FRONTPAGE

«Monika Rinck: Honigprotokolle»

Von Ingrid Isermann

 

Wie originell, oder besser gesagt, originär, der Schutzumschlag ist gleichzeitig ein Poster, der das broschierte Buch schützt und umgarnt, gestaltet von Andreas Töpfer. Monika Rinck ist Peter-Huchel-Preisträgerin 2013 für ihren neuen Gedichtband.

«Honigprotokolle»
Sieben Skizzen zu Gedichten, welche sehr gut sind.

Die sorgfältige Satzgestaltung fällt sogleich ins Auge, nicht unwesentlich bei einem Lyrikbuch, das oftmals in schleppender Langeweile gesetzt und gedruckt ist.

Von was schreibt Monika Rinck, die dieses Jahr 2013 mit dem Peter-Huchel-Preis geehrt und ausgezeichnet wird?

 

Hier das erste Beispiel:

 

FRIEDRICH NIETZSCHE DENKT AN LIEBE

 

Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle, schneeweiss und überblau: Auf den Wanderwegen, heisst es, raufen Radiatoren mit Hydranten und im Marmorsteinbruch leckt die Mieze ihre Unterseite flockig. Genesungswünsche richten sich an Dritte. In der Seilbahn gurrt die Antriebskurbel. Hier wohnt Friedrich Nietzsche. An der Ukulele singt er seine Propädeutik ein. Heissa, ein subkutaner Alpenschlager. Ungleichartiges als Glaubenslehre. Der Grundakkord: E-Moll. Robert Walser sagt, Friedrich Nietzsche wurde nicht. Hä? Was? Was wurd ich nicht? Du wurdest nicht geliebt. Daher dein Groll. Die perfide Rache eines Ungeliebten. Indes Eingekehrte laben sich an Bretterljausen. Wurzn. Beeren. An Williams Christ, an Enzian. Friedrich Nietzsche und der sanfte Reuemeister konversieren in Stapelsesseln. Sind es Zwiebeln? Sinds Kontakte – oder Hiebe mit dem Fächer? Ists ein Fitschenbeitel, in Kamelienöl geschmiegt? Wir wissens nicht. Sie sprechen leise. Ewig murrt das Hochgebirge. Friedrich Nietzsche denkt an Liebe. Robert Walser lächelt stumm.

 

Sogleich berührt der frische Ton, man ist gleich mittendrin in einer kleinen Geschichte, die grosse Auswirkungen haben kann. Der Vorteil der Lyrik ist, hier sei es wieder mal gesagt, dass man nicht hundert Seiten bis zu einem aha-Ergebnis oder Erlebnis braucht.

 

 

GLEICHGEWICHT

 

Hört Ihr das, so höhnen Honigprotokolle: Das ist das labile Gleichgewicht. Alle sind gefährdet. Alle sind labil. Der Aggressor ist labil. Der früher wegging, ist labil. Der Verleger ist labil. Er ruft nicht zurück. Ich bin auch labil. Ich würde gar nicht rangehn. Die Kotz-Canaille ist labil. Wir könnten sie auch anders nennen, doch dazu sind wir leider zu labil. Die Labilen sind labil. Und daher gefährdet. Gefährdet ist der klassische Erker. Sowie der gesamte zügige Strassenverkehr. Wer ein Selbstopfer ernsthaft in Erwägung zieht, ist labil. Wir sagen ihm oder ihr: Selbstopfer ab jetzt nur unter der Bedingung der Freiwilligkeit. Schliesslich sind das Säugetiere hier, die nie schlichtweg begehren oder scheuen, sondern die Verabscheuung und Begierde zudem jederzeit wollen müssen. Daher immer so labil. Daher die kognitiven Dissonanzen und die nie ganz auskurierte Ignoranz. Die Liebe, die ist wie? Labil. Das Wetter ist labil. Grad wie wir, im Gleichgewicht labil.

 

Und zum dritten:

 

GELD

 

Der reine Hohn solventer Honigprotokolle: Hör zu, das ist die teure Zeit. Es ist die Zeit, die irgendwo hineingeht, wo kein Geld ist. Dort stehen die Dinge sich gegenüber und schweigen, denn sie sind ganz bei sich. Aber was lege ich an, um sie zu vergleichen? Die Zeit, die es braucht,
sie zu verstehen, bis sie beginnen zu reden, zu singen. Ja, das Wort, das wüsst ich wohl, doch kann ich es mir leisten? Ich sparte es mir ab vom Mund. Ich sagte: Warenförmigkeit ist Ausdruck der Verfremdung, die im Verkauf entsteht. Wir unterscheiden dann Schulden von Gaben. Wir unterscheiden inzwischen nicht mehr. Wir haben Zeit. Sehr viel Zeit. Und etwas Hunger. Wenn dir mein Lied gefällt, gib mir ein Stück Fleisch von deinem Teller, und gib auch Schnee in meinen Wein. Wie allen andern. Wir müssen das irgendwie entäussern, auf aussen kehren. Von veräussern war ja noch gar nicht die Rede. Das wäre die invertierte Welt, wo Geld
das eine in das andre wandelt, Tugend in Laster, Verdruss in Gewinn. Die Unvergleichbarkeit von Lied und Fleisch kommt nun in mir zusammen. Bin ich der grosse Transformator? Nein, nur einstweilen das Ende der Eile.

 

 

Die Texte lesen sich mit wachsendem Vergnügen, sie berühren Alltägliches, das man so noch selten gehört hat, ein Sound, der ins Ohr geht, ein leiser Singsang, dem man geneigt ist, zuzuhören. Und der etwas in Schwung bringt, ins Schwingen bringt, auch das Nachdenken über diese zarten Contra-Texte, melancholischer Sprachwitz, lapidar, gelassen, transparent, lakonisch, express, ja, auch schonungslos, nicht um des Effektes willen, um der Wahrheit willen, denn ‚Wünsche sind nicht Wahrheit‘.

 

Es lohnt sich auch, die Sprüche auf dem Umschlag zu konsultieren. ‚Sei dein eigener Hohn’, steht da, oder ‚Die Unmöglichkeit des Gleichzeitigen’. Bei diesen Gedichten mit Einschüben des Komponisten Bo Wiget könnte es trotzdem gelingen…

 

 

Honigprotokolle
Kookbooks Verlag, Berlin 2012
Broschiert, 80 Seiten, 19,90 EUR
ISBN 9783937445496

 

Monika Rinck wurde 1969 im pfälzischen Zweibrücken geboren und lebt in Berlin. Sie studierte Religionswissenschaft, Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft in Berlin und Yale. Ihre literarischen Arbeiten wurden bereits vielfach ausgezeichnet, 2013 mit dem Peter-Huchel-Preis, der seit 1983 für ein herausragendes lyrisches Werk verliehen wird. Zu den bisherigen Preisträgern gehörten u.a. Ernst Jandl, Durs Grünbein, Thomas Kling, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Marion Poschmann.

 

Der Peter-Huchel-Preis wird am 3. April 2013 in Staufen im Breisgau verliehen. Der vom Land Baden-Württemberg und dem Südwestrundfunk gestiftete Preis ist mit 10 000 Euro dotiert. «Honigprotokolle» sei «virtuos komponiert» und «konzipiert Sprache und Sprechen im 21. Jahrhundert als leidenschaftliches Plädoyer für die vibrierende Ordnung des Schwarms», heißt es in der Begründung für die Preisvergabe. Rinck «schaffe einen poetischen Resonanzkörper von verblüffender Verweisdichte und analytischer Stringenz, der aus den Bewegungen des Denkens musikalische Funken schlägt».

 

 

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