«Neue Filme von Frauen – nicht nur für Frauen»
Von Rolf Breiner
Der Trend heisst «weiblich». Auffallend viele Filme von Frauen um Frauen, aber nicht nur für Frauen kommen jetzt in die Kinos. Da sind beispielsweise der erste Spielfilm einer saudiarabischen Regisseurin zu nennen, «Wadjda» von Haifaa Al Mansou, oder die Arbeit der ultra-orthodoxen Israelin Rama Burshstein mit «Fill the Void».
Einblicke in eine verschlossene, uns eher unbekannte Welt: Die Israelin Rama Burshtein beschreibt ein menschliches Dilemma. Ehemann Yochay (Yiftach Klein) stirbt seine Frau Esther während der Geburt ihres ersten Kindes. Mutterersatz ist notwendig, aber nicht im Ausland, sondern in Tel Aviv, befindet Rivka (Irit Sheleg), Esthers Mutter, und drängt ihrem Schwiegersohn Shira (Hadas Yaron), die Schwester der Verstorbenen, auf. Die 18-jährige Shira soll die Lücke füllen («Fill the Void»), doch die junge Frau hält gar nichts von dieser Familienabsicht und brüskiert den trauernden Witwer. Diese familiäre Tragödie, die Befindlichkeiten, Annäherung und Verständigung beschreibt die 45-jährige Regisseurin Rama Burshtein sehr einfühlsam und intim. Ihr Kammerspiel – von der Aussenwelt Tel Avivs fliesst wenig ins Geschehen ein – ist seltsam fremd und doch modern. Der Film zeigt nicht nur die Welt, den Alltag ultraorthodoxer Juden in der Grossstadt, sondern schildert auch einen menschlichen Prozess, eine Selbstfindung. Zurecht wurde die Hauptdarstellerin Hadas Yaron am Filmfestival Venedig ausgezeichnet. Der in New York geborenen Regisseurin, wohnhaft in Tel Aviv, geht es nicht um einen ethnischen Film, um einen religiös-säkularen Dialog, sondern um Menschen in einem speziellen, komplexen Umfeld, um Ehrlichkeit und Menschlichkeit, um Herz und Vernunft. Sie hat eine Lücke gefüllt und einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft eine kulturelle Stimme verliehen. Eindrücklich.
Der Spielfilm von Haifaa Al Mansou aus Saudi Arabien hat eine andere Dimension. Auch er wirkt sehr authentisch, fast dokumentarisch. «Wadjda» ist ein 10-jähriges Mädchen, das seinen eigenen Kopf hat und sich in eben diesen Kopf gesetzt hat, ein Velo zu erwerben, um sich mit ihrem gleichaltrigen Freund Abdullah (Abdullrahman Al Gohani) zu messen. Wadjda (Waad Mohammed) handelt, spart und nimmt gegen ihre Überzeugung an einem Koran-Wettbewerb in der Schule teil, um mit der Preissumme ihr heiss ersehntes Fahrrad zu kaufen. Allein die Lehrerin macht ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie und ihre Mutter (Reem Abdullah) sind auf sich alleingestellt, der Vater heiratet eine zweite Frau.
Haifaa Al Mansour ist die erste saudiarabische Filmerin, die in Kairo und Sydney studierte und nun den ersten «weiblichen» Spielfilm des Königtums Saudi Arabien in Riad realisiert hat. Ihr war es sehr wichtig, den Frauen und Mädchen in einer männlich dominierten Gesellschaft eine Stimme zu geben – authentisch und zeitgemäss. Und sie unterstreicht: «In Saudi Arabien gibt es viele Mädchen wie Wadjda, die ihre grossen Träume, starke Charaktere und so viel Potenzial haben. Diese Mädchen und junge Frauen können und wollen unsere Nation umgestalten und neu definieren.» Ihr Spielfilm schildert aus weiblicher Perspektive ein Leben zwischen alten Gesellschaftsnormen und der Moderne, wo Frauen unterdrückt, bedrängt, gezwängt und gegängelt werden. Aber es gibt Auswege. Sehr aufschlussreich.
Aktuelle Kinotipps – kurz & fündig
«Children of Sarajevo» von Aida Begić: Die 23-jährige Rahima und ihr 14-jähriger Bruder Nedim schlagen sich durch – in Sarajevo heute. Die Wunden des Krieges sind nicht verheilt. Ein sehr authentischer Spielfilm aus Bosnien-Herzegowina über eine Zeit des Übergangs – düster mit wenigen Lichtblicken.
Sozialdrama dicht an der Wirklichkeit. Sehenswert.
«Argerich» von Stéphanie Argerich: Die Pianistin Martha Argerich ist eine aussergewöhnliche Künstlerin und Mutter, kaum fassbar und unkonventionell. Ihre Tochter Stéphanie hat sich ihrer Mutter und der verzweigten Familie mit der Kamera genähert. Dabei spielt der Toppianist Stephen Kovacevich, Lebenspartner auf Zeit und Stéphanies Vater, eine zentrale Rolle. Ein schillerndes Familien- und Künstlerporträt.
Vielschichtige Dokumentation, die vieles offen lässt. Gleichwohl aufschlussreich.
«Dead Man Down» von Niels Arden Oplev: Der Gangster Victor (Colin Farrell) spielt sein eigenes Spiel im Unterweltsumpf und inszeniert einen raffinierten Rachefeldzug, wobei sich ungewollt eine Nachbarin (Noomi Rapace, «Millenium») und ihre Mutter (Isabelle Huppert) einmischen.
Subversiver Gangster- und Liebesfilm der Extraklasse. Spannend und perfid.