FRONTPAGE

«Leni Riefenstahl als Täterin. Das Ende eines Mythos?»

Von Ingrid Isermann

 

In ihrem Buch «Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin» untersucht die Autorin und Dokumentar-filmerin Nina Gladitz aufgrund von Archiv-Dokumenten die Arbeitsmethodik der gefeierten Filmikone des NS-Regimes und hinterfragt Riefenstahls Selbstdarstellung als genialer Künstlerin.

Als glühende Hitler-Verehrerin, erklärte Riefenstahl 1937 in einem Interview mit der amerikanischen Zeitung Detroit News:

 

«Für mich ist Hitler der grösste Mann, der jemals gelebt hat. Er ist wirklich tadellos, so einfach und ausserdem so erfüllt von männlicher Kraft (…). Er ist wirklich schön, er ist klug, Strahlen gehen von ihm aus. All die grossen Männer Deutschlands – Friedrich der Grosse, Nietzsche, Bismarck – hatten Fehler. Auch Hitlers Mitkämpfer sind nicht makellos. Nur er ist rein».

 

1938 brannten die Synagogen in Deutschland und jüdische Geschäfte wurden mit der obszönen Bezeichnung Kristallnacht verwüstet. Am 1. September 1939 begann Hitler den Zweiten Weltkrieg mit dem Überfall und der Besetzung Polens. Hitler plante nach den Nürnberger Rassegesetzen, seine Idee der Euthanasie für Behinderte und psychiatrisch Inhaftierte umzusetzen, weshalb er im September nach Polen reiste, an eine Konferenz mit 200 Gästen, die vom 19. bis 24. September im polnischen Seebad Zoppot stattfand. Wenig hinterfragt ist, dass Leni Riefenstahl eingeladen war und an dieser Konferenz in Polen teilnahm. Sie sass an Hitlers Seite während eines Essens im Hotel Sofitel in Zoppot, an dem juristische und medizinische Berater teilnahmen, um ein Programm für die schmerzlose Tötung von unheilbaren Geisteskranken zu entwerfen. In dieses Tötungsprogramm war  Riefenstahl von Anfang an eingeweiht.

 

Der irische Filmkritiker Liam O`Leary stellte Leni Riefenstahl (1902-2003) mit seiner in Filmkreisen oft zitierten Bemerkung «Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel» eine Art Persilschein für ihr filmisches Wirken aus. Diese Aussage stellte Nina Gladitz infrage, denn die NS-Regisseurin Riefenstahl stand auf der Seite der Mächtigen unter dem persönlichen Schutz von Adolf Hitler. Gladitz dreht den Satz von O`Leary um: Riefenstahl war keine geniale Künstlerin, aber ein politisches Genie, indem sie sich nachhaltig Geltung bis in die heutige Zeit verschaffte.

 

 

Prozess über den Dokumentarfilm Zeit des Schweigens und der Dunkelheit 

Nina Gladitz verfasste den Dokumentarfilm Zeit des Schweigens und der Dunkelheit im Auftrag des WDR3, Westdeutscher Rundfunk/TV, der 1982 gesendet wurde. Sie berichtete über Leni Riefenstahls Casting für ihren Spielfilm Tiefland und den Zugriff auf 120 inhaftierte Sinti und Roma in den Lagern Berlin-Marzahn und Marglax bei Salzburgdie Riefenstahl gegen deren Willen einsetzte und von ihrer misslichen Lage kaltblütig und skrupellos profitierte. Riefenstahl behauptete, sie habe nichts von Konzentrationslagern und Auschwitz gewusst, alle Komparsen seien gut behandelt worden, wie in den Ferien, und hätten die NS-Zeit überlebt.

 

Riefenstahl klagte mit einer Unschuldsbehauptung 1984 gegen die Filmautorin. Der mehrjährige Prozess gab Gladitz 1987 bis auf einen Passus recht. Tatsache war, dass die meisten Komparsen nach ihrer Statistenrolle ins KZ zurückgeschafft wurden, das nur wenige überlebten, was sich aufgrund neuer Archivfunde belegen lässt.

Mit einigen wenigen dieser noch lebenden hochbetagten Zeitzeugen, wie u.a. Luigi Colani, Anna Winter und Louise Reinhardt, führte Nina Gladitz erschütternde  Gespräche, in denen ihr unvorstellbare Grausamkeiten berichtet wurden, dass die meisten zurückgeschafften Komparsen an Hunger starben oder stundenlang nackt bei Minustemperaturen draussen stehen mussten, bis sie erfroren.

Die Komparsen konnten ermittelt werden, wann und wie lange sie für Riefenstahl für den Film Tiefland tätig waren, unter welch schwierigen Bedingungen sie arbeiten mussten, für ihre Arbeit nicht entlöhnt wurden, was die NS-Regisseurin bestritt, das aber nun aktenkundig ist, und wohin sie danach gebracht wurden. Riefenstahls Komparsen kamen zu achtzig Prozent in Auschwitz um.

 

 

Riefenstahls künstlerische Illusionen statt Illuminationen
Nach dem Prozess veröffentlichte Leni Riefenstahl 1987 ihre Memoiren und vertrat weiterhin den Standpunkt, nichts von Nazi-Gräueltaten gewusst zu haben, was dazu beitragen sollte, ihren Ruf als genialer Filmregisseurin zu bekräftigen. Riefenstahl gelang es, breite Kreise für sich einzunehmen, die ihr persönlich als Frau und Filmregisseurin Beifall zollten als populärer Kulturevent und Vorzeigefeministin.

Selbst der deutsch-jüdische Starfotograf Helmut Newton setzte die bereits achtundneunzigjährige Riefenstahl im Jahre 2000 in Szene, wobei seine Aufnahme sie als maskenhafte, selbstverliebte Person mit Spiegel und Puderdose entlarvt.

Recherchen zu Riefenstahls Behauptungen blieben aus. Die Filmhistoriker interessierten sich nicht für die Hintergründe. Tiefland ist der einzige NS-Film, über den keine Filmanalyse existiert, sodass er seit 75 Jahren als harmlose Liebesschnulze in den Bergen durch die einschlägige Filmliteratur geistert, so die Autorin, mit Leni Riefenstahl als junger Hauptdarstellerin. Ironischerweise spielte sie selbst mit fast 40 Jahren ein 15-jähriges Zigeunermädchen, das sich durch einen angestifteten Mordplan an einem jüdischen Geschäftsmann der NS-Ideologie andient. Dass es sich dabei um einen für die Nazis wichtigen antisemitischen Film handelt, der den antisemitischen Jud Süss übertrumpfen sollte, aber erst 1954! in die Kinos kam, wurde nicht hinterfragt. Anscheinend hatte man nach Kriegsende genug von Nazigeschichten und nahm keinen Anstoss an der scheinbar banalen Zigeunergeschichte.

 

 

Das Verschwinden von Willy Zielke

Von Riefenstahls Ehrgeiz und Konkurrenzneid war vor allem der Fotograf Willy Zielke (*1902 in Lodz, Polen)  betroffen, denn viele der meist jüdischen Filmregisseure waren ins Exil geflüchtet. Riefenstahl setzte Zielkes Können als begabten Kameramann bereits für ihren Dokumentarfilm Olympia 1938 ein; Zielke verlieh den Filmszenen mit profunder Lichttechnik und rasanten Kamerafahrten einen künstlerischen Anstrich. Der umjubelte Dokumentarfilm mit Massenaufläufen und Paraden der Olympiade 1936 in Berlin, den Riefenstahl in Hitlers Auftrag drehte, wurde in den Nachkriegsjahren als Idealisierung der NS-Ideologie kritischer beurteilt.

 

Als Riefenstahl Zielke für ihren einzigen eigenen Spielfilm Tiefland als Kameramann und Cutter benötigte, versuchte sie, ihn wieder in ihre Abhängigkeit zu bringen. Die späteren Memoiren von Willy Zielke (1902-1989) sind dabei eine authentische und verstörende Quelle.

Da Fotograf Zielke sich weigerte, wieder mit Riefenstahl zusammen zu arbeiten, liess sie ihn kurzerhand in eine psychiatrische Anstalt einweisen, wo ihm eine schwere Schizophrenie-Diagnose attestiert wurde. Der bisexuelle Zielke wurde unter Druck gesetzt, zwangssterilisiert und auf Betreiben von Riefenstahl unter Vormundschaft gestellt. Ihre eigene Bisexualität war in der NS-Zeit kein Thema.

Sozusagen in letzter Minute veranlasste Riefenstahl seine Freilassung und «rettete» Zielke, der in einen Hungerstreik getreten war, nach ihrer Aussage von der Psychiatrie, damit er für sie als Kameramann tätig sein konnte. Die morphiumsüchtige, unberechenbare NS-Regisseurin konnte unter Hitlers Ägide jede Willkür walten lassen. In den Filmcredits liess sie später Zielkes Namen verschwinden und beanspruchte die künstlerische Leitung für sich. Riefenstahl verfügte in einer beispiellosen Totalität über Zielke, die auch nach dem Krieg 1945 nicht aufhörte. So wurde ihm die Heirat von den Behörden verwehrt, er musste sich vier Wochen in einer psychiatrischen Klinik begutachten lassen, ob er gesund sei. Die Gutachter kamen zum Schluss, er sei nie geistig krank gewesen.

 

 

Diebstahl des Urheberrechts

Eine Fortsetzung fand der dreiste Diebstahl des Urheberrechts Zielkes 2017 an der documenta 14 in Athen, mit einer Foto-Installation des polnischen Künstlers Pitor Uklanski mit Fotos von Willy Zielke, die von Uklanski Leni Riefenstahl zugeschrieben wurden.

 

Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz in Berlin, die den Nachlass Leni Riefenstahls mit Fotos und einigen ihrer Filme (die restlichen Filme befinden sich im Bundesarchiv) sowie ihr umfangreiches Schriftarchiv als Schenkung entgegengenommen hatte, erklärte in einer Presseerklärung  des Stiftungspräsidenten Hermann Parzinger vom 18. Februar 2018, man verspreche eine «kritische Aufarbeitung» dieses toxischen Erbes. Auf die zukünftige Aufarbeitung dieses Nachlasses darf man gespannt sein, so Nina Gladitz, da nach wie vor Zielke-Fotos als Riefenstahlwerke ausgegeben würden, wie vom Leiter der Fotosammlung Dr. Ludger Derenthal, der das Zielke-Foto von Anatol Dobriansky als Riefenstahl-Foto deklarierte. Die Riefenstahlexperten konnten oder wollten anscheinend nichts davon wissen, wer der tatsächliche Fotograf dieses Fotowerks ist.

 

Die akribischen, hintergründigen Aufzeichnungen von Nina Gladitz mit den wechsel- und unheilvollen Familiengeschichten Riefenstahls und Zielkes in der NS-Zeit lesen sich wie ein spannender historischer Kriminalroman. Eine fesselnde Zeitgeschichte, die einem nicht loslässt.

Leni Riefenstahl konnte sich mit zahlreichen Klagen ihrer Verantwortung entziehen und liess sich bis ins hohe Alter als geniale NS-Filmregisseurin feiern. Das Buch bringt Licht in die dunklen Zeiten und bietet Anregungen für eine Neudefinition von Solidarität und Verantwortung. Empfehlenswert!

 

 

Nina Gladitz, 74, zählt zu den bekanntesten Dokumentarfilmerinnen Deutschlands. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet, 1974 mit dem «Best Documentary of the Year», 1985 erhielt sie den «Reinhold Schneider Preis» der Stadt Freiburg i.Br.
1979 wurde Nina Gladitz der breiteren Öffentlichkeit bekannt durch ihren Dokumentarfilm «Zeit des Schweigens und der Dunkelheit», der sich kritisch mit Leni Riefenstahls Film «Tiefland» und dem Schicksal der darin als Komparsen eingesetzten Sinti und Roma auseinandersetzt. Riefenstahl klagte gegen Gladitz’ Film. Nach vierjähriger Prozessdauer wies das Oberlandesgericht Karlsruhe 1987 Riefenstahls Klage bis auf einen Punkt ab.

 

 

Nina Gladitz
Leni Riefenstahl
Karriere einer Täterin
Orell Füssli Verlag, Zürich 2020
Hardcover geb., 425 S., div. Abb. s/w
CH 35.90
ISBN 978-3-280-05730-8

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