FRONTPAGE

«Mehr Glanz für die Metropole»

Von Marion Löhndorf

Während die Kultur ausserhalb der Hauptstadt sparen muss, wird in London kräftig in sie investiert. Über die Museen und Kulturinstitutionen der englischen Kapitale fegt derzeit ein Bau-Boom.

 

Sie werden umgebaut, erweitert, ziehen in grössere Gebäude oder bauen Ableger in anderen Teilen der Stadt. Das gilt fast ausnahmslos für alle grossen Kulturinstitutionen der Stadt. Die Hauptstadt ist Touristenattraktion und Aushängeschild des Landes zugleich. Fast ausnahmslos sind bekannte Architekten an den grossen Bauvorhaben beteiligt. Illustre Namen und Glanz fallen damit auf die mit beidem ohnehin reich gesegnete Metropole.
Ein gewaltiger Anbau der Tate Modern von Herzog & de Meuron schraubt sich als sechzig Meter hohe, elfstöckige Pyramide neben dem Hauptgebäude in den Himmel. Der mit einem perforierten Mauerwerksverband verkleidete Bau entstand unter der Regie von Herzog & de Meuron. Das Basler Architekturbüro hatte schon das im Jahr 2000 eröffnete Hauptgebäude der Tate Modern modernisiert, ein ehemaliges Kraftwerk, dessen ursprünglicher Entwurf auf den Architekten und Designer Giles Gilbert Scott zurückgeht. Schon bald stellte man fest, dass der Platz kaum ausreichte und 2012 wurden die zum einstigen Kraftwerk gehörenden unterirdischen Öltanks der Tate als neue Ausstellungs- und Eventräume zugänglich gemacht. Dabei wurde der industrielle Charakter der Räume, in die kein Tageslicht eindringt, beibehalten. Die neue Pyramide, mit deren Fertigstellung man 2016 rechnet, soll gemeinsam mit den Tanks Ausstellungsfläche des Hauses um 60 Prozent erhöhen. Dafür erhielt, so hiess es, Tate-Direktor Nicholas Serota 50 Millionen Pfund an Zuschüssen von der Regierung. Denn die Tate Modern gilt mit mehr als 5 Millionen Besuchern pro Jahr als erfolgreichste öffentliche Kunstgalerie der Moderne. Auch habe sie, wie man in England glaubt, zu Popularisierung der Kunst beigetragen. Daher wollte die Regierung wohl in tiefer in die Tasche greifen. Zumal das Haus seit seiner Eröffnung ständig überfüllt war.

 

Erfolgreiche Marken

Auch die Schwestergalerie Tate Britain profitierte in diesem Jahr bereits von einer Wiedereröffnung nach einer 45 Millionen Pfund teuren, effektvollen Generalüberholung durch die Architekten Caruso St John. (Siehe NZZ vom 04.12.2013). Rege Bautätigkeit herrscht auch beim Victoria & Albert Museum in South Kensington, das ebenfalls aus allen Nähten platzt. Deshalb schrieb es einen internationalen Wettbewerb für einen Erweiterungsbau aus, den die britische Architektin Amanda Levete gewann. Mit der Bauerweiterung öffnet das V&A eine bisher nicht genutzte Fläche gegenüber dem Natural History Museum an der Exhibition Road, die bereits zur Fussgängerzone umgebaut wurde. Gearbeitet wird derzeit an der Gestaltung eines öffentlich zugänglichen Innenhofs und unterirdischer Galerien auf einer Fläche von mehr als 1000 Quadratmetern. Levetes Bauprojekt soll 35 Millionen Pfund kosten und 2015 fertiggestellt werden.

Doch das Victoria & Albert Museum hat noch andere Wachstumspläne. Das Museum, kurz V&A genannt, ist auch auf dem Areal des Olympischen Parks aktiv. Dort soll ein neuer Knotenpunkt von Kultur, Technik und Wissenschaft entstehen. Schon jetzt ist bei der künftigen Bebauung des olympischen Parks von einem ‘Olympicopolis’ die Rede. Das University College London plant ebenfalls den Bau eines Campus auf dem Gebiet. Ein Herzstück von ‚Olympicopolis‘ soll der Ableger des Victoria & Albert Museums sein, genannt „V&A East“. Londons omnipräsenter Bürgermeister Boris Johnson schrieb besang es schon enthusiastisch in einem Artikel in Londons Stadtzeitung „Evening Standard“. Das V&A hingegen gab nur so viel Preis: Die Pläne seien noch in einem sehr frühen Stadium und detaillierte Business- und Finanzierungspläne befänden sich in der Entwicklung. Das Museum wolle mit dem Neubau weitere Teile seiner Sammlung und seiner Expertise mehr Menschen zugänglich machen, in einer Gegend, die bereits ein Netzwerk kreativer Industrien beherberge. Derzeit ist das V&A auch mit Bauplänen einer weiteren Niederlassung in Dundee befasst, die das japanische Architektenbüro Kengo Kuma & Associates umsetzen wird und das 2017 eröffnet werden soll. Auch die Tate hat ja Ableger in Liverpool und in Cornwall in St Ives: warum also kein V&A in Dundee? Die Tate und das V&A sind schliesslich erfolgreiche, exportfähige Marken.
Ganz deutlich spricht die Expansion des V&A für ein rasant gestiegenes Interesse am Thema Design. Das könnte auch den neuen Kurs des Design Museums erklären, das vom südlichen Themseufer ins lauschige South Kensington umzieht, vom ehemaligen Bananen-Lagerhaus ins ungleich geräumigere und repräsentativere ehemalige Commonwealth Institute. Das Design Museum hat eine ebenfalls eindrucksvolle Wachstumsgeschichte vorzuweisen: Es begann seine Existenz einst als Projekt im Kellergeschoss des V&A, bevor es 1989 an die Themse zog, sich ausbreitete und selbständig machte. Star-Architekt John Pawson wird nun die neue Heimat des Design Museums, das Commonwealth Institute, umbauen und hat dafür ein Budget von rund 80 Millionen Pfund zur Verfügung. Flankiert wird das Gebäude von drei Neubauten luxuriöser Apartmentblocks, die auf Entwürfen von Rem Koolhaas’ Architekturbüro OMA basieren.

Die „alte“ Arena des Design Museums, das weisse Gebäude am Themseufer, wird in Zukunft ebenfalls dem Design verpflichtet bleiben. Der Welt wohl berühmteste Architektin, Zaha Hadid, kaufte das Haus. Sie beabsichtigt, es für Architekturausstellungen zu nutzen, wobei der „Forschung und Innovation globaler Kollaborationen in Kunst, Architektur und Design“ eine zentrale Rolle zukommen soll. Ausserdem will sie hier das Archivmaterial ihres Architekturbüros zusammenführen. Damit wird London eine weitere Pilgerstätte für Design-Liebhaber gewinnen.

Wo so viel Um- und Neubau im Schwange ist, kann auch das älteste öffentliche Museum der Stadt – und der Welt überhaupt – nicht zurückstehen: das British Museum weihte mit einer Wikinger-Ausstellung, naturgemäss ein „Blockbuster“, eine neue, ziemlich monumentale Ausstellungshalle ein. Die sogenannte Sainsbury Exhibitions Gallery bietet auf 1100 Quadratmetern Fläche üppigen Platz für weitere Grossausstellungen in der Zukunft. Wie alle grossen Kulturinstitutionen steht das Museum steht das British Museum unter einem ähnlichen Druck wie kommerzielle Entertainment-Unternehmen: die Besucherzahlen und der Hunger nach Unterhaltung wachsen. Nach Norman Fosters 2000 fertig gestellter Kuppel, die eine Art Imbiss- und Einkaufszone im Museum schuf, baute jetzt Richard Rogers‘ Architekturbüro Rogers Stirk Harbour and Partners einen 135 Millionen Pfund teuren Multi-Funktionsraum; dabei wird auch Platz geschaffen für Depots, Restaurationswerkstätten und Laborräume. Ein eleganter Übergang von Fosters heller Kuppel zu Rogers‘ Black Box fehlt zwar, doch wo sich die internationale Architekturprominenz die Hände reicht, herrscht derzeit noch die diskrete Zustimmung der Kritiker vor.
Auch die National Gallery hat soeben einen rund 800 Quadratmeter grossen Ausstellungsraum nach zweijähriger Renovierung wiedereröffnet, der 218 Gemälde zeigt (der Raum war zuvor nur an einem Nachmittag in der Woche zugänglich).
Aber das sind nur vergleichsweise kleine Baumassnahmen, gemessen an den umfassenden Plänen für das South Bank Centre. Das umliegende Südufer der Themse war lange Jahre ein Stiefkind des Londoner Städtebaus, deren einzige – architektonisch jedoch umstrittene – Lebenszeichen das National Theatre, das National Film Theatre, die Hayward Gallery und die Royal Festival Hall waren. Die brutalistische Architektur gefiel manchen Kennern, der breiten Mehrheit aber nicht. Verschiedene Architekten wurden im Lauf der Jahre für Umgestaltungspläne hinzugezogen, doch nichts geschah. Dann endlich sollten Hayward Gallery, die Queen Elizabeth Hall und der Purcell Room einer 118 Millionen-Pfund teuren Transformation unterzogen, durch eine Piazza verbunden und überdacht werden. Darüber sollte sich eine Glass-Box wie eine schwebende Flughafen-Abflughalle erheben – Raum für eine Probe-Konzerthalle mit einem kleinen Auditorium. Das Architekturbüro Feilden Clegg Bradley Studios (FCBS) war dabei federführend. Doch für den neuen Bau hätte ein Skater-Park zerstört werden müssen – auf Druck der Öffentlichkeit revidierte Londons Bürgermeister Boris Johnson daraufhin die Abriss-Pläne: Die Erhaltung des Skater-Paradieses wiederum riss ein Loch in die Finanzierung des Neubaus. So begnügt sich das South Bank Centre einstweilen mit dringend notwendigen Renovierungen und hofft, die Subventionslücke dereinst füllen zu können.

 

Kulturausgleich
Die rege Bautätigkeit im Namen der Kultur ist begrüssenswert – für London. Problematisch ist nur, dass die seit langem bekannte Diskrepanz zu den Fördergeldern, die in die Provinz fliessen, rasant zunimmt. Zum ersten Mal wurde das Thema 1965 in der Politik problematisiert. Immer wieder gab es Versprechungen, für einen Ausgleich zu sorgen. Tatsächlich entstanden in den vergangenen Jahren vor allem architektonisch viel beachtete Kunstmuseen ausserhalb der Kapitale, wie etwa die Turner Contemporary in Margate oder die von Chipperfield entworfene Hepworth in Wakefield. Doch das Gefälle im Vergleich zur Hauptstadt ist immer noch gross. Die Studie „Rebalancing Our Cultural Capital“ belegt, dass ca. 15 Prozent der englischen Bevölkerung in London lebt und dass den kulturellen Institutionen der Stadt im Jahr 2012/13 320 Millionen Pfund an Fördergeldern zukamen, was einem Durchschnitt von 20 Pfund pro Person in London entspräche. Im Rest des Landes dagegen sind es nur 3.60 Pfund pro Kopf. Dass London das Juwel in der Krone bleiben soll, ist in England unbestritten. Doch zunehmend auf Kosten der „Provinz“? Grosse Kulturinsitutionen wie das V&A, das British Museum und die Tate mit ihren „Aussenstellen“, Regionalprogrammen und regionalen Partnerschaften in anderen Städten adressieren das Problem bereits mit positiven Ergebnissen. Doch es damit allein gelöst wird, bleibt fraglich.

(NZZ v. 25.7.2014, mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

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