in Jad Vaschem werden wollten. Leider war Noah nie bis Oxford gekommen. Er hatte es fest vorgehabt, er wollte es, wie er nie etwas gewollt hatte.
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags © Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
Alle Rechte vorbehalten.
Maxim Biller
Biografie
Kiepenheuer & Witsch Köln, 2016
896 S., geb.mit Schutzumschlag
CHF 41.90. 29.99 € (D) 30.90 € (A)
ISBN 978-3-462-04898-8