«Perspektivenwechsel»
Von Hedi Wyss
«When you change your way to look at things the things you look at, change».
(Wenn Du die Art änderst, wie Du die Dinge ansiehst, so verändern sich die Dinge, die Du ansiehst).
Seit Jahren lese ich dieses Motto in den Mails eines Freundes. Ein wirklich bedenkenswerter Satz, finde ich jedesmal wieder. Von wem er stammt? Ursprünglich? Habe den Namen im Internet gefunden: Wayne Dyer, ein, Psychotherapeut und Bestsellerautor. Das ist ein Teil seiner Anleitungen, Erfolg und Gelassenheit im Leben zu erreichen. Eine Hilfe beim Lösen persönlicher Konflikte.
Mich fasziniert dieser Satz, aber ich verstehe ihn noch umfassender: als Aufforderung dazu, offen für alles zu sein, was uns nie vorher aufgefallen ist, hin zu sehen, die Perspektive zu wechseln. Und so vor allem, vorgefasste Meinungen in Frage zu stellen.
Meinungen sind Barrieren, die Offenheit verhindern. Sind in Begriffen, in Wörtern festgeschrieben, die den Blick auf die Wirklichkeit behindern. Wir übernehmen sie von unserer Umgebung, die herrschende Meinung. Sie ist oft ein ungenaues und pauschales Urteil über Dinge, von denen man doch zu wenig weiss. Das aber, emotional aufgeladen, sehr leicht verbreitet wird. Und das einen oft daran hindert, genauer zu beobachten, Details zu erkennen.
Das „change your way to look at things“….erweitert den Eindruck, macht die Wirklichkeit spannender.
Manchmal zwingen auch Ereignisse uns dazu, das zu tun, die Perspektive radikal zu wechseln.
Da sinkt ein Schiff vor Lampedusa. Es sind Männer, Frauen Kinder, die ertrinken. Die Bilder zeigen, wie Blumen auf weisse Särge gelegt werden. Wir sehen auf einmal Menschen mit tragischen Schicksalen. Ahnen die Wirklichkeit aus ihrer Perspektive. Wie, wenn ich in so einer Lage wäre, keine Zukunft, kein Einkommen, Hunger und Dürre, Krieg und Unterdrückung. Würde ich nicht alles Geld zusammenkratzen, damit ich Schlepper bezahlen kann, die den Weg in ein Land zeigen, in dem Sicherheit und ein normales Leben winkt?
Angesichts der Katastrophe vergisst man die Begriffe, die bis anhin so einfach alles zusammenfassten: „Ausländer, Asylbewerber, Immigranten, die in die Festung Europa drängen“. Gegen die wir die Grenzen dicht machen müssen, um unseren Wohlstand zu erhalten. Statt dessen sind da Einzelschicksale, die sich in ihrer Zahl zu einer Tragödie verdichten, deren Ursache uns beschäftigen wird. Die die eindmensionale Polemik populistischer Kreise Lügen straft, und zur Suche nach anderen Interpretationen und Lösungsansätzen anregt.
Oder da lenkt ein Film den Blick auf Bereiche, die wir vorher kaum wahrgenommen haben. Die Bienen heisst es, sind weltweit in Gefahr, zu verschwinden. Wir haben sie kaum beachtet. Die Bienenhäuschen mit den farbigen Einfluglöchern, lagen meist nicht am Weg. Plötzlich aber sind da die Bilder, die sie uns als differenzierte Wesen voller Rätsel und mit erstaunlichen Fähigkeiten näher bringen. Und nicht nur sie, die Honigbienen, auch ihre vielen nahen Verwandten, die hunderte Arten von Wildbienen, die wir nicht beachtet haben bis jetzt, und die doch eine entscheidende Rolle bei der Bestäubung von Kulturpflanzen spielen. Und all die anderen winzigen Sechsbeiner und Achtbeiner, die durch die Luft schwirren, unter Steinen und zwischen Pflanzen hervorkrabbeln. Sie anders ansehen macht sie auf einmal spannend: man vergisst den Begriff „Ungeziefer“, der bis jetzt alles Winzige mit Aussenskelett und seltsamer Lebensweise zusammenfasste. Man entdeckt auf einmal die schönen unterschiedlichen Zeichnungen der Schwebfliegen und ihre phänomenale Fähigkeit, in der Luft stehen zu bleiben, staunt über die Rekordsprünge der Grashüpfer, die sie mit ihren schlanken Muskeln vollbringen. Man wedelt dann nicht mehr erschreckt herum, weil eine Wespe versucht, einen Tropfen Marmelade auf dem Frühstückstisch zu ergattern, sondern bleibt ruhig und nimmt das zum Anlass, über das Geflecht des Lebens nachzudenken, in dem dieses schwarzgelb gebänderte Tier eine wichtige Rolle spielt. Nicht zuletzt als Vertilger der Mücken, die es auf unser Blut abgesehen haben.
Und das nächste Mal, wenn im Wissenschaftsteil der Zeitung die neusten Forschungsergebnisse über Orientierungsleistungen von Bienen und Ameisen zusammen gefasst werden, so denkt man vielleicht mit Respekt und Faszination daran, wie viel so ein winziges Hirn eigentlich leistet. Das einer Spinne etwa, der man zusieht, wie sie geduldig die Fäden spannt, schön regelmässig, bis das Netz mit glitzerndem Morgentau geschmückt fertig ist.
Wer so ein Tier anders sieht, wird auch seinem Kind, das, fasziniert von dem glänzenden Körper des Regenwurms, ihn anfassen will, nicht mehr das Händchen wegziehen mit dem Kommentar: das ist gruusig“. Gemeinsam staunt man dann etwa darüber, wie der Wurm es schafft, sich ohne Füsse behende im nächsten Erdloch zu verstecken. Und dann erinnert man sich plötzlich daran, wie dieser Wurm mit Milliarden von Seinesgleichen dafür sorgt, dass die Erde überhaupt fruchtbar bleibt.
Ich lese es immer wieder mechanisch auf diesen Mails, die ich von Zeit zu Zeit erhalte, dieses «If you change …..und ich weiss wie viel es bringen kann, das «change your way, to look at things…». So verändert sie sich wirklich, die Welt für einen. Wird spannender, macht auch den ganz gewöhnlichen Alltag zum Abenteuer.