Bilder: ©PD
«Paul Smith im Design Museum London: Klassik mit Esprit»
Von Marion Löhndorf
Klassische Schnitte, schmale Streifen und Kleingeblümtes machten ihn berühmt. Das Design Museum London erlaubt Einblicke in die Werkstatt des Designers Paul Smith. Seine Kleider kommen darin auch vor – unter anderem. Die eigentlichen Themen der Schau aber sind Kreativität und Inspiration.
Paul Smiths erstes Geschäft, das er 1970 in Nottingham eröffnete, war fensterlos und mass drei mal drei Meter. Nun hat er es in einer Ausstellung nachgebaut, die das Design Museum ihm derzeit widmet. Die stilisierte Re-Kreation des Miniaturladens ist nicht nur Teil des Gründungsmythos einer grossen Firma. Smith will denen Mut machen, die gerade anfangen – als Designer oder Geschäftsleute, vielleicht auch auf engstem Raum, bei Kunstlicht und mit leerem Portemonnaie. Das ist rührend, und man nimmt es ihm sogar ab. Smith, heute fast 67, hilft gern auch mit Ratschlägen weiter: «Es ist wichtig, geduldig zu sein, demütig und jeden Tag zu geniessen.»
Einblick in die Design- und Modebranche
Vor mehr als zehn Jahren fand im Design Museum bereits eine Paul-Smith-Ausstellung unter dem Titel «True Brit» statt. Auch die damalige Schau drehte sich – genau wie die heutige – nicht in erster Linie um einzelne Luxustextilien. Sie befasste sich vielmehr mit dem Prozess der Gestaltung, Herstellung und Vermarktung von Kleidern und wollte das vor allem jungen Besuchern erklären. Smith ging es darum, Menschen zum Verständnis seiner Branche zu verhelfen – und zu erklären, «wie der Job funktioniert, mit dem ich mein Geld verdiene.» Er gilt inzwischen als Grossbritanniens Designer mit dem konstantesten Erfolg und als der einzige, der kommerziellen Erfolg mit Glaubwürdigkeit als Designer verbindet. Er besitzt heute mehr als 300 Geschäfte weltweit.
Eitelkeit aber ist etwas, das er nicht gern nach aussen kehrt. Er inszeniert sich nicht als flamboyanter Modegott, sondern besetzt die Nische des eigenwilligen, aber bodenständigen britischen Gentleman, dessen Wurzeln nicht im Adel oder in der oberen Mittelklasse liegen. Understatement ist das Motto seiner Mode, für die er selbst die Wendung «classic with a twist» prägte – klassische Entwürfe mit witziger Note. Auf seine Zusammenarbeit mit Popstars angesprochen, David Bowie, Patti Smith, Razorlight, Jake Bugg – sagt er, das hätte sich halt so ergeben. Auch die daraus entstehenden Freundschaften. So ergeben habe sich mehr oder minder auch seine gesamte Laufbahn. Eigentlich hatte er Radrennfahrer werden wollen, doch ein schwerer Fahrradunfall machte ihm einen Strich durch die Rechung. Nach dem Unfall führten ihn Zufallsbekanntschaften aus dem Krankenhaus in eine Künstlerkneipe, dessen Stammpublikum ihn dermassen faszinierte, dass er einen ähnlichen Weg einschlagen wollte. So einfach war das, scheinbar. Hinter den Kulissen war natürlich harte Arbeit im Spiel. Smith gilt als Workoholic, der Schlaf für Zeitverschwendung hält.
Ganz sicher ist er ein Kommunikationsgenie. Er plaudert leicht, schnell, aufs Gegenüber bezogen und sehr englisch. Auch der Titel seiner Ausstellung im Design Museum «Hello, my name is Paul Smith» lädt zum Plausch ein und begibt sich auf Augenhöhe mit seinem Besucher – und Käufer; wie ja jede Modeausstellung einer noch geführten Marke zugleich auf diese einzahlt. Smiths Shops, mal vollgestopft wie Antiquitätenläden mit Kleidern, Schreibwaren, Krimskrams und Flohmarktfunden, mal stylish leergeräumt wie Kunstgalerien, hat er ebenfalls entworfen, um mit seinen Kunden ins Gespräch zu kommen. Denn lange stand er selbst im Laden verkaufte die eigenen Waren. Der Designer ist auch ein begnadeter Geschäftsmann, der ohne weitere Anteilseigner die Geschicke seiner Firma leitet. Hinter der Idee, neben Kleidern ein Sammelsurium von verwandten, schönen Gegenständen zu verkaufen – die dann später von Avantgarde-Geschäften wie Colette in Paris und Dover Street Market in London kopiert wurde – steckt in Wahrheit ein cleveres Geschäftsprinzip. Aber auf die Idee musste erstmal einer kommen.
In der Ausstellung im Design Museum wendet sich Smith gewissermassen persönlich an die Besucher und führt anhand der Begleittexte an der Wand in der ersten Person Singular durch sein kreatives Leben. Das passt und sitzt perfekt, denn die Marke Paul Smith ist eng mit seiner Person und Persona verbunden: Cool, aber zugänglich; anspruchsvoll, aber nicht elitär. Wenn mal etwas schief geht, dann vielleicht, weil man es zu sehr darauf angelegt hat: so sagte er einmal im Interview. An einer Stelle der Schau ist seine Stimme aus dem Lautsprecher zu hören, begleitet von einem Kaleidoskop wechselnder Bilder. Da geht es ums praktische Ideenfinden. Immer sei er mit einem Notizbuch unterwegs und mit einer Kamera; was andere Designer tun, interessiere ihn nur am Rande, so der O-Ton vom Band. «Be curious – sei neugierig», rät er schlicht. Und ebenso so simpel: wirklich hinzuschauen, anstatt nur zu sehen, und die Dinge in einem anderen Licht wahrzunehmen: Die Tasche eines Briefträgers, ein Schatten, Jalousien. Auch Spiegel sind passenderweise an dieser Stelle vorhanden, bei zuvorkommend gedämpftem Licht.
Alltägliches in neuem Kontext
Ein ganzer Ausstellungs-Raum ist der Zusammenarbeit mit anderen Firmen gewidmet. Am erstaunlichsten das Buchcover einer Ausgabe von «Lady Chatterley’s Lover» – es ist weiss und mit einer einzigen aufgestickten Blüte versehen (Penguin Classics, 2006). Um das Dekor von Strandstühlen, Mineralwasserflaschen, Snowboards und Skiern hat sich Paul Smith schon gekümmert, einen Mini hat er mit seinem Markenzeichen, dem vielfarbigen Streifenmuster überzogen. Auch damit geht er entspannt um: er hätte es eigentlich einmal abschaffen wollen, aber den Käufern – auf deren Stimme er hört – habe es so gut gefallen, dass es blieb.
Eine Reihe von Smith-Anzügen, -Kleidern und –Mänteln stehen in einem weissen Raum Spalier, aber mehr wie ein Nachgedanke, in dieser bunten Schau, die auch das vollgekramte Büro des Meisters und seine Kreativwerkstatt zeigt. Ihr Herzstück ist eine Bildergalerie, in der die Rahmen bis unter die Decke hängen: vom Werbefoto übers Flohmarkt-Ölbild, vom Film- und Ausstellungsplakat übers Helmut-Newton-Foto. Bestimmte Motive, Fahrräder, Flugzeuge, Patti Smith und David Bowie wiederholen sich in Varianten, dazwischen laden Bilder von Strassen, Landschaften und Swimming-Pools zum Reisen mit den Augen ein. In der Zusammenschau schaut da nichts Süssliches, aber auch nichts allzu anspruchsvoll Verstörendes auf die Betrachterin herab.
Smith zeigt sich als Sammler von Kram und Kunst, und betont seine Eigenschaft, das Alltägliche im anderen Kontext zum besonderen zu machen: Er ist ein Virtuose des Retro und Recycling. Sein Design besteht eher aus dem erfinderischen Zusammensetzen von visuellen Fundstücken als vom Entwerfen wegweisend neuer Schnitte und Stile. Smith nimmt Bestandteile der hohen Kunst der Massschneiderei und kombiniert sie mit etwas Scherzhaftem: zum Beispiel mit floralen Drucken, die auf Fotos zurückgehen, die auf Blumensamen-Tütchen zu sehen sind. Ein klassisches Jackett erhält in der Verbindung mit Jeans-Shorts eine besondere Note. Traditionelle britische Stoffe wie Tweed gehen Verbindungen mit lauten Farben ein. Er selbst ist das beste Modell seiner Mode, die eine schlankere Silhouette als die traditionellen Formen bevorzugt und auf frisch aufgebürstete Weise an die Sixties erinnert. Dass er an jedem frühen Morgen, bevor die Belegschaft das Büro betritt, Musik hört – naturgemäss nur auf Vinyl – passt so perfekt zu diesem Image wie sein kleingeblümtes Hemd und die bleistiftschmalen Hosen.
(Erstveröffentlichung NZZ, 10.1.2014, mit freundlicher Genehmigung der Autorin).
Bis 9. März 2014 im Design Museum London. Katalog: «Hello, My Name Is Paul Smith», by Paul Smith, Donna Loveday, and Deyan Dudjic. Rizzloli. Hrsg. Alan Aboud. Rizzoli, New York 2013. 272 S., 250 Abb., £ 40.- (geb. Ausgabe).
Ausstellungstipps
«Kunsthaus Zürich: Von Matisse zum Blauen Reiter»
Expressionismus in Deutschland und Frankreich
«Expressionismus» wird heute gemeinhin als deutsche Bewegung verstanden, ungeachtet der Tatsache, dass er sich am Anfang des 20. Jahrhunderts aus einer lebhaften Auseinandersetzung von deutschen Künstlern mit der Klassischen Moderne in Frankreich entwickelte.
«Van Gogh traf moderne Kunst wie ein Blitzschlag», schrieb ein deutscher Beobachter über den Einfluss des Malers auf die deutschen Künstler zu einer Zeit, in welcher diese bereits Seurat, Signac und die Neoimpressionisten rezipierten. Es folgten Gauguin, Cézanne und Matisse. Mit wahren Farbexplosionen reagierten die Künstler der «Brücke» und des «Blauen Reiters» auf die Werke der französischen Neoimpressionisten und der «Fauves».
Die Ausstellung, die in Kooperation mit dem Los Angeles County Museum of Art und dem Musée des Beaux-Arts in Montréal entsteht, rückt die Verhältnisse ins richtige Licht. Sie zeigt auf, dass der Expressionismus keine nationale Bewegung war, sondern vielmehr eine im Geiste des Kosmopolitismus und produktiven Austauschs entstandene. Gemeinsam mit über 100 Meisterwerken der Klassischen Moderne und des deutschen Expressionismus werden neueste Forschungsergebnisse dieser bisher kaum wissenschaftlich nachgezeichneten Rezeptionsgeschichte präsentiert. (7. Februar – 11. Mai 2014).
www.kunsthaus.ch
«Kunstmuseum Bern: Markus Raetz»
Druckgraphik · Skulpturen
Markus Raetz, geboren 1941, ist einer der renommiertesten Berner Künstler der Gegenwart und eine zentrale Figur der Generation von «künstlerischen Wahrnehmungsforschern». Sein vielgestaltiges Werk kreist spielerisch um das prozesshafte Erfahren von Wirklichkeit und macht über die Verwendung unterschiedlichster Medien und Techniken bewusst, dass sich die Realität je nach Standpunkt anders darstellt.
Mit über 350 druckgrafischen Werken nimmt diese Gattung in Markus Raetz’ Schaffen einen wichtigen Platz ein. Es scheint sogar, als ob die Druckgrafik das eigentliche Gebiet von Markus Raetz künstlerischer Beschäftigung mit der Wahrnehmung sei.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern zeigt Druckgraphik von Markus Raetz in Kombination mit einigen ausgewählten Skulpturen aus allen Schaffensphasen des Künstlers. Die Präsentation von druckgrafischen und dreidimensionalen Werken macht deutlich, wie stark sich diese beiden unterschiedlichen Medien in Markus Raetz’ Schaffen gegenseitig beeinflussen. Die Linie als gestalterisches Element manifestiert sich nicht nur auf Papier sondern auch im Raum. So formen Linien beispielsweise Worte, die je nach Standpunkt ihren Sinn verändern, manchmal sich sogar in ihr Gegenteil verkehren. In der Druckgraphik und als dreidimensionale Plastiken entfalten diese Werke dabei mitunter leicht unterschiedliche Bedeutungsfelder und öffnen den Blick für weitere mögliche Interpretationen.
Die Ausstellung basiert auf den umfangreichen Beständen des Kunstmuseums und ist als Fortsetzung der Ausstellung von 1991 im Kunstmuseum Bern Markus Raetz: Die Druckgrafik 1958- 1991 gedacht. Sie zeigt einen Überblick über das druckgrafische Werk bis heute. In acht Räumen werden zentrale Aspekte von Markus Raetz‘ Schaffen präsentiert. Neben Themen wie «Sehen und Wahrnehmen», «Landschaft», «Physiognomie», «Zitate, Referenzen und Hommagen», «Schrift / Wörter», «Zwei- und Dreidimensionalität» werden auch druckgraphischen Techniken wie die Heliogravur oder der Kupferstich speziell in den Fokus genommen. www.kunstmuseumbern.ch
Kuratorin: Claudine Metzger
Anlässlich der Ausstellung erscheint der lange vergriffene Oeuvrekatalog der Druckgraphik in überarbeiteter und aktualisierter Form. Der Katalog und die Ausstellung werden in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler realisiert. (31. Januar – 18. Mai 2014).